Samuel Henzi

Samuel Henzi, Titelblatt LA CONQUETE DE LA SAXE (1745)
Samuel Henzi, Stuckrelief von Otto Kappeler (1884–1949) an der Decke der Wandelhalle im Berner Rathaus (1942).
Samuel Henzi, La bataille de Friedberg [...] (1746)

Samuel Henzi[1] (getauft am 19. April 1701[2] in Bümpliz bei Bern; † 17. Juli 1749 in Bern) war ein Schweizer Schriftsteller, Politiker und Revolutionär.

Leben

Samuel Henzi wurde als Sohn des Pfarrers Johannes Henzi (1667–1740) und der Maria Katharina Herzog geboren. In seiner Stellung als Kopist und Buchhalter bei der bernischen Salzkammer bildete er sich autodidaktisch und unterrichtete möglicherweise als Hauslehrer die Patriziertochter Julie Bondeli.[3] In der Hoffnung auf Karriere und Vermögen kaufte er sich eine Hauptmannsstelle in den Diensten des Herzogs von Modena, scheiterte damit allerdings kläglich.[4]

Samuel Henzi wurde 1744 als Unterzeichner eines Memorials um Wiederherstellung der alten Verfassung Berns durch Beschluss des Grossen Rats des Landes verwiesen.[5] In Neuenburg war er Redakteur des Mercure Suisse, und Mitarbeiter des Journal hélvetique.[6] Henzi verfasste mehrere französische Gedichte, teilweise unter dem Pseudonym M.O.L.E.E.B.H.[7] Er gab ab 1747 die dreibändige La messagerie de Pinde heraus, die eine Ode und ein Sonett zur Wahl des Berner Schultheissen Christoph Steiger enthält. Er verfasste eine Ode auf Friedrich den Grossen und unterstützte Johann Jakob Bodmer in dessen Polemik gegen Johann Christoph Gottsched. 1748 wurde er begnadigt und wirkte in Bern als Unterbibliothekar.[8] Bei seiner Bewerbung als Oberbibliothekar wurde der damals erst 18 Jahre alte Johann Rudolf Sinner vorgezogen.[9]

1749 liess er sich gemeinsam mit seinem Schwager, dem Kaufmann Samuel Niklaus Wernier, in eine Verschwörung ein, welche den Sturz der bernischen Regierung bezweckte und die als Burgerlärm bekannt, später von ausländischen Zeitungen als Henzi-Verschwörung bezeichnet wurde. Der Kreis der Unzufriedenen blieb verhältnismässig klein und uneinig.[10] Henzi selber bezeichnete sich auf einem seiner Titelblätter als Patricien de la Ville et République de Berne.[11] Das Unternehmen wurde durch den Theologiestudenten Friedrich Ulrich (1720–1781) verraten und Henzi mit den beiden weiteren Beteiligten, Samuel Niklaus Wernier und Emanuel Fueter, Leutnant der Stadtwache, hingerichtet.

1762 erschien postum und anonym sein Drama Grisler ou l'ambition punie über Hermann Gessler (= Grisler) und Wilhelm Tell. Der über seine Hinterlassenschaften erstellte Geltstagsrodel[12] enthält an Büchern 52 Titel in Deutsch, Französisch, Italienisch und Latein.[13]

Familie

Die seit Mitte des 16. Jahrhunderts in Bern ansässige Familie Henzi brachte zahlreiche Theologen hervor. Samuel Henzis Taufpaten waren der spätere Schultheiss Christoph Steiger (I.), sein Onkel und Stadtarzt Samuel Herzog (1673–1743) und Maria Magdalena Zeerleder.[14] Sein Grossvater war der Rotgerber Johannes Henzi (1637–1706), Kastlan zu Zweisimmen. In erster Ehe war er mit Rosina Wernier (1709–1738) verheiratet, in zweiter Ehe mit Esther Fischer (1719–1738) und in dritter Ehe mit Katharina Malacrida (1707–1751), Tochter des Uhrmachers und Bankiers Niklaus Malacrida (1658–1742)[15]. Katharina Malacrida war die Cousine der Maria Magdalena Malacrida, verheiratet mit Samuel Güldin (1664–1745), Pfarrer in Stettlen und Bern. Güldin wurde 1699 als Mitbegründer der innerkirchlichen pietistischen Reformbewegung des Amtes enthoben und 1702 des Landes verwiesen.[16] Christoph Steiger (I.) stand auch bei Güldins drittem Kind zu Pate.[17] Samuel Henzis Taufpatin Maria Magdalena Zeerleder[18] war in erster Ehe mit dem pietistischen Pfarrvikar Johannes Müller (1668–1705) verheiratet, in zweiter Ehe mit Daniel Knopf (1666–1738), Agent der Bank Malacrida. Wie die Malacrida gehörte auch Daniel Knopf zu den pietistischen Kreisen.[19]

Henzi hatte zwei Söhne aus erster Ehe, Rudolf Samuel Henzi (1731–1803), Hofmeister der Pagen des Prinzstatthalters in Den Haag, Verleger und Schriftsteller in Paris; der andere lebte in Noyon. Aus dritter Ehe überlebte das Kindesalter Ludwig Niklaus Henzi (1748–?), Oberstleutnant in Ungarn.

Rezeption

Die Verschwörung fand in der ausländischen Presse grosse Beachtung und wurde dort teilweise verklärt dargestellt.[20] Gotthold Ephraim Lessing hat Samuel Henzi zum Gegenstand eines von ihm auf 1749 datierten, 1753 erstmals erschienenen unvollendet gebliebenen Dramas mit dem Titel Samuel Henzi gemacht. Lessing hat sein Konzept folgendermassen erläutert: Ich will Ihnen sagen, was meine Absicht damit war: Sie war diese: den Aufrührer im Gegensatze mit dem Patrioten, und den Unterdrücker im Gegensatze mit dem wahren Oberhaupte zu schildern. Henzi ist der Patriot, Dücret der Aufrührer, Steiger das wahre Oberhaupt, und dieser oder jener Ratsherr der Unterdrücker. Henzi, als ein Mann, bei dem das Herz eben so vortrefflich als der Geist war, wird von nichts, als dem Wohle des Staats getrieben; kein Eigennutz, keine Lust zu Veränderungen, keine Rache beseelt ihn; er sucht nichts als die Freiheit bis zu ihren alten Grenzen wieder zu erweitern, und sucht es durch die allergelindesten Mittel, und wann diese nicht anschlagen sollten, durch die allervorsichtigste Gewalt. Dücret ist das vollkommenste Gegenteil. Haß und Blutdurst sind seine Tugenden, und Tollkühnheit sein ganzes Verdienst.[21]

Johann Caspar Lavater verglich Samuel Henzi 1766 in seinem Periodikum Der Erinnerer mit Sokrates, indem er festhielt, Henzi fand das Feyerkleid der bey seiner Hinrichtung gegenwärtigen Obrigkeitlichen Person so comisch, dass er darüber lachen musste.[22] Aufgrund erfolgter Kritik nahm Lavater kurz nach der Veröffentlichung die Aussage wieder zurück mit dem Hinweis, es handele sich lediglich um eine nicht bestätigte Anekdote.[23]

In diesem, Henzistock genannten Haus, traf sich die Gruppe um Henzi. Das Haus wurde 1977 abgebrochen und 1981 beim Schloss Wittigkofen wieder aufgebaut (Foto 2020).[24]

Von Henzi existiert kein bekanntes zeitgenössisches Bildnis. Das häufig im Zusammenhang mit Samuel Henzi gezeigte Porträt Samuel Henzi von Sigmund Barth ist eine Darstellung des Berner Drechslers Samuel Cornelius Henzi (1718–1777).[25] 1942 erhielt Samuel Henzi als Stuckrelief an der Decke der Wandelhalle des Berner Rathauses ein Denkmal, eingereiht in eine Galerie von historischen Persönlichkeiten der bernischen Geschichte.

Samuel Henzi inspirierte den Berner Autor Martin Bieri zu seinem 2020 veröffentlichten literarischen Werk Henzi Sulgenbach. Ein Lessing-Implantat.[26] Der Sulgenbach wird im Titel erwähnt, weil sich die Verschwörer 1749 beim Sulgenbach am Giessereiweg 22 trafen.[27][28]

Überlieferung

Der Historiker Johann Anton von Tillier (1792–1854) beklagte das Fehlen von Unterlagen zum Burgerlärm in den Archivbeständen der bernischen Regierung.[29] Das Archivinventar von 1826 nennt für den Schrank Nr. 3 an Unterlagen «Cahier wegen der entdeckten Conspiration von 1749, 2 Bände. Ferner: Manual betreffend die 1749 entdeckte conspiration.»[30] Der Historiker und Politiker Bernhard Rudolf Fetscherin[31] stellte 1834 das Fehlen der Akten fest, bei der Übergabe des Staatsarchivs vom Staatsschreiber Albrecht Friedrich May 1837 an seinen Nachfolger Gottlieb Hünerwadel wurde das Fehlen bestätigt.[32] Fetscherin behielt längere Zeit das Turmbuch von 1749[33], welches er nach Aufforderung durch Ulrich Ochsenbein 1849 zurückgab.[34] 1892 konstatierte Heinrich Türler nach wie vor das Fehlen der seit 1837 vermissten Akten.[35] Im Juli 2019 teilte das Staatsarchiv Bern mit, dass das Manual ansehend die im Julio 1749 in der Statt Bern entdekte Conspiration [...] in die Bestände des Kantons Bern zurückkehrte.[36]

Schriften

  • Epitre à son Altesse Royale Madame la Duchesse de Modéne, 1745.
  • La conquête de la Saxe. Ode, 1745. doi:10.3931/e-rara-29505
  • La bataille de Sorr en Bohème. Ode, Neuchâtel 1745.
  • La bataille de Friedberg. Poëme par M. Samuel Hentzi, patricien de la Ville & République de Berne, capitaine aux gardes de S.A.S. Monseigneur le duc de Modène, 1746. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  • Amusement de Misodeme ou pieces fugitives En Prose et en Vers, 1745.
  • La messagerie de Pinde, 1747. doi:10.3931/e-rara-27729
  • Ode a son Excellence Monseigneur Christofle Steiguer, sur son avenement au Consulat de la République de Berne, 1747. e-rara.ch
  • Homere travesti, 1747. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  • Fablen von Samuel Hentzi, so Anno 1749 sich in damahliger Conspiration impliciert, und dessentwegen enthauptet worden, componiert und hinder ihme neben anderen under seinen Schriften gefunden worden, Mss.Mül.180 (19b) im Katalog der Burgerbibliothek Bern
  • Grisler, ou, L'ambition punie. Tragédie en cinq actes, 1762.

Quellen

Literatur

  • Paul Bamert: Verschwörung in Bern. Der Berner Kirche zu ihrem Reformations-Jubiläum gewidmet, Münsingen 1978.
  • Angelica Baum et al. (Hrsg.): Julie Bondeli. Briefe, Zürich 2012.
  • Verena Bodmer-Gessner: Henzi, Samuel. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 8, Duncker & Humblot, Berlin 1969, ISBN 3-428-00189-3, S. 568 (Digitalisat).
  • Hans Braun: Henzi, Samuel. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
  • Johann Jakob Bäbler: Samuel Henzis Leben und Schriften. Aarau 1879
  • Johann Jakob Bäbler: Henzi, Samuel. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 12, Duncker & Humblot, Leipzig 1880, S. 12–14.
  • Rudolf Dellsperger: Die Anfänge des Pietismus in Bern. Quellenstudien, Göttingen 1984.
  • Anne-Marie Dubler: Henzi-Verschwörung. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
  • Norbert Furrer: Des Burgers Buch. Stadtberner Privatbibliotheken im 18. Jahrhundert, Zürich 2012, S. 377–385.
  • Manfred Gsteiger, Peter Utz (Hrsg.): Telldramen des 18. Jahrhunderts, Bern und Stuttgart 1985.
  • Manfred Gsteiger: Verschwörer und Literat. Samuel Henzi, ein französischer Schriftsteller des bernischen Ancien Régime. In: Schweizer Monatshefte Zeitschrift für Politik, Wirtschaft, Kultur 64 (1984), Heft 5 doi:10.5169/seals-164143
  • Hans Henzi: Wiedergefundene Manuskripte zum Burgerlärm 1749 aus dem Nachlass von Prof. Rudolf Henzi, 1794–1829. Ein Beitrag zu den Quellenangaben von R. Fetscherin, Ch. Monnard und A. von Tillier. In: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde 13 (1951), S. 40–52. doi:10.5169/seals-242191
  • Xavier Kohler: Les oeuvres poétiques de Samuel Henzi, étude suivie de quelques notes relatives à la conspiration bernoise de 1749. In: Actes de la Société jurassienne d’émulation, tome 21 (1869) doi:10.5169/seals-684315
  • Maria Krebs: Henzi und Lessing. Eine historisch-litterarische Studie, Bern 1903.
  • Gottlieb Kurz: Ein Beitrag zu der Henzi-Verschwörung von 1749. In: Blätter für bernische Geschichte, Kunst und Altertumskunde, Band 10, Heft 1 (1914), S. 38–43 doi:10.5169/seals-181224
  • Isabelle Noth: Ekstatischer Pietismus. Die Inspirationsgemeinden und ihre Prophetin Ursula Meyer (1682-1743), Göttingen 2005.
  • Reto Caluori: Samuel Henzi. In: Andreas Kotte (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz. Band 2, Chronos, Zürich 2005, ISBN 3-0340-0715-9, S. 826 f.
  • Niklaus Starck: Samuel und die Henzi von Seewen, eine Familiengeschichte. Porzio, Breitenbach/Ascona 2016.
  • Johann Anton von Tillier: Geschichte des eidgenössischen Freistaates Bern von seinem Ursprunge bis zu seinem Untergange im Jahre 1798. Band 5, 1838–1839, S. 182–188. Google books
  • Pierre-Olivier Walzer: De quelques héros. Henzi, Chenaux, Péquignat, Davel, Genève 1943.
Commons: Samuel Henzi – Sammlung von Bildern

Anmerkungen

  1. Meyers Konversations-Lexikon (4. Aufl. 1885–1892 und 5. Aufl. 1893–1898) schreibt Hentzi, diese Schreibweise ist jedoch sonst kaum anzutreffen.
  2. Burger Taufrodel 1689-1711, VA BK 331, S. 397. im Katalog der Burgerbibliothek Bern
  3. Baum 2012 IV, S. 1515.
  4. Gsteiger 1984, S. 437.
  5. von Tillier 1839 5, S. 175.
  6. Baum 2012 IV, S. 1515.
  7. M.O.L.E.E.B.H. = Monsieur l'officier de Leurs Excellences Bernoises Henzi.
  8. Baum 2012 IV, S. 1515.
  9. Gsteiger 1984, S. 434.
  10. Gsteiger 1984, S. 434.
  11. Gsteiger 1984, S. 434.
  12. Verzeichnis zur konkursamtlichen Versteigerung.
  13. Furrer 2012, S. 377–385.
  14. Burger Taufrodel 1689-1711, VA BK 331, S. 397. im Katalog der Burgerbibliothek Bern,
  15. Jolanda Leuenberger-Binggeli: Nikolaus Malacrida. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
  16. Rudolf Dellsperger: Samuel Güldin. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
  17. Noth 2005, S. 65; die Burgerbibliothek Bern bewahrt einen Brief Güldins an Christoph Steiger (I.) auf, siehe Mss.h.h.XIII.102 (21).
  18. Tochter des Niklaus Zeerleder (1628–1691), Provisor zu Bern, Kantor, Pfarrer zu Kirchberg/BE, Dekan zu Burgdorf und Katharina Dürrholz.
  19. Dellsperger 1984, S. 122.
  20. Anne-Marie Dubler: Henzi-Verschwörung. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
  21. Albert Meier: Gotthold Ephraim Lessing; Lessing als Gottschedianer; Samuel Henzi/Der junge Gelehrte. (PDF) In: Literaturwissenschaft-online. 2008, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 5. Mai 2014; abgerufen am 8. Mai 2009 (Vorlesung Sommersemester).
  22. Baum 2012 II, S. 861.
  23. Baum 2012 II, S. 861.
  24. Bauinventar Bern (PDF 2017)
  25. Siehe Wikimedia Commons
  26. Martin Bieri – Henzi Sulgenbach. In: abendschein.ch. Abgerufen am 26. Februar 2020.
  27. Berchtold Weber: Giessereiweg. In: Historisch-Topographisches Lexikon der Stadt Bern, Bern, 2016. Abgerufen am 26. Februar 2020.
  28. Alexander Sury: Ein vergessener Verschwörer. In: Der Bund. 17. Februar 2020, ISSN 0774-6156 (derbund.ch [abgerufen am 26. Februar 2020]).
  29. Henzi 1951, S. 41.
  30. Henzi 1951, S. 41.
  31. Fetscherins Sohn Rudolf Friedrich Fetscherin war mit Eugenie Louise Fueter (1833–1900), Ururenkelin des «Verschwörers» Gabriel Fueter (1714–1785) verheiratet.
  32. Henzi 1951, S. 41.
  33. Turmbuch, Band 1749, B IX 493 im Katalog des Staatsarchivs Bern.
  34. Henzi 1951, S. 41.
  35. Henzi 1951, S. 41.
  36. Medienmitteilung vom 10. Juli 2019 des Kantons Bern.

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Bern: Henzistock, benannt nach Samuel Henzi. "Ende 16. Jahrhundert als kleines, repräsentatives Landhaus erstellte Gebäude wurde Ende 18. Jahrhundert für die Indienne-Färberei umgebaut, dann zu Wohn- und Gewerbezwecken genutzt und schliesslich 1977 am Giessereiweg 22 abgebrochen. Wiederaufbau 1981 beim Schloss Wittigkofen." aus: https://bauinventar.bern.ch/pdfs/melchenbuehlweg_136a.pdf 2017. Adresse seit 1981: Melchenbühlweg 136A.