Siegfried Otto

Siegfried Otto (um 1970) und Gedenknote zum 100. Geburtstag (mit Gualtiero Giori und Albert Amon)[1]

Siegfried Otto (* 25. Dezember 1914 in Halle (Saale); † 17. August 1997 in München) war ein deutscher Unternehmer. Er baute ab 1948 die Firma Giesecke & Devrient (G&D) in München neu auf und entwickelte sie zu einem internationalen Marktführer für Sicherheitslösungen zum Druck von Banknoten und Wertpapieren, der Herstellung von Sicherheitspapier, von Banknotenbearbeitungssystemen für Zentralbanken, Systemen für den Zahlungsverkehr und Chipkarten.

Leben

Der Sohn des Polizeimeisters Erich Otto und Emma Gumbrecht machte eine Lehre im Druckhaus Schaedel & Friebel in Leipzig. Danach arbeitete er in der Sicherheitsdruckerei Giesecke & Devrient in Leipzig. Siegfried Otto war im Zweiten Weltkrieg Hauptmann in der deutschen Wehrmacht. Im März 1943 heiratete er Jutta Devrient (29. Dezember 1921 – 13. August 2011)[2], die Tochter von Ludwig Devrient (28. Oktober 1894 – 31. März 1948), der das Traditionsunternehmen Giesecke & Devrient bis zur Enteignung 1948 als Vorsitzender des Vorstands führte. Siegfried Otto wurde im März 1948 aus der sowjetischen Haft in Bautzen entlassen und zog zu seiner Frau nach München.

In seiner Ehe mit Jutta Otto-Devrient wurden vier Kinder geboren: Verena (* 2. Februar 1949), Claudia (* 1951), Tilmann (* 1953) und Yorck (* 1956). Nach der Scheidung von Jutta heiratete er 1989 in zweiter Ehe Ursula Burda (geborene Gamstätter und geschieden von Franz Burda junior[3]).

Unternehmertätigkeit

Wiederaufbau von Giesecke & Devrient

Ehemaliges Hauptgebäude der Papierfabrik Louisenthal in Gmund, jetzt Siegfried-Otto-Haus

Nach dem Tod von Ludwig Devrient und nachdem der Leipziger Betrieb 1948 in einen Volkseigenen Betrieb (VEB) umgewandelt wurde, berief Siegfried Otto am 3. Juni 1948 in München eine Hauptversammlung der damaligen G&D AG ein. Dort wurde beschlossen, den Sitz der Giesecke & Devrient AG nach München zu verlegen. Am 10. Juni 1948 erfolgte die Eintragung ins Handelsregister. Danach baute Otto das Unternehmen Giesecke & Devrient durch Gründung verschiedener Tochtergesellschaften und Unternehmenszukäufe schrittweise zu einem international agierenden Konzern aus.[4]:87–107 1958 wurde die erste ausländische Firmentochter in Mexiko gegründet und der erste Druckauftrag für die Deutsche Mark ausgeführt.

Otto kooperierte zur Verbesserung der Druckmaschinen für den Stahldruck mit den Pionieren Gualtiero Giori (1913–1992),[5] einem italienischen Erfinder für mehrfarbigen Sicherheitsdruck, Albert Amon (1916–2010), dem schweizerischen Eigentümer der SICPA für die Herstellung von Druckfarben, sowie dem deutschen Hersteller Koenig & Bauer für Banknotendruckmaschinen.[6][7]

Im Jahr 1964 erfolgte der Kauf der Papierfabrik Louisenthal in Gmund am Tegernsee für die Herstellung von Sicherheitspapier.[4]:107–116 Ab 1968 war Otto maßgeblich an der Entwicklung und Einführung des eurocheque-Systems und der eurocheque-Karte als europaweites Verfahren für die garantierte Einlösung von Schecks beteiligt, zusammen mit Eckart van Hooven, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bank und damaliger Aufsichtsratsvorsitzender von G&D.[8]

Ausweitung des Produktportfolios

1969 erwarb Siegfried Otto alle Gesellschaftsanteile am Verlag B.G. Teubner Stuttgart und gliederte den Verlag in die Firmengruppe ein. 1970 wurde die Gesellschaft für Automation und Organisation (GAO) als Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft gegründet, mit Helmut Gröttrup als erstem Geschäftsführer. Dieses Start-Up Unternehmen begründete neue Geschäftsfelder mit Banknotenbearbeitungssystemen für Zentralbanken, Sicherheitsmerkmale für Banknoten zur maschinellen Echtheitserkennung[9], Systeme für die Abwicklung des Zahlungsverkehrs wie das Zahlungsverkehrsterminal ZVT 700 und das Banknoten-Identifizierungsmodul BIM 1000, sowie Chipkarten und deren Personalisierung mittels Lasertechnik.[4]:191–249

In den 1970er Jahren erfand Siegfried Otto die Absicherung der eurocheque-Karte mit Wasserzeichen und Stahldruck[10] zur Verhinderung von Fälschungen. Der von der GAO entwickelte „euro cash“ Geldausgabeautomat sollte gemäß seiner Erfindung mit der Eingabe eines personalisierten eurocheque-Formulars als physisches Beweismittel der Abhebung im Offlinebetrieb[11] ausgerüstet werden, wurde aber im Feldversuch 1982 aufgrund zu komplizierter Handhabung nicht akzeptiert.[12]

Übernahme des Leipziger Stammhauses

Nach der deutschen Wiedervereinigung kaufte Otto 1991 das Stammhaus der Druckerei in Leipzig zurück und erwarb die Papierfabrik Königstein bei Dresden. Mit dieser Kapazitätserweiterung schuf er einen entscheidenden Schritt für die spätere Stellung von Giesecke & Devrient (2018 in Giesecke+Devrient umbenannt) als weltweit führenden Anbieter von Komplettlösungen rund um die Banknote. Den Vorsitz der Geschäftsführung von Giesecke & Devrient hatte er bis 1994 inne. Danach war er noch für zwei Jahre Mitglied des Aufsichtsrats.

Nach seinem Tod am 17. August 1997 erbten seine Töchter Verena von Mitschke-Collande und Claudia Miller das Unternehmen zu gleichen Teilen und behielten die seit 1994 bestehende Trennung zwischen Kapital und Management bei.[4]:137–145

Im firmeninternen Nachruf wurde Siegfried Otto so geschildert:[4]:140

„Er verfügte nicht nur über unternehmerische Qualitäten wie den konsequenten Willen zum Erfolg, visionäres Gespür mit einem gesunden Sinn für die Realität und eine nie endende Dynamik. Seine menschlichen Qualitäten waren ebenfalls außergewöhnlich. [...] Er sah stets den Menschen im Mitarbeiter, Führung hieß für ihn, Beispiel zu sein. Sein oberstes Gebot lautete: Etwas mehr arbeiten als andere! Etwas schneller und etwas fleißiger! Stets versuchen, besser zu sein als andere.

G&D-interne Zeitschrift INHOUSE (1997)

Steuervergehen

Im Jahr 1993 erstattete Siegfried Otto beim Finanzamt Selbstanzeige wegen eines Steuervergehens. Anschließend zahlte er aus seinem privaten Vermögen über 100 Millionen DM Steuern nach.[13]

Ehrungen und Auszeichnungen

Siegfried Otto erhielt eine Reihe von Auszeichnungen:

Im Oktober 2011 nahm ihn die International Association of Currency Affairs (IACA) mit folgender Widmung in die Currency Hall of Fame auf:[14]

„Siegfried Otto war ein außergewöhnlicher Geschäftsmann und ein weitsichtiger Denker mit einem ausgeprägten Erfolgswillen. Über 50 Jahre lang arbeitete er unermüdlich an der Erreichung seiner Ziele. […] Seine Ideen und Entscheidungen prägten maßgeblich die Entwicklung moderner Zahlungssysteme. […] Eine seiner bedeutendsten Taten war die Umsetzung seiner lang gehegten Vision der maschinenlesbaren Banknote, […] der Entwicklung von Maschinen mit der Fähigkeit zur Echtheitsprüfung von Banknoten, Schecks und anderen Zahlungsmitteln mit hoher Geschwindigkeit und herausragender Zuverlässigkeit.“

International Association of Currency Affairs (IACA)

Literatur

  • Heinrich Krämer, Jürgen Weiß: Siegfried Otto (1914–1997): Prinzipal von Giesecke & Devrient und B. G. Teubner. Edition am Gutenbergplatz, Leipzig 2014, ISBN 978-3-937219-75-2 (43 S.).
  • Jan Hendrik Prell; Horst Böttge: Giesecke & Devrient 1852–2002. Werte im Wandel der Zeit. Hrsg.: Giesecke & Devrient. Deutscher Sparkassen Verlag, Stuttgart 2002, ISBN 978-3-09-303892-1 (260 S.).
  • Astrid Wolff: Siegfried Otto 1914–1997. Ein Leben in Bildern. Hrsg.: Giesecke & Devrient. München 2014 (80 S.).
  • 1. Juni 1852 – Die Firma Giesecke & Devrient wird gegründet. Westdeutscher Rundfunk, 1. Juni 2012, abgerufen am 24. Juni 2019.
  • Katharina Schiller: Otto, Siegfried. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 19, Duncker & Humblot, Berlin 1999, ISBN 3-428-00200-8, S. 711 (Digitalisat).

Einzelnachweise

  1. Giesecke+Devrient (Hrsg.): Siegfried Otto. Ein Leben in Bildern. München 2014 (80 S.).
  2. Jutta Otto-Devrient auf stiftung-teubner-leipzig.de
  3. Carl Schmidt-Polex: Aufstieg und Fall des Siegfried Otto. In: DIE WELT. 21. August 1997 (welt.de [abgerufen am 9. November 2022]).
  4. a b c d e Jan Hendrik Prell; Horst Böttge: Giesecke & Devrient 1852–2002. Werte im Wandel der Zeit. Hrsg.: Giesecke & Devrient. Deutscher Sparkassen Verlag, Stuttgart 2002, ISBN 978-3-09-303892-1 (260 S.).
  5. History of the Giori Organization. Gualtiero Giori biography. Abgerufen am 6. März 2021 (englisch).
  6. Felix Berg, Boris Fuchs: Das „magische“ Dreieck: Maschine – Farbe – Papier. VDD / IDD-Seminar „Wertzeichendruck von der Rolle“. 2005, abgerufen am 24. Juni 2019.
  7. Klaus W. Bender: Geldmacher: Das geheimste Gewerbe der Welt. Wiley-VCH, 2004, ISBN 978-3-527-50113-7 (305 S.).
  8. 50 Jahre eurocheque: Die Geschichte eines großen Europäers. MünzenWoche, 9. Mai 2019, abgerufen am 24. Juni 2019.
  9. Siegfried Otto: Echt oder falsch? Die maschinelle Echtheitserkennung. Der MM-Schlüssel des institutsübergreifenden Geldausgabeautomaten-Systems der deutschen Kreditverbände. In: Zeitschrift Geldinstitute. Nr. 6, 1981, S. 9–18.
  10. Patent DE2308876C3: Identifikationskarte. Angemeldet am 22. Februar 1973, Anmelder: G.A.O. Gesellschaft für Automation und Organisation, Erfinder: Günther Siegfried Otto.
  11. Patent DE2302020: Ausgabesystem zur automatischen Ausgabe von Geld oder dgl.. Angemeldet am 16. Januar 1973, veröffentlicht am 26. Juli 1973, Anmelder: G.A.O. Gesellschaft für Automation und Organisation, Erfinder: Günther Siegfried Otto.
  12. Horst Böttge; Tobias Mahl; Michael Kamp: Von der ec-Karte zu Mobile Security 1968–2012. Hrsg.: Giesecke & Devrient. Battenberg Gietl Verlag, München 2013, ISBN 978-3-86646-549-7 (deutsch, englisch, 248 S.).
  13. Frauen, Geld und Risiko. (PDF; 179 kB) Der Spiegel, 4. Dezember 1995, abgerufen am 24. Juni 2019.
  14. Siegfried Otto. Owner and chairman of the management board (CEO) Giesecke & Devrient GmbH. In: Currency Hall of Fame. International Association of Currency Affairs (IACA), abgerufen am 24. Juni 2019 (englisch).

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Siegfried Otto (um 1970), Wiederbegründer von G+D in München, und eine G+D-Gedenknote anläßlich seines 100. Geburtstags am 25.12.2014. Die Gedenknote zeigt außerdem Gualtiero Giori (1913-1992) (links), Gründer der italienischen Giori SA, und Albert Amon (1916-2010) (mitte), den Geschäftsführer der schweizerischen Sicpa.
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Dieses Funktionskontrollmuster (FKM) des ersten Banknotenbearbeitungssystems ISS 300 von Giesecke & Devrient wurde 1976 bei der Deutschen Bundesbank (DBB) installiert. Es befindet sich heute im DBB-Museum in Frankfurt.