Sinnmarkt

Sinnmarkt ist ein Sammelbegriff für Märkte, auf denen die Angebote dem Nachfragenden nicht nur einen materiellen Gebrauchswert zu bieten versprechen, sondern darüber hinaus auch „Sinn“. Dabei sollen die Bedürfnisse derer befriedigt werden, die „immaterielle Werte […] auch im Konsum einlösen möchten.“[1] Das Konsumprodukt soll als immaterielle Bereicherung erfahrbar werden und ein Mehr an Bewusstsein mit sich bringen.[2]

Eike Wenzel, Hauptpromotor des Begriffs Sinnmärkte, begründet seine Annahme, dass „Sinnsuche“ ein stärker werdendes Handlungsmotiv für Konsumenten werde, folgendermaßen: „Je mehr wir uns individualisieren und unabhängig von traditionellen Bindungen leben können, umso mehr Freiheit haben wir. Und umso wichtiger wird damit die Frage nach dem ‚Warum‘ und nach dem ‚Wie‘, das Bedürfnis, die großen Zusammenhänge zu verstehen. Eine Zunahme an Freiheit und materiellem Wohlstand führt in gewisser Weise zu einer Verknappung von Sinn. Und es zeigt sich, dass Menschen Sinn nicht mehr nur in der Kirche oder in der Tradition suchen, sondern auch in sich selbst und in bestimmten Formen des Genießens und Konsumierens.“[3]

Das wachsende Interesse von Marketing-Experten für Sinnmärkte erklärt der Deutsche Marketing-Verband damit, dass Sinnmärkte höhere Wachstums- und Gewinnchancen böten als die etablierten „gesättigten Märkte“.[4] „Marketing morgen heißt: eine Geschichte von Menschen erzählen, die sich vorgenommen haben, etwas herzustellen, was Menschen wirklich lieben und brauchen. Weil es ungewöhnlich schön ist. Oder echte Probleme löst. Weil es die Welt rettet. Oder Spaß in einer Weise macht, für die der Mensch geschaffen ist.“[5], meinte 2015 Matthias Horx.

In einer weiteren Begriffsbedeutung wird auch der Arbeitsmarkt in den Begriff Sinnmarkt einbezogen.

Geschichte

Immer wieder wird betont, dass auf „Sinnmärkten“ das Sein wichtiger als das Haben sei. Das Konzept „Sinnmarkt“ weist eine starke Orientierung an den Gedanken des Philosophen Erich Fromm auf, die dieser in seinem 1976 erstmals veröffentlichten Buch Haben oder Sein vertritt.

Bereits 1980 sagte der Freizeit- und Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski voraus, dass der damals vorherrschende Trend zur Erlebnisorientierung des Lebens bald seinen Zenit überschreiten werde. Er warnte davor, dass die Erlebnisgesellschaft wenig Raum für Zukunftseuphorie lasse: „Der Erlebnisboom ‚nach draußen‘ und ‚mit anderen‘ kann zum innerseelischen Bumerang werden. Eine neue subtile Form von Einsamkeit kann entstehen: Die innere Vereinsamung inmitten von Kontaktflut und äußerer Hektik. Selbst die Anbieter von organisierten Psycho-Programmen werden mehr zur Ablenkung als zur Selbstbesinnung beitragen.“ Im Jahr 2005 (so Opaschowski Jahrzehnte später) sei es so weit: „Atemlos gelangweilt von Spaßkultur und Erlebnisgesellschaft wenden sich die Menschen zunehmend der Sinnfrage des Lebens zu. Die Zukunft wird zunehmend der Sinnorientierung gehören – realisiert in der Formel: Von der Flucht in die Sinne zur Suche nach dem Sinn.“[6] Opaschowski propagierte 2006 das „Moses-Prinzip“: „Eine Vorstellung, ja eine Vision vom guten Leben haben – und losgehen, um anzukommen.“[7]

Der Begriff „Sinnmarkt“ wurde vereinzelt schon vor der Jahrtausendwende benutzt. So sprach Georg Seeßlen 1999 davon, dass „[w]ir wissen, dass unsere populäre Kultur weder einem aufklärerischen Erkenntnisinteresse noch einem utopischen Projekt zugehört, sondern virtuelle Waren auf einen Sinn-Markt wirft, die uns helfen sollen, uns in der Welt einzurichten.“[8]

Dem Phänomen „Sinnmarkt“ näherte sich Eike Wenzel in den 2000er Jahren an. Als erstes richtete Wenzel sein Augenmerk auf die sogenannten Lohas (Menschen mit einem „Lifestyle of Health and Sustainability“), die großen Wert auf ihre eigene Gesundheit und die Nachhaltigkeit ihres Konsumverhaltens legen. Als zweite Zielgruppe gerieten die sogenannten Frugalisten ins Blickfeld der Trendforscher. Die Frugalisten leben Wenzel zufolge eine Art „stylishes Armutsbewusstsein“. Die wohlhabenderen unter den Frugalisten konsumieren absichtlich weniger, als es angesichts ihrer Kaufkraft zu erwarten wäre.[9] Insbesondere sei für eine zunehmende Zahl von Menschen der Besitz eines eigenen Autos kein Statussymbol mehr.

Dass es tatsächlich eine anhaltende Nachfrage nach „Sinn“ gibt, bestätigte der „Spiegel“ 2013. Nachdem in London eine „Schule für Alltagsphilosophie“ gegründet worden war (die "Modern Life School"), zeigte sich, dass es auch in Deutschland einen Bedarf an solchen Einrichtungen gibt.[10] Insbesondere Menschen aus der Werbebranche hätten erkannt, dass „Aufstellung“ (auf den diversen Märkten) nicht mehr genüge, sondern dass für ihre Arbeit auch „Einstellung“ erforderlich sei.

Sinnmärkte als Teilmärkte

Das Volkswirtschaftliche Institut für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen (ifh) analysierte 2008 die Entwicklung der Märkte in Deutschland. Es stellt fest, dass „die Mitte tot“ sei, und teilte den Gesamtmarkt in vier wachsende Bereiche ein: die „Discount- und Trashmärkte“, die „Luxus- und Statusmärkte“, die „Convenience- und Dienstleistungsmärkte“ und die „Sinnmärkte“ einschließlich der Märkte für „Fun“ und „Entertainment“.[11]

Arten von „Sinnmärkten“ (Schwerpunkt: Konsumentenbedürfnisse)

Das Zukunftsinstitut (eine von Matthias Horx geleitete Einrichtung, an der Eike Wenzel seinerzeit noch tätig war) differenzierte 2009 zwischen acht verschiedenen „Haupt-Sinnmärkten“:[12]

  1. Regionalität: Die Sinnmärkte des Nahen, Guten und Vertrauten
  2. Tourismus: Die Sinnmärkte des Unterwegsseins und der Selbstveränderung
  3. Spiritualität: Die Sinnmärkte des Transzendenten und Religiösen
  4. Bildung: Wising Up — die Sinnmärkte des Schönen, Guten, Wahren
  5. Körper und Genuss: Die Sinnmärkte des Selbermachens und des Selbstmanagements
  6. Ethik-Konsum: Die Sinnmärkte der Nachhaltigkeit
  7. Sozial-Kapitalimus: Die „Sinnmärkte der guten Taten und des Gemeinsinns“
  8. Medien: Die Sinnmärkte der Nachrichten und Informationen, Bewusstseinsindustrie 2.0

Regionalität

Es existiert keine allgemein verbindliche Definition des Begriffs Region. Regionen können sich geographisch definieren, gleichzeitig aber auch historisch-kulturell oder politisch-administrativ. Hinzu kommen unterschiedliche Vorstellungen von Regionalität. Verbraucherbefragungen zeigen, dass zum Beispiel in kleinstrukturierten Regionen Süddeutschlands regionale Herkunft sehr viel kleinräumiger beschrieben wird als in Norddeutschland. Niedersächsische Verbraucher akzeptieren z. B. nach Aussagen der „Marketinggesellschaft der niedersächsischen Land- und Ernährungswirtschaft e. V.“ sogar dann Produkte als „regional“, wenn sie aus Hunderte Kilometer entfernten Gebieten des eigenen Bundeslandes stammen.[13] Im Allgemeinen geht man aber davon aus, dass Regionen weitestens in 50 km Entfernung vom Verbraucher enden.

Beim Regionalmarketing sind zwei Varianten zu unterscheiden:

  1. die landes-, nationen-, europa- oder weltweite Werbung für eine Dachmarke und deren Produkte mit dem Ziel, dass über die betreffende Region hinaus eine Präferenz für Produkte aus der Region entsteht; ausschlaggebend ist hier der Glaube, dass Produkte aus der betreffenden Region generell besser seien als andere Produkte;
  2. eine Vertiefung der Heimatgefühle von Menschen, die in der betreffenden Region leben, und eine feste Verknüpfung dieses Gefühls mit einer Präferenz für „heimatliche“ Produkte.

Nur das Gefühl, Heimatverbundenheit zu pflegen (also Variante 2) ist Element eines Sinnmarktes.

Reimar von Alvensleben hat nachgewiesen, dass im Regelfall tatsächlich davon ausgegangen werden kann, dass Konsumenten Produkte aus „ihrer“ Region präferieren.[14] Dies liege an dem „menschlichen Bedürfnis nach überschaubarer und identitätsstiftender Umwelt. Die Vertrautheit mit einer Region gibt dem Menschen Sicherheit und schafft Sympathie für die Region (Kontakt-Affekt-Phänomen).“

Als besonders „sinnvoll“ wird von vielen eine regionale Kreislaufwirtschaft empfunden: „Ackerbau und Viehzucht sind aneinander gekoppelt, pflanzliche Abfälle und Mist kommen wiederum zurück auf die Äcker. Gleichzeitig wird ein ökologischer Betrieb aber auch bestehende Strukturen in der Produktion und Verarbeitung vor Ort erhalten wollen und neue da aufbauen, wo es sie nicht (mehr) gibt.“[15] Das so entstehende Vertrauen eines Verbrauchers wird womöglich noch dadurch gestärkt, dass er wegen der geringen Entfernung den betreffenden Hof aufsucht und sich vor Ort von dem hohen Wert der Produktion und der Produkte persönlich überzeugt.

Tourismus

Alfred Auer, Vertreter der Robert Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen, weist darauf hin, dass das Reisen auch in Zukunft einen hohen Stellenwert haben werde, denn es sei in unserer Mobilitätsgesellschaft eine Art „Erinnerungsdesign“ und bleibe häufig im Langzeitgedächtnis hängen.[16] Zukunftsforscher der Wenzel-Schule sagen voraus, dass der Tourismusmarkt „sich in den bereits bestehenden Pauschaltourismus und den neuen Sinntourismus aufspalten [wird], der künftig noch mehr Marktanteile (ca. 25 bis 40 Prozent der Urlauber) gewinnen wird.“[17]

„Sinntourismus“ als Form eines sanften Tourismus soll zur Entschleunigung der Reisenden beitragen und ihnen auf der Suche nach ihrer Identität helfen, zugleich aber neue Erwerbsmöglichkeiten für die Bewohner im Zielgebiet schaffen.[18]

2015 spricht das Zukunftsinstitut von einem Trend zur „De-Touristification“: „Das Leben des Touristen ist ein gestriges. Als Tourist ist man ausgeschlossen vom echten Leben, ausgeschlossen vom authentischen Treiben und eingeschlossen in eine hermetisch abgeriegelte Welt der Tourismusindustrie, die meist jedoch eine Fassade ist. Doch dieses Fassadenleben ist nicht mehr der Sehnsuchtsort der Menschen. Sie wollen das andere, lebendige, echte Leben vor Ort“.[19]

Spiritualität

Bei diesem „Sinnmarkt“ geht es um Angebote, die Menschen Spiritualität vermitteln (sollen). Eike Wenzel meint: „In den nächsten Jahren wird ein Kampf um die seelsorgerische Position in unserer Gesellschaft ausbrechen. […] Ganz neue und ganz traditionelle Player wie die Kirchen würden künftig um den Markt des Seelenheils im 21. Jahrhundert kämpfen - und das Internet [würde] (sic!) dabei eine immer größere Rolle spielen“[20] Der Trend zu mehr Spiritualität kann mit dem ebenfalls stark wachsenden Tourismusmarkt zum Konzept eines spirituellen Tourismus verbunden werden.

Auf dem „spirituellen Sinnmarkt“ (von Wenzel geprägter Neologismus) Deutschlands sollen durch Angebote in den Bereichen Coaching, Ernährung, Ökologie und Esoterik 2011 25 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet worden sein.[21]

Bildung

Als Bildung gilt auch und gerade solche Bildung, die nicht (nur) das ökonomische Humankapital der sich Bildenden erhöht, d. h. ihre Arbeitskraft wertvoller macht. „Wising up“ (Herstellung von „Massengelehrsamkeit“) könnte das Ergebnis eines starken Bedürfnisses bei vielen sein.[22] Eine besondere Rolle spielt Wenzel zufolge hierbei das Internet: „[D]as Internet ist imstande, uns als Masse klüger, kultivierter und, wenn man so will, weiser zu machen, als man es je für möglich gehalten hat.“[23]

An das Bildungsbedürfnis von Kulturtouristen knüpfen kommunale und staatliche Initiativen an, die einer „Inwertsetzung des immateriellen Kulturerbes“ dienen sollen.[24] Diesem Zweck dienen auch die Etablierung von Kulturwegen des Europarats sowie die Ausrufung des Europäischen Jahres des Kulturerbes 2018.

Wie ein potenzielles Reiseziel „in Wert gesetzt wird“, lässt sich am Beispiel des Fagus-Werks in Alfeld (Leine) beobachten. Die 1911 im Bauhaus-Stil errichtete Fabrik für Schuhleisten wurde von der UNESCO 2011 zum Weltkulturerbe ernannt. Das Objekt wird von der Europäischen Union und dem Land Niedersachsen aus EFRE-Mitteln gefördert. Die Förderer verdeutlichen die hinter dem Objekt stehende Idee dem „sinnbewusst Reisenden“ mit Hilfe eines Zitats des Architekten Walter Gropius: „Der Arbeit müssen Paläste errichtet werden, die dem Fabrikarbeiter nicht nur Licht, Luft und Reinlichkeit geben, sondern ihn auch etwas spüren lassen von der Würde der gemeinsamen großen Idee, die das Ganze treibt.“[25]

Körper und Genuss

Den Kern dieser Art von Sinnmärkten bildet der Markt für „Lifestyle-Gesundheit“. Die Wichtigkeit dieses Themas ist ein Wesensmerkmal von „Lohas“. Für das Zukunftsinstitut war allerdings bereits 2013 das Leitbild des "Lifestyle of Health and Sustainability" (des „Lebensstils von Gesundheit und Nachhaltigkeit“) abgelöst durch den des "Conscious Consumer" (des „bewussten Verbrauchers“). Dieser Typus bemängele dem Zukunftsinstitut zufolge, dass ausgerechnet die Gesundheits- und Pharmabranche durch wenig Nachhaltigkeit gekennzeichnet sei.[26] Diese Branchen müssten mit dem verstärkten Auftreten des Typus des „mündigen Patienten“ rechnen, ebenso wie Ärzte, die durchschnittlich immer besser informierten Patienten immer seltener als „Götter in Weiß“ erschienen. Die Unbezahlbarkeit teurer Medikamente durch Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern erscheine immer mehr „bewussten Konsumenten“ als Skandal.

Zu unterscheiden sind der „erste“ und der „zweite“ Gesundheitsmarkt. Der erste Gesundheitsmarkt umfasst in Deutschland den Bereich der „klassischen“ Gesundheitsversorgung, die größtenteils durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die private Krankenversicherung (PKV) (einschließlich Pflegeversicherung), zu kleineren Anteilen auch durch Arbeitgeber (Lohnfortzahlung im Krankheitsfall), den Staat (Zuschüsse zur GKV) und weitere Sozialversicherungsträger geprägt ist. Als zweiter Gesundheitsmarkt werden alle privat finanzierten Produkte und Dienstleistungen rund um die Gesundheit bezeichnet. Dabei ist die Zuordnung, welche Waren und Dienstleistungen einen Bezug zur Gesundheit aufweisen, nicht klar definiert und teilweise umstritten. Der zweite Gesundheitsmarkt umfasst nach allgemeinem Verständnis freiverkäufliche Arzneimittel und individuelle Gesundheitsleistungen, Fitness und Wellness, Gesundheitstourismus sowie – zum Teil – die Bereiche Sport/Freizeit, Ernährung und Wohnen.[27]

Petra Apfel hält Gesundheit für „käuflich“: „Heute ist Gesundheit ein Fall für Selbstoptimierer, die ihre körperliche, seelische und geistige Fitness selbst in die Hand nehmen. Dafür sind sie bereit, tief in die Tasche zu greifen. […] Zum Konsumgut Gesundheit gehören Vitaminpillen, Schönheits-OPs, Bio-Kost ebenso.“[28]

Eike Wenzel verkündet einer „objektiv alternde[n] […] [,] in Wahrheit eine[r] subjektiv sich verjüngende[n]“ Gesellschaft: „1. Die Menschen werden in Zukunft alt genug, um krank zu werden, sind aber fit genug, um wieder gesund zu werden. 2. Erster und zweiter Gesundheitsmarkt verschmelzen. Die klassischen und die alternativen Anbieter können davon gleichermaßen profitieren. 3. Sport und Reisen, Kosmetik und Food sind wichtige Bestandteile des neuen Healthstyles.“[29]

Ethischer Konsum

Die Heinrich-Böll-Stiftung kritisiert, dass lange Zeit Waren „hinter Fabrikmauern oder Zäunen […], oft viele tausend Kilometer von den Verkaufsorten entfernt“ und damit dem Blick und dem Bewusstsein des Endverbrauchers entzogen produziert worden seien. Die 29 Milliarden Euro, die in Deutschland für Werbung pro Jahr ausgegeben worden seien, hätten darüber hinaus bewirkt, „dass die Verbraucher gar nicht auf die Idee kommen, sich zu fragen, auf welche Weise die Waren hergestellt werden, von wem und unter welchen Umständen.“ Ökologische und soziale Dimensionen der Produktion hätten Verbraucher lange Zeit nicht interessiert.[30] Ethischer Konsum hingegen ist definiert als „Verbraucherverhalten, das durch die besondere Berücksichtigung von ökologischen und sozialen Aspekten beim Einkauf gekennzeichnet ist.“[31]

Während man aber, so die Heinrich-Böll-Stiftung weiter, Arbeitnehmern mit der Entlassung drohen könne, könnten „selbst die allmächtigen Weltkonzerne […] ihre Konsumenten nicht entlassen“. Wenn Konsumenten in großer Zahl kritischer und sich ihrer Macht bewusster würden, müssten sie von Produzenten ernst genommen werden. Tatsächlich sei eine „Moralisierung der Märkte“ zu beobachten, und nicht nur Produzenten gerieten in Rechtfertigungszwänge, sondern auch Konsumenten, die sich abweichend von der neuen „Marktmoral“ verhielten.

In vier Studien (2007, 2009, 2011 und 2013) untersuchte die Otto Group, was „ethischer Konsum“ für die Verbraucher bedeutet. 2007 stand für die Otto Group der Begriff „bio“ im Zentrum der Diskussion, 2009 der Begriff der „Fairness“, 2011 das Verbrauchervertrauen sowie 2013 die „Lebensqualität“ als Kontext neuer Formen des Konsums.[32]

Für jeweils große Mehrheiten der Befragten bedeutete „ethischer Konsum“ 2013, Produkte zu kaufen,

  • bei deren Herstellung auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen geachtet wird (92 % Zustimmung);
  • die umweltfreundlich hergestellt wurden (89 Prozent);
  • die fair gehandelt werden (87 Prozent);
  • bei deren Herstellung auf die Übernahme sozialer Verantwortung geachtet wird (85 %);
  • die recycelbar sind (83 %);
  • die aus regionaler Erzeugung kommen (77 %);
  • die ohne den Einsatz von Gentechnik hergestellt wurden (76 %) und
  • die aus biologischer Erzeugung kommen (73 %).

Erst in letzter Zeit sind auch Fragen des Tierwohls (d. h. die Frage, wie geschlachtete bzw. erschossene Säugetiere und Vögel sowie gefangene Fische vor ihrer Tötung gelebt haben) ins Zentrum ethischer Erörterungen geraten.[33]

Die Akzentsetzung der Otto Group ist allerdings kein hinreichendes Indiz dafür, dass ältere Aspekte ethischen Handelns durch den jeweils „neueren“ Schwerpunkt an Relevanz verloren hätten. So widmet etwa das Zukunftsinstitut Österreich 2014 eine ausführliche Analyse dem Thema „Trend- und Potenzialanalyse für die Biozukunft“.[34]

„Sozial-Kapitalimus“

Den Begriff „Sinnmärkte der guten Taten und des Gemeinsinns“ griff Martin Hundertmark 2011 auf, und zwar als Ausdruck des „gestiegenen Verlangen[s] der Menschen, der Gesellschaft etwas zu geben, ohne dafür monetär entlohnt zu werden.“[35] Dieser Trend sei besonders bei jungen Menschen erkennbar, und zwar vor allem in Form von freiwilligen und gar nicht oder nur gering vergüteten Arbeitseinsätzen in ihrem Urlaub oder in ihrer Freizeit zugunsten gemeinnütziger Projekte. Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Individualisierungsprozesse und der Auflösung traditioneller Gemeinschaftsbindungen gewinne die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich Menschen solidarisch verhalten, unmittelbar an Relevanz. Dabei spreche man häufig von einer „neuen Ehrenamtlichkeit“, die sich im Unterschied zum „alten Ehrenamt“ nicht auf langfristige institutionelle Bindungen beziehe, sondern von vornherein zeitlich befristet sei.

Ein Beispiel für eine Vermarktung von Produkten unter Hinweis auf die „gute Gesinnung“ der Anbieter stellt das „Haus der guten Taten“ in Berlin dar: „Das Haus der guten Taten unterstützt den Verkauf von Produkten aus Werkstätten für Menschen mit Behinderungen sowie aus fairem Handel. Wer hier einkauft, tut Gutes: Der Erlös geht nicht in die private Tasche der Gesellschafter, sondern finanziert gerecht bezahlte Arbeitsplätze und nachhaltige und fair gehandelte Produkte, um Menschen auf der ganzen Welt zu helfen, ihre Familien abzusichern.“[36]

Die Arbeitswelt als Sinnvermittlungsinstanz

Den Befürwortern der Idee, dass Sinnhaftigkeit auch in der Arbeitswelt nachgefragt werde, geht es vor allem darum, dass Arbeitgeber „Sense-Out“ bei Arbeitnehmern bekämpfen. Wenn dieses eintritt, erlangen Arbeitnehmer den (als falsch unterstellten) Eindruck, dass ihre Arbeit nicht „sinnvoll“ sei. „Die Leistungsfähigkeit bleibt zunächst erhalten. Gleichzeitig funktioniert man nur noch. Nahezu alles wird auf einer inneren To-do-Liste abgehakt. Egal, ob es sich um geschäftliche Verpflichtungen oder private Aktivitäten handelt. So gerinnt auch der lustvolle Besuch eines Kinofilms zur Pflicht, der man nur noch gerecht werden will. Begleitende Gefühle sind Langeweile, Gleichgültigkeit, innere Unzufriedenheit, Gereiztheit. Der Spaß, die Leidenschaft, das Brennen für die Aufgabe sind verloren gegangen. Frühere Anreizsysteme wie Macht, Geld oder Status haben ihre Wirkung verloren. Mental treten Sinnfragen auf. Zynismus und Sarkasmus sind nicht selten. Sense-Out führt zu Verhaltensänderungen: Aufschieberitis, lustlose Erledigung der Aufgaben oder Motivationsblockaden können Folgen sein. Dabei kann Sense-Out ein schleichendes Unwohlsein über Jahre erzeugen, Motivation reduzieren und manchmal die Lust am Leben nehmen.“ Wichtigstes Gegenmittel gegen diese Entwicklung seien Vorgesetzte, die als „Sinnstifter“ auftreten.[37] Sinn als „Bonus“ sei dazu geeignet, wertvolle Fachkräfte an eine bestimmte Firma zu binden.[38]

Kritik

Unsinnige Analysen und Prognosen

Alfred Auer, der sich Robert Jungk, einem Pionier der Zukunftsforschung, verpflichtet fühlt, urteilt, dass Eike Wenzel und seine Mitarbeiter „vielzitierte“ Aussagen über Sinnmärkte gemacht hätten, von denen er viele als „nachvollziehbar und plausibel“ bewertet. Einige Aussagen seien jedoch „an den Haaren herbeigezogen“. Für besonders abwegig hält Auer die Annahme, es gebe in der Tourismusbranche der USA einen Trend zum „Storm Watching“ oder gar zum „Tornado Hunting“.[39]

Verstehen ≠ Verständnis Haben

Wenzel selbst räumt das Missverständnis aus, er wolle alles gutheißen, was er beschreibe und prognostiziere. Selbstkritisch merkt er an, dass in seinen Büchern nur angedeutet werde, dass „Esoterik ethisch und moralisch problematisch ist“. Er sei der Ansicht, dass die Kirchen die Entwicklung auf dem spirituellen Sinnmarkt „verschlafen“ hätten und sich nun mit attraktiveren Angeboten einem für sie unbequemen Wettbewerb stellen müssten.[40] Christian Antz, einer der Pioniere des „spirituellen Tourismus“ in Sachsen-Anhalt, fordert, dass Organisatoren des spirituellen Tourismus „Menschen dort abholen“ müssten, „wo sie stehen, und nicht dort, wo die christlichen Kirchen stehen“.[41]

In dem Aufsatz „Die Selbstermächtigung des religiösen Subjekts. Der »spirituelle Wanderer« als Idealtypus spätmoderner Religiosität“[42] hingegen ist das Entsetzen einiger in dem Artikel zitierter Theologen darüber deutlich zu spüren, was vermeintlich „loyale“ Mitglieder ihrer Kirche tatsächlich glauben (d. h. welche Bewusstseinsinhalte sie anfällig für Konkurrenzprodukte auf dem „spirituellen Sinnmarkt“ machen). So mahnt der Theologe Ulrich Winkler: „[M]ultiple Religionszugehörigkeit läuft den Religionen zuwider. Sie verlangen eine ernsthafte und ungeteilte Zustimmung zur Lehre. Eine Abtrennung einzelner Rituale oder Praktiken aus dem theoretischen und theologischen Lehrkontext widerspricht dem Selbstverständnis der Religionen.“[43]

Besonders harsch reagieren einige Kritiker auf die „Ersatzreligion Gesundheit“. Deren Angehörige begriffen nicht, „dass Gesundheit nur eine Rahmenbedingung für das Leben ist, aber nicht das Leben selbst. Um den Tod zu vermeiden, nehmen sie sich das Leben. Und sterben dann doch.“[44] Verwunderlich sei die Verdrängung der banalen Erkenntnis, dass auch „Käufer von Gesundheit“ vor dem gesetzlichen Renteneintrittsalter sterben können.

Täuschung und Selbsttäuschung von Kunden und Anbietern

In seinem Interview mit der „Presse“ führt Eike Wenzel das Beispiel eines Mönchs an, der in einem Laden in seinem Dorf gekaufte gewöhnliche Äpfel in seinem Klosterladen mit hohem Gewinn weiterverkaufen kann, weil einige Kunden sie quasi für „Äpfel mit Heiligenschein“ halten, die auf Bäumen im Klosterbereich gewachsen seien.

Gelegentlich mischt sich ein spöttischer Unterton in die Analysen des Instituts für Trend- und Zukunftsforschung, etwa wenn dieses vom „Öko-Ablasshandel“ oder von „Gutmenschenprodukten“ spricht und sich (2013) offenbar darüber wundert (bzw. die vermutete Verwunderung anderer aufgreift), dass „Sinnmärkte […] weiter ein heißes Thema“ seien.[45]

Jörg Blech, Autor des Buchs „Die Krankheitserfinder“[46], bemängelt, dass angeblich „gut informierte“, tatsächlich aber nur halbgebildete Patienten auf Tendenzen zur „Medikalisierung“ hereinfielen, durch die alle möglichen „Störungen“ (auch ohne weitere Symptome als angeblich „überhöhte“ Laborwerte) als behandlungspflichtige „Krankheit“ definiert würden. Ursache für den Erfolg dieser Strategie sei ein übertriebenes Streben nach „Gesundheit“.[47]

Andere Kritiker weisen darauf hin, dass z. B. auch „fair gehandelter“ Wein aus Chile oder Südafrika zu einer hohen Klimabelastung durch seinen Transport nach Europa führe, dass Waren „aus der Nähe“ nicht unbedingt besser seien als in etwas größerer Entfernung produzierte Waren, dass ökologischer Landbau durchaus mit der Ausbeutung der Landarbeiter vereinbar sei, welche die Produkte bearbeitet haben usw. Das Gefühl der Kunden, durch den Kauf ein rundum „gutes Werk“ getan zu haben, sei oft trügerisch.

Eine andere Form der Selbsttäuschung besteht darin, dass vermeintlich ausschließlich „uneigennützlich Handelnde“ in Wirklichkeit auch an handfeste materielle Vorteile denken. So weist Martin Hundertmark darauf hin, dass soziales Engagement, z. B. in Form der ehrenamtlichen unbezahlten Arbeit im Erholungsurlaub, „sich sehr gut im Lebenslauf macht“.[48] Manchen jungen Leuten sind die Vorteile unterbezahlter Arbeit im Ausland durchaus bewusst: Sie perfektionieren im Zielland ihre Fremdsprachkenntnisse und erwarten geradezu, für ihre soziale Haltung Pluspunkte im Konkurrenzkampf um einen begehrten Job zu erhalten.[49]

Kommodifizierung des Transzendenten

Der Wortbestandteil „Markt“ signalisiert, dass es bei den gemeinten Verhaltensweisen immer um eine Form des Bezahlens bzw. Sich-Bezahlen-Lassens geht, sei es in Form von Geldtransfers oder in Form der Gewährung geldwerter Vorteile. Bereits Martin Luther hat schon im 16. Jahrhundert darauf hingewiesen, dass das Seelenheil keine Handelsware sei, die man (in Form des Kaufs von Ablassbriefen) käuflich erwerben könne. Insofern sind also Formulierungen wie „Markt des Seelenheils“ irreführend, da etwas zur Ware gemacht werden soll, das sich dafür nicht eignet (dieser Vorgang wird Kommodifizierung genannt). Ein „Markt der Religionen“ löst den absoluten Anspruch jeder dort „verhandelten“ Religion auf, deshalb haben die großen Religionsgemeinschaften eine Käuflichkeit der religiösen Gnadengaben und Heilsversprechungen im Prinzip abgelehnt.

Gekauft werden können Gegenstände, die mit einer Aura des nicht-materiellen Werts verbunden werden, sowie Dienstleistungen, denen ein besonderer nicht-materieller Wert zugeschrieben wird.[50]

Richtig ist allerdings, dass die Formulierung „Unterbreitung eines Sinnangebots“ Wahres enthält. In Zeiten ohne staatlicherseits unterstützten Glaubenszwang, z. B. nach Art des Prinzips „Cuius regio, eius religio“, birgt die Beibehaltung eines Glaubensangebots, das nicht mehr auf eine entsprechende Nachfrage stößt, die Gefahr, dass die ökonomischen Grundlagen der betreffenden Religionsgemeinschaft erodieren (im Fall der „Volkskirchen“ vor allem in Form rückläufiger Einnahmen aus Kirchensteuern). Die Studie Generation What?, die 2016/2017 unter 18- bis 34-Jährigen in mehreren europäischen Staaten durchgeführt wurde, zeigt das Ausmaß der Erosion an: Nur drei Prozent der Befragten vertrauen demzufolge religiösen Institutionen voll, und 85 Prozent meinen, dass sie ohne den Glauben an Gott glücklich sein könnten.[51]

Selektive Sinnorientierung und Umsetzungsdefizite

Nach der Trendstudie der Otto Group aus dem Jahr 2013 seien die meisten Menschen tatsächlich bestrebt, „die Welt und sich selbst zu retten“, indem sie einen an ethischen Kriterien orientierten Konsum anstrebten. Der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge habe aber z. B. bis 2015 das Drei-Liter-Auto nie eine bedeutende Käuferzahl gefunden, und der Einsturz von Textilfabriken mit mehr als 1000 Toten in Bangladesch habe nicht zu einem tiefgreifenden Wandel im Verbraucherverhalten geführt. Ein derartiger Wandel setze ein Gefühl persönlicher Betroffenheit voraus. Wenn dieses aber entstehe und sich aus dem daraus abgeleiteten Zorn ein Shitstorm entwickele, könnten die Umsätze „unanständig arbeitender“ Firmen schnell dramatisch einbrechen.[52] Die Otto Group hält reale Verbraucher für unberechenbar: „Das eigene Handeln pendelt zwischen individueller Bequemlichkeit und Bedürfnisbefriedigung einerseits und dem zunehmenden Wunsch nach sozialer Verantwortung und Gerechtigkeit andererseits. Verbraucher entscheiden situationsabhängig und mit Blick auf die Steigerung der eigenen Lebensqualität – das muss nicht immer ethisch korrekt sein“.[53]

Auch wird geltend gemacht, dass der Eindruck falsch sei, wonach der tatsächlich „sinnvoll Konsumierende“ mit seinem Verhalten einer großen Minderheit angehöre. Zwar hätten sich in einer repräsentativen „Spiegel Online“-Umfrage von September 2009 fast 40 Prozent der Deutschen für eine Greenomics-Wirtschaft ausgesprochen, so Eike Wenzel als Teilnehmer an der Jahrestagung der Grünen Akademie 2010. Aber die Ko-Teilnehmerin Kathrin Hartmann hob hervor, dass Produkte aus fairem Handel 2009 gerade 2 Prozent, Bioprodukte knapp 4 Prozent des Gesamtmarktes ausmachten. Und obwohl immer mehr Stromkunden den Anbieter wechselten, wähle nur eine kleine Minderheit Ökostrom.[54] Hartmanns Analyse wird durch Untersuchungen bestätigt, wonach Verbraucherbefragungen generell wenig wert seien, wenn sie Komplexe berührten, die bei den Befragten ein schlechtes Gewissen auslösten. So seien regelmäßig angeblich repräsentative Umfrageergebnisse nicht mit den Zahlen zum Gesamtverbrauch aller Konsumenten kompatibel. Beispielsweise äßen Deutsche mehr Fleisch und tränken mehr Alkohol, als sie zuzugeben bereit seien.[55]

Die o.a. Tierwohl-Tagung in Göttingen endete mit einer Podiumsdiskussion zu der Frage: „Wie viel Tierwohl wollen wir uns leisten?“. Diese Frage zeigt, dass ethisches Verhalten nicht unbedingt als Gebot eines kategorischen Imperativs verstanden wird.

Falscher Transfer vom Warenmarkt auf den Arbeitsmarkt

Volker Kitz, Vertreter einer „neuen Arbeitswelt-Pragmatik“, veröffentlichte 2017 das Buch „Feierabend! Warum man für seinen Job nicht brennen muss“. Kitz präsentiert im „manager magazin“ die neun Thesen seines „Manifests für ehrliche Arbeit“:

  1. Dieser Betrieb wurde nicht erfunden, um euch mit der Arbeit zu beglücken, sondern um ein Produkt oder eine Dienstleistung für die Gesellschaft hervorzubringen – und damit euren und unseren Lebensunterhalt zu erwirtschaften.
  2. Was ihr zu tun habt, ist im Großen und Ganzen vorgegeben. Es geht um ein gemeinsames Ergebnis, nicht darum, dass jeder seine persönlichen Vorstellungen verwirklicht.
  3. Eure Arbeit ist meist Routine, sie wiederholt sich. Deshalb seid ihr so gut darin.
  4. Eure Arbeit hat einen Sinn für die Gesellschaft, denn sie befriedigt ein gesellschaftliches Bedürfnis. Deshalb gibt es eine Nachfrage nach dem, was wir tun. Es ist nicht Aufgabe der Arbeit, eurem Leben einen Sinn einzuhauchen, den es ohne sie nicht hat. Für den Sinn eures Lebens seid ihr selbst verantwortlich.
  5. Es ist nicht nötig, dass ihr vor Leidenschaft vibriert. Entscheidend ist nicht, wie engagiert und leidenschaftlich ihr arbeitet – sondern, wie gut. Das sind unterschiedliche Messgrößen.
  6. Bei der Arbeit stoßt ihr nicht nur auf liebenswürdige Menschen, sondern auf die gesamte Bandbreite der Gesellschaft. Auch weniger nette Menschen müssen ihren Lebensunterhalt verdienen. Damit klarzukommen, ist Teil der Aufgabe.
  7. Niemand ist unersetzlich, niemand kann und muss die Welt alleine retten. Wir schätzen die Masse der normalen Menschen, die jeden Tag normal ihre Arbeit macht, ohne Trara und Getöse, ohne Theaternebel und heiße Luft. Ihr seid es, nicht die anderen, die unsere Organisation am Laufen halten. Ihr seid es, die den Unterschied ausmachen.
  8. Dafür werdet ihr bezahlt. Arbeit ist ein Tausch von Zeit gegen Geld. Wir bezahlen euch angemessen im Hier und Jetzt für die Arbeit, die ihr hier und jetzt leistet. Wir vergüten gleiche Arbeit mit gleichem Lohn. Wir erwarten nicht, dass ein Mensch mit einem Gehalt die Arbeit von dreien erledigt. Wir versprechen euch nicht den Sinn, wohl aber den Unterhalt eures Lebens. Wer Vollzeit arbeitet, muss vom Lohn für seine Arbeit leben können.
  9. Wie wir euch nicht den Lebenssinn schenken, müsst ihr uns nicht euer Leben schenken. Ihr müsst unser Unternehmen nicht zu eurem Lebensinhalt machen. Wir erwarten, dass ihr uns eure Arbeitszeit überlasst wie vereinbart – und während dieser Zeit arbeitet, statt Urlaub zu buchen.[56]

Dass jede Arbeit einen Sinn habe, der Arbeitnehmern nur verdeutlicht werden müsse, bezweifelt David Graeber. Dieser vertritt die Auffassung, dass ein Drittel aller Jobs in Industrieländern, in denen Computer, Roboter usw. viele wichtige Aufgaben übernommen hätten, „Bullshit Jobs“ seien. „Ein Bullshit Job ist eine Beschäftigungsform, die so völlig sinnlos, unnötig oder schädlich ist, dass selbst der Arbeitnehmer ihre Existenz nicht rechtfertigen kann. Es geht also gerade nicht um Jobs, die niemand machen will, sondern um solche, die eigentlich niemand braucht.“ (Definition in der Verlagswerbung zu Graebers Buch „Bullshit Jobs“)[57] Graeber zufolge sagten in einer im Vereinigten Königreich durchgeführten Umfrage nur 15 Prozent der Befragten, dass sie sicher seien, dass ihr Job etwas zur Welt beitrage. 13 Prozent waren sich unsicher und 37 Prozent waren sich absolut sicher, dass sie in ihrem Job keinen gesellschaftlichen Beitrag leisten.[58] Auch in Deutschland hatten 2016 einer Umfrage des DGB zufolge 35 Prozent aller Arbeitnehmer den Eindruck, eine Tätigkeit zu verrichten, auf die die Welt eigentlich verzichten könnte.[59]

Das harte Urteil wird allerdings durch die Beobachtung relativiert, dass die Begeisterung vieler für ein Hobby zeige, dass man etwas mit Freude tun könne, ohne dass es für irgendetwas zunutze sein müsse. Abgesehen davon kann die Frage nach dem Sinn einer Tätigkeit je nach Interessenlage verschieden beantwortet werden: Wer z. B. von einem Rechtsanwalt, der einen Großteil seines Einkommens durch Abmahnungen erzielt, eine Abmahnung erhalten hat, beurteilt den Sinn einer derartigen Tätigkeit anders als jemand, in dessen Auftrag der Anwalt aktiv ist.

Literatur

  • Eike Wenzel: Sinnmärkte: der Wertewandel in den Konsumwelten; Schlüsseltrends für Konsum, Handel und Marketing. Kelkheim. Zukunftsinstitut. ISBN 978-3-938284-46-9
  • Erich Fromm: Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. dtv. 2010 (37. Aufl.). ISBN 978-3-423-34234-6
  • Kathrin Hartmann: Ende der Märchenstunde: Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt. 2009. Blessing. ISBN 978-3-89667-413-5
  • Volker Kitz: Feierabend! Warum man für seinen Job nicht brennen muss. Streitschrift für mehr Gelassenheit und Ehrlichkeit im Arbeitsleben. S. Fischer. 2017. ISBN 978-3-596-29796-2
  • Horst W. Opaschowski: Perspektive 2030. Zukunftsmärkte als Sinnmärkte. In: ders.: Perspektive 2030. Random. 2013, S. 227–232. ISBN 978-3-579-06635-6
  • Nico Stehr: Die Moralisierung der Märkte. Eine Gesellschaftstheorie. 2007. Suhrkamp. ISBN 978-3-518-29431-4
  • Eike Wenzel / Anja Kirig: Greenomics. Wie der Grüne Lifestyle Märkte und Konsumenten verändert. München 2008. ISBN 978-3-636-01556-3
  • Eike Wenzel / Anja Kirig: LOHAS. Bewusst grün – alles über die neuen Lebenswelten. Redline. März 2009. ISBN 978-3-86881-023-3
  • Eike Wenzel, Oliver Dziemba: Marketing 2020: Die elf neuen Zielgruppen – wie sie leben, was sie kaufen. Campus. März 2009.
  • Eike Wenzel: Erlebnismärkte 2030. Redline. 2011 ISBN 978-3-86881-283-1
  • Eike Wenzel / Oliver Dziemba / Corinna Langwieser: Wie wir morgen leben werden: 15 Lebensstiltrends, die unsere Zukunft prägen werden. München 2012. ISBN 978-3-86880-134-7

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Institut für Trend- und Zukunftsforschung (ifz): Sinnmärkte. Wie der Bedürfnis- und Bewusstseinswandel nach dem Zeitalter des Wohlstands den Konsum verändert. 13. September 2012
  2. Timon Mürer: Wie sollen wir leben?. Heinrich-Böll-Stiftung. 17. Februar 2010
  3. Eike Wenzel: Konsumziel Bewusstseinserweiterung. Die Presse. 23. Januar 2010
  4. Dirk Bathen / Jörg Jelden: Marketingorganisation der Zukunft. 2014, S. 22
  5. Zukunftsinstitut: Adieu, Marketing!. August 2015
  6. Horst W. Opaschowski: Wachstumsgrenzen des Erlebnismarktes. Folgen für die Kulturpolitik. Vortrag im Rahmen des 3. Kulturpolitischen Bundeskongresses „publikum.macht.kultur“ in Berlin. 24. Juni 2005, S. 2
  7. Horst W. Opaschowski: Das Moses-Prinzip. Die 10 Gebote des 21. Jahrhunderts. Gütersloher Verlagshaus. 2006. ISBN 3-579-06947-0
  8. Georg Seeslen: Jakob und seine Brüder. Neue Spielfilm-Bilder von Faschismus und Holocaust. Die Zeit. Ausgabe 46/1999. 11. November 1999
  9. Eike Wenzel: Konsumziel Bewusstseinserweiterung. Die Presse. 23. Januar 2010
  10. Stefanie Maeck: Geschäft mit Sinnsuche: Ich philosophiere, also verdien ich. Spiegel Online. 23. Juli 2013
  11. Volkswirtschaftliche Institut für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen (ifh): Aktuelle Trends im Konsumentenverhalten. 19. September 2008, S. 14
  12. Studie - Sinnmärkte - Der Wertewandel in den Konsumwelten. Smart News Fachverlag GmbH. Mai 2009
  13. Marketinggesellschaft der niedersächsischen Land- und Ernährungswirtschaft e. V.: Definition von Regionalität
  14. Reimar v. Alvensleben: Verbraucherpräferenzen für regionale Produkte: Konsumtheoretische Grundlagen. Universität Kiel. 26. November 1999, S. 6
  15. Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung: Nachgefragt: Was ist eigentlich… Regionalität?
  16. Alfred Auer: Travel-Trends. Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen. Salzburg. 30. Mai 2012
  17. New Communication GmbH & Co. KG: Sinnmärkte - Wertewandel in den Konsumwelten: Regionalität und Tourismus (Memento des Originals vom 1. Dezember 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.new-communication.de. 23. Februar 2010
  18. Ralf Ebert: Welche Rolle kann Kultur heute in der Regionalentwicklung spielen? LEADER-Forum. März 2005, S. 30
  19. ZukunftsInstitut: De-Touristification: Zurück zum Reisen. 2015
  20. Acht Schlüsseltrends im Überblick. Spiritualität. manager magazin, 4. Juni 2009
  21. Jochen Martin Gutsch: Glück: Unter Einhörnern. In: Der Spiegel. Ausgabe 30/2012. S. 53–56
  22. Acht Schlüsseltrends im Überblick. Bildung. manager magazin, 4. Juni 2009
  23. Eike Wenzel: Ist die Zukunft noch zu retten? Warum unser System in der Krise steckt und was sich ändern muss, damit wir morgen besser leben. Heyne. 2011
  24. z. B. Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) / Investitionsbank des Landes Brandenburg: Leitfaden zur Inwertsetzung des immateriellen Kulturerbes in der Lausitz (Memento des Originals vom 1. Dezember 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www-docs.tu-cottbus.de. April 2014
  25. Europäische Union – Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung / Land Niedersachsen: UNESCO-Besucherzentrum Fagus-Werk Alfeld. Ein Welterbe voller Leben. 2014
  26. Zukunftsinstitut: FAIR – von der Nische zum Mainstream. Abschnitt Vom Lifestyle of Health and Sustainability zum Conscious Consumer. Juli 2013, S. 22
  27. Bundesministerium für Gesundheit: Gesundheitswirtschaft im Überblick. 15. Mai 2017
  28. Petra Apfel: Foodies und Selbstoptimierer: Zu einem gewissen Grad ist Gesundheit käuflich. Focus Online. 10. Juni 2015
  29. Institut für Trend- und Zukunftsforschung: Gesundheit 2030 – Der Wachstumsmarkt in der alternden Gesellschaft. 1. August 2011
  30. Tanja Busse: Grüner Lifestyle – die Macht der Konsumentinnen und Konsumenten. Heinrich-Böll-Stiftung. 3. Mai 2010
  31. Springer Gabler Verlag (Hrsg.): Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Ethischer Konsum
  32. Otto Group: Lebensqualität. Konsumethik zwischen persönlichem Vorteil und sozialer Verantwortung Otto Group Trendstudie 2013, S. 6
  33. Universität Göttingen: Tierhaltung im Spannungsfeld von Tierwohl, Ökonomie und Gesellschaft. Tagungsband zur Tierwohl-Tagung 2015 in Göttingen. 7. Oktober 2015
  34. Zukunftsinstitut Österreich GmbH: Biofach Organic 3.0. Trend- und Potenzialanalyse für die Biozukunft. Wien. Januar 2014
  35. Martin Hundertmark: Volunteer-Tourismus als Instrument einer nachhaltigen Tourismusentwicklung in Entwicklungsländern. Fachhochschule Worms. 2011, S. 15 (23)
  36. PPMG Potsdamer Platz Management GmbH: Das Haus der guten Taten.
  37. Quadriga Media Berlin GmbH / Bundesverband der Personalmanager: Führungskräfte müssen Sinnstifter sein. 14. November 2013
  38. Kirsten Brühl: Future Jobs. Wie wir in Zukunft in Europa arbeiten werden. Zukunftsinstitut / DIS AG. September 2010, S. 25ff.
  39. Alfred Auer: Travel-Trends. Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen. Salzburg. 30. Mai 2012
  40. Simone Janson: Interview mit Zukunftsforscher Dr. Eike Wenzel: „Wenn ich in die Zukunft sehen könnte, würde ich keine Studien schreiben!“. berufebilder.de. 21. August 2009
  41. Christian Antz: Marktchancen des Spirituellen Tourismus. Gera. 23. März 2010, These 26
  42. Winfried Gebhardt / Martin Engelbrecht / Christoph Bochinger: Die Selbstermächtigung des religiösen Subjekts. Der »spirituelle Wanderer« als Idealtypus spätmoderner Religiosität. Zeitschrift für Religionswissenschaft. Jg. 13. 2005, S. 133–152
  43. Ulrich Winkler: Kniende Theologie. Eine religionstheologische Besinnung auf eine Spiritualität komparativer Theologie. In: Friedrich Erich Dobberahn / Johanna Imhof (Hrsg.): Strukturen der Wahrheit. Bd. 4: Wagnis der Freiheit. 2009, S. 185
  44. Der Gesundheitswahn ist die neue Religion. Interview mit Manfred Lütz. welt.de. 18. Dezember 2011
  45. Institut für Trend- und Zukunftsforschung (itz): Konsum/ethische Produkte: The-Union.co macht Konsum zur „guten Tat“. 7. April 2013
  46. Jörg Blech: Die krankheitserfinder. Wie wir zu Patienten gemacht werden. S. Fischer. Frankfurt/Main. 2003. ISBN 978-3-596-15876-8
  47. Jörg Blech: Das Streben nach Gesundheit wird ausgenutzt. Deutsches Ärzteblatt. 24. Oktober 2003
  48. Martin Hundertmark: Volunteer-Tourismus als Instrument einer nachhaltigen Tourismusentwicklung in Entwicklungsländern. Fachhochschule Worms. 2011, S. 16 (24)
  49. "Generation Lebenslauf": Wie karrierefixiert sind Jugendliche wirklich?. Deutschlandfunk. 7. September 2011
  50. Hartmut Zinser: Der Markt der Religionen. In: Religion in Ex-Position. Heidelberg. 2016, S. 62ff.
  51. Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid): Generation What? – Glücklich ohne Gott. 13. April 2017
  52. Konsum: Wertewandel oder Lippenbekenntnisse?. In: Süddeutsche Zeitung, 23. April 2015, abgerufen am 7. September 2020.
  53. Otto Group: Lebensqualität. Konsumethik zwischen persönlichem Vorteil und sozialer Verantwortung Otto Group Trendstudie 2013, S. 7
  54. Timon Mürer: Wie sollen wir leben?. Heinrich-Böll-Stiftung. 17. Februar 2010
  55. Marie Rövekamp: Weniger Fleisch, viel Obst. Die große Heuchelei bei der Ernährung. Der Tagesspiegel. 21. Januar 2018
  56. Volker Kitz: Feierabend! Mythen der Arbeitswelt. Jetzt mal ehrlich: Was Unternehmen ihren Mitarbeitern dringend sagen sollten. manager magazin. 27. März 2017
  57. David Graeber: Bullshit Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit. Verlag Klett-Cotta. 2018
  58. Leopold Stephan: David Graeber: "Ein Drittel unserer Jobs ist sinnlos". derstandard.at. 31. Dezember 2018
  59. Bernd Kramer: David Graeber: Mein Beruf ist ein Bullshitjob. zeit.de. 8. September 2016