Rudolf Stadelmann (Historiker)

Rudolf Stadelmann (* 23. April 1902 in Adelmannsfelden; † 17. August 1949 in Tübingen) war ein deutscher Historiker und Professor für Neuere Geschichte.

Leben

Rudolf Stadelmann wurde am 23. April 1902 im Pfarrhaus in Adelmannsfelden als erstes Kind des Pfarrers Paul Stadelmann (1872–1923)[1] und seiner Frau Clara († 1945) geboren. Seine Ehefrau war die Tochter des Pfarrers Leonhard Rau (1841–1919), seinerzeit erster Stadtpfarrer in Langenau von 1892 bis 1903, danach bis zur Pensionierung 1908 Pfarrer in Uhlbach.[2] Rudolfs Vater hatte das Pfarramt in Adelmannsfelden von 1901 bis 1912 inne.[3] Zuletzt war er Garnisonspfarrer in Ludwigsburg.

Stadelmann studierte Geschichte an den Universitäten Tübingen, Heidelberg, München und Berlin. Er war seit dem Wintersemester 1920/21 Mitglied der Studentenverbindung AV Igel Tübingen.[4][5] 1924 wurde er an der Universität Tübingen als Schüler von Gerhard Ritter mit der Dissertation Der historische Sinn bei Herder promoviert. Er absolvierte danach eine Lehrerausbildung und wirkte von 1926 bis 1928 als Lehrer in Kirchheim/Teck. Nach Auslandsaufenthalten, unter anderem als Lektor in Bologna, habilitierte er sich 1929 an der Universität Freiburg über den Geist des ausgehenden Mittelalters und wirkte dort anschließend als Privatdozent.[6] Unter dem Einfluss Martin Heideggers entwickelte er, gegen den Widerstand Ritters, eine zunehmende Nähe zum Nationalsozialismus und trat 1936 der Reiterstandarte der SA bei.[7]

1936 erhielt Stadelmann eine ordentliche Professur an der Universität Gießen, 1938 wechselte er nach Tübingen.[8] Stadelmann trat 1933 anfänglich mit Begeisterung für ein nationalsozialistisches Deutschland ein, jedoch kühlte sich sein Verhältnis zur NSDAP bald ab, so dass die Berufungen nach Gießen und Tübingen „manche Kämpfe mit den Parteistellen“ kosteten. Die Differenzen lagen aber weniger im politischen als im persönlichen Bereich.[9]

Im NS-Staat war Stadelmann öffentlich präsent, er agierte vor Militärs, der SA, der studentischen Jugend und französischen Gefangenen.[10] Er musste nicht zur Wehrmacht einrücken, sondern leistete „kriegswichtige Forschungsarbeiten“, beispielsweise bei der Auswertung der „Beuteakten“ des Quai d’Orsay.[11] Dort tat er Dienst in der „Aktenkommission“ die in den Archiven Urkunden zur deutschen Geschichte zusammenstellte und teilweise nach Deutschland „überführte“.[12]

Stadelmann ging es bei seinen Forschungen politisch um eine Stärkung des nationalen Selbstbewusstseins. Seine Darstellungen von Luther, Bismarck und Friedrich dem Großen sollten dies erreichen, Perioden der Schwäche blendete er aus.[13] Er setzte sich fast bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges engagiert für die Erhaltung der „Kampfmoral“ der Wehrmacht ein. Dennoch blieb er nach dem Krieg Ordinarius in Tübingen, über seine Entnazifizierung ist nichts bekannt. Nach 1945 wandelte er sich zum moderaten Konservativen.[10]

Manche Historiker stufen Stadelmann nicht als „Nationalsozialisten“, sondern als „Mitläufer“ ein. Jörg-Peter Jatho kommt zu dem Schluss, Stadelmann sei wegen seines ambivalenten Verhaltens mit den Kategorien „Nationalsozialist“ oder „Mitläufer“ nicht zu fassen.[14]

Grab auf dem Stadtfriedhof Tübingen

Schriften (Auswahl)

  • Der historische Sinn bei Herder. (Dissertation) Niemeyer, Halle 1928.
  • Vom Geist des ausgehenden Mittelalters. Niemeyer, Halle 1929.
  • als Hrsg. mit Gerhard Ritter: Otto von Bismarck, Erinnerung und Gedanke. Kritische Neuausgabe auf Grund des gesamten schriftlichen Nachlasses. Deutsche Verlagsgesellschaft, Berlin 1932.
  • Das Jahr 1865 und das Problem von Bismarcks deutscher Politik. Oldenbourg, München 1933.
  • Deutsche Geschichte vom Zeitalter der Reformation bis zum Tode Friedrichs des Großen (= Handbuch der deutschen Geschichte. Band 2). Athenaion, Potsdam 1936.
  • Vom Erbe der Neuzeit. Koehler und Amelang, Leipzig 1942.
  • Deutschland und Westeuropa. Drei Aufsätze. Steiner, Laupheim 1948.
  • Soziale und politische Geschichte der Revolution von 1848. Bruckmann, München 1948.
  • als Hrsg.: Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Neske, Pfullingen 1949.
  • Moltke und der Staat. Scherpe, Krefeld 1950.
  • Scharnhorst. Schicksal und geistige Welt. Ein Fragment. Mit einem Geleitwort von Hans Rothfels. Limes, Wiesbaden 1952.
  • Geschichte der englischen Revolution [Vorlesungen gehalten im Wintersemester 1945/46], Limes, Wiesbaden 1954.

Literatur

  • Hermann Heimpel: Rudolf Stadelmann und die deutsche Geschichtswissenschaft. In: Historische Zeitschrift. Band 172, 1951, Heft 2, S. 285–307.
  • Eduard Spranger: Rudolf Stadelmann zum Gedächtnis. Akademische Trauerfeier am 21. Januar 1950 im Festsaal der Universität Tübingen (= Tübinger Universitätsreden. Band 2). Mohr, Tübingen 1950.
  • Jörg-Peter Jatho, Gerd Simon: Gießener Historiker im Dritten Reich. Focus Verlag, Gießen 2008, ISBN 978-3-88349-522-4.[14]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Paul Stadelmann (GND 1146360975) * 16. März 1872 in Gablenberg; † 8. August 1923 in Ludwigsburg. Personalakte Landeskirchliches Archiv, Signatur A 27 Nr. 3158. Generalmagisterbuch von Christian Sigel („Das evangelische Württemberg“), Band 16,2: Spemann–Utz. Gebersheim 1931, Nr. 5,19.
  2. Leonhard Rau (GND 1127056042) * 25. August 1841 in Lauterburg; † 30. März 1919 in Ludwigsburg. Personalakte Landeskirchliches Archiv, Signatur A 27 Nr. 2539. Generalmagisterbuch von Christian Sigel („Das evangelische Württemberg“), Band 15,1: Raab–Rückert. Gebersheim 1931, Nr. 76,38.
  3. Theodor Rieger: Erinnerungen an meine Vikarzeit in Adelmannsfelden 1900–1902. Oberstenfeld 1960, S. 7 ff.
  4. Altenverein der Tübinger Verbindung Igel e.V. / Akademische Verbindung Igel, Tübingen: Mitgliederverzeichnis 1871–2011, Tübingen 2011, Nr. 515.
  5. Rudolf Stadelmann in der Deutschen Digitalen Bibliothek
  6. Hermann Heimpel: Rudolf Stadelmann und die deutsche Geschichtswissenschaft. In: Historische Zeitschrift. Band 172, 1951; Neuabdruck: Sabine Krüger (Hrsg.): Hermann Heimpel: Aspekte. Alte und neue Texte. Wallstein Verlag, Göttingen 1995, ISBN 3-89244-095-6, S. 202–223, hier: S. 204–205.
  7. Laurenz Müller: Diktatur und Revolution. Reformation und Bauernkrieg in der Geschichtsschreibung des „Dritten Reiches“ und der DDR. Lucius und Lucius, Stuttgart 2004, ISBN 3-8282-0289-6, S. 88 und 142.
  8. Peter Stadler: Historiker und Geschichtswissenschaft in Gießen. In: Dieter Hein, Klaus Hildebrand, Andreas Schulz (Hrsg.): Historie und Leben. Der Historiker als Wissenschaftler und Zeitgenosse. Festschrift für Lothar Gall zum 70. Geburtstag. Oldenbourg Verlag, München 2006, ISBN 3-486-58041-8, S. 103–114, hier. S. 108.
  9. Wolfram Fischer: Exodus von Wissenschaften aus Berlin (= Akademie der Wissenschaften Berlin, Forschungsbericht. Band 7). de Gruyter Verlag, Berlin 1994, ISBN 3-11-013945-6, S. 182.
  10. a b Ankündigung des Vortrags von Jörg-Peter Jatho: Rudolf Stadelmann und Kurt Borries, zwei Tübinger Historiker in der NS-Zeit (PDF; 42 kB).
  11. Uwe Dietrich Adam: Hochschule und Nationalsozialismus (= Contubernium. Beiträge zur Geschichte der Eberhard-Karls Universität Tübingen. Band 23) Steiner Verlag, Stuttgart 1977, ISBN 3-16-939602-1, S. 189.
  12. Frank-Rutger Hausmann: „Auch im Krieg schweigen die Musen nicht.“ Die Deutschen Wissenschaftlichen Institute im Zweiten Weltkrieg (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte. Band 169). Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2002, ISBN 3-525-35181-X, S. 116.
  13. Ursula Wolf: Litteris et patriae. Steiner Verlag, Stuttgart 1996, ISBN 3-515-06875-9, S. 199.
  14. a b Karel Hruza: Rezension zu: Jatho, Jörg-Peter; Simon, Gerd: Gießener Historiker im Dritten Reich. Gießen 2008. In: H-Soz-u-Kult, 28. Juli 2009, abgerufen am 15. Januar 2011.

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