Sonny Boy (Lied)

Sonny Boy ist der Titel eines Slowfox-Liedes, das die US-amerikanischen Komponisten Buddy DeSylva und Ray Henderson und der Liedtexter Lew Brown 1928 für den Tonfilm „The Singing Fool“ von Lloyd Bacon geschrieben hatten. Im Film und nachfolgend auch auf der Schellackplatte wurde es von dem Entertainer Al Jolson vorgetragen und populär gemacht, der ein Jahr zuvor mit „The Jazz Singer“ das Zeitalter des Tonfilms eingeleitet hatte.

Hintergrund

Nach dem Erfolg des Tonfilms The Jazz Singer (1927) mit Al Jolson arbeitete man bei Warner Brothers an einem zweiten Film, The Singing Fool (1928, Regie Lloyd Bacon), für den u. a. I’m Sitting on Top of the World geschrieben wurde. Als sich DeSylva mit Ray Henderson und Lew Brown in Atlantic City aufhielt, wurde er überraschend von Al Jolson angerufen. Der Sänger brauchte binnen kürzester Zeit ein neues Lied von ihm; DeSylva fragte darauf, wie alt denn der Kinderdarsteller in dem neuen Film sei, antwortete Jolson: „er ist drei, und steht auf meinem Knie.“ DeSylva präsentierte ihm dann seine Songidee:

Climb upon my knee, sonny boy;
although you're only three, sonny boy.

Eigentlich verstanden Henderson, Deylva und Brown den Auftrag, den Song für den Sänger zu schreiben, als Witz; sie wussten, dass Al Jolson rührselige Balladen mochte, die er zu dramatisieren und mit einem rollenden R zu versehen wusste. Das sentimentale Lied, ein tear jerker (Schnulze),[1] entstand in einer einzigen Arbeitssitzung in einem Hotelzimmer in Atlantic City. So schrieben Henderson, Deylva und Brown den aus ihrer Sicht schlechtestmöglichen Song, bei dem sie aber sicher waren, dass er bei Jolson einschlagen würde. Nachdem dieser eingewilligt hatte, verbrachte das Songwriter-Team die ganze Nacht damit, Sonny Boy zu schreiben, um es dem Sänger am nächsten Morgen am Telefon vorzusingen. Jolson war einverstanden; seine Plattenaufnahme von Sonny Boy, aufgenommen am 20. August 1928 für Brunswick, wurde daraufhin der größte Hit seiner Karriere; der Song war 1928 insgesamt 19 Wochen auf Position 1 der US-Charts.[2]

Die Noten erschienen im Musikverlag der Autoren bei DeSylva, Brown & Henderson Inc. Music Publishers in New York.[3], für Deutschland im Berliner Musikverlag Alberti.[4]

Erste Aufnahme des Songs

Die Brunswick-Platte 4033 mit „Sonny Boy“, aufgenommen am 20. August 1928 in Los Angeles, war die erste mit einem film song, die über eine Million Mal in den USA verkauft wurde.[5] Auf ihrer B-Seite ist der zweite Schlager aus dem Film, „There’s A Rainbow ‘Round My Shoulder“, geschrieben von Jolson, Billy Rose und Dave Dreyer, mit einem Pfeif-Solo von Jolson zu hören.[6]

Frühe Aufnahmen und spätere Coverversionen

(c) Bundesarchiv, Bild 102-13848E / CC-BY-SA 3.0
Richard Tauber vor dem Brandenburger Tor, 1932

In der Version von Henry Kiselik war der Song auch als Notenrolle für elektrische Klaviere erhältlich.[7] Zu den Musikern, die den Song ab 1928 auf Schallplatte aufnahmen, gehörten in den Vereinigten Staaten Ruth Etting (Columbia 1563), Jesse Crawford (Victor 21728), Gene Austin (Victor 21779), John McCormack/Nat Shilkret, Gracie Fields, Layton & Johnstone (Columbia 5198), Frank Fereras Hawaiian Trio mit Annette Hanshaw, Corrine deBert[8] und das Orchester von Jan Garber.

Der Film kam 1929 unter dem Titel Der singende Narr auch nach Deutschland.[9] Hier wurde das ‘Lied des Jungen’[10] “Sonny Boy” von prominenten Künstlern der Gesangsbühne wie Richard Tauber, Franz Völker (mit dem Paul Godwin Künstler-Orchester, Grammophon B42944), Hans Heinz Bollmann und Wilhelm Gombert, aber auch von Interpreten aus dem Reich der Kleinkunst wie dem Schauspieler und Kabarettisten Oskar Karlweis und dem Chansonnier Paul O’Montis nachgesungen. Den deutschen Text “Schlaf und träume süß, Sonny Boy” dichteten Robert Gilbert und Ernst Neubach. Auch als Tanzmusiknummer wurde es, oftmals jazzig arrangiert, von namhaften Kapellen wie Sam Baskini, Dajos Béla oder Marek Weber eingespielt.

In Österreich nahm der Refrainsänger Otto Neuman(n) den Titel bei Columbia[11] auf. Europaweit machten Unterhaltungskünstler wie Karel Hašler in der Czechoslowakei[12], Cyril Ramon Newton[13] in Großbritannien, Fred Gouin[14] in Frankreich und der 'Revuekönig' Ernst Rolf in Schweden Aufnahmen von “Sonny Boy”.

Fred Gouin sang eine französische Version (Mon petit, Odeon 166.283, mit dem Orchestre André Cadou), Daniele Serra eine italienische; in finnischer Sprache interpretierte Matti Jurva das Lied.

Noch nach dem Zweiten Weltkrieg sang es der beliebte deutsche Tenor Rudolf Schock auf eine LP.[15]; auch der Bariton Heinz Maria Lins nahm es, begleitet vom Orchester Wilfried Krüger, noch 1964 auf Platte auf[16]. Es ist mittlerweile zu einem evergreen geworden.[17]

Ferner wurde Sonny Boy Ende der 1920er-Jahre von zahlreichen Jazzmusikern aufgenommen, so von Henry Kiselik,[18] Irving Kaufman (Okeh), Rube Bloom (Pathe), Lee Sims (Brunswick), die Original Wolverines (Vocalion[19]) in Berlin von Lud Gluskin, Stefan Weintraub, Bernard Etté und Sam Baskini, in Paris das Orchestre David Bee and His Red Beans und Grégor et ses Grégoriens (u. a. mit Alix Combelle, Michel Warlop, Stéphane Grappelli). Der Diskograf Tom Lord listet im Bereich des Jazz insgesamt 137 (Stand 2015) Coverversionen, u. a. von Thore Ehrling, Svend Asmussen, Slim Gaillard, Leo Watson/Vic Dickenson, Mel Tormé, Oscar Pettiford, Jack Dieval, Albert Mangelsdorff, Cal Tjader, Jimmy Forrest, Rob Pronk, Toots Thielemans, Henri Crolla, Howard McGhee, Chet Baker, Sonny Rollins, Ted Heath, Ike Quebec, Red Garland und Sonny Stitt.[20] 1949 sang Al Jolson erneut Sonny Boy als Gesangsdouble für Larry Parks in dem Film Jolson Sings Again.

Die Episode, wie die drei Musiker das Lied komponieren und dessen spätere Vorführung in einem Kino sind Bestandteil der Verfilmung der Zusammenarbeit von Henderson, DeSylva und Brown in dem 1956 gedrehten Musical Fanfaren der Freude (The Best Things in Life Are Free).

Liedtext

  1. Englische lyrics von Lew Brown © bei Warner/Chappell Music, Inc., Universal Music Publishing Group[21]
  2. deutscher Text von Gilbert & Neubach:[22]
  • Vorstrophe

"Schlaf und träume süß, Sonnyboy,

deine Augen schließ, Sonnyboy,

deine Liebe hält mich

um dich dreht die Welt sich,

alles Glück ist dein, Sonnyboy.

  • Kehrreim

Strahlende Sterne

leuchten in der Ferne,

leuchten für dich, Sonnyboy.

Glocken erklingen,

tausend Vöglein singen,

singen für dich, Sonnyboy;

aber nur ein Herz

schlägt immer für dich

und das ist mein Herz.

Wer liebt dich so wie ich?

Oh glaub mir,

mehr als ein Leben

möcht ich für dich geben;

gäb ich für dich, Sonnyboy.

Der Text von Gilbert und Neubach wurde, mit Genehmigung des Musikverlages Alberti, auch auf Liedpostkarten verbreitet[23]. Es existiert auch eine Textvariante, deren Refrain mit der Zeile “Kannst du mir gut sein” beginnt[24]

Rezeption

Der Schriftsteller Arno Schmidt zitierte in einer Erzählung den Text von “Sonny Boy”.[25]

Der Schriftsteller Walter Kempowski schrieb 1983 von sich: „Ich bin der Sonny Boy der deutschen Gegenwartsliteratur.“[26]

Der Lyriker, Essayist, Biograph, Herausgeber und Übersetzer Hans Magnus Enzensberger zitiert den Refrain 2012 in seinem Buch Meine Lieblings-Flops.[27]

Weblinks

  • Kinoplakat aus Österreich (Kino Lustspieltheater am Prater) mit der Werbezeile “Al Jolson singt und spricht…”
  • Kinoplakat der Kammer-Lichtspiele Kiel, mit Werbezeile “Al Jolson […] mit seinem herzzerreißenden Sonny Boy”
  • Anzeige der „Lichtspiele“ in Kleve mit Werbehinweis auf das „Lied der Lieder“ Sonny Boy

Literatur

  • Rudolf Arnheim: Der singende Narr. In: Kritiken und Aufsätze zum Film. Verlag Hanser, 1977, S. 65.
  • Frank Bell, Alexandra Jacobson, Rosa Schumacher: Pioniere, Tüftler, Illusionen: Kino in Bielefeld. Verlag Westfalen, 1995, ISBN 3-88918-084-1, S. 93.
  • Dietz Bering: Fremdes und Fremdheit in Eigennamen (= Beiträge zur Namenforschung: Neue Folge. Band 30). Verlag C. Winter, 1990, S. 45.
  • Herbert Birett: Stummfilmmusik. Eine Materialsammlung. Deutsche Kinemathek, Berlin 1970.
  • Heiko Bockstiegel: Schmidt-Boelcke dirigiert. Ein Musikerleben zwischen Kunst und Medienlandschaft. Grimm Musikverlag, 1994, ISBN 3-9802695-1-5, S. 51.
  • Cornelia Fleer: Vom Kaiser-Panorama zum Heimatfilm: Kinogeschichten aus Bielefeld und der Provinz Westfalen. Mit e. Vorwort v. Klaus Kreimeier. Verlag Jonas, 1996, ISBN 3-89445-197-1, S. 84.
  • Franz Grafl: Praterbude und Filmpalast: Wiener Kino-Lesebuch. Mit Beitr. von Reinhard Tramontana, Florian Pauer und Karl Sierek. Verlag für Gesellschaftskritik, Wien 1993, ISBN 3-85115-169-0, S. 46, 67–68.
  • Malte Hagener, Jan Hans: Als die Filme singen lernten. Ed. Text + Kritik, 1999, ISBN 3-88377-614-9, S. 38.
  • Herbert Ihering, Deutsche Akademie der Künste zu Berlin: 1924–1929 (= Von Reinhardt bis Brecht: Vier Jahrzehnte Theater und Film. Band 2). Aufbau-Verlag, 1961, S. 571.
  • Herbert Ihering, Karin Messlinger: Herbert Ihering: Filmkritiker. München, Verlag ET+K, Edition Text + Kritik, 2011, S. 133, 135–136.
  • Jennifer M. Kapczynski, Michael D. Richardson: A New History of German Cinema. Verlag Boydell & Brewer, Woodbridge, Suffolk, England 2014, ISBN 978-1-57113-595-7, S. 201 Anm. 2 und 3. (englisch)
  • Hanne Knickmann, Rolf Aurich: Kurt Pinthus, Filmpublizist. Edition Text + Kritik, 2008, S. 260, 263.
  • Lutz Peter Koepnick: The Dark Mirror: German Cinema Between Hitler and Hollywood. University of California Press, 2002, S. 26–27 [Werbung aus dem Film-Kurier von 1929] und S. 276 Anm. 11. (englisch)
  • Monika Lerch-Stumpf: Für ein Zehnerl ins Paradies. Münchner Kinogeschichte 1896 bis 1945. Dölling und Galitz, München/ Hamburg 2004, S. 171, 183.
  • Thomas J. Saunders: Hollywood in Berlin: American Cinema and Weimar Germany. University of California Press, 1994, ISBN 0-520-91416-3, S. 225 f., 308. (englisch)
  • Michael Schaudig: Positionen deutscher Filmgeschichte (= Diskurs Film: Münchner Beiträge zur Filmphilologie. Band 8). Diskurs Film-Verlag, 1996, ISBN 3-926372-07-9, S. 120.
  • Monika Sperr: Das Grosse Schlager-Buch: deutsche Schlager 1800-heute. Verlag Rogner & Bernhard, 1978, S. 117

Einzelnachweise

  1. vgl. Rudolf Arnheim in seiner Besprechung des Films: „…dieser Mensch [Jolson] macht aus einem albernen Rührstück eine tränenheischende Tragödie“ (in: Kritiken und Aufsätze zum Film, Hrsg. Helmut H. Diederichs, München/Wien, 1979, S. 65–66), und Karl Kinndt in seinem Gedicht “Der singende Narr”, das 1929 anläßlich der Premiére des Films in der Zeitschrift Jugend erschien (abgedruckt bei Birett, Stummfilmmusik, S. 12) : "Und es wird immer nasser / im Rang sowohl wie im Parkett / die Damen heulen Rotz und Wasser / bringt der „singende Narr“ sein sterbendes Kind zu Bett"
  2. tsort.info
  3. Abb. des Notentitels bei wordpress.com
  4. vgl. Sonny boy [strahlende Sterne …]; Foxtrot; aus dem Tonfilm „Der singende Narr“; (The singing fool) (Verfasser: Al Jolson; Buddy DeSylva; Lew Brown; Ray Henderson; Arr. von Heinz Landmann) Alberti’s Schlager-Serie. Musikverlag Alberti, Berlin 1929.
  5. vgl. wordpress.com: “Brunswick 4033 was the first record of a film song in history to sell more than one million copies.”
  6. vgl. wordpress.com: “The B-side recording is Jolson again, including a ‘whistling chorus’ by the performer, in the song ‘There’s A Rainbow ’Round My Shoulder’, also from The Singing Fool. ‘Rainbow’ was written by Jolson, Billy Rose (1899–1966), and Dave Dreyer (1894–1967). It runs 2 minutes and 36 seconds.” – Abb. des Notentitels bei staticflickr.com abgerufen am 26. November 2015.
  7. vgl. Notenrolle Welte Y-75402 (1928)
  8. Ampico Lexington 210903-F
  9. Er wurde am 3. Juni 1929 im Gloria-Palast zu Berlin erstaufgeführt, vgl. chroniknet.de
  10. so die Odeon-Werbung, vgl. Abb. d. Lindström-Anzeige
  11. Columbia D-31196 Sonny boy – Foxtrot. Neuman war am 21. April 1891 in Wien geboren und ebenda am 28. Dezember 1956 verstorben. Er war von Mitte der zwanziger Jahre an bei der Columbia in Wien, vgl. grammophon-platten.de
  12. Aufnahme bei HMV wiederveröffentlicht 2006 auf der CD Až Já Půjdu Do Nebe (Wenn ich in den Himmel komme), vgl. redmp3
  13. Newton sucht heftig, die Vortragsweise Jolsons zu imitieren: “I doubt that the term ‘cover version’ was around at the time, but delivery in both songs plagiarises Jolson who was a sensation at the time” kommentiert der user, der dieses 8-inch Broadcast label einstellte
  14. recte Hippolyte Eugène Frédéric Gouin, 1889–1959. Zu diesem Künstler vgl. dutempsdescerisesauxfeuillesmortes.net
  15. track B 5 auf „Ein Lied Geht Um Die Welt : Zwölf Welterfolge, gesungen von Rudolf Schock“. Label Eurodisc 74 565 IE, vgl. discogs.com, anzuhören bei youtube
  16. Bertelsmann Schallplattenring No. 36 537 : “Komm In Meine Liebeslaube – Die Schönsten Schlager Der Letzten 50 Jahre 1910-1934”, Kompilation mit 12 Vinyl-Singles 45 U/min. in Box. Hier: Nr. 9 Seite A 2, vgl. discogs.com
  17. eine Liste der bisher erfolgten Aufnahmen findet sich bei coverinfo.de
  18. Piano Roll, Welte Y-75402 (1928)
  19. Mit Mike Durso (tb), Maurice Bercov (cl, as), Dick Voynow (p, dir), Dick McPartland (g), Basil Dupree (b), Vic Moore (dr).
  20. Tom Lord: Jazz discography (online)
  21. abgedr. bei lyricsmania.com
  22. zitiert nach buettner.de und beepworld.de
  23. vgl. ansichtskarten.de (abgerufen am 26. November 2015)
  24. von dem Autor „Roxy“, vgl. zu Electrola E.G. 1123 und Derby blau D.O.5597 a – laut M.K. in ÖML verbirgt sich dahinter aber das Autorengespann Ernst Neubach und Robert Gilbert, vgl. Österr. Musiklexikon (zuletzt aktualisiert: 2014/11/06 08:54:20)
  25. vgl. Roland Burmeister: Die Musikstellen bei Arno Schmidt: chronologisches Stellenverzeichnis zum Gesamtwerk von Arno Schmidt mit Erläuterungen & Kommentaren. Verlag Häusser, 1991, ISBN 3-927902-57-8, hier S. 306.
  26. vgl. Gerhard Henschel in taz.de vom 6. Oktober 2007.
  27. in seiner Geschichte vom Berlin-Besuch der Drei Weisen aus dem Morgenland, in “Meine Kino-Flops” – leider mit irrigen Autorenangaben (Ray Andersen, Al Johnson). Vgl. Hans Magnus Enzensberger: Meine Lieblings-Flops, gefolgt von einem Ideen-Magazin. Suhrkamp Verlag, 2012. ISBN 978-3-518-77830-2.

Auf dieser Seite verwendete Medien

Bundesarchiv Bild 102-13848E, Richard Tauber.jpg
(c) Bundesarchiv, Bild 102-13848E / CC-BY-SA 3.0
Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein.
Richard Tauber, bedeutender Operntenor.