Spätantike Buchmalerei

Werke der spätantiken Buchmalerei sind nur in geringer Zahl erhalten. Vor allem aus vorrömischer Zeit sind nur wenige originale Beispiele überliefert.

Autorenporträts

Autorenporträt aus dem Wiener Dioskurides. Zu sehen ist der Arzt Pedanios Dioscurides (rechts) fol. 5. verso
Pflanzenbild aus dem Wiener Dioskurides (Beifuß) fol. 20. verso

Eine selbständige Gattung antiker Buchillustration ist das dem Text vorangestellte Autorenporträt. Allein stehen die regelrechten Sammlungen von Porträts großer Geister, die, wie der ältere Plinius berichtet, der große römische Gelehrte Varro (116–27 v. Chr.) in seinen Schriften verbreitet haben soll.

Wissenschaftliche und didaktische Texte

Illustrationen im Inneren von Buchrolle oder Kodex können vom Autor vorgesehener Bestandteil des Textes oder diesem nachträglich hinzugefügt sein. Für die vorrömische Antike sind lediglich in wissenschaftlichen bzw. didaktischen Texten Illustrationen bezeugt. Sie waren entweder in den laufenden Text integriert oder diesem – am Ende der Rolle – angefügt. Meist sind die Illustrationen in der handschriftlichen Überlieferung nicht erhalten. Sie können aber erschlossen werden, weil der Text auf sie Bezug nimmt. Dies gilt z. B. für geometrische Konstruktionen in den Schriften Platons und des Aristoteles. Handschriftlich überliefert sind die Illustrationen im mathematischen Werk Euklids (um 300 v. Chr.; älteste erhaltene Handschrift aus dem 10. Jh. n. Chr. im Vatikan). Der älteste erhaltene antike Papyrus mit erläuternden Abbildungen stammt aus dem 2. Jh. v. Chr. (im Louvre); es ist das Exzerpt einer astronomischen Abhandlung des Eudoxos, eines Zeitgenossen Platons.

Für geometrische Konstruktionen und schematische Erläuterungen genügen schlichte Strichzeichnungen; dagegen können zum Beispiel botanische oder zoologische Schriften mit aufwendiger Malerei versehen sein. Plinius der Ältere erwähnt den um 100 v. Chr. am Hof des pontischen Königs Mithridates VI. lebenden Pharmakologen Krateuas, der ein Kräuterbuch mit farbigen Abbildungen geschaffen hat; Plinius weist zugleich auf die Gefahr der Verfälschung hin, die beim Kopieren der Abbildungen besteht. Soweit farbige Pflanzenbilder auf Papyrus überliefert sind, stammen sie aus späterer Zeit. Ein Kräuterbuch enthält auch das einzige umfänglich erhaltene und durchgehend farbig illustrierte Buch der Antike, der sog. Wiener Dioskurides (Österreichische Nationalbibliothek in Wien). Der Militärarzt Dioskourides hat das pharmakologische Werk um 68 n. Chr. verfasst. Die Herstellung des Wiener Kodex ist um 512 datiert. Da der Text auf die Illustrationen nicht eingeht, waren diese vom Verfasser vermutlich nicht vorgesehen. Eine weitere Kopie des Werkes (aus dem 7. Jh.) wird in Neapel aufbewahrt.

Literarische Texte

Herakles kämpft mit dem Löwen; Oxford, Sackler Library, Oxyrhynchus Pap. 2331, 3. Jh. n. Chr.

Die wenigen erhaltenen Illustrationen literarischer griechischer Papyri sind auf die Gattungen der sog. Neuen Komödie (siehe Komödie) und des Romans beschränkt. Die Handschriften stammen durchweg erst aus römischer Zeit. Die Illustrationen zeigen in der Regel nur wenige Personen der Handlung.

Rollenstil

Die Illustrationen der genannten wissenschaftlich-didaktischen und literarischen Textgattungen zeigen den typischen ‚Rollenstil‘. Diese Form der Buchillustration ist als Gestaltungsmittel der Buchrolle entstanden und später in den Kodex übernommen worden. Die Illustrationen sind ohne Rahmen in die Textkolumnen eingefügt. Figuren bleiben, auch wenn sie koloriert werden, Umrißzeichnungen von oft nicht allzu hoher Qualität. Auf die Wiedergabe einer räumlichen und landschaftlichen Umgebung wird verzichtet.

Narrative Kodexillustrationen der Spätantike

Rebekka am Brunnen; Wiener Genesis, 6. Jh.

Eine selbstständige Tradition bilden die narrativen (‚erzählenden‘) Kodexillustrationen der Spätantike (4.–6. Jh. n. Chr.). Sie sind beschränkt auf griechische und lateinische epische Literatur, d. h. auf Homer und Vergil, sowie biblische Texte, z. B. die Ilias Ambrosiana (Mailand), der Vergilius Vaticanus (Vatikan), die Quedlinburger Itala (Staatsbibliothek Berlin). In keinem Fall war die Illustrierung vom Autor vorgesehen. Die spätantiken Illustrationen sind entweder in unregelmäßigen Abständen in den Text eingestreut oder regelmäßig angeordnet (z. B. auf der unteren Seitenhälfte). Gelegentlich sind sie auch gruppenweise zusammengefasst. Sie besitzen in der Regel einen festen Rahmen. Die Figuren bewegen sich in einer Landschafts- oder Architekturkulisse. Sie sind vollkörperlich, das heißt plastisch ausgeführt, mit detaillierter Farbgebung. Leichte Abweichungen von der Regel (z. B. Fehlen von Rahmen) weisen einige illustrierte Kodizes auf, deren Pergamentseiten purpurn eingefärbt sind, wie die der Wiener Genesis (Österreichische Nationalbibliothek, Wien). Verschiedene Forscher vermuten, dass die narrativen Kodexillustrationen der Spätantike auf hellenistische Bilderrollen zurückgehen. Die Existenz derartiger Bilderrollen bleibt aber hypothetisch.

Siehe auch

Literatur

  • Angelika Geyer: Die Genese narrativer Buchillustration. Der Miniaturenzyklus zur Aeneis im Vergilius Vaticanus. Klostermann, Frankfurt am Main 1989, ISBN 3-465-01888-5, (Frankfurter wissenschaftliche Beiträge. Kulturwissenschaftliche Reihe 17) (Zugleich: Regensburg, Univ., Habil.-Schr., 1988).
  • David H. Wright: Der Vergilius Vaticanus. Ein Meisterwerk spätantiker Kunst. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1993, ISBN 3-201-01584-9.
  • Kurt Weitzmann: Ancient Book Illumination. Harvard University Press, Cambridge, Mass. 1959 (Martin classical lectures 16), ISSN 0076-471X.
  • Kurt Weitzmann: Spätantike und frühchristliche Buchmalerei. Prestel, München 1977, ISBN 3-7913-0401-1, (Die großen Handschriften der Welt), (Originalausgabe: Late antique and early Christian book illumination Braziller, New York N.Y. 1977, ISBN 0-8076-0831-9).
  • Alfred Stückelberger: Bild und Wort. Das illustrierte Fachbuch in der antiken Naturwissenschaft, Medizin und Technik. von Zabern, Mainz 1994, ISBN 3-8053-1698-4, (Kulturgeschichte der Antiken Welt 62), ISSN 0937-9746.
  • Hubert Cancik und Helmuth Schneider (Hrsg.): Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Bd. 2. Metzler, Stuttgart u. Weimar 1997, ISBN 3-476-01472-X, diverse Artikel.
  • Herbert L. Keßler: Studies in Pictorial Narrative. Pindar Press, London 1994, ISBN 0-907132-77-4.
  • Kurt Weitzmann: Illustrations in Roll and Codex. A Study of the Origin and the Method of Text Illustration. 2. print., with addenda. University Press, Princeton NJ 1970, ISBN 0-691-03865-1, (Studies in manuscript illumination 2).
  • Severin Corsten / Günther Pflug / Friedrich Adolf Schmidt-Künsemüller (Hrsg.): Lexikon des gesamten Buchwesens. 2. völlig neubearbeitete Auflage. Hiersemann, Stuttgart 1987, ISBN 3-7772-8721-0, Bd. 1.
  • Horst Blanck: Das Buch in der Antike. Beck, München 1992, ISBN 3-406-36686-4, (Beck's archäologische Bibliothek). (Erweitert: Ders.: Il libro nel mondo antico. Edizione revista e aggiornata a cura di Rosa Otranto. Pref. di Luciano Canfora. Ed. Dedalo, Bari 2008, ISBN 978-88-220-5814-0, (Paradosis 15)).
  • Otto Mazal: Griechisch-römische Antike. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1999, ISBN 3-201-01716-7 (Geschichte der Buchkultur 1).
  • Stavros Lazaris: "L’image paradigmatique: des Schémas anatomiques d’Aristote au De materia medica de Dioscoride", Pallas, 93 (2013), p. 131–164 https://www.academia.edu/10055661/L_image_paradigmatique_des_Sch%C3%A9mas_anatomiques_d_Aristote_au_De_materia_medica_de_Dioscoride

Weblinks

Commons: Spätantike Handschriften bei Commons – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Auf dieser Seite verwendete Medien

HeraclesPapyrus.jpg
The Heracles Papyrus (Oxford, Sackler Library, Oxyrhynchus Pap. 2331), a fragment of 3rd century Greek manuscript of a poem about the Labors of Heracles.
Beifuß (Wiener Dioskurides).jpg
Ein Pflanzenbild (Beifuß) aus dem Wiener Dioskurides (fol. 20 verso)
Autorenbild (Wiener Dioskurides).jpg
Eines der Autorenbilder aus dem Wiener Dioskurides (fol. 5 verso). Die allegorische Figur Epinoia (Denkkraft) hält eine Mandragoa. Der Maler schafft ein Abbild und Dioskurides (rechts) beschreibt die Pflanze