Siemens System 4004

Eine Siemens 4004/135 in einer Kieler Sparkasse (1974)
Eine kompatible RCA Spectra 70 mit Bedienfeld

Das Siemens System 4004, kurz Siemens 4004 war eine Großrechner-Produktserie, die ab 1965[1] von Siemens vermarktet wurde. Ursprünglich wurde das System sowie die Software von der Radio Corporation of America (RCA) lizenziert und entsprach der Serie Spectra 70 (ursprünglich nur vier Modelle), die größtenteils hardwarekompatibel zur Konkurrenzserie System/360 von IBM war. Die Rechner zählten zu den frühesten vollständig transistorbasierten Computern. Ab 1966 entwickelte Siemens eigene Modelle (ab 4004/45), entwickelte später eigene Software und belieferte seinerseits RCA. Das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR erwarb mehrere Systeme. Auf ihnen liefen die Datenbanksysteme GOLEM und SIRA.

System

Ein System bestand aus einer Zentraleinheit (ZE), die je nach Modell aus mehreren, schrankhohen Segmenten bestand und an der Kopfseite ein großes Bedienfeld aufwies, sowie der typischen Peripherie wie Lochkarten- bzw. Lochstreifenstanzer und -Leser, Magnetbandgeräten, Magnetplattenspeichern und Magnetkartenspeichern. Die Ausgabe erfolgte auf Schnelldruckern; Meldungen erschienen auf einem Blattschreiber.

Der Arbeitsspeicher (RAM) bestand aus gefädelten Ferritkernspeicherblöcken.[2][3]

Das Bedienfeld der Zentraleinheit maß etwa 53 × 36 cm. Es bestand aus sieben Reihen in 15 Spalten von Druckknöpfen und quadratischen Anzeigefeldern, die von hinten in den Farben gelb/orange, rot und grün beleuchtet waren. Darüber waren zwei Reihen von gelb/orangen ROM-Anzeigefeldern in halber Breite. Die grünen FLIP-FLOP-Anzeigen (oben rechts) waren bei RCA quadratisch, bei Siemens vertikal geteilt. Siemens hatte in der oberen Reihe mittig einen zusätzlichen Schalter. Unter dem großen Bedienfeld befanden sich drei weitere, schmale Reihen mit Wartungsschaltern. Details aller Schalter und Felder dieser und anderer Geräte sind im Spectra-70-Wartungs-Handbuch 70-55-101 beschrieben (ab Seite 46).[4]

Maschinenarchitektur

Die technischen Daten und Fähigkeiten zwischen den abwärtskompatiblen Modellen variierten stark. Die kleineren Modelle waren nicht mehrplatzfähig und unterstützten keine Gleitkommaoperationen.

Die integrierten Schaltkreise waren monolithisch aufgebaut. Daten wurden 8-Bit-weise mit einem Paritätsbit im EBCDIC-Code verarbeitet. Datenworte konnten mit 16, 32 oder 64 Bit-Breite gelesen werden; Zeichenfolgen mit bis zu 256 Bytes. Die kleineren Modelle bis 4004/55 hatten ein 32-Bit-Mehrzweckregister, größere Modelle boten virtuelle Speicherverwaltung. Befehle bestanden aus 2, 4 oder 6 Bytes; einem Operationsteil (1 Byte) mit bis zu drei Operanden.

Die Bedienung erfolgte initial per Lochkarten (Steuerkarten und Datenkarten) via der Job Control Language (JCL).

Modelle

ModellJahrHerstellerBetriebssystemRAMSchnittstellenTechnologieBenutzer (gleichzeitig)
4004-151965RCAPBS4–8 KB[5]DIN/DOUTTransistor1
4004-161968RCAPBS8–16 KBDIN/DOUTTransistor
4004-251965RCAPBS32 KBDIN/DOUTTransistor
4004-261969RCAPBS64 KBDIN/DOUTTransistor8
4004-351971RCABS1000128 KBDIN/DOUTECL
4004-451968RCA/SiemensBS1000512 KBDIN/DOUTECL
4004-461971RCA/SiemensBS2000512 KBDIN/DOUTECL[6][7]48[8]
4004-551968RCABS1000512 KBDIN/DOUTECL
4004-1271971RCABS1000192 KBDIN/DOUTECL
4004-1351971RCABS1000512 KBDIN/DOUTECL
4004-1501971RCA/SiemensBS1000512 KBDIN/DOUTECL
4004-1511972RCA/SiemensBS20001 MBDIN/DOUTECL[6]

Der Verkaufspreis einer 4004-35-Anlage betrug 1971 1,7 Mio. DM (ohne Wartungskosten). Alternativ kostete die Monatsmiete (inkl. Wartung) 47.000 DM.[9]

Software

Neben den integrierten Programmen und Betriebssystemen wurden u. a. die Datenbanksysteme GOLEM, darunter das Informationssystem der Olympischen Spiele 1972 GOLYM und SESAM eingesetzt. Für verschiedene Branchen existieren spezielle Lösungen, darunter Versicherungen, Banken, Krankenkassen u. ä.[10]

  • HOREST (Lagerhaltung, Materialwirtschaft)
  • Lohn- und Gehaltsabrechnung, darunter Programme wie
    • LOST (Lohnsteuerabzüge)
    • SOZI (Sozialversicherungsabzüge)
    • GELD
  • SINETIK 4004 (Netzplantechnik)
  • SIESTA (Siemens-Statistik)
  • EVIDENT (Terminplanung)
  • SAVOY I (Absatzvorhersage-System)
  • BIKAS (Bibliotheksprogramm)[11]
  • PICS (Lagerhaltung)[12]
  • METHAPLAN (Methodenbank-Ablaufsystem für Planung und Analyse, Wirtschaftsplanung)[13]
  • PET (Programm-Entwicklungs-Terminal, Softwareentwicklung)

Betriebssysteme

Neben einem Grundbetriebssystem (GBS) wurde zunächst ein Band-Betriebssystem (BBS) – RCA nannte dies Tape Operating System (TOS) – dann ein Band-Platte-Betriebssystem BPBS und später weitere Platte-Betriebssysteme (PBS) eingesetzt[14]. Daraus entstanden später die Betriebssysteme BS1000 und BS2000, letzteres aus TSOS.

Die ursprünglichen Betriebssysteme bestanden aus mehreren Programmen/Befehlen, die sich in Organisations-, Übersetzungs-, Bibliotheksverwaltungs-, Hilfsprogramme und ähnliche unterteilten. Integrierte Übersetzungsprogramme (Programmiersprachen) waren Assembler, RPG, ANSI-COBOL, COBOL, ALGOL und FORTRAN. Das Betriebssystem musste anfänglich aus einem Stammband mittels des Befehls SYSGEN generiert werden, nachdem der Großspeicher vorbereitet worden war. Ab BS1000 Version 1.4 wurde dies vereinfacht.

Peripherie

Gerät mit Siemens-Produktnummer

  • Blattschreiber 97
  • Drucker 4247, 4242, 243, 4241, 4245
  • Kartenstanzer 234, 4238, 236
  • Kartenleser 237, 4235, 4239
  • Lochstreifenleser/-stanzer 4223, 4225, 4226, 4227, 4228, 4229
  • Optische Belegleser/-sortierer 4250, 4251, 4256
  • Blatt/Streifenleser 4261, 4262
  • 7-Spur Magnetband 432, 441, 442, 4443, 4446
  • 9-Spur Magnetband 432, 441, 442, 4443, 4446
  • 9-Spur Magnetband (1600 bpi) 450, 4453
  • Magnetkartenspeicher 568
  • Plattenspeicher 594, 4570, 4578, 4579, 4580, 4581
  • Datenaustauschsteuerung 627

Kommuniziert werden konnte auch mit anderen Geräten, auch anderer Serien, wie z. B. Terminals der Siemens 7.000-Serie (Mittlere Datentechnik).

Weitere Nachbauten/Derivate

Spielfilme

Eine 4004 erscheint in folgenden Filmen[16]

eine Spectra 70 in

Siehe auch

  • Liste der Siemens-Computer

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Thomas Wieland: Neue Technik auf alten Pfaden?
  2. Uni-Regensburg
  3. Einzelnes Kernspeichermodul bei Wolfgang Robel
  4. Spectra 70 Wartungshandbuch auf bitsavers.org
  5. Systembeschreibung auf f10479
  6. a b Virtueller Speicher
  7. RCA Spectra 70/46 Reference Manual auf bitsaver.org (PDF; 10,22 MB)
  8. Olympische Spiele 1972 in München
  9. Paul Niewalda: Die elektronische Datenverarbeitung im Bibliothekswesen
  10. Datenverarbeitung mit dem Siemens System 4004, PDF auf f10479
  11. Klaus Barckow: Bibliotheksverbund in Nordrhein-Westfalen: Planung und Aufbau der Gesamthochschulbibliotheken und des Hochschulbibliothekszentrums 1972–1975
  12. Willi Albers: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft: zugleich Neuauflage des Handwörterbuchs der Sozialwissenschaften, Band 5
  13. H. Jacobs: Neue Aspekte der betrieblichen Planung
  14. Auerbach Guide to Small Business Computers. 3. Auflage. Auerbach Publishers Inc., Februar 1975, Standard Book Number: 88769--210-6, S. 246–249 (englisch, bitsavers.org [PDF; abgerufen am 19. Dezember 2022]).
  15. Helmut Berndt: Evolutionary computer architecture: The Unidata 7.000 Series. Abgerufen am 19. Dezember 2022 (englisch).
  16. Starring the Computer

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Der Computer übernimmt ab sofort die Kontoführung. Honoratioren der Sparkasse, der Siemens AG und der Stadt Kiel lassen sich die neue Rechenanlage erklären.
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Der Computer übernimmt ab sofort die Kontoführung. Honoratioren der Sparkasse, der Siemens AG und der Stadt Kiel lassen sich erklären, wie die neue Rechenanlage Daten auf Magnetbändern speichert. Im Bild links steht der Bürgermeister und Stadtkämmerer Hans-Joachim Barow (SPD).
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