Scrutinyit
Scrutinyit | |
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Allgemeines und Klassifikation | |
IMA-Nummer | 1984-061[1] |
IMA-Symbol | Sny[2] |
Chemische Formel | |
Mineralklasse (und ggf. Abteilung) | Oxide und Hydroxide |
System-Nummer nach Lapis-Systematik (nach Strunz und Weiß) Strunz (9. Aufl.) Dana | IV/D.15-040[4] 4.DB.20 04.04.06.02 |
Kristallographische Daten | |
Kristallsystem | orthorhombisch |
Kristallklasse; Symbol | orthorhombisch-dipyramidal; 2/m2/m2/m[5] |
Raumgruppe | Pbcn (Nr. 60)[3] |
Gitterparameter | a = 4,97 Å; b = 5,96 Å; c = 5,44 Å[3] |
Formeleinheiten | Z = 4[3] |
Physikalische Eigenschaften | |
Mohshärte | nicht definiert[6] |
Dichte (g/cm3) | berechnet: 9,867[6] |
Spaltbarkeit | vollkommen nach {100}, unvollkommen nach {010} (in Analogie zu Columbit)[4] |
Farbe | dunkelrotbraun,[4] nelkenbraun bis rot an dünnen Rändern, im Auflicht grauweiß mit rötlichbraunen inneren Reflexen[6] |
Strichfarbe | dunkelbraun[4] |
Transparenz | durchscheinend in dünnen Flocken[6] |
Glanz | schwacher Metallglanz[6] |
Scrutinyit (IMA-Symbol Sny[2]) ist ein sehr selten vorkommendes Mineral aus der Mineralklasse der „Oxide und Hydroxide“ mit der chemischen Zusammensetzung PbO2[1] und damit chemisch gesehen Bleidioxid.
Scrutinyit kristallisiert im orthorhombischen Kristallsystem und entwickelt winzige Kristallflocken mit etwa 25 bis 30 μm Durchmesser und etwa 1 bis 2 μm Dicke[7] mit einem schwach metallischen Glanz auf den Oberflächen. Das Mineral ist durchscheinend und von dunkelrotbrauner oder nelkenbrauner Farbe, die an dünnen Rändern rot erscheint. Im Auflicht erscheint Scrutinyit grauweiß mit rötlichbraunen Innenreflexen. Die Strichfarbe von Scrutinyit ist dagegen immer dunkelbraun.
Etymologie und Geschichte
Als synthetische Verbindung war die orthorhombische Modifikation von Bleidioxid bereits seit 1946 bekannt. Die Kristallstruktur wurde 1950 von Zaslavskii et al. entschlüsselt.
Entdeckt wurde Scrutinyit erstmals im Stollen Sunshine No. 1 der Bleigrube Blanchard bei Bingham im Socorro County des US-Bundesstaates New Mexico. Die Analyse und Erstbeschreibung erfolgte durch Joseph E. Taggart Jr., Eugene E. Foord, Abraham Rosenzweig und Timothy Hanson. Sie benannten das Mineral nach dem englischen Wort scrutiny für ‚genaue Prüfung‘ und nimmt Bezug auf die Sorgfalt, die bei der ersten Identifizierung des Minerals erforderlich war.
Das Mineralogenteam sandte seine Untersuchungsergebnisse und den gewählten Namen 1984 zur Prüfung an die International Mineralogical Association (interne Eingangsnummer der IMA: 1984-061[1]), die den Scrutinyit als eigenständige Mineralart anerkannte. Veröffentlicht wurde die Erstbeschreibung 1988 im Fachmagazin The Canadian Journal of Mineralogy and Petrology (ehemals Tha Canadian Mineralogist).[7] Die seit 2021 ebenfalls von der IMA/CNMNC anerkannte Kurzbezeichnung (auch Mineral-Symbol) von Scrutinyit lautet „Sny“.[2]
Das Typmaterial des Minerals wird im National Museum of Natural History (NMNH) in Washington, D.C. (USA) unter der Inventarnummer 165479 (HT) aufbewahrt.[8]
Klassifikation
Da der Scrutinyit erst 1984 als eigenständiges Mineral anerkannt wurde, ist er in der letztmalig 1977 überarbeiteten 8. Auflage der Mineralsystematik nach Strunz noch nicht verzeichnet.
In der zuletzt 2018 überarbeiteten Lapis-Systematik nach Stefan Weiß, die formal auf der alten Systematik von Karl Hugo Strunz in der 8. Auflage basiert, erhielt das Mineral die System- und Mineralnummer IV/D.15-040. Dies entspricht der Klasse der „Oxide und Hydroxide“ und dort der Abteilung „Oxide mit dem Stoffmengenverhältnis Metall : Sauerstoff = 1 : 2 (MO2 und verwandte Verbindungen)“, wo Scrutinyit zusammen mit Brookit, Carmichaelit, Srilankit und Tellurit eine unbenannte Gruppe mit der Systemnummer IV/D.15 bildet.[4]
Die von der IMA zuletzt 2009 aktualisierte[9] 9. Auflage der Strunz’schen Mineralsystematik ordnet den Scrutinyit ebenfalls in die Abteilung „Metall : Sauerstoff = 1 : 2 und vergleichbare“ ein. Diese ist allerdings weiter unterteilt nach der relativen Größe der beteiligten Kationen und der Kristallstruktur. Das Mineral ist hier entsprechend seiner Zusammensetzung und seinem Aufbau in der Unterabteilung „Mit mittelgroßen Kationen; Ketten kantenverknüpfter Oktaeder“ zu finden, wo es als einziges Mitglied eine unbenannte Gruppe mit der Systemnummer 4.DB.20 bildet.
In der vorwiegend im englischen Sprachraum gebräuchlichen Systematik der Minerale nach Dana hat Scrutinyit die System- und Mineralnummer 04.04.06.02. Das entspricht ebenfalls der Klasse der „Oxide und Hydroxide“ und dort der Abteilung „Oxide“. Hier findet er sich innerhalb der Unterabteilung „Einfache Oxide mit einer Kationenladung von 4+ (AO2)“ in einer unbenannten Gruppe mit der Systemnummer 04.04.06, in der auch Tellurit eingeordnet ist.
Chemismus
In der idealen Zusammensetzung von Scrutinyit (PbO2) besteht das Mineral aus Blei (Pb4+) und Sauerstoff (O2−) im Stoffmengenverhältnis von 1 : 2. Dies entspricht einem Massenanteil (Gewichtsprozent) von 86,62 Gew.-% Pb und 13,38 Gew.-% O.[10]
Insgesamt zehn Analysen mit der Elektronenmikrosonde am Typmaterial der natürlichen Mineralbildung ergaben dagegen einen Mittelwert von 98,2(8) Gew.-% PbO2.[7] Der Rest ist wahrscheinlich (OH)1− zum Ausgleich von Pb2+ anstelle von Pb4+ in der Struktur.[6]
Kristallstruktur
Scrutinyit kristallisiert in der orthorhombischen Raumgruppe Pbcn (Raumgruppen-Nr. 60) mit den Gitterparametern a = 4,97 Å; b = 5,96 Å und c = 5,44 Å sowie 4 Formeleinheiten pro Elementarzelle.[3]
Die Kristallstruktur von Scrutinyit besteht aus kantenteilenden PbO6-Oktaedern, die parallel der c-Achse [001] Zick-Zack-Ketten bilden. Diese über die Ecken mit analogen Ketten verbunden, von denen zwei entlang der a-Achse [100] unter- und zwei überlagert sind, wodurch Schichten parallel (100) gebildet werden.[3]
Kristallstruktur von Scrutinyit |
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Farblegende: _ Pb _ O |
Modifikationen und Varietäten
Die Verbindung PbO2 ist dimorph und kommt in der Natur neben dem orthorhombisch kristallisierenden Scrutinyit (α-PbO2) noch als tetragonal kristallisierender Plattnerit (β-PbO2) vor.
Bildung und Fundorte
Scrutinyit bildet sich in der Oxidationszone von hydrothermalen bleihaltigen Erzlagerstätten. An seiner Typlokalität im Stollen Sunshine No. 1 fand sich das Mineral vergesellschaftet mit Fluorit, Murdochit, Plattnerit und Quarz. In Mapimí, Mexiko konnten zudem Rosasit und Limonit als Begleiter entdeckt werden.
Scrutinyit gehört zu den sehr seltenen Mineralbildungen, die bisher nur in wenigen Proben aus weltweit rund 10 Vorkommen entdeckt wurden (Stand 2025).[11] In der Umgebung von Bingham im Socorro County von New Mexico trat das Mineral außer im Stollen Sunshine No. 1 noch in der Mex-Tex-Mine und der untergeordneten Snake Pit Mine zutage. Des Weiteren fand sich Scrutinyit in den Vereinigten Staaten nur noch in der Grand Deposit Mine im Bergbaurevier Muncy Creek im White Pine County von Nevada.
Weitere bisher bekannte Fundorte sind die Gruben Hilarion bei Agios Konstantinos (Lavreotiki) (Lavrio) und Fernando Nr. 1 bei Lophos in Ostattika in Griechenland, die Ojuela Mine bei Mapimí in Mexiko, die Rudnik Mine bei Gornji Milanovac in Zentralserbien und die Tres Hermanos Mine in der Gemeinde L’Argentera im Süden der spanischen Region Kataloniens. Ein weiterer Fundort, die Van der Plas Mine im Opuwo-Land in Namibia gilt bisher als unbestätigt und damit fraglich.[11]
Siehe auch
Literatur
- Ralph Walter Graystone Wyckoff: Crystal Structures. Band 1. Interscience Publishers, New York 1963, S. 239–444 (englisch).
- Joseph E. Taggart Jr., Eugene E. Foord, Abraham Rosenzweig, Timothy Hanson: Scrutinyite, natural occurrences of αPbO2 from Bingham, New Mexico, U.S.A., and Mapimi, Mexico. In: The Canadian Mineralogist. Band 26, 1988, S. 905–910 (englisch, rruff.info [PDF; 559 kB; abgerufen am 15. Juni 2025]).
- John Leslie Jambor, David A. Vanko: New mineral names. In: American Mineralogist. Band 75, 1990, S. 706–713 (englisch, rruff.info [PDF; 758 kB; abgerufen am 15. Juni 2025]).
Weblinks
- Scrutinyit. In: Mineralienatlas Lexikon. Geolitho Stiftung
- Scrutinyite. In: mindat.org. Hudson Institute of Mineralogy (englisch).
- IMA Database of Mineral Properties – Scrutinyite. In: rruff.info. RRUFF Project (englisch).
- Scrutinyite search results. In: rruff.info. Database of Raman spectroscopy, X-ray diffraction and chemistry of minerals (RRUFF) (englisch).
- American-Mineralogist-Crystal-Structure-Database – Scrutinyite. In: rruff.geo.arizona.edu. (englisch).
Einzelnachweise
- ↑ a b c d Malcolm Back, Cristian Biagioni, William D. Birch, Michel Blondieau, Hans-Peter Boja und andere: The New IMA List of Minerals – A Work in Progress – Updated: May 2025. (PDF; 3,6 MB) In: cnmnc.units.it. IMA/CNMNC, Marco Pasero, Mai 2025, abgerufen am 15. Juni 2025 (englisch).
- ↑ a b c Laurence N. Warr: IMA–CNMNC approved mineral symbols. In: Mineralogical Magazine. Band 85, 2021, S. 291–320, doi:10.1180/mgm.2021.43 (englisch, cambridge.org [PDF; 351 kB; abgerufen am 15. Juni 2025]).
- ↑ a b c d e Hugo Strunz, Ernest H. Nickel: Strunz Mineralogical Tables. Chemical-structural Mineral Classification System. 9. Auflage. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart 2001, ISBN 3-510-65188-X, S. 209 (englisch).
- ↑ a b c d e Stefan Weiß: Das große Lapis Mineralienverzeichnis. Alle Mineralien von A – Z und ihre Eigenschaften. Stand 03/2018. 7., vollkommen neu bearbeitete und ergänzte Auflage. Weise, München 2018, ISBN 978-3-921656-83-9.
- ↑ David Barthelmy: Scrutinyite Mineral Data. In: webmineral.com. Abgerufen am 15. Juni 2025 (englisch).
- ↑ a b c d e f Scrutinyite. In: John W. Anthony, Richard A. Bideaux, Kenneth W. Bladh, Monte C. Nichols (Hrsg.): Handbook of Mineralogy, Mineralogical Society of America. 2001 (englisch, handbookofmineralogy.org [PDF; 54 kB; abgerufen am 15. Juni 2025]).
- ↑ a b c Joseph E. Taggart Jr., Eugene E. Foord, Abraham Rosenzweig, Timothy Hanson: Scrutinyite, natural occurrences of αPbO2 from Bingham, New Mexico, U.S.A., and Mapimi, Mexico. In: The Canadian Mineralogist. Band 26, 1988, S. 905–910 (englisch, rruff.info [PDF; 559 kB; abgerufen am 15. Juni 2025]).
- ↑ Catalogue of Type Mineral Specimens – S. (PDF 315 kB) Commission on Museums (IMA), 10. Februar 2021, abgerufen am 15. Juni 2025 (Gesamtkatalog der IMA).
- ↑ Ernest H. Nickel, Monte C. Nichols: IMA/CNMNC List of Minerals 2009. (PDF; 1,9 MB) In: cnmnc.units.it. IMA/CNMNC, Januar 2009, archiviert vom am 29. Juli 2024; abgerufen am 30. Juli 2024 (englisch).
- ↑ Scrutinyit. In: Mineralienatlas Lexikon. Geolitho Stiftung, abgerufen am 15. Juni 2025.
- ↑ a b Fundortliste für Scrutinyit beim Mineralienatlas (deutsch) und bei Mindat (englisch), abgerufen am 15. Juni 2025.
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Kristallstuktur von Scrutinyit (α-PbO2) als "Polyeder-Modell" mit Blickrichtung parallel zur c-Achse.
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- Erstellt mithilfe des freien Strukturprogramms VESTA und den CIF-Daten von Ralph Walter Graystone Wyckoff: Crystal Structures. Band 1. Interscience Publishers, New York 1963, S. 239–444; siehe auch American-Mineralogist-Crystal-Structure-Database – Scrutinyite
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Brown patches of scrutinyite from the famous Blanchard claims in New Mexico (Sunshine #1 Adit, Blanchard Mine, Bingham, Socorro County, New Mexico, United States of America). Ex Vandenbroucke Museum collection from Waregem, Belgium.
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Kristallstuktur von Scrutinyit (α-PbO2) als "Ball-and-stick-Modell" mit Blickrichtung parallel zur a-Achse.
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Kristallstuktur von Scrutinyit (α-PbO2) als "Ball-and-stick-Modell" mit Blickrichtung parallel zur c-Achse.
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Kristallstuktur von Scrutinyit (α-PbO2) als "Polyeder-Modell", Ebene a-b um 45° entgegen dem Uhrzeigersinn um die c-Achse gedreht.
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