Runeninschrift von Bergakker

Runeninschrift von Bergakker

Bei der sogenannten Runeninschrift von Bergakker handelt sich um eine Runeninschrift auf dem silbervergoldeten Mundblech einer Schwertscheide des 4./5. Jahrhunderts, die beim niederländischen Wohnplatz Bergakker bei Tiel in der Provinz Gelderland 1996 gefunden wurde. Die Inschrift im älteren Futhark (Runenreihe) zeigt einzigartige Sonderzeichen („doppeltes V“), wodurch eine schlüssige Deutung bisher nicht erfolgte und sie daher Objekt einer andauernden wissenschaftlichen Diskussion in der Runologie und Linguistik ist.[1]

Auffindung und Beschreibung

Im Frühjahr 1996 hat ein Amateurarchäologe auf dem erhöhten Areal (Donk) zwischen Bergakker und Kapel-Avezaath und Biegung der Linge am nördlichen Ufer der Waal, westlich von Tiel in der Betuwe, bei Sondengängen mit einem Metalldetektor das Mundblech gefunden.

Das spätantike Stück aus vermutlich römischer Produktion steht im Kontext der Besiedlungsgeschichte der Region, die durch die Zeiten der römischen Provinzen der Germania inferior und Germania secunda stark romanisiert war (Insula batavorum).[2] Die Besiedelung wurde im völkerwanderungszeitlichen 4./ 5. Jahrhundert vor Ort fortgesetzt. In der Zeit des 2. und 3. Jahrhunderts wurde auf dem „Bergakker“ ein Kultplatz betrieben, primär für die einheimische Göttin DEAE HVRSTRGAE, wie er durch den Fund des Votivsteins 1950 belegt ist. Die fachlich-archäologischen Untersuchungen ergaben weitere Funde, vor allem aus Metall (hauptsächlich aus Bronze), wie Münzen, zahlreiche Fibeln, das Fragment einer Bronzestatue, ein Eisengewicht, ein medizinisches Instrument, Schmuckobjekte, ein silbernes Votivplättchen und Schmelzreste. Durch die Fibeln lassen sich die Funde im Gros in die Zeit vom 1. bis zum 5. Jahrhundert datieren.[3] Das unbenutzte Mundblech als Ausrüstungsteil mit seinem materiellen hohen Wert wird durch einige Forscher im Kontext einer bedingten Kultplatzkontinuität in der Völkerwanderungszeit als Opferung eines fränkischen höheren Militärangehörigen gesehen. Wobei für die (späten) Funde gleichfalls eine profane Nutzung nicht ausgeschlossen wird, wie durch einige Forscher bezogen auf die Schmelzreste der Beifundsituation der Fundort als „Restedepot“ für das Umschmelzen erwogen wird und im Mundblech ein Beutestück, das für das Einschmelzen vorgesehen war.

Das Mundblech ist 8,3 cm lang und 1,4 cm hoch und ist zum Teil aus vergoldetem Silber gefertigt, die Rückseite ist unvergoldet und glatt. Die Runeninschrift ist auf der Rückseite angebracht. Der obere Rand ist umlaufend rechtwinklig nach außen gebogen, wobei die Kante an der „Schauseite“ etwas breiter gestaltet ist. Die vergoldete Vorderseite und die Schmalseiten mit Halbkreisen, Punkten, Graten und Riefen flächig ornamental verziert. Diese bilden an der Front ein breites, u-förmiges Muster, während die Seitenteile einfacher, mit parallelen, plastischen Wülsten gestaltet sind.[4] Das Stück zeigt bis auf zwei Kerben am unteren Rand keine Gebrauchsspuren. Die Datierung wird für das endende 4. und anfängliche 5. Jahrhundert vorgenommen. Die archäologische und runologische Erstpublikation erfolgte im Fundjahr (Bosman/Looijenga). Das Mundblech befindet sich im Besitz/Sammlung des Museum Het Valkhof in Nijmegen.

Inschrift und Bedeutung

Sprachwissenschaftler nehmen an, dass der Fund aus den Jahren 425 bis 450 und von den Franken stammt. Aus dieser Zeit ist in den Niederlanden nur wenig überliefert. Einerseits bestätigt die Inschrift die Anwesenheit der Franken im Gebiet der heutigen Betuwe – damals Insula Batavorum –, was römische Quellen ebenfalls belegen, andererseits zeigt sie, dass die Franken auch Runen gebrauchten. Von ihren friesischen Nachbarn ist das schon länger bekannt.

Die Runen gehören, außer einer, alle zum alten Futhark.[5]

ÜbersetzerLatinisierung der InschriftIdiomatische ÜbersetzungSatzteile
A1A2BCD
Mees, 2002[6]Haþuþȳwas. Ann kusjam logūns.„Haþuþȳws. Ich gewähre den Auserwählten ein Schwert.“
“Haþuþȳws. Er gewährt den Auserwählten ein Schwert”
Haþuþȳwas.
Haþuþȳws.1b
Ann
(ich/er) gewähre/gewährt2
kusjam
(den) Auserwählten3
logūns.
(eine) Flamme4
Looijenga, 1999[7]haleþew͡as:ann:kesjam:logens:„Besitz von Haleþewas, er gewährt den Schwertkämpfern Schwerter.“haleþew͡as
(Besitz) von Haleþewas 1
ann
(er) gewährt
kesjam
(den) Schwertkämpfern
logens
Schwerter
Vennemann, 1999[8]ha.uþu.s : ann : kusjam : loguns :

ha[.u]þurs : ann : kusjam : / : loguns
„(ich bin) Hathurs (Eigentum) (ich) gewähre Schwertklingen Unterkunft“ha.uþu.s / ha[.u]þurs
Hathurs 1, 5
ann
(ich) gewähre
kusjam
Unterkunft
loguns
Schwertklingen
Seebold, 1999[9]haauþuwas : ann : kusjam :: loguns :„ich gewähre des Kampfes den Wählern des Schwertes“haauþuwas
(des) Kampfes
ann
(ich/er) gewähre/gewährt
kusjam
(den) Wählern6
loguns
(des) Schwertes
Odenstedt, 1999[10]haleþew͡as : ann : kesjam :/: logens : xx„Ich [= das Schwert] mag gesunde Diener [Soldaten]. Ich platziere [verursache] Wunden.“hale
gesunde, gute
þew͡as
Diener7
ann
(ich) mag
kesjam8
(ein) Schnitt
logens8
platzieren

Anmerkungen

1 Ein Name
1b Ein Name, gedeutet als Speerkrieger
2 Vgl. „gönne“
3 Vgl. ndl. „gekozenen“ („Auserwählten“)
4 Eine Kenning von „Schwert“, vgl. „lichterloh
5 Lese: „(ich bin) Hathurs (Eigentum)“, bzw. „des Hathurs“
6 Vgl. ndl. „kiezen“ („wählen“)
7 „Diener (des Schwerts)“, eine Kenning von Soldaten, Kriegern
8 Germanisiertes Latein. Vgl. lat. „caesa“ („schneiden“) und „locare“ („platzieren, stellen“)

Mees erwähnt in seiner Analyse, dass die Wörter einige Merkmale zeigen, die mit dem späteren Altniederländischen übereinstimmen. Zum Beispiel könnte das „s“ von logūns und haþuþȳwas auf eine sehr frühe Auslautverhärtung deuten. Sollte sich die Interpretation als richtig herausstellen, könnte der Satz als ältestes Zeugnis der niederländischen Sprache, von der ansonsten bis zum Jahre 1100 recht wenig überliefert ist, gesehen werden.

Literatur

  • A.V.A.J. Bosman, Tineke Looijenga: A Runic Inscription from Bergakker (Gelderland), the Netherlands. In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik. Band 46, 1996, S. 9–16.
  • Alfred Bammesberger in redaktioneller Zusammenarbeit mit Gaby Waxenberger (Hrsgg.): Pforzen und Bergakker – Neue Untersuchungen zu Runeninschriften (= Historische Sprachforschung. Ergänzungsheft. 41). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1999, ISBN 3-525-26231-0 (Digitalisat). Darin:
  • Tineke Looijenga: Texts & contexts of the oldest Runic inscriptions (= The Northern World. Band 4). Brill, Leiden/Boston 2003, ISBN 90-04-12396-2.
  • Bernard Mees: The Bergakker Inscription and the Beginnings of Dutch. In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik. Band 56, 2002, S. 23–26.
  • Robert Nedoma: Schrift und Sprache in den ostgermanischen Runeninschriften. In: NOWELE. Band 58/59 (2010), S. 1–70.
  • Arend Quak: Eine neue Runeninschrift in den Niederlanden: Bergakker. In: Nytt om Runer. Band 12, 1997, S. 15–17 (Online).
  • Arend Quak: Wieder nach Bergakker. In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik. Band 53, 2000, S. 33–39.
  • Arend Quak: Bergakker Revisited. In: Jana Krüger (Hrsg. et al.): Die Faszination des Verborgenen und seine Entschlüsselung – Rāđi saR kunni. Beiträge zur Runologie, skandinavistischen Mediävistik und germanischen Sprachwissenschaft. Festschrift für Edith Marold zum 75. Geburtstag. (= Reallexikon der Germanischen Altertumskunde – Ergänzungsbände 101). Walter de Gruyter, Berlin–Boston 2017, ISBN 978-3-11-054813-6. S. 291–298.
  • Ludwig Rübekeil: Frühgeschichte und Sprachgeschichte in den Niederlanden. In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik. Band 71, 2013, S. 53–98.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Klaus Düwel: Runenkunde (= Sammlung Metzler, Band 72). 4., überarbeitete und aktualisierte Auflage, Verlag J.B. Metzler, Stuttgart/Weimar 2008, ISBN 978-3-476-14072-2, S. 32, 34, 71.
  2. Nico Roymans: Ethnic Identity and Imperial Power. The Batavians in the Early Roman Empire. Amsterdam University Press, Amsterdam 2004, ISBN 90-5356-705-4, S. 195ff.
  3. Tineke Looijenga: The Bergakker Find and its Context. In: Alfred Bammesberger (Hrsg.): Pfrozen und Bergakker. 1999, S. 141ff.
  4. Beschreibung nach Steckbrief des Runenprojekts der Universität Kiel.
  5. Tineke Looijenga: Texts & contexts of the oldest Runic inscriptions. Leiden 2003, S. 318.
  6. Bernard Mees: The Bergakker Inscription and the Beginnings of Dutch, Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 56, 2002, S. 23–26, ISBN 90-420-1579-9.
  7. Tineke Looijenga: The Bergakker Find and its Context, in: Pforzen und Bergakker – Neue Untersuchungen zu Runeninschriften (= Historische Sprachforschung. Ergänzungsheft. 41). 1999, S. 141–151.
  8. Theo Vennemann: Note on the Runic Inscription of the Bergakker Scabbard Mount, in: Pforzen und Bergakker – Neue Untersuchungen zu Runeninschriften (= Historische Sprachforschung. Ergänzungsheft. 41). 1999, S. 152–156.
  9. Elmar Seebold: Die Runeninschrift von Bergakker, in: Pforzen und Bergakker – Neue Untersuchungen zu Runeninschriften (= Historische Sprachforschung. Ergänzungsheft. 41). 1999, S. 157–162.
  10. Bengt Odenstedt: The Bergakker Inscription, Transliteration, Interpretation, Message: Some Suggestions, in: Pforzen und Bergakker – Neue Untersuchungen zu Runeninschriften (= Historische Sprachforschung. Ergänzungsheft. 41). 1999, S. 163–173.

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