Sidonia Hedwig Zäunemann

Sidonia Hedwig Zäunemann, mit dem Dichterlorbeer bekränzt, 1738

Sidonia Hedwig Zäunemann (* 15. Januar 1711[1] in Erfurt; † 11. Dezember 1740 bei Plaue) war eine deutsche Dichterin.

Leben

Sidonia Hedwig Zäunemann wurde 1711 als Tochter des Advokaten und Notars Paul Nikolas Zäunemann in Erfurt geboren und wuchs dort in einer strenggläubigen bürgerlichen Familie auf, in deren Wohnung sie bis zu ihrem frühen Tod 1740 lebte. Früh schon zeigte sich bei ihr die Tendenz, aus den tradierten weiblichen Rollenmustern auszubrechen. Sie zeichnete sich durch einen großen Lerneifer aus und brachte sich autodidaktisch Französisch und Latein bei.

Da es in dieser Zeit für eine Frau nicht möglich war, unbegleitet bzw. ohne männlichen Schutz Reisen zu unternehmen, reiste sie zu Pferd und als Mann verkleidet. Auf diese Weise besuchte sie öfter ihre Schwester in der Grubenstadt Ilmenau. Sie gehörte zu den ersten Frauen überhaupt, die ein Bergwerk besichtigten, ein damals beschwerliches, mit einer mehrstündigen Einfahrt in den Berg verbundenes Unterfangen. Ihre Eindrücke aus dem Erdinneren verarbeitete sie in dem Gedicht Das Ilmenauische Bergwerk (1737).[2]

Zu Zäunemanns bekanntesten Werken zählen ihre Gedichte. Anfänglich verfasste sie Gelegenheitsdichtungen für Hochzeiten und andere Festlichkeiten. Für den Curieusen und immerwährenden astronomisch-meteorologisch-oeconomischen Frauenzimmer-Reise- und Hand-Calender des Jahres 1737 von Johann Michael Funcke lieferte sie die Vorrede.[3]

Als ihr dichterisches Vorbild bezeichnete sie Christiana Mariana von Ziegler (1695–1760), die an die gesellschaftlichen Normen für das weibliche Geschlecht und ihren Stand angepasster und zudem bekannter war als Zäunemann. Ziegler bekam 1733 von der Universität Wittenberg den Titel Poeta laureata (kaiserlich gekrönte Dichterin) verliehen; sie war damit „die erste von einer Universität mit dem poetischen Lorbeerkranz geehrte Frau“.[4] 1738 erhielt Sidonia Hedwig Zäunemann ihrerseits diesen Ehrentitel von der Universität Göttingen.[5] Sie hatte zuvor in einem Gedicht die 1737 gegründete Universität Göttingen mit dem antiken Athen verglichen und als ‚Leine-Athen‘ bezeichnet.[6]

Grab in Plaue

In ihrem literarischen Schaffen griff sie radikal und selbstbewusst die gesellschaftliche Vorherrschaft der Männer an und verurteilte die verbreitete Anschauung, Frauen seien Menschen zweiter Klasse.[7] Aufgrund ihrer scharfzüngigen Äußerungen und ihres unkonventionellen Lebens galt sie als Außenseiterin. Ihr Einfluss auf später geborene Dichterinnen war dadurch geringer als der von Christiana Mariana von Ziegler. Allerdings ist ihr weniger ausgeprägter Einfluss auf ihre Nachfolgerinnen auch mit ihrer kurzen Lebenszeit von nur 29 Jahren zu begründen; Ziegler wurde mehr als doppelt so alt.

Sidonia Zäunemann ertrank 1740 bei einem ihrer Ausritte. Beim Überqueren einer vom Hochwasser beschädigten Brücke über die Gera bei Angelroda war sie in die Fluten gestürzt.

„[Sidonia Hedwig Zäunemanns] erstes Werk waren siebenhundert Seiten voll ‚poetische Rosen und Knospen‘, ihre eigenthümlichste Arbeit aber ein Gedicht, das sich den Emancipationsbestrebungen neuester Zeit auf humoristische Weise anschließt. Es heißt: ‚Der Landtag der Königin Eva.‘ Eva beruft nämlich zu St. Silvester einen allgemeinen Frauenlandtag, zu dem sie alle herzuströmen. Und wie die Königin erklärt, die Beschwerden ihrer unterdrückten, bejammernswerthen Schwestern über die Urheber alles weiblichen Elends, die Männer, anhören zu wollen, da wird ein solches Klagegeschrei laut, daß die arme, erschreckte Königin nach vielen vergeblichen Versuchen, sich verständlich zu machen, um's Wort bittet, und den Frauen volle Gerechtigkeit zu verschaffen schwört. Mit den Worten ‚audiatur et altera pars‘ verspricht sie einen zweiten Landtag auszuschreiben, um auch die Verklagten, die Männer, anzuhören. Allein – o Ironie des Schicksals! – dieser zweite Landtag, der zugleich den zweiten Theil ihres Gedichts bilden sollte, kam nicht zu Stande, weil – Hedwig Zäunemann 1739 zu Arnstadt ertrank.“

Artikel in den Neuen Bahnen, zitiert im Frauenblatt vom 15. April 1872[8]

„Was man vordem in Rom, Athen und Tyro fand,
Was diese wünscheten, wornach Karthago stand,
Das läßt die Lindenstadt, das schöne Leipzig sehen:
Welch Pinsel, welcher Kiel kann dessen Ruhm erhöhen?“

Epigramm von Sidonia Hedwig Zäunemann[5]

Ihr zu Ehren wurde eine fossile Brachiopoden-Art Undispirifer sidoniae genannt.[9]

Hauptwerk

  • Sidonien Hedwig Zäunemannin, Kayserlich gekrönter Poetin, Poetische Rosen in Knospen. Erfurt, 1738. Druckts und verlegts Johann Heinrich Nonne.[10]
    (Volltext bei zeno.)

Literatur

  • Gisela Brinker-Gabler: Das weibliche Ich. Überlegungen zur Analyse von Werken weiblicher Autoren mit einem Beispiel aus dem 18. Jahrhundert: Sidonia Hedwig Zäunemann, in: Wolfgang Paulsen (Hrsg.): Die Frau als Heldin und Autorin. Neue kritische Ansätze zur deutschen Literatur. Bern und München 1979, S. 55–65.
  • Sabine Koloch: Auszeichnungs- und Medienkultur der Aufklärung. Die Krönungsmedaillen auf die thüringische Dichterin Sidonia Hedwig Zäunemann – zeitgenössische Quellen, beteiligte Personen, kulturpolitische Signalfunktion, auf: Goethezeitportal (PDF online [1]) (8. August 2015).
  • Göttingen im 18. Jahrhundert. Eine Stadt verändert ihr Gesicht. Texte und Materialien zur Ausstellung im Städtischen Museum und im Stadtarchiv Göttingen 26. April – 30. August 1987. Göttingen 1987, S. 326–327.
  • Paulus Cassel: Erfurt und die Zäunemannin. Eine literaturhistorische Skizze, in: Weimarisches Jahrbuch für deutsche Sprache, Litteratur und Kunst, Band 3 (1855), S. 426–457 (Digitalisat).
  • Jean M. Woods, Maria Fürstenwald: Schriftstellerinnen, Künstlerinnen und gelehrte Frauen des deutschen Barock. Ein Lexikon. Stuttgart 1984, S. 135–136.
  • Zäunemannin, Sidonia Hedwig. In: Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Band 60, Leipzig 1749, Sp. 1126 f.
  • Sabine Koloch: Rollenspektrumerfassung – eine heuristische Methode zur Erschließung des Wirkungspotenzials von Autor/inn/en am Beispiel von Sidonia Hedwig Zäunemann. Mit Randbemerkungen zur Krise der literaturwissenschaftlichen Germanistik und mit Vorschlägen zu einem Literaturlexikon der Zukunft. In: Jahrbuch für internationale Germanistik, Band 48 (2016), Heft 1, S. 73–120 (Digitalisat).
  • Gisela Brinker-Gabler (Hrsg.): Deutsche Dichterinnen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Frankfurt am Main 1978, S. 121–128.
  • Magdalene Heuser: Das Musenchor mit neuer Ehre zieren. Schriftstellerinnen zur Zeit der Frühaufklärung, in: Gisela Brinker-Gabler (Hrsg.): Deutsche Literatur von Frauen, Band 1: Vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. München 1988, S. 293–313, S. 307–313.
  • Paul Brosin: Sidonia Hedwig Zäunemann und ihre Befahrung des Ilmenauer Bergwerkes 1737, in: Aus der Vergangenheit der Stadt Erfurt, N.F. Band 7 (1989) Heft 7, S. 72–76.
  • Woldemar Lippert: Zäunemann, Sidonia Hedwig, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Band 44, Leipzig 1898, S. 723–725 (online).
  • E[mil] Einert: Aus den Papieren eines Rathauses. Beiträge zur deutschen Sittengeschichte. Frotscher, Arnstadt 1892 (Kapitel 24: Eine vergessene Dichterin, S. 183–196).

Weblinks

Wikisource: Sidonia Hedwig Zäunemann – Quellen und Volltexte
Commons: Sidonia Hedwig Zäunemann – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Sabine Koloch: Rollenspektrumerfassung ‒ eine heuristische Methode zur Erschließung des Wirkungspotenzials von Autor/inn/en am Beispiel von Sidonia Hedwig Zäunemann. Mit Randbemerkungen zur Krise der literaturwissenschaftlichen Germanistik und mit Vorschlägen zu einem Literaturlexikon der Zukunft, In: Jahrbuch für internationale Germanistik, Band 48 (2016), Heft 1, S. 73–120, S. 7 (Geburtsjahr 1711) und S. 116: „Zäunemann, Sidonia Hedwig, * 15.1.1711 Erfurt, † 11.12.1740 im Hochwasser der Zahmen Gera unweit von Plaue. – Verfasserin von Gedichten und Prosa, Beiträgerin zu einer gelehrten Zeitschrift, Aufklärerin im Umkreis des Wolffianismus, Frühfeministin“.
  2. Paulus Cassel: Erfurt und die Zäunemannin. Eine literarhistorische Skizze. Rümpler, Hannover 1857, S. 33f.
  3. Digitalisat: Vorrede.
  4. Sabine Koloch: Auszeichnungs- und Medienkultur der Aufklärung. Die Krönungsmedaillen auf die thüringische Dichterin Sidonia Hedwig Zäunemann – zeitgenössische Quellen, beteiligte Personen, kulturpolitische Signalfunktion, auf: Goethezeitportal 2015, S. 4.
  5. a b Die dresdener Schillerstiftung und ihre Jahrbücher. In: Blätter für literarische Unterhaltung, 30. Juli 1857, S. 563 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/blu (Offensichtlicher Zahlendreher 1783 statt 1738.)
  6. Wolfgang Gresky: Eine Göttinger Dichterkrönung von 1738: Sidonia Hedwig Zäunemann (1714-1740). In: Göttinger Jahrbuch. Band 32. Geschichtsverein für Göttingen und Umgebung e.V., 1984, ISSN 0072-4882, S. 216.
  7. Siehe zu diesem Streitpunkt die Artikel Querelle des femmes und Ob die Weiber Menschen seyn, oder nicht?.
  8. Buntes und Samenkörner. In: Frauenblätter, 15. April 1872, S. 12 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/fbt
  9. Adam T. Halamski, Andrzej Baliński: Pre-Taghanic (Lower to lower Middle Givetian) brachiopods from Miłoszów in the Holy Cross Mountains (Poland). In: Annales Societatis Geologorum Poloniae. Band 93, Nr. 1, 2023, ISSN 0208-9068, S. 3–102, doi:10.14241/asgp.2023.01.
  10. Der Band ist Kaiserin Anna Iwanowna von Russland gewidmet.

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Autor/Urheber: Michael Sander, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Das Grab von Sidonia Hedwig Zäunemann in Plaue (Thüringen).
Sidonia hedwig zäunemann.jpg
Portrait der Schriftstellerin Sidonia Hedwig Zäunemann, Ausschnitt eines Kupferstiches von Stockmar.