Sozialerhebung

Als Sozialerhebung bezeichnet man eine quantitativ-empirische Untersuchung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage eines bestimmten Personenkreises. In Deutschland besonders bekannt ist die von 1951 bis 2016 regelmäßig im Auftrag des Deutschen Studentenwerks (DSW) durchgeführte Studie zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden in Deutschland. Sie wurde konzipiert und durchgeführt vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) in Hannover und gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Die letzte und 21. Sozialerhebung wurde im Sommersemester 2016 durchgeführt und die Ergebnisse im Frühsommer 2017 veröffentlicht.[1] Ab 2020/21 soll die bisherige Sozialerhebung mit dem „Studierendensurvey“ zusammengeführt werden, der seit 1982 von der AG Hochschulforschung der Universität Konstanz im Auftrag des BMBF durchgeführt wird und die Studiensituation und „studentische Orientierungen“ an deutschen Hochschulen untersucht.[2][3]

Auch in Österreich existiert mit der Studierenden-Sozialerhebung eine vergleichbare Untersuchung. Die erste wurde 1973 durchgeführt, weitere Erhebungen folgten in unregelmäßigen Abständen (1999, 2002, 2006, 2009, 2011). Die aktuelle österreichische Sozialerhebung wurde im Jahr 2015 von der Forschungsgruppe HER am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien im Auftrag des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) durchgeführt und im Frühjahr 2016 veröffentlicht.

In der Schweiz wird eine solche Erhebung ebenfalls unregelmäßig durchgeführt. Nach einer zehnjährigen Pause wurde vom Schweizer Bundesamt für Statistik (BFS) im Jahre 2005 wieder die Soziale Lage der Studierenden in der Schweiz untersucht.

Auf europäischer Ebene erfasst das internationale Befragungsprojekt EUROSTUDENT Daten über die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen von Studierenden in Europa. Im Januar 2016 startete die mittlerweile sechste Runde von EUROSTUDENT.

Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks

Bei der Sozialerhebung des DSW handelt es sich um eine im (inter-)nationalen Vergleich einmalige Langzeituntersuchung. Erstmals 1951 führte sie der Verband Deutscher Studentenwerke durch. Ab 1982 wurde die Sozialerhebung dann im Auftrag des DSW und mit Förderung des BMBF von der HIS Hochschul-Informations-System GmbH, später von deren Nachfolger, dem HIS-Institut für Hochschulforschung (HIS-HF) realisiert. Seitdem werden die Daten ungefähr alle drei Jahre jeweils zum Sommersemester erhoben. Seit September 2013 führt das aus dem HIS-HF hervorgegangene DZHW diese Tradition der systematischen Dauerbeobachtung fort.

Im Kern geht es bei der Sozialerhebung des DSW um Fragen, die die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland betreffen. Diesbezüglich gilt die Sozialerhebung des DSW mit insgesamt über 1,5 Millionen Befragten als größte, regelmäßig stattfindende Studierendenbefragung in Deutschland. An der letzten Sozialerhebung im Sommer 2012 etwa beteiligten sich mehr als 15.000 Studierende von insgesamt 227 Hochschulen.

Auf Basis dieser repräsentativen Stichprobe ergänzen die Daten der Sozialerhebung die amtliche Statistik für verschiedene Heterogenitäts- bzw. Diversitäts-Dimensionen (z. B. mit Daten zu Studierenden mit Kind, mit Migrationshintergrund, mit gesundheitlicher Beeinträchtigung oder mit studienbezogenen Auslandserfahrungen). Außerdem bilden die entsprechenden Befunde eine zentrale Grundlage für die Gestaltung der staatlichen Studienförderung (z. B. BAföG) und fließen regelmäßig in die Bildungs- und Sozialberichterstattung der Bundesregierung ein.

Darüber hinaus ist die Sozialerhebung des DSW der deutsche Beitrag zum internationalen Ländervergleichsprojekt Eurostudent – einem wichtigen Instrument zum Monitoring der Studien- und Lebenssituation und des Bologna-Prozesses in den Ländern des Europäischen Hochschulraums.

Geschichte der Sozialerhebung

Die erste Untersuchung der Studentenschaft in Westdeutschland und in Berlin führte der Verband Deutscher Studentenwerke im April 1951 durch. Ziel der Untersuchung war es, „den Blick auf die Frage [zu] lenken, inwieweit die Aufnahme eines Studiums und die richtige wissenschaftliche und erzieherisch wirkungsvolle Durchführung des Studiums auf Grund der wirtschaftlichen Lage der einzelnen Studierenden überhaupt möglich sind“.[4] Denn angesichts eines erheblichen Anteils an Heimatvertriebenen, Kriegsversehrten, Spätheimkehrern und Kriegswaisen unter der damaligen Studentenschaft, sahen die Studentenwerke eine ihrer Hauptaufgaben darin, „der akademischen Jugend ein Studium frei von Not zu ermöglichen“.[4]

Vorgegeben wurde diese Zielsetzung u. a. von Gerhard Kath, dem damaligen Geschäftsführer des Studentenwerkes Frankfurt am Main. Als Initiator, Organisator und Forscher in einer Person für die ersten neun Sozialerhebungen in den Jahren 1951 bis 1979 ist sein Name bis heute eng mit der Sozialerhebung verknüpft. In diesem Zeitraum wurden die Studierenden unter Kaths Leitung in einem Abstand von zwei bis vier Jahren jeweils im Sommersemester zu ihren Lebensverhältnissen befragt. Einzige Ausnahme bildet diesbezüglich die 6. Sozialerhebung. Sie fand erst im Wintersemester 1967/68 statt, was aller Wahrscheinlichkeit nach aus den politischen Unruhen an den Hochschulen im Zusammenhang mit der 68er Studenten-Bewegung resultierte.

Es folgten dann noch drei weitere Sozialerhebungen unter der Leitung Kaths, ehe mit der 10. Sozialerhebung 1982 die HIS Hochschul-Information System GmbH und später das HIS-HF deren Durchführung im Auftrag des DSW übernahm. Seitdem werden die Daten ungefähr alle drei Jahre jeweils zum Sommersemester erhoben (ab 1991 inklusive der Neuen Bundesländer). Seit September 2013 führt das aus dem HIS-HF hervorgegangene DZHW diese Aufgabe fort.

Gefördert wird die Untersuchungsreihe durch das BMBF. In den Anfangsjahren 1951 bis 1963 wurde die Sozialerhebung durch das Bundesministerium des Innern (BMI) und später (1967 bis 1991) durch das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW) gefördert.

Stichprobenziehung – wer wird befragt?

Zur Grundgesamtheit der Sozialerhebung gehören alle im Befragungssemester immatrikulierten Studierenden an den staatlichen und staatlich anerkannten Hochschulen in Deutschland (ausgenommen der Hochschulen des Fernstudiums, der Bundeswehr und der Verwaltung). Von ihnen ziehen die an der Sozialerhebung teilnehmenden Hochschulen nach den Vorgaben des DZHW eine Zufallsstichprobe aus ihrem jeweiligen Studierendenverzeichnis und verschicken per E-Mail Einladungen zur Befragung an ihre Studierenden. Auf diese Weise wird im Rahmen der 21. Sozialerhebung jede(r) sechste Studierende in einem Bachelor-, Master- oder einem traditionellen Studiengang (Diplom, Magister, Staatsexamen) um Teilnahme gebeten, wobei Bildungsinländer sowie Studierende, die zum Befragungszeitpunkt einen studiumsbezogenen Auslandsaufenthalt absolvieren, einen auf sie zugeschnitten Fragenkatalog erhalten.

Erhebungsmodus – wie wird befragt?

Bis zur 20. Sozialerhebung war die Untersuchungsreihe als postalisch-schriftliche Befragung konzipiert: Den Studierenden wurde ein gedruckter Fragebogen zugesandt, den sie nach dem Ausfüllen in einem Freiumschlag zurückgeschickt haben. Die 21. Sozialerhebung wurde erstmals als Online-Befragung durchgeführt: Anstatt eines Papier-Fragebogens erhielten die Studierenden nun von ihrer Hochschule eine E-Mail, mit der sie zur Befragungsteilnahme eingeladen wurden. Diese E-Mail enthielt einen Link zum Online-Survey. Der Befragungszeitraum erstreckte sich dabei über etwa zehn Wochen des Sommersemesters 2016.

Datenschutz

Die Anonymität der an der Sozialerhebung teilnehmenden Studierenden wird u. a. dadurch gewährleistet, dass die Stichprobenziehung und die Einladung zur Befragung ausschließlich durch die Hochschulen erfolgen. Die Mitarbeiter des DZHW erfahren zu keinem Zeitpunkt, wer an der Befragung teilnimmt. Die Hochschulen ihrerseits erhalten keine Informationen darüber, was einzelne Studierende geantwortet haben. So erfolgen Erhebung, Aufbereitung, Auswertung und Veröffentlichung der Daten unter Beachtung der aktuellen rechtlichen Datenschutzbestimmungen und – darüber hinaus – in Einklang mit den Standards der Qualitätssicherung für Online-Befragungen des Arbeitskreises Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e. V. (ADM), der Arbeitsgemeinschaft Sozialwissenschaftlicher Institute e. V. (ASI), des Berufsverbands Deutscher Markt- und Sozialforscher e. V. (BVM) und der Deutschen Gesellschaft für Online-Forschung e. V. (D.G.O.F.). Ein Rückschluss auf Einzelpersonen ist damit ausgeschlossen.

Bedeutung und Inhalt

Die Sozialerhebung ist besonders bei der Beurteilung der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Studierenden in Deutschland von großer Bedeutung und zeichnet deren Entwicklung seit den 1950er Jahren nach. Zentralen Themen der Studie sind

  • Bildung und Erfahrungen vor dem Studium,
  • Hochschulzugang und Studienverlauf,
  • soziale Zusammensetzung der Studierenden,
  • Finanzierung des Studiums und Lebenshaltungskosten,
  • Zeitaufwand für verschiedene Studientätigkeiten,
  • studentische Erwerbstätigkeit sowie die
  • Wohn- und Lebenssituation Studierender.

Gemeinsam bilden sie den inhaltlichen Kern der Sozialerhebung, die damit in regelmäßigen Abstand eine Fülle an Daten, Befunden und Informationen zur Bewertung aktueller und künftig erforderlicher Entwicklungen im Hochschulwesen liefert. Entsprechend hat die Sozialerhebung einen großen und vielfältigen Kreis an Interessenten und Nutzer, z. B:

  • politische Akteure und Entscheidungsträger auf Bundes-, Länder-, regionaler sowie hochschulbezogener Ebene,
  • Parteien, Verbände und Initiativen aus Gesellschaft, Politik und Wirtschaft,
  • Vereine und Stiftungen,
  • die Hochschulforschung und Sozialberichterstattung,
  • Lehrkräfte und Lehrbeauftragte an den Hochschulen,
  • Studierendenberatungen und -beauftragte aber auch
  • Studierende, Studienberechtigte und ihre politischen Interessenvertretungen.

Die 21. Sozialerhebung

Die 21. Sozialerhebung des DSW vom DZHW ist die derzeit aktuellste Sozialerhebung und kann unter unten angegebenem Link abgerufen werden. Als Besonderheit beinhaltet die 21. Sozialerhebung den Sonderbericht "Ausländische Studierende in Deutschland 2016". In den Monaten nach Projektbeginn im Oktober 2014 wurde u. a. auch dafür der Fragenkatalog im Rahmen der Prüfung auf Aktualität und Zielgruppenpassung einer partiellen Neukonzeption unterzogen. Viele Standardfragen wurden modifiziert, um die Vielfalt der Studien- und Lebenssituation der Studierenden noch besser abbilden und dem steigenden Bedarf nach stärker differenzierten empirischen Daten stärker entsprechen zu können. Schließlich tragen die Befunde der Sozialerhebung zu aktuellen gesellschafts- wie bildungspolitischen Diskursen bei, z. B. über

  • Chancengerechtigkeit, Teilhabe,
  • die Ausschöpfung von Begabungsreserven,
  • Wege zur Erhöhung von Studienerfolgsquoten,
  • die Individualisierung des Studiums sowie
  • über die Pluralisierung bzw. Öffnung von beruflichen und (hoch-)schulischen Bildungswegen.

Siehe auch

Literatur

  • Gerhard Kath: Das soziale Bild der Studentenschaft in Westdeutschland und Berlin. Hrsg. vom Verband Deutscher Studentenwerke e. V., Frankfurt a. M. 1952.
  • Elke Middendorff: Sozialerhebungen des Deutschen Studentenwerkes 1951–2016. Ein historischer Überblick über Akteure, Wellen und Themen. Hannover 2016. (Online-Fassung, PDF 750 kB)
  • Elke Middendorff (u. a.): Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2012. 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks durchgeführt durch das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW). Bundesministerium für Bildung und Forschung, Berlin 2013. (Online-Fassung)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Sozialerhebung – Fragen und Antworten. In: www.sozialerhebung.de. Abgerufen am 10. Mai 2016.
  2. AG-Hochschulforschung | Uni Konstanz. Abgerufen am 9. Februar 2021.
  3. eine für alle - Die Studierendenbefragung in Deutschland. Abgerufen am 9. Februar 2021.
  4. a b Gerhard Kath: Das soziale Bild der Studentenschaft in Westdeutschland und Berlin, Hrsg. vom Verband Deutscher Studentenwerke, Frankfurt a. M. 1952, S. 3.