Vielpass
Als Vielpass werden in der Architektur vielfach gezackte runde oder halbrunde Zierformen bezeichnet, die vor allem beim Maßwerk auftreten, aber bisweilen auch in der Rahmung von Fenstern sowie in Bögen. Der Fünfpass und der Sechspass sind die einfachsten Formen des Vielpasses, wohingegen Dreipass und Vierpass nicht zu den Vielpässen gezählt werden.
Geschichte
Vielpässe sind in der antiken Architektur und Ornamentik unbekannt; wahrscheinlich sind es Schöpfungen der islamischen Architektur. Von den mittelalterlichen Architekten und Steinmetzen Mitteleuropas wurden derartige Formen – anders als Drei- oder Vierpässe – nur in hochrangigen und hochwertigen Gebäuden eingesetzt, sie blieben hauptsächlich repräsentativen Sakralbauten vorbehalten.
Vielpassfenster und Vielpassrahmung
Größere Vielpassfenster oder -blendfenster sind oft als Radfenster ausgebildet; kleinere sind ausgesprochen selten. Auch die Rahmung eines Fensters kann als Vielpass geformt sein.
Fünfpassfenster, Stiftskirche von Ossiach, Kärnten, 15. Jh.
Sechspass-Maßwerk mit verglasten Zwickeln in kreisförmiger Laibung, Stift Heiligenkreuz, Niederösterreich, Kreuzgang, um 1200
Kreis als äußere und Vielpass als mittlere Gewändestufe eines kreuzförmigen Vierpassfensters an der Kirche von Castrelos, Galicien
Eiserner Vielpassrahmen eines Rundfensters, Puebla de Sanabria, Kastilien-León
Vielpassbögen
Durch Halbierung eines Vielpasses ergeben sich nach unten offene Vielpassbögen; man spricht auch von „Zacken-“ oder „Fächerbögen“. In der islamisch-maurischen Kunst Andalusiens treten sie bereits sehr früh und häufig in Erscheinung (z. B. in der Moschee von Córdoba); später erleben sie eine wahre Blütezeit in den Palästen von Al-Andalus (z. B. Aljafería-Palast von Saragossa, Alhambra von Granada oder Alcázar von Sevilla). Bereits im 13. Jahrhundert sind sie auch in der islamischen Kunst Indiens anzutreffen (z. B. Mihrab-Nische im Mausoleum von Iltutmish, Delhi); später werden sie sowohl in Moscheen als auch in Palastbauten zu einem charakteristischen Architekturelement der Mogul-Architektur. Im europäischen Mittelalter sind sie in einigen Regionen Süd- und Mitteleuropas – in der Stilepoche der Romanik und mehr noch in der Frühgotik häufiger anzutreffen (z. B. im Norden der Iberischen Halbinsel oder allen Regionen Frankreichs). Selbst in der englischen Frühgotik sind sie vereinzelt zu finden: z. B. im Portal der Kathedrale von Lichfield.
Saint-Jacques (CC) PA00104235 in Aubeterre-sur-Dronne,[1] Dép. Charente, Westfrankreich, Westfassade um 1160, romanisch, übrige Kirche 1562 zerstört und 1710 ersetzt
St-Jouin, Saint-Jouin-de-Marnes, Poitou: Chorumgang romanisch auf einfachen Rundbögen, Kapellen 2. Hälfte 12. Jh., auf gelappten Rundbögen, gotische Fenster
Vorhallenportal der Kirche von Duratón (Altkastilien), Ende 12. Jh., romanisch
Saint-Amand (CC) IA00011158[2] in Saint-Amand-Montrond, Dép. Cher, Kern 11./12. Jh., Westportal 13. Jh., romanische Form in gotischer Zeit
Notre-Dame de Paris, Westfassade um 1200: gelappte Rundbögen der Königsgalerie, frühgotische Fenster
Kathedrale von Amiens, Westfassade 1220–1235, Lappung zu Krabben verfeinert
Wormser Dom, Westchor 1181 geweiht: zwei Sechspässe, ein Vierpass, ein Radfenster
Kathedrale von Soissons, Chorobergaden um 1200, Sechspässe im Plattenmaßwerk
Thomaskirche in Straßburg, Westrose um 1200, Achtpass im Zentrum ausgereiften Maßwerks
Kathedrale von Reims, Chorkapellen 1215–1220, Sechspässe im ausgereiften Maßwerk
Liebfrauenkirche, Koblenz, Langhaus zw. 1180 und 1230, Fächerfester in romanischem Kontext
Bonner Münster, 1210–1220, Fächerfenster in gotischem Kontext
Dekagon von St. Gereon, Köln, 1219–1227, Fächer- und gelapptes Rundfenster in gotischem Kontext
Stadtkirche Bad Sülze, 3. V. 13. Jh., Fächerportal in gotischem Kontext
Geometrische Eigenschaften im Sechspass
Gegeben sei ein Sechspass aus Zweidrittelkreisbögen von sechs kongruenten Kreisen mit Radius , die einem Kreis mit Radius einbeschrieben sind. Dann gilt
- .
Der Beweis ergibt sich unmittelbar aus der Beweisfigur aufgrund der Eigenschaften der eingezeichneten gleichseitigen Dreiecke.[3]
Literatur
- Lottlisa Behling: Gestalt und Geschichte des Maßwerks (= Die Gestalt. H. 16, ZDB-ID 532755-6). Niemeyer, Halle (Saale) 1944, (2., erweiterte Auflage. Böhlau, Köln u. a. 1978, ISBN 3-412-03077-5).
- Günther Binding: Maßwerk. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1989, ISBN 3-534-01582-7
- Leonhard Helten: Mittelalterliches Maßwerk. Entstehung – Syntax – Topologie. Reimer, Berlin 2006, ISBN 3-496-01342-7.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Eglise Saint-Jacques, auf pop.culture.gouv.fr
- ↑ Eglise paroissiale Saint-Amand, auf pop.culture.gouv.fr
- ↑ Wolfgang Zeuge: Nützliche und schöne Geometrie - Eine etwas andere Einführung in die Euklidische Geometrie. Zweite korrigierte und ergänzte Auflage, Springer Spektrum, Springer-Verlag GmbH, Berlin 2021, ISBN 978-3-662-63830-9, S. 148
Auf dieser Seite verwendete Medien
Autor/Urheber: Père Igor, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Abside et chapelles absidiales, abbaye Saint-Jouin-de-Marnes, Deux-Sèvres, France
Kloster Ossiach - Rosettenfenster der Stiftskirche Gemeinde:Ossiach
Bezirk:Feldkirchen
Bundesland:Kärnten
Staat:Österreich
Buch aus der Reihe Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz - Die Kunstdenkmäler der Stadt Köln - Band 7 - Abt. 1, Die kirchlichen Denkmäler der Stadt Köln. St. Gereon, St. Johann Baptist, Die Marienkirchen, Gross St. Martin.
Autor/Urheber: Cat from Sevilla, Spain, Lizenz: CC BY 2.0
In the Real Alcázar, in Seville. More Mudejar style, columns, cusped arches, Kufic script, water, symmetry, simply beautiful.
Autor/Urheber: EmDee, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Aljaferia de Saragosse - Portique nord - Grands arcs polylobés brisés
Autor/Urheber: Zairon, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Chor der Kathedrale St. Gervasius & Protasius, Soissons, Département Aisne, Region Oberfrankreich (ehemals Picardie), Frankreich
Autor/Urheber: Wolfgang Sauber, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Stift Heiligenkreuz ( Niederösterreich ). Kreuzgang - Grisaille-Fenster ( 13.Jhdt. ).
Autor/Urheber: Ulamm (Diskussion), Lizenz: CC BY-SA 4.0
Stadtkirche Bad Sülze
Autor/Urheber: Fab5669, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Dieses Gebäude ist in der Base Mérimée, einer Datenbank des französischen Kulturministeriums über das architektonische Erbe Frankreichs, aufgeführt, unter der Angabe PA00078776 .
Autor/Urheber: Fabio Alessandro Locati, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Córdoba, Spain
Autor/Urheber: Codex, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Portail. Église Saint-Jacques. Aubeterre-sur-Dronne. Vers 1160.
Autor/Urheber: Mabit1, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Ein Sechspass besteht aus sechs nach außen weisenden Kreisbögen mit gleichen Radien, die einem Kreis einbeschrieben sind.
Autor/Urheber: Mabit1, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Ein Sechspass besteht aus sechs nach außen weisenden Kreisbögen mit gleichen Radien, die einem Kreis einbeschrieben sind.
Autor/Urheber: Jean-Pol GRANDMONT, Lizenz: CC BY 4.0
Statue of Eva and gallery of kings adorning the south tower of Notre Dame Cathedral in Paris.
Autor/Urheber: User:Dantadd, Lizenz: CC BY-SA 2.5
Puebla de Sanabria (Póvoa de Seabra), província de Zamora, Espanha.
Autor/Urheber: DXR, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Fan windows in Liebfrauenkirche, Koblenz
© Axel Kirch / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)
Münsterbasilika; Das Hauptportal mit dem Mosaik der Verkündung Mariens (um 1890).
Autor/Urheber: Litlok, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Porche de l'église
Autor/Urheber: HombreDHojalata, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Vexa o título e as categorías.
© Guillaume Piolle, CC BY 3.0
The western rose window of Chartres Cathedral.
Autor/Urheber: Rajsb, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Dieses Bild zeigt das ASI-Denkmal mit der Nummer
Autor/Urheber: AndreasThum, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Wormser Dom, Rundfenster des Westchors.
Autor/Urheber: Amanda Slater, from Coventry (England), Lizenz: CC BY-SA 2.0
Amiens (Somme, France)
Autor/Urheber: Ji-Elle, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Strasbourg : rosace de l'église Saint-Thomas