Schlussstein

Schlussstein von 1788 in einem Torbogen des Wymeerer Glockenturms

Ein Schlussstein (Scheitelstein) ist im Bauwesen entweder der Stein im Scheitelpunkt eines Bogens (falls keine Scheitelfuge vorhanden ist) oder der Stein am Hauptknotenpunkt der Rippen eines Gewölbes.[1]

10-strahliger Gewölbe-Schlussstein in der Kathedrale von Soissons.

Konstruktive Unterscheidungen

Der Schlussstein ist an einem Bogen oder Gewölbe der letzte oberste Stein, dessen Eintreibung die anderen Wölbsteine zusammendrückt und dadurch die baustatisch wirksame Spannung der Wölbung hervorbringt. Dabei trägt der Schlussstein nicht mehr als jeder anderer Stein der Wölbung zur Erhaltung der Spannung bei, zumindest bei Tor- und Fensterbögen sowie geradlinigen Tonnengewölben.[2]

Bei Kreuz- und Sterngewölben allerdings ist der Schlussstein statisch sehr wichtig, doch braucht er bei diesen Gewölbeformen nicht aus einem Stück zu bestehen, sondern er kann – was allerdings selten ist – aus mehreren Werksteinen gefertigt werden, so dass ein Schlussring entsteht.

Erst wenn der Schlussstein eingesetzt ist, wird die Konstruktion selbsttragend, und das beim Bau errichtete hölzerne Lehrgerüst kann entfernt werden.

Bei Kuppeln, wo jede Steinschicht als Ring wirkt, kann der Schlussstein entfallen und ein Loch offen bleiben (vgl. Opaion).[2]

Formen und Dekor

Bogen-Schlusssteine

Im Bogen oder im scheitrechten Sturz ist der Schlussstein keilförmig ausgebildet. Mitte und/oder Höhe des Bogenscheitels waren in der Architekturgeschichte stets Anlass zu besonderer Ausformung (auch in anderen Materialien) oder zur Verzierung der Schlusssteine.[3][4]

Agraffen

Aufgrund seiner besonderen Bedeutung und seiner zentralen Position wurde der Schlussstein von Bögen häufig bauplastisch verziert; schon der Schlussstein der Porta all’Arco, einziges gut erhaltenes Tor der Stadtmauer von Volterra aus der Zeit der Etrusker, trägt eine Kopf-Plastik zur Schau. Häufig trägt der Schlussstein das Wappen oder die Initialen des Erbauers, manchmal auch das Baujahr des Gebäudes.

Wenn in einem Bogen der gestalterisch besonders hervorgehobene Schlussstein als Überleitung und ‚tragende‘ Verbindung zu einem darüberlaufenden Gesims dient, wird diese Zierform Agraffe genannt.[5] → Hauptartikel: Agraffe (Ornament).

Gewölbe-Schlusssteine

In Gewölben sind Schlusssteine rund ausgebildet, meist mit am Werkstein angesetzten Gewölberippen. Der Schlussstein kann auch als Knauf ausgebildet sein.

Reiche Verzierungen am Schlussstein von Gewölben waren besonders in der gotischen Baukunst üblich. In Kirchen dienten Gewölbeschlusssteine sehr häufig als Bildträger für Reliefs zur Darstellung von Heiligen, Stifterwappen usw.

Gelegentlich findet man an gotischen Gewölben Schlusssteine, die als in der Mitte offener Ring geformt sind. Sie dienten bei mittelalterlichen Passionsspielen u. a. dazu, dass durch diese Öffnungen Christusstatuen an einem Seil hinaufgezogen werden konnten, um die Himmelfahrt Christi szenisch darzustellen.[6] (Vgl. auch → Heiliggeistloch)

Als Sonderform des Schlusssteins findet man in einigen spätgotischen Gewölben den Abhängling als „hängenden Schlussstein“ bzw. Hängeknauf. Diese Sonderform lässt sich teilweise schon in romanischen Kirchen finden, wie etwa in den Seitenschiffen von St. Peter (Bacharach).

Symbolik

Bögen und Gewölbe können als ihren oberen Abschluss in baustatischer Hinsicht auch eine Scheitelfuge aufweisen, was jedoch sehr selten ist. In der Regel wurde ein Schlussstein eingesetzt, was vor allem symbolische Bedeutung hatte: Schlusssteine wurden symbolisch für einen wesentlichen Teil verwendet, von dem das Ganze abhängt, oder als Höhepunkt des Ganzen und werden deswegen gerne – vor allem in den USA – auch heute noch als Wappen und Logo verwendet.[7]

Im Christentum bezieht sich Psalm 118 (Vers 22) auf den Eckstein, der in symbolischer Übertragung auch als Schlussstein gedeutet wird.[8][9] Außerdem sah man im Schlussstein den Erlöser Jesus Christus, weil der Schlussstein das ganze Kirchengebäude bekrönte und vollende, so wie die Auferstehung Christi dessen Lehre, seine Sendung und seine Kirche vollende.[10]

Beispiele

Siehe auch

Literatur

  • Meyers Enzyklopädisches Lexikon. Bibliographisches Institut, Mannheim/Wien/Zürich 1973, Band 21, S. 152: Schlußstein.
  • Wilfried Koch: Baustilkunde; Band 2 – Burg und Palast. Sonderausgabe für Bassermann Verlag; Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh/München 1998, ISBN 3-8094-5007-3, S. 482.
  • Oskar Mothes (Hrsg.): Illustrirtes Bau-Lexikon, Band 4: Q bis Z. Leipzig 1884, S. 144: Schlußstein. (Digitalisat auf digi.ub.uni-heidelberg.de, abgerufen am 11. Februar 2024)
  • Adolf Opderbecke, H. Wittenbecher: Der Steinmetz. Verlag von Bernh. Friedr. Voigt, Leipzig 1912, S. 242.
  • Johann Georg Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, 1771: Schlussstein. (Abschrift auf textlog.de, abgerufen am 11. Februar 2024)
  • Georg Gottlob Ungewitter: Lehrbuch der gotischen Konstruktionen. 3. Auflage, Bd. 1, bearbeitet von Karl Mohrmann. T. O. Weigel Nachfolger, Leipzig 1890, S. 74–83: Von den Schlusssteinen. (GoogleBooks)
Commons: Schlussstein (Bogen) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Commons: Schlussstein (Gewölbe) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Schlussstein – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Architektur. Mit englischem, französischem, italienischem und spanischem Fachglossar (= Kröners Taschenausgabe. Bd. 194). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-19404-X (Digitalisat auf moodle.unifr.ch, abgerufen am 11. Februar 2024), S. 413: Schlußstein.
  2. a b Oskar Mothes (Hrsg.): Illustrirtes Bau-Lexikon, Band 4: Q bis Z. Leipzig 1884, S. 144: Schlußstein. (Digitalisat auf digi.ub.uni-heidelberg.de, abgerufen am 11. Februar 2024)
  3. Johann Georg Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, 1771: Schlussstein. (Abschrift auf textlog.de, abgerufen am 11. Februar 2024)
  4. Vgl. beispielsweise auch Karl–Heinz Hentschel: Schlußsteine, Zunftzeichen und Inschriften, auf kgv-calw.de, abgerufen am 11. Februar 2024.
  5. Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Architektur. Mit englischem, französischem, italienischem und spanischem Fachglossar (= Kröners Taschenausgabe. Bd. 194). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-19404-X (Digitalisat auf moodle.unifr.ch, abgerufen am 16. Februar 2024), S. 8: Agraffe.
  6. Gottfried Kiesow: Kulturgeschichte sehen lernen. In: Monumente, Heft 1/2001, S. 70 (Beispiele: Freiburger Münster, Predigerkirche Erfurt).
  7. Vgl. Wappen des Bundesstaates Pennsylvania: The Keystone State, auf pa.gov, abgerufen am 12. Februar 2024 (amerikanisches englisch).
  8. Kardinal Christoph Schönborn: Schlussstein, Eckstein, Stolperstein. In: erzdioezese-wien.at. 8. Oktober 2023, abgerufen am 11. Februar 2024.
  9. Monika Rafalski: Eckstein. In: symbolonline.eu. Abgerufen am 11. Februar 2024.
  10. Joseph J. M. Timmers: Eckstein. In. Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. IV, 1956, Sp. 708–712. (Abschrift auf rdklabor.de, abgerufen am 11. Februar 2023.)
  11. Georg Gottlob Ungewitter: Lehrbuch der gotischen Konstruktionen. 3. Auflage, Bd. 1, bearbeitet von Karl Mohrmann. T. O. Weigel Nachfolger, Leipzig 1890, S. 74
  12. A. Opderbecke, H. Wittenbecher: Der Steinmetz. Verlag von Bernh. Friedr. Voigt, Leipzig 1912, S. 242.

Auf dieser Seite verwendete Medien

Saarburg Schlussstein 1761.jpg
Autor/Urheber: Palauenc05, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Türsturz mit Schlussstein (datiert 1761) in Saarburg, Staden 20
Memleben, Klosterkirche, Scheidbogen mit Schlussstein und Scheitelfuge (2024).jpg
Autor/Urheber: Rendor Thuces Al'Nachkar, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Memleben, Klosterkirche, Scheidbogen mit Schlussstein und Scheitelfuge (2024)
Justinuskirche Taufkapelle Deckengewölbe Schlussstein 07112009.JPG
Autor/Urheber:    Gesamtzahl meiner hochgeladenen Dateien: 959, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Schlussstein des Deckengewölbes der Justinuskirche in Frankfurt am Main-Höchst, Zustand von 2009
Keystone.svg
Keystone אבן הראשה
Agraffe, GÖ, Bürgerstr.38, 2024 02 17.jpg
Autor/Urheber: Rendor Thuces Al'Nachkar, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Agraffe, Göttingen, Bürgerstr.38, 2024 02 17
Bunde Wymeer - Kirchstraße - Glockenturm 07 ies.jpg
Autor/Urheber: Frank Vincentz, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Wymeerer Glockenturm, Kirchstraße in Wymeer, Bunde (Germany)
Schlusssteine in einen Netzgewölbe (2024).jpg
Autor/Urheber: Rendor Thuces Al'Nachkar, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Schlusssteine in einen Netzgewölbe (2024)
Schlussstein in einem Kreuzgewölbe (2024).jpg
Autor/Urheber: Rendor Thuces Al'Nachkar, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Schlussstein in einem Kreuzgewölbe (2024)
Schlusssteine (Opderbecke, Wittenbecher, Der Steinmetz, 1912, S. 242).png
Schlusssteine (Opderbecke, Wittenbecher, Der Steinmetz, 1912, S. 242)
Europäisches Patentamt Berlin Athene.jpg
Autor/Urheber: Lukas Beck, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Schlusssteinkopf mit Abbildung der Göttin Athene am Europäischen Patentamt Berlin. Gestaltet vom Künstler Heinrich Günther-Gera
Bab al-Nasr Cairo DSCF0044.jpg
Autor/Urheber: R Prazeres, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Bab al-Nasr in Cairo, vaulted ceiling of the gate's interior passage
Hogebeintum, Fries, Hegebeintum (actm) 10.jpg
Autor/Urheber: Agnes Monkelbaan, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Dieses Bild zeigt das rijksmonument mit der Nummer 15628
Heidelberg - Altstadt - Heiliggeistkirche - Gewölbe mit Himmelsloch und Engelskonzert (2).jpg
Autor/Urheber: Roman Eisele, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Heidelberg, Heiliggeistkirche: senkrechter Blick in das Gewölbe des Mittelschiffs. In der Mitte das so genannte Heiliggeistloch bzw. Himmelsloch. Die darum gruppierte Malerei aus dem 15. Jahrhundert (tlw. restauriert) zeigt ein Engelskonzert, acht Engel mit verschieden Instrumenten.
Hinweis: Das Gewölbe ist auch in der Realität etwas asymmetrisch, das ist kein Fehler der Aufnahme.
Schlussstein, Göttingen, Theaterstraße 16, 2024 02 17.jpg
Autor/Urheber: Rendor Thuces Al'Nachkar, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Schlussstein, Göttingen, Theaterstraße 16, 2024 02 17
Arches for entrance to courtyard from Boylston Street entrance, construction of the McKim Building - DPLA - 2abeac62ff62d46bc27402b4ab698e0b.jpg
Image from: Public library building Copley Square : photographs of progress of the work August 1888 to Dec. 31, 1889; Image caption: No. 67. June 6, 1889. Court arches.; Granite arches assembled over frames taken from scaffolding in Boyston Street entrance room toward Dartmouth Street side of the Courtyard. Photo No. 67 by Edward Stevens, Clerk of Works.
Boss York 3.jpg
Autor/Urheber: Fingalo Christian Bickel, Lizenz: CC BY-SA 2.0 de
Schlussstein Yorkshire Museum in York
Boedingen Schlussstein Querschiff.jpg
Autor/Urheber: Daniel Edmund Wilde, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Schlussstein im südlichen Querschiff der Wallfahrtskirche Zur Schmerzhaften Mutter in Hennef-Bödingen, 15. Jahrhundert
Agraffe, GÖ, Hanssenstr.6, 2024 02 17.jpg
Autor/Urheber: Rendor Thuces Al'Nachkar, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Agraffe, Götingen, Hanssenstr.6, 2024 02 17
Middle keystone in the Chapel of St. Anne in Malbork showing Jesus Christ.jpg
Autor/Urheber: DerHexer, Lizenz: CC BY-SA 3.0
In Malborg nach der Wikimania 2010 aufgenommenes Foto. Gewölbeschlussstein des mittleren Jochs mit dem Bildnis Christi, 14. Jahrhundert.
Schlussstein (Cluny III).JPG
Autor/Urheber: Sebastian Sigler, Lizenz: CC BY-SA 3.0 de
Relief, um 1088 oder 1130. Gewölbeschlußstein aus der abgerissenen Abteikirche Cluny III
Etruscian Numbers.jpg
Autor/Urheber: Qaswed, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Etruskische Zahlen: CIↃ IↃ C C X X X I I.

"CIↃ" steht für Römisch "M" und "IↃ" steht für "D", somit "MDCCXXXII" oder in Indischer Zahlschrift "1732".

Zu finden an der Waalse kerk in Maastricht
Schlusssteine (Ungewitter, Got. Konstruktionen, 1890, S. 76).jpg
Schlusssteine (Ungewitter, Got. Konstruktionen, 1890, S. 76)
Schlussstein, Göttingen, Prinzenstraße 1 2024 02 17.jpg
Autor/Urheber: Rendor Thuces Al'Nachkar, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Schlussstein, Göttingen, Prinzenstraße 1_2024 02 17
Wiener Neustadt Stadtmuseum - Dom Schlussstein.jpg
Autor/Urheber: Wolfgang Sauber, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Wiener Neustadt (Niederösterreich). Stadtmuseum - Schlussstein vom Dom in Wiener Neustadt ( 13. Jhdt. )
Fragment of vault, monastery Hradiště nad Jizerou, 1260 AD, Lapidary of NM Prague, 175800.jpg
Autor/Urheber: Zde, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Vault, monastery at Hradiště nad Jizerou, circa 1260, sandstone. Lapidarium of the National Museum in Prague, cat. no. 88.
0 Soissons - Cathédrale St-Gervais-et-St-Protais - Clef de voûte du transept sud.JPG
Autor/Urheber: Jean-Pol GRANDMONT, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Relief of the Mystic Lamb adorning the keystone of the chapel of Virgin Mary (close to the south transept) of Saint-Gervais-et-Saint-Protais Soissons Cathedral (Aisne, France).
Vnejsiklenutisacrecoeur.jpg
Byzantine vaults in portal of basilique Sacré Coeur, Paris, France.
Frankfurt Am Main-Leonhardskirche-Haengdes Gewoelbe-Detail.jpg
Autor/Urheber: Die Autorenschaft wurde nicht in einer maschinell lesbaren Form angegeben. Es wird Mylius als Autor angenommen (basierend auf den Rechteinhaber-Angaben)., Lizenz: CC BY-SA 3.0

Detail des Hängenden Gewölbes von Hans Baltz von Mertenstein in der Salvatorkapelle des nördlichen Seitenschiffs der Leonhardskirche in Frankfurt am Main. Zu sehen ist Christus an der Geiselsäule, ein darüber thronender Gottvater (hier nicht vollständig zu erkennen), und das tropfenförmig herabhängende Wappen der bekannten Frankfurter Familie Holzhausen.

Selber fotografiert im März 2008, Doppellizensierung GFDL & CC-BY-SA 2.5.