SSA-Programm

Das Space Situational Awareness Programme (SSA-Programm) ist ein im Jahr 2009 gestartetes Programm der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) zur Erkennung von Gefahren aus dem Weltall, insbesondere durch Weltraumschrott und erdnahe astronomische Objekte sowie Weltraumwetterereignisse. Das Programm umfasst(e) sowohl die Nutzung bestehender ESA-Überwachungssysteme und -Einrichtungen als auch deren Ausbau und die Schaffung neuer technischer und organisatorischer Mittel. Einer der Beweggründe für die Einrichtung des Programms bestand darin, Europa unabhängig von dem US-amerikanischen Space Surveillance System machen. Letzteres wird vom Militär betrieben, und die Daten werden auf freiwilliger Basis und nicht vollständig veröffentlicht. Ausgenommen waren z. B. Spionagesatelliten.[1]

1993 wurde die erste ESA-Weltraummüll-Konferenz abgehalten, seither gab es regelmäßige Konferenzen zu diesem Thema.

Die ESA beschloss das SSA-Programm im Jahr 2008 mit Starttermin 1. Januar 2009 und sicherte das Programm bis 2020.[2] Koordiniert wird es vom Europäischen Raumflugkontrollzentrum (ESOC) in Darmstadt. Seit 2020 wurde das Programm aufgeweitet zu einer ESA pillar.

Ziele

Das Ziel des Programms wurde wie folgt definiert:

„Ziel des SSA-Programms ist es, Europas unabhängige(n) Nutzung und Zugang zum Weltraum durch die Beschaffung aktueller und genauer Informationen und Daten zur Weltraumumgebung, speziell zu Gefahren für Infrastruktur im Orbit und am Boden, zu unterstützen.“[2]

Im Einzelnen sollten mit dem Projekt drei Kernziele erreicht werden:[3][4]

  • Near-Earth objects (NEO): Beobachtung von erdnahen Objekten (beispielsweise Asteroiden), die auf der Erde einschlagen könnten und somit eine potenzielle Bedrohung darstellen. Ein Beitrag dazu leistet die Gaia-Mission, die Bahndaten von erdbahnkreuzenden Asteroiden vermisst und die Optical Ground Station auf Teneriffa, die den Himmel auf Asteroiden durchsucht und bereits bekannte erdnahen Asteroiden verfolgt und damit die Bahndaten verfeinert.
  • Space Weather (SWE): Verbesserung der Vorhersage des Weltraumwetters, etwa zum Schutz von Satelliten gegen Sonnenstürme. Die Sonne wird überwacht und bei koronalen Massenauswürfen wird ca. 15 Minuten bevor die geladenen Teile eintreffen eine Warnung ausgegeben. Dazu werden permanent Instrumente von der Erde und vom Weltraum auf die Sonne gerichtet und auf verschiedenen Raumfahrzeugen wird permanent die Partikeldichte und die Strahlungsenergie des Sonnenwinds gemessen.
  • Space Surveillance and Tracking of satellites and space debris (SST): Überwachung, Vermeidung und mittelfristige Reduzierung von Weltraumschrott; Ausgabe von Prognosen über Objekte, die Gefahren für Satelliten darstellen, sodass Gegenmaßnahmen wie zum Beispiel Bahnänderungen von Satelliten eingeleitet werden können. Alle Daten werden zentral gesammelt und verwaltet. Beobachtungen von Objekten bis hinunter zu einer Größe von einem Zentimeter werden in einer zentralen Datenbank DISKOS erfasst und laufend aktualisiert. Die voraussichtliche Lebensdauer bis zum Wiedereintritt wird prognostiziert, falls möglich.

Planung

Die ursprüngliche Planung des Programms war in zwei Phasen:

Die erste Phase von 2009 bis 2013 beinhaltete zunächst den Zusammenschluss und gemeinsame Auswertung bestehender europäischer Teleskope und Radarstationen sowie die Neuschaffung solcher Anlagen. Für das SSA-Programm entstand außerdem ein neues Datenzentrum.

In der zweiten Phase wurde ab 2014 bis zum Jahr 2019 die Infrastruktur vervollständigt werden. Dafür wurden bodengestützte Einrichtungen, die in der ersten Phase zusammengeschlossen wurden, ausgebaut und optimiert. Zudem sollte eine weltraumgestützte Infrastruktur entwickelt werden, die auch zwei bildgebende Satelliten zur Aufspürung von Objekten in Erdumlaufbahnen vorsieht.

Nach Planungsstand von 2016 sollte bis Ende 2019 ein Teleskop namens „Flyeye“ auf dem Monte Mufara auf Sizilien installiert werden, um erdnahe Objekte automatisch zu identifizieren.[5] Das Konzept von Flyeye besteht in einer Aufteilung eines großen beobachtbaren Himmelsbereichs von ungefähr 45 Quadratgrad in 16 Regionen mit insgesamt 16 Kameras gleichzeitig. Das Verfahren ähnelt dem Prinzip des Facettenauges einer Fliege. ASI wird in diesem Fall die komplette Infrastruktur, also Zufahrtsweg, Energieversorgung, Wasser- und Kommunikationsleitungen bereitstellen. ESA wird das Observatorium, die Gebäude und das Teleskop bauen.[6]

Umsetzung

Im Rahmen des SSA-Programms richtete die ESA ein neues „Weltraumwetter-Koordinationszentrum“ in Brüssel und ein Koordinationszentrum für die Überwachung erdnaher Objekte am Europäischen Weltraumforschungsinstitut (ESRIN) in Frascati, Italien ein. Beide wurden 2013 eröffnet.[7]

In den nachfolgenden vier Jahren wurden zahlreiche Entwicklungstätigkeiten für Verbesserungen vorhandener technischer Systeme und die Schaffung neuer Systeme eingeleitet. Dabei ging es beispielsweise um eine bessere Auswertung der Daten der ESA-Satelliten und -Raumsonden Proba-2, SOHO und Gaia, um Studien für weitere Überwachungssatelliten und um die Entwicklung des Flyeye-Teleskops.[7] Es gibt seither verteilte, teils auch militärisch genutzte Radarstationen, die bisher zumeist von den nationalen Weltraumagenturen auf nationaler Ebene betrieben wurden, die aber nun auch ihre Daten über erkannte Flugkörper, Weltraumschrott und Militärsatelliten an die ESA weiterleiten.

Neustrukturierung ab 2020

Mit Beschluss von 2019 wurde die Organisation der ESA neu strukturiert und die verschiedenen ESA-Programme laufen seit 2020 unter den vier Säulen

  • Science and Exploration
  • Spacer Safety
  • Applications
  • Enabling and Support

Das SSA-Programm wurde abgelöst durch eine Reihe neuer und erweiterter Programme und läuft seither als eigenständige Säule der ESA unter dem Namen Space Safety. Seither ist Space Safety mehr als nur ein Programm, sondern bildet das Dach für mehrere eigenständige Programme und die zuvor geschaffenen Einrichtungen unter einem erweiterten und eigenständig ausgewiesenen Budget. Das festigt die neu geschaffenen Institutionen, die sich um Weltraumschrott, erdnahe Asteroiden, um aktuelle Daten über das Weltraumwetter kümmern und weitet die Aktivitäten weiter aus, beispielsweise auf Cybersecurity. Am 12. April 2022 wurde das Space Safety Centre als eigenes Büro am ESOC eröffnet, das die verschiedenen Aktivitäten bündelt und koordiniert. In vielen Bereichen arbeitet ESA dabei mit anderen europäischen und nichteuropäischen Weltraumorganisationen zusammen.

Die ESA betreibt die Optical Ground Station auf Teneriffa, Spanien für Laserkommunikation mit Satelliten, nutzt diese aber auch für optisches Tracking, zur Bahnbestimmung und Identifikation von Weltraumschrott und zur Beobachtung von erdnahen Asteroiden. Zusätzlich wurde OGS mit Laser-Ranging ausgerüstet.

ESA Vigil ist ein geplantes Projekt zur Verbesserung der Vorhersage des Weltraumwetters, dazu soll die Sonne und deren Umgebung permanent beobachtet werden. Mit Vigil soll die Vorwarnzeit bei koronalen Massenauswürfen um mehrere Stunden vor dem Eintreffen verlängert werden.

Hera lotet die Möglichkeiten zur Asteroidenabwehr aus und ClearSpace-1 ist ein Programm zur Auslotung von Technologien zur Entfernung von Objekten aus Erdumlaufbahnen.

Siehe auch

  • NEOShield, eine Initiative der ESA zur planetaren Verteidigung
  • Asteroidenabwehr

Weblinks

Einzelnachweise

  1. ESA/ESOC Pressebriefing 09 Weltraumschrott Sicherheit. Präsentation der ESA, abgerufen am 1. August 2010.
  2. a b About SSA (englisch). Website der European Space Agency. Abgerufen am 3. Januar 2021.
  3. SSA Programme overview (englisch). Webseite der European Space Agency. Abgerufen am 19. Mai 2014.
  4. Christoph Seidler: Europa will das All per Radar überwachen. In: SPIEGEL Online, 21. Juli 2010. Abgerufen am 21. Juli 2010.
  5. ESA: Flyeye telescope. European Space Agency, 27. Oktober 2016, abgerufen am 5. September 2019 (britisches Englisch).
  6. Flyeye telescopes. Abgerufen am 27. Februar 2022 (englisch).
  7. a b Das ESA-Programm zur Weltraumlageerfassung. ESA, 21. Dezember 2017, abgerufen am 5. September 2019.