Schlachtfeldarchäologie
Die Schlachtfeldarchäologie ist ein Teilbereich der Archäologie, der sich mit der Erforschung der Hinterlassenschaften an Schauplätzen größerer kriegerischer Auseinandersetzungen beschäftigt. Der Begriff wird im deutschen Sprachraum erst seit Ende der 1990er Jahre benutzt, erstmals wohl im Zusammenhang mit dem Kampfplatz bei Kalkriese, der heute meist mit der Varusschlacht identifiziert wird.
Gegenstand
Unter einem „Schlachtfeld“ versteht man in der Regel den Schauplatz einer bedeutenden Militäroperation, an der größere Verbände beteiligt waren. Meist bezieht man sich dabei auf kriegerische Auseinandersetzungen in historischer Zeit, die in Schriftquellen belegt sind.
Die Schlachtfeldarchäologie fasst den Begriff „Schlachtfeld“ in mehrfacher Hinsicht weiter. Zunächst wird er auch bei vorgeschichtlichen Kampfplätzen, z. B. aus der Bronzezeit, benutzt. Dann rechnet man nicht nur Schlachtfelder im engeren Sinne dazu, sondern allgemein die Schauplätze von größeren Auseinandersetzungen zwischen militärisch organisierten Gruppen. Zwar beschäftigt sich die Schlachtfeldarchäologie schwerpunktmäßig mit dem eigentlichen Kampfplatz, jedoch auch mit den Spuren von Begleiterscheinungen wie Befestigungen, Lagerplätzen, Nachschublinien, Lazaretten, Gräbern, Gefangenenlagern, Bunkern und Ähnlichem. Sie kann damit als Teilbereich des im Englischen als Conflict Archaeology bezeichneten Forschungsgebietes betrachtet werden.
Da der Begriff erst um das Jahr 2000 (wohl in Anlehnung an das englische Battlefield Archaeology) Eingang in den deutschen Sprachgebrauch gefunden hat, sind die Grenzen zu anderen archäologischen Forschungsgebieten noch fließend.
Methoden und Ziele
Bei der Erforschung mittelbarer Spuren der Kampfhandlungen, wie Befestigungen und Gräber, kommen Standardmethoden der Archäologie zum Einsatz. Bei der eigentlichen „Schlacht“ handelt es sich meist um ein kurzes und für archäologische Verhältnisse großflächiges Ereignis, das nur weit verstreute Spuren hinterlassen hat. Sehr häufig handelt es sich um Geschosse, aber auch verlorene Waffen und andere Ausrüstungsgegenstände. Daher kommt Funden an oder nahe der Erdoberfläche eine große Bedeutung zu. Wichtigstes Werkzeug bei der Erforschung des Kampfplatzes ist das Metallsuchgerät.
Die Identifikation der Funde und die Kartierung der Fundplätze lassen Rückschlüsse auf den Kampfverlauf zu. Auf diese Weise ergibt sich eine zusätzliche Bewertungsmöglichkeit von Schriftquellen, deren Darstellung der Schlacht bestätigt, ergänzt oder eventuell sogar korrigiert werden kann. Es sind auch Rückschlüsse auf den Alltag des „Kriegshandwerks“ möglich, der in der historischen Darstellung selten Beachtung findet.
Geschichte
Die Erforschung von Kriegsschauplätzen ist wesentlich älter als der Begriff der Schlachtfeldarchäologie. Ein früher Vorläufer ist zum Beispiel die Ausgrabung der Befestigungswerke der Schlacht um Alesia (52 v. Chr.) beim französischen Alise-Sainte-Reine in den 1860er Jahren. Zwischen 1905 und 1928 wurden auf Gotland mehrere Massengräber mit über 1000 Toten aus der Schlacht bei Visby (1361) ausgegraben.
Als eigentlicher Beginn der Schlachtfeldarchäologie im modernen Sinn gilt die Erforschung des Schauplatzes der Schlacht am Little Bighorn (1876) in den Vereinigten Staaten ab 1984. Viele bis dahin unbekannte Einzelheiten des Verlaufs der Kämpfe konnten anhand der Funde rekonstruiert werden. In Europa etablierte sich die Forschungsrichtung zunächst hauptsächlich in Großbritannien, wo zahlreiche Schlachtfelder des Mittelalters und der frühen Neuzeit untersucht wurden.
In Deutschland können die umfangreichen Untersuchungen des römisch-germanischen Kampfplatzes bei Kalkriese als Beginn der Schlachtfeldarchäologie betrachtet werden. Schon Theodor Mommsen hatte wegen zahlreicher Münzfunde dort den Schauplatz der Schlacht im Teutoburger Wald vermutet. Die Untersuchungen bei Kalkriese begannen 1987 mit Münzfunden durch den britischen Hobbyarchäologen Tony Clunn und dauern bis heute an.
Beispiele
- Schlachtfeld im Tollensetal, wo ab 1996 Überreste von mehr als 200 Menschen, vielen Pferden und Waffen aus der Bronzezeit (um 1300 v. Chr.) gefunden wurden.
- Der wahrscheinliche Schauplatz der Varusschlacht (Schlacht im Teutoburger Wald, 9 n. Chr.) bei Kalkriese, dessen Erforschung 1987 begann.
- Harzhornereignis als Schauplatz eines Gefechts zwischen römischen Truppen und Germanen in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts im Harzvorland, das seit 2008 untersucht wird.
- Schlacht von Towton, eine Schlacht der englischen Rosenkriege 1461 zwischen Yorkisten und Lancastrianer mit Ausgrabungen ab den 1990er Jahren.
- Die Schlacht bei Lützen, in der im Dreißigjährigen Krieg 1632 der Schwedenkönig Gustav Adolf starb. Teile des Schlachtfeldes wurden 2006/2007 untersucht. Die Untersuchungen wurden bis 2011 fortgesetzt. Etwa 1.100.000 m² sind mit Metalldetektoren untersucht worden, 12.000 Funde wurden gemacht, 3.500 stammen aus der Zeit der Schlacht; 2011 wurde ein Massengrab der Schlacht systematisch gesucht und gefunden, dieses ist im Rahmen einer Blockbergung geborgen worden und wird jetzt untersucht.
- Ein Massengrab der Schlacht bei Wittstock (Dreißigjähriger Krieg, 1636) wurde 2007 ausgegraben.
- Ein weiteres Massengrab der Schlacht bei Alerheim (Dreißigjähriger Krieg, 1645) wurde 2008 dokumentiert.
- Bei der Ausgrabung der Höhe 80 als einer deutschen Stellung des Ersten Weltkriegs in Flandern fanden sich auf 1,1 Hektar rund 130 Gefallene.
- Schlacht bei Lutter von 1626 mit Untersuchungen des Schlachtfeldes zwischen 2011 und 2017. Es wurden mehrere hundert Bleikugeln und weitere Funde geborgen, deren Kartierung neue Erkenntnisse zum Schlachtgeschehen lieferte.[1]
Literatur
- Thomas Brock, Arne Homann: Schlachtfeldarchäologie. Auf den Spuren des Krieges. (Archäologie in Deutschland. Sonderheft 2/2011). Theiss, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-806-22529-7.
- Rezension von Heinrich Speich in: Cosmopolis. 14. April 2012.
- Archäologie in Deutschland. Ausgabe 1/2009. (Sechs Artikel zum Schwerpunktthema Schlachtfeldarchäologie).
- André Schürger: The Battle of Lützen: an examination of 17th century military material culture. Dissertation, University of Glasgow 2015 (online).
- Maik Reichel, Inger Schuberth (Hrsg.): Leben und Sterben auf dem Schlachtfeld von Lützen. Beiträge eines wissenschaftlichen Kolloquiums der Schwedischen Lützen-Stiftung Göteborg in Zusammenarbeit mit der Stadt Lützen vom 5. bis 8. November 2009. Heimat- und Museumsfreunde Lützen, Lützen 2011, ISBN 978-3-00-035373-4.
- Arne Homann: Battlefield Archaeology of Central Europe: With a Focus on Early Modern Battlefields. In: Natascha Mehler (Hrsg.): Historical Archaeology in Central Europe. Society for Historical Archaeology, 2013, S. 203–230 (online).
- Harald Meller, Michael Schefzik (Hrsg.): Krieg. Eine archäologische Spurensuche. Begleitband zur Sonderausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale), 6. November 2015 bis 22. Mai 2016. Konrad Theiss, Darmstadt 2015, ISBN 978-3-8062-3172-4.
- Harald Meller (Hrsg.): Schlachtfeldarchäologie. Battlefield Archaeology. Landesmuseum für Vorgeschichte, Halle (Saale) 2009, ISBN 978-3-939414-41-4, (Tagungsband des 1. Mitteldeutschen Archäologentags 2008; Abstracts als PDF).
Weblinks
- Neue Erkenntnisse der Schlachtfeldforschung – Wie der Krieg erfunden wurde, Artikel von Hubert Filser in der Süddeutschen Zeitung, 21. April 2012
- Website des Centre for Battlefield Archaeology an der University of Glasgow
- Schlachtfeldarchäologie auf der Website des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (sieben Interviews mit Fachleuten als Video)
- 6th Fields of Conflict Conference, Osnabrück and Kalkriese, April 2011 auf der Website der Universität Osnabrück
Einzelnachweise
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Harzhorn-Ereignis: Grafik der Fundorte von Artefakten der Kampfhandlungen auf dem Kamm. Sowie Darstellung von vermuteten Flugbahnen römischer Katapultgeschosse, Pfeilspitzen und Speere.
Autor/Urheber: Eric Flamand, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Ausgrabung der Höhe 80 in Wijtschate, Schützengraben mit Holzplanken und Sandsäcken
Autor/Urheber: Luca Bezzi, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Documenting WW1 archaeological evidences on the Sextner Rotwand in South Tyrol (from Arc-Team archive)