Sant’Ivo alla Sapienza

Blick vom Innenhof zur Kirche Sant’Ivo alla Sapienza

Die barocke Kirche Sant’Ivo alla Sapienza in Rom wurde 1642–1664 von Francesco Borromini erbaut. Sie ist dem heiligen Ivo, dem Schutzpatron der Juristen, geweiht und liegt am Corso del Rinascimento östlich der Piazza Navona. Die einzigartige architektonische Gestaltung dieses Zentralbaus machen ihn zu einer der originellsten und schönsten Kirchen Roms.

Geschichte

Der der Kirche vorgelagerte Palazzo della Sapienza, 1665

Sant’Ivo entstand als Kapelle für das 1303 gegründete päpstliche studium urbis, die spätere La Sapienza genannte Universität. Die Kirche musste in den bereits bestehenden Palazzo della Sapienza eingepasst werden, der einen längsrechteckigen Hof umschloss. Der Bau war in mehreren Etappen ab 1564 bis um 1630, hauptsächlich nach Entwürfen des Spätrenaissance-Architekten Giacomo della Porta, errichtet worden.

Die Kirche war ursprünglich dem hl. Fortunatus geweiht, später kamen weitere Patrozinien hinzu: Der heilige Leo der Große, der heilige Ivo als Patron der Konsistorialadvokaten, die den Rektor der Universität stellten, und der heilige Alexander Martyr, dessen Gebeine anlässlich der Weihe in die Kirche übertragen wurden.

Schon Giacomo della Porta hatte für die Universitätskapelle einen Zentralbau vorgesehen, konnte ihn jedoch nicht realisieren. Papst Urban VIII. (Amtszeit 1623–1644) ernannte Francesco Borromini 1632 zum Architekten und Baumeister des Archiginnasio, wie die Universität zu dieser Zeit hieß. Im Januar 1643 begann Borromini mit dem Bau der Universitätskapelle. In der Regierungszeit Papst Innozenz X. (1644–55) wurde die Kirche außen vollendet, war jedoch bei dessen Tod innen noch nicht gestaltet. Sein Nachfolger Papst Alexander VII. ordnete noch im selben Jahr, am 16. Juli 1655, die Fortführung der Arbeiten an.

Am 13. November 1660 konnte die Cappella della Sapienza feierlich eingeweiht werden. Mehrere Kirchweihpredigten beschäftigten sich mit dem Schutzheiligen der Kirche und den ikonologischen Motiven ihrer Dekoration, die sich um die Themen der göttlichen Weisheit und der Nächstenliebe ranken. Eine im selben Jahr geprägte Gedenkmünze zeigt auf der Vorderseite das Porträt Papst Alexanders VII., auf der Rückseite die Fassade von Sant’Ivo im Innenhof der Universität, die von den Worten OMNIS SAPIENTIA A DOMINO („Alle Weisheit stammt vom Herrn“ Sir 1,1 ) umgeben ist.[1]

Sant’Ivo diente bis 1935 als Universitätskapelle, als die Universität in die unter Mussolini errichtete Città Universitaria umzog. Seither ist sie hauptsächlich eine Touristenattraktion an dem stark frequentierten Weg zwischen Piazza Navona und Pantheon. Im Innenhof des Palazzo della Sapienza finden außerdem Konzerte statt.

Architektur

Vertikaler Schnitt durch den Sakralraum

Die Kirche ist in den zur Bauzeit bereits vorhandenen Komplex des Universitätsgebäudes eingepasst. Sie schließt den langgezogenen, rechteckigen Innenhof nach Osten hin ab, durch den sie betreten wird. Bei der Kirchenfassade übernahm Borromini das Motiv der zweigeschossigen Arkadenreihe der flankierenden Gebäudeteile. Im Unterschied dazu ist sie allerdings konkav geschwungen und die Bögen sind mit Mauerwerk und Fenstern geschlossen.

Die konkave Fassade kontrastiert mit der konvex vorgewölbten Wandung des Tambours darüber, hinter der sich die Kuppelwölbung verbirgt. Auf dem von Stufen bedeckten Kuppeldach thront eine Laterne in Gestalt eines reich dekorierten Rundtempels, dessen Fenster von Säulenpaaren gerahmt werden. Noch im Gebälk wiederholt sich der Gegensatz von konkaven und konvexen Formen. Die Laterne wird ihrerseits von einem extravaganten spiralförmigen Aufsatz bekrönt, der oben in einem Lorbeerkranz und einer Flammenkrone endet.

Innenraum

Grundriss des Palazzo della Sapienza mit Sant’Ivo

Auch im Innenraum von Sant’Ivo setzt sich das kontrastreiche Spiel von konkaven und konvexen Formen fort. Der Grundriss des Kirchenraums wird häufig als Überlagerung zweier gleichseitiger Dreiecke zum Sechseck gedeutet. Es handelt sich aber um ein einziges gleichseitiges Dreieck, das dem Betrachter allerdings wie ein Sechseck erscheint. In den Spitzen und in den jeweiligen Mitten der gegenüberliegenden Seiten kann man Kreise einzeichnen, an deren drei Seiten sich jeweils ein Halbkreis nach außen entwickelt, an den drei Spitzen jeweils ein nach innen gerichtetes Segment von der Größe eines Kreis-Sechstels. Dadurch ergibt sich im Raum ein rhythmisches Konkav-Konvex-Spiel der Wandteile.

Geometrische Rekonstruktion des Kirchengrundrisses

Die originelle Grundform verfügt über hohen ästhetischem Reiz und dient auch als Träger ausgeklügelter Formsymbolik. Das gleichseitige Dreieck, das dem Innenraum zugrunde liegt, steht in der Sakralarchitektur traditionell für die Heilige Dreifaltigkeit. Neben dem Dreieck spielt auch das Sechseck eine Rolle: Zum einen stehen alle umliegenden Räume, etwa die Sakristeien, auf sechseckigem Grundriss, zum anderen kann auch in den Sakralraum ein regelmäßiges Sechseck eingeschrieben werden. Das Hexagon findet in der religiösen Architektur vielfach Verwendung: Sowohl im Judentum als auch im Christentum symbolisiert es die Allmacht Gottes. Es steht aber auch für Gleichgewicht und Harmonie des Göttlichen und des Weltlichen. Zudem ist in der Zusammensetzung eines Sechsecks aus sechs gleichseitigen Dreiecken auch die Symbolik der Zahl Drei enthalten.[2] Sicher wird es auch auf das Wappen der Barberini anspielen, auf die (sechseckigen) Waben der Bienen. Der berühmtester Vertreter der Familie war Papst Urban VIII. Barberini, der Francesco Borromini mit dem Bau beauftragt hatte.

Pilaster in einer monumentalen korinthischen Ordnung gliedern die Umfassungswand rhythmisch mit engen und weiten Intervallen. Auf dem Hauptaltar in der östlichen Nische, dem räumlichen Zielpunkt der reich geschwungenen Wandarchitektur, befindet sich ein großes Altarbild von Pietro da Cortona (1680), das den Hl. Ivo als Anwalt der Armen darstellt. Vom Himmel herab weht ein barocker Gobelin, auf dem die Trinität und die anderen Kirchenpatrone dargestellt sind.

Kuppel

Das Innere der Kuppel von Sant’Ivo

Die mächtige und hoch aufsteigende Kuppel ist außen nur im oberen Teil als abgeflachter Helm wahrnehmbar auf dem die Laterne aufsitzt. Borromini ahmte damit architektonisch die Rotunden der Spätantike an der Via Appia nach. Die Innenansicht der Kuppel ist durch sechs Konchen (= Muscheln, Muschelform) geprägt, die auf dem Gebälk aufsitzen. Sie wechseln in einem Konkav-Konvex-Rhythmus und enden oben in einem Kreis. Die Bauarbeiter klagten während der Arbeit darüber, wie schwer diese Kuppel auszuführen war.[3] An der Stuckdekoration der Kuppel befinden sich im obersten Teil dreimal das Wappen Papst Alexanders VII., unter dem der Innenraum vollendet wurde. Eine flammende Krone auf dem obersten der Hügel spielt auf die Flammenkrone an, die außen das Türmchen bekrönt, die Flammenzungen der Laternenwölbung erinnern an das Pfingstwunder. An etlichen anderen Reliefs finden sich Anspielungen auf Elemente des Familienwappens Papst Alexanders VII (Eichenkränze, Kronen), aber auch auf Motive aus der christlichen Ikonographie (Lilien/Jungfrau Maria und Palmzweige für den in der Kirche bestatteten Märtyrer). Sechs Paare von Cherubimen befinden sich über den Fenstern, sechs Seraphime unterhalb der Laterne. Ihre Flügel sind abwechselnd gespreizt oder über Kreuz verschränkt.

Die Spirale

Die Laterne mit dem Spiralturm

Auf der Laterne sitzt eine spiralförmige Bekrönung, die sich als schmale Rampe mit drei Umdrehungen emporwindet. Die Außenflächen der Spirale sind mit einem kronenähnlichen Gesims und aus Stuck geformten Edelsteinen besetzt (Borromini selbst sprach von „corone“, Kronen, und „gioie“, Juwelen).[1] Abgeschlossen wird die Spirale durch einen herausragenden Rundstab, der von einem Lorbeerkranz und einer Flammenkrone bekrönt wird. Darüber erhebt sich eine schmiedeeiserne Krone aus sechs geschwungenen Bügeln, die eine vergoldete Metallkugel tragen. Auf dieser sitzt die Taube mit dem Ölzweig, das Wappensymbol von Papst Innozenz X. Pamphili, über der das abschließende Kreuz steht.

Das ungewöhnliche Erscheinungsbild der Laterne von Sant’Ivo ist ein sichtbares Zeichen für Borrominis Anspruch, sich in seiner architektonischen Formgebung nicht zu wiederholen, sondern für jedes Bauwerk eine neue, originelle und reizvolle Formensprache zu schaffen. In seiner Formgebung verbergen sich metaphorische und wortspielerische Anspielungen auf die Funktion des Gebäudes.

Verschiedene Gehäuseformen der Mitraschnecken

Eine ganze Reihe von Interpretationen beschäftigt sich mit der baulichen Symbolik. Plausibel ist eine Interpretation, die den Turm als architektonische Anspielung auf eine Schneckenart aus der Familie der Mitraschnecken bewertet, deren Gehäuse spiralförmig gedreht ist. Solche Schneckenhäuser fanden sich in vielen Kuriositätensammlungen, wie auch Borromini eine besaß. Nicht nur die Form, sondern auch ihr Name Mitra papalis, im 17. Jahrhundert auf Italienisch auch corona papale, „Papstkrone“ genannt, verweist auf die Tiara, das Symbol des Papsttums.

Papstkrone des 16. Jahrhunderts

Aus der verkürzten Perspektive, die ein im Innenhof stehender Betrachter hat, erscheint die Spirale tatsächlich als Abfolge von drei Kronen – die klassische Form der Tiara.[1] Entwürfe von Bauwerken, die die Papstkrone als architektonisches Element verwenden, finden sich sowohl bei Borromini als auch bei anderen Baumeistern seiner Epoche.

Das spiralförmige Bauwerk hat verblüffende Ähnlichkeit mit Darstellungen des Turms von Babel aus dem 16. Jahrhundert, so dass es von manchen Kunsthistorikern als Turm der Weisheit interpretiert wurde – eine Deutung, gegen die spricht, dass der Turmbau von Babel stark negativ belegt ist. Auch der Pharos von Alexandria wurde als Vorbild genannt.[4]

Der Flammenkranz schließlich steht in der Ikonologie des 17. Jahrhunderts meist für die Nächstenliebe; der Patron St. Ivo wurde vor allem als Anwalt der Armen verehrt. Auch mit der Ausgießung des Heiligen Geistes beim Pfingstwunder, auf das im Kircheninnern angespielt wird, kann er in Verbindung gebracht werden.

Sant’Ivo als Allegorie der Weisheit

Bereits um die Mitte des 16. Jahrhunderts erhielt das päpstliche Archigymnasium den Beinamen „La sapienza“, die Weisheit. Über der Pforte des Universitätsgebäudes ließ Sixtus V. eine alttestamentliche Inschrift anbringen, die das Verhältnis von Religion und Gelehrsamkeit im Christentum zum Ausdruck bringt: „INITIUM SAPIENTIAE TIMOR DOMINI“ – „Der Anfang aller Weisheit ist die Gottesfurcht“ – und bestätigte damit den Beinamen des Bauwerks.

Die göttliche Weisheit stand im Gegensatz zur weltlichen Gelehrsamkeit, die sich der Mensch durch mühsames Studium erwirbt, die jedoch der Vergänglichkeit unterworfen ist. Die göttliche Weisheit dagegen wird dem Menschen von Gott geschenkt, sie kann nur durch den Glauben erworben werden. Die Kirche der päpstlichen Universität sollte als architektonische Allegorie der Weisheit erscheinen.[1]

Über dem zentralen Fenster des Tambours findet sich ein Relief, das ein Lamm auf einem Buch mit sieben Siegeln darstellt. Nach Cesare Ripas Iconologia stehen diese Elemente für die göttliche Weisheit. Auch die Anspielung auf das Pfingstwunder in der Kuppel kann in diesem Zusammenhang gesehen werden. Die Cherubim über den Kuppelfenstern stehen für die göttliche Weisheit, die Seraphim für die Nächstenliebe. Nicht zuletzt sind auch die Bienen der Barberini ein Beleg für das Wirken der göttlichen Weisheit.

Die Bienen der Barberini

Die Bienen im Innenhof des Palazzo della Sapienza

Als Mitglied der Familie Barberini trug Papst Urban VIII. drei Bienen in seinem Papstwappen. Die Biene galt in seiner Zeit als Symbol der göttlichen Weisheit. Im Innenhof des Palazzo della Sapienza finden sich diese Bienen in Medaillons unter der Dachtraufe als skulpturaler Bauschmuck. Auch in den Grundriss von Sant’Ivo alla Sapienza wurde häufig die Form einer Biene hineingedeutet; die Tradition entstand wohl noch zu Borrominis Lebzeiten und ist erstmals 1661 belegt.[1]

Die Biene im Grundriss

Bienenwaben bilden ein regelmäßiges Sechseck. Auch ihr Körper kann mit dieser geometrischen Form in Übereinstimmung gebracht werden: Ihre sechs Beine markieren dann die Ecken des Sechsecks, während ihre vier Flügel, ihr Kopf und ihr Hinterleib mit der Anzahl der Nischen im Grundriss von Sant’Ivo korrespondieren.

Zwar muss man davon ausgehen, dass Borromini nicht die Form der Biene als Grundlage nahm, als er den Grundriss entwarf. Doch hat er der Gleichsetzung auch nicht widersprochen. Eine von Borromini eigenhändig gezeichnete Präsentationszeichnung zeigt tatsächlich Bienen in den Grundriss eingezeichnet.

Öffnungszeiten

Die Kirche ist nur sonntagmorgens von 9 bis 12 Uhr zugänglich, die Messe beginnt gegenwärtig um 11:00 Uhr.

Literatur

  • Joseph Connors: S. Ivo alla Sapienza. The first three minutes. In: Journal of the Society of Architectural Historians 45/1996, S. 38–57.
  • Hans Ost: Borrominis römische Universitätskirche S. Ivo alla Sapienza. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 30/1967, S. 101–142.
  • Paolo Portoghesi: Borromini: architettura como linguaggio. Mailand 1967.
  • Joseph Connors: S. Ivo alla Sapienza. The spiral. In: Burlington Magazine 138/1996, S. 668–682.
  • Felix Thürlemann: Vom Bild zum Raum: Beiträge zu einer semiotischen Kunstwissenschaft. Köln 1990, S. 153–179.
  • Martin Raspe: Borromini und die Antike. In: Borromini, Architekt im barocken Rom. Ausstellungskatalog Mailand 2000, S. 89–100.
  • John B. Scott: S. Ivo alla Sapienza and Borromini’s symbolic language. In: Journal of the Society of Architectural Historians 4/1982, S. 294–317.
  • Rudolf Wittkower: Art and Architecture in Italy 1600–1750. Harmondsworth 1982, S. 206–212.
  • Alexandra Herz: Borromini, S. Ivo, and Prudentius. In: Journal of the Society of Architectural Historians 2/1989, S. 150–157.

Weblinks

Commons: Sant’ Ivo alla Sapienza – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d e Scott 1982
  2. Sechsecke und hexagonale Strukturen. mEinhorn - Förderverein der Martinskirche Waiblingen-Neustadt, abgerufen am 14. Januar 2023.
  3. Ein Genie der Baukunst, Neue Zürcher Zeitung vom 25. September 1999, auf nextroom.at
  4. Herz 1989

Koordinaten: 41° 53′ 53,5″ N, 12° 28′ 29,6″ O

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Rome, church of Sant'Ivo alla Sapienza, by Borromini, view of upper elicoidal part from Teatro Valle. Personal photo (november 2005) by MM in it.wiki
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G. B. Falda: East view of Sant'Ivo alla Sapienza, 1665