Sender der europäischen Revolution

Der Sender der europäischen Revolution (SER) war ein unabhängiger sozialistischer Hörfunksender in London, der vom 7. Oktober 1940 bis zum 30. April 1942 eine rätesozialistische Neuordnung propagierte.

Eröffnet wurde der Sender mit folgenden Worten:

Hier spricht der Sender der Europäischen Revolution!
Wir sprechen für alle, die zum Schweigen verdammt sind!
Wir rufen die Massen zur politischen und sozialen Revolution!
Wir kämpfen für ein Europa des Friedens!

Geschichte

Der Kampf um die Ätherwellen

Neben Nachrichten, Kommentaren, Berichten und Analysen zur politischen, militärischen und sozialen Lage im Dritten Reich wurden auch Aufrufe zum Widerstand mit detaillierten Anweisungen zu Sabotageakten ausgestrahlt. Die Sendungen propagierten nicht nur den Sturz Hitlers, sie setzten sich auch für ein geeintes Europa unter Führung der Arbeiterklasse ein.

Er gehörte zu den Sendern, die von den Vierergruppen nicht nur gehört, sondern dessen Texte aufgrund der mitnotierten Inhalte von diesen auch mit Hilfe von Flugblättern weiter verbreitet wurde.

Vorgeschichte

Seit dem 27. September 1938 verbreitete das Political Intelligence Department (PID), eine Geheimabteilung des Außenministeriums, in der British Broadcasting Corporation (BBC) Sendungen in deutscher Sprache.

Da zu Beginn des Krieges die britische Regierung über keine zentrale Propagandabehörde verfügte, wurde neben dem PID als Geheimorganisation das Department of Propaganda in Enemy Countries gegründet und nach seiner damaligen Unterkunft im Electra House am Themseufer nur EH genannt.

Aufgrund von Kompetenzstreitigkeiten wechselte das EH zwischen Februar 1939 bis zum Sommer 1940 dreimal seine Zuordnung zwischen dem Informations- und dem Außenministerium.

Zwischen der BBC und dem EH bestanden starke Rivalitäten und Kompetenzstreitigkeiten.

Im März und April 1939 wurden von Walter Auerbach erarbeitete Vorschläge der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) maßgebenden Stellen in Großbritannien unterbreitet. Der Vorschlag, „Ausschüsse für Schichtenpropaganda“ und als ersten einen Ausschuss für Planung und Vorbereitung spezieller „Labour-Propaganda-Notizen“ einzurichten, wurde dabei akzeptiert.

Der Gillies-Ausschuss

William Gillies, Leiter des International Department der Labour Party, hatte in Zusammenarbeit mit dem Political Intelligence Department (PID) die Schaffung eines Propagandaausschusses aus deutschen Sozialdemokraten erwogen, der als „Advisory Committee“ die Labour Party beraten sollte.

Die Mitglieder des Ausschusses wurden von Gillies selbst ernannt und sollten ausschließlich beratende Funktionen haben.

Geleitet wurde der Ausschuss von dem Arbeitsrechtler Otto Kahn-Freund und der Soziologin Charlotte Lütkens. Die beiden Vertreter von der Sopade, Karl Höltermann und Wilhelm Sander zogen sich nach der Benennung von Karl Borromäus Frank, dem Vertreter von Neu Beginnen, bei den Vorbereitungen zurück, so dass diesem Gremium nur Linkssozialisten und unabhängige Sozialisten wie der Anfang 1940 in den Ausschuss berufene Gewerkschafter Walter Auerbach und die Journalisten Fritz Eberhard und Hilde Meisel angehörten.

Im Dezember 1939 begann der Gillies-Ausschuss seine Arbeit mit der Anlegung eines Zeitschriftenarchivs und der Sammlung und Ausarbeitung von Stellungnahmen zur Kriegspropaganda.

Die Arbeitersendungen in der BBC ab 1940

In den Arbeitersendungen der BBC wurden die deutschen Hörer nie zu konkreten Widerstandsaktionen aufgerufen. Die deutschen BBC-Sendungen bestanden zum größten Teil aus Nachrichten, die durch Sonderberichte und Kommentare ergänzt wurden. In bewusster Abgrenzung zur nationalsozialistischen Propaganda waren die BBC-Sendungen der „Strategie der Wahrheit“ verpflichtet; Zwecklügen und Halbwahrheiten kamen nur in Ausnahmefällen vor.

Der Gillies-Ausschuss setzte sich sowohl gegen den Aufruf zu Widerstandsaktionen als auch gegen das namentliche Auftreten von deutschen Emigranten in den Sendungen der BBC ein.

Walter Auerbach bemerkte dazu:

BBC-Sendungen sind Sendungen einer englischen Regierungsinstitution, die nur Alliierten Englands eine gewisse Sendeautonomie läßt. Solange die innerdeutsche Anti-Nazibewegung nicht als Verbündete anerkannt ist, sind deutschsprachige Arbeitersendungen aus London englische Propagandasendungen und werden von den Hörern als solche empfunden. Alle Emigranten, die heute auf ihre Zugehörigkeit zu gewerkschaftlichen Organisationen via BBC sprechen, belasten die Gesamtbewegung bei der überwiegenden Mehrheit der BBC Hörer.

Stattdessen waren in diesem Kreis Pläne für die Einrichtung eines sogenannten Schwarzsenders entwickelt worden, der sich innenpolitisch auf „Anweisungen zur Sabotage und passiven Widerstand konzentrieren“ sollte und außenpolitisch auf „Hitlers Weltherrschaftspläne um der Macht und des Krieges willen und auf seine Interessengemeinschaft mit dem Kapital hinweisen, ebenso darauf, dass Großbritannien trotz aller grundsätzlichen Kritik durch sein militärisches Kriegsziel der Verbündete der deutschen Revolutionäre sei.“

Der Gewerkschaftliche Freiheitsbund gegen das Hakenkreuz

Als organisatorisches Rückgrat des geplanten Senders wurde eine Institution benötigt, die sich als Vertretung aller deutschen Arbeitnehmer in Großbritannien und der ehemaligen deutschen Gewerkschafter betätigen konnte.

Darum wurde im Mai 1940 eine Aktionsgemeinschaft mit dem Namen Gewerkschaftlicher Freiheitsbund gegen das Hakenkreuz (GFgH) gegründet.

Im Februar 1941 entstand daraus dann die Landesgruppe deutscher Gewerkschafter (LDG) in Großbritannien, die sich zur Aufgabe setzte, alle deutschen Arbeitnehmer in Großbritannien und die ehemaligen deutschen Gewerkschafter zu organisieren.

Richard Crossman

Im Mai 1940 kam der Labour-Politiker Richard Crossman zum Departement EH, um bei der Überwachung der deutschen Sendungen der BBC zu helfen.

Crossman, seit 1938 Mitherausgeber der Wochenzeitung New Statesman and Nation, einer linksunabhängigen, labournahen und seit 1931 existierenden Zeitschrift, war schon Wochen vorher durch seine deutschsprachigen Sendungen in der BBC aufgefallen.

Dieter Nelles, Autor von Widerstand und internationale Solidarität, über Crossman:

Für die aktivistischen deutschen Emigranten im Umfeld des GFgH hätte es keinen besseren Partner auf britischer Seite geben können als den rhetorisch wie intellektuell brillanten Crossman, der für seinen Widerspruchsgeist gegenüber Vorgesetzten nicht nur bekannt, sondern geradezu gefürchtet war.

Das Labour Broadcasting Comitee (LBC)

Ende Juni 1940 wurde offiziell vom britischen Informationsministerium ein Labour Broadcasting Comitee (LBC) gebildet unter Vorsitz des Gewerkschaftsfunktionärs H. W. Adamson von der Transport and General Workers Union (TGWU). Dem deutschen Beirat des Komitees sollten zunächst nur Auerbach, Eberhard und Waldemar von Knoeringen angehören.

Das Komitee sollte alle „Laboursendungen“ im „Home-, Empire und Overseas’ Service“ der BBC koordinieren. Neben dem deutschen Beirat existierten Sonderausschüsse für die von den Deutschen besetzten Länder, in denen ITF-Mitglieder eine herausragende Stellung einnahmen.

Auf deren Fürsprache wurden sowohl deutsche Emigranten aus den britischen Internierungslagern entlassen als auch eine Liste von Emigranten in Frankreich erstellt, die für Propagandazwecke nach Großbritannien gebracht werden sollten.

Die Special Operations Executive (SOE)

Nachdem am 22. Juli 1940 im britischen Kriegskabinett in der SOE-Charta die Aufgaben der neugegründeten Special Operations Executive (SOE) festgelegt worden waren, soll Winston Churchill dem damaligen Minister für wirtschaftliche Kriegsführung Hugh Dalton gegenüber die Äußerung „Und jetzt setzen Sie Europa in Flammen!“ von sich gegeben haben.

Dalton, der von seinen Freunden „Dr. Dynamo“ und von seinen Feinden „Dirty Digger“ (schmutziger Grabenarbeiter) genannt wurde, war ein energischer und ambitionierter Politiker der Labour Party. Der Jurist und Finanzexperte, der als Professor an der London School of Economics lehrte, wurde 1924 zum ersten Mal Labour-Abgeordneter und war Kabinettsmitglied in verschiedenen Labourregierungen.

Die SOE, die Daltons Ministerium unterstand, sollte alle Maßnahmen koordinieren, die sich auf die Spionage und die Sabotage gegen den Feind in Übersee bezogen.

In britischen Regierungskreisen herrschte im Sommer 1940 weitgehend die Auffassung, dass man statt der unmittelbaren Konfrontation mit den deutschen Armeen, die zu den Gemetzeln in und an den Schützengräben des Ersten Weltkriegs geführt hatte, mit Subversion, Sabotageakten, einer Blockade und strategischen Bombardierungen den Krieg gewinnen könne. Die SOE sollte dabei die Rolle einer vierten Teilstreitkraft (Fourth Arm) übernehmen. Dalton ging davon aus, dass Europa sich in einem Stadium der „permanenten Revolution“ befinde und die Bevölkerung jederzeit bereit wäre, sich durch Streiks, Aufstände, Boykotts und Attentate gegen die deutschen Besatzer zu erheben.

Diese Annahme sollte sich sehr bald als unrealistisch erweisen. Der größte Teil der Bevölkerung im besetzten Europa war weit davon entfernt, Widerstand gegen die deutschen Besatzer zu leisten, auch die meisten sozialistischen Parteien und Gewerkschaften arrangierten sich mit den Verhältnissen.

Die SOE wurde in zwei Abteilungen unterteilt. Die Abteilung SO2 sollte sich mit Sabotage und Subversion in den vom Feind besetzten Gebieten beschäftigen und wurde offiziell 1946 aufgelöst.

Die Abteilung SO1 sollte sich mit Propaganda befassen und übernahm von EH die verdeckte und „schwarze“ Propaganda. Die „weiße“ Propaganda wurde ganz offiziell von der BBC weitergeführt.

Gegen heftigen Widerstand des Außenministeriums setzte Dalton die Ernennung Richard Crossmans zum Leiter der deutschen Abteilung von SO1 durch. Damit waren die Voraussetzungen zur Einrichtung eines Geheimsenders in deutscher Sprache geschaffen, der eine europäische revolutionäre Propaganda betreiben sollte. Mit dem Sender der Europäischen Revolution wurde dieses Vorhaben schon einige Monate später realisiert.

Ende Mai 1940 war der erste Schwarzsender „Hier spricht Deutschland“ auf britischem Boden errichtet worden, der sich in erster Linie an das national und konservativ gesinnte deutsche Bürgertum richtete. Das Konzept dieses Senders war von dem deutschen Zentrumspolitiker Carl Spieker und dem britischen Journalisten Frederic Amandus Voigt entwickelt worden, der von EH als Leiter eingesetzt wurde.

Nachdem der SOE die grundsätzliche Bereitschaft zur Installierung eines Arbeitersenders signalisiert hatte, traten die Planungen rasch in ein konkretes Stadium. Das propagandistische und ideologische Konzept des geplanten Senders wurde in langen Diskussionen zwischen Crossman, Eberhard sowie Waldemar von Knoerrigen und Paul Anderson entwickelt.

Weitere Mitglieder von Neu Beginnen sowie Walter Auerbach, Otto Kahn-Freund und Hilde Meisel wurden zu den Beratungen hinzugezogen.

Das Sendeteam

Das Sendteam lebte und arbeitete in einem abgelegenen Landhauskomplex nördlich von London. Das Sendeteam bildeten zunächst Paul und Evelyn Anderson, Knoerigen und Eberhard, im Herbst 1941 kamen Richard Löwenthal und Karl Anders hinzu, als die Andersons aus dem Team ausschieden. Bis auf Eberhard gehörten alle festen Mitarbeiter Neu Beginnen an.

Enge Kontakte bestanden zu dem Kreis um Auerbach, Kahn-Freund und Meisel, der seit Oktober 1940 allwöchentlich mit Crossman zusammentraf. „Crossman legt großen Wert darauf Dich und einige andere jeden Mittwoch zu sehen“, schrieb Eberhard am 14. Oktober 1940 an Auerbach. Die Mitarbeiter des Senders hatten einen erstaunlichen journalistischen Freiraum. Eine Zensur fand nicht statt. Crossman wurde von seinen deutschen Mitarbeitern nicht als „Aufpasser oder Zensor begriffen, sondern im Gegenteil als Freund, Berater und Schutzherr“. Auch auf der Ebene des Informationszugangs besaß die Redaktion des SER Privilegien, wie sie später kein Mitarbeiterstab eines Geheimsenders oder die deutschen Mitarbeiter der BBC erhielten.

Sie hatten nicht nur regelmäßigen Zugang zu allen erhältlichen deutschen Zeitungen und Zeitschriften, sondern bekamen die tägliche Ausgabe des BBC-Monitoring Service (Abhördienst) zu sehen, darüber hinaus vermittelte Crossman auch den Zugang zu Geheimdienstberichten.

Literatur

Weblinks