Rudolf Gelbard

Rudolf Gelbard (2014)

Rudolf Gelbard (geboren am 4. Dezember 1930 in Wien, gestorben am 24. Oktober 2018 ebenda[1]) war ein österreichischer Antifaschist, Überlebender des Holocaust und Zeitzeuge.

Leben und Werk

Rudolf Gelbard wurde 1930 in Wien als Kind jüdischer Eltern geboren und wuchs in der Wiener Leopoldstadt auf.[2] Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 wurde er wegen seiner Abstammung aus seiner Schule ausgeschlossen, es folgten mehrere Schulwechsel.[3] Die Judenverfolgungen am 9. November 1938 im Zuge des Novemberpogroms erlebte er bewusst mit.[4] 1942 wurde er mit seinen Eltern in das KZ Theresienstadt deportiert. 19 Mitglieder seiner Familie wurden ermordet, er selbst überlebte als eines von etwa 2000 Kindern die Internierung in Theresienstadt.[4][5]

Seine Schulbildung holte Rudolf Gelbard im Privatunterricht, auf Volkshochschulen und als außerordentlicher Hörer am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien nach. Danach war er beruflich in der Firma seines Vaters tätig, von 1954 bis 1963 als Mitarbeiter im Bundesministerium für soziale Verwaltung. Anschließend arbeitete er als Kaufmann, bevor er 1975 Redakteur beim Kurier wurde.[3][4]

Nach seiner Befreiung 1945 trat Rudolf Gelbard stets entschieden gegen antisemitische und neonazistische Aktivitäten ein: Mit Gleichgesinnten vom KZ-Verband protestierte er 1946 gegen antisemitische Aktionen an der Universität Wien. Als 1948 ehemalige Ariseure den Verein „Schutzverband der Rückstellungsbetroffenen“ gründen wollten, störte Gelbard mit hunderten anderen Antifaschisten die Gründungsversammlung. 1955 verhinderten sie einen geplanten antisemitischen Vortrag von Fritz Stüber. Auch die Schlägereien bei der Demonstration, bei der 1965 Ernst Kirchweger getötet wurde, erlebte Gelbard mit.[6] Später störte und verunmöglichte er Vorträge des amerikanischen Revisionisten David L. Hoggan und des Holocaust-Leugners David Irving in Wien. Zuletzt ging er mit anderen Holocaust-Überlebenden gerichtlich gegen die rechte Zeitschrift Die Aula vor, nachdem darin die Überlebenden als „Massenmörder“ und „Landplage“ bezeichnet worden waren. Der Fall ging durch alle Instanzen, die Zeitschrift musste schließlich einen Widerruf veröffentlichen.[7]

Politisch fand Rudolf Gelbard bei den Sozialdemokraten (SPÖ) eine Heimat. Er besuchte die Akademie der Sozialistischen Jugend und später die Wiener Parteischule der SPÖ.[3] Als Mitglied der Sozialdemokratischen Freiheitskämpfer setzte sich Rudolf Gelbard für die Aufklärung über die NS-Verbrechen ein. Neben seiner Tätigkeit als Vortragender in Schulen, auf Symposien und in Lehrveranstaltungen war er auch als Kulturreferent der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien tätig.[8] Darüber hinaus gehörte er dem Vorstand des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes an, dem Beirat der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft und dem Beirat des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit.[9][10][11]

Für seine Verdienste und seine aufklärerische Vortragstätigkeit wurde er von der Republik Österreich mit dem Berufstitel Professor und weiteren Auszeichnungen, darunter die Joseph-Samuel-Bloch-Medaille, geehrt. Seit 2008 wird vom Republikanischen Club – Neues Österreich der „Rudolf Gelbard Preis für Aufklärung gegen Faschismus und Antisemitismus“ vergeben. Gelbard selbst war der erste Preisträger dieser Auszeichnung.

In der Spielzeit 2013/14 wirkte er bei der Zeitzeugenproduktion Die letzten Zeugen von Doron Rabinovici und Matthias Hartmann am Wiener Burgtheater mit; die Produktion bezog sich auf die Novemberpogrome 1938, erlangte hohe Wertschätzung seitens Publikum und Presse und wurde zum Berliner Theatertreffen 2014 nach Dresden, Hamburg und Frankfurt eingeladen.

Gelbard war seit 1990 verheiratet und hatte aus einer früheren Ehe eine Tochter, die 1972 im Alter von 17 Jahren verstorben ist.[3][12]

Rudolf Gelbard starb in der Nacht auf den 24. Oktober 2018, er wurde in einem Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof bestattet.[2]

Im 19. Wiener Gemeindebezirk Döbling liegt die im April 2022 nach Gelbard benannte Rudolf-Gelbard-Gasse.[13]

Zitat

„Überleben ist ein Privileg, das verpflichtet. Ich habe mich immer wieder gefragt, was ich für die tun kann, die nicht überlebt haben. Die Antwort, die ich für mich gefunden habe (und die keineswegs die Antwort jedes Überlebenden sein muss), lautet: Ich will ihr Sprachrohr sein, ich will die Erinnerung an sie wach halten, damit die Toten in dieser Erinnerung weiterleben können. Aber wir, die Überlebenden, sind nicht nur den Toten verpflichtet, sondern auch den kommenden Generationen: Wir müssen unsere Erfahrungen an sie weitergeben, damit sie daraus lernen können. Information ist Abwehr. Überlebende müssen wie Seismographen sein, sie müssen die Gefahr – früher als andere – wittern, in ihren Konturen erkennen und aufzeigen. Sie haben nicht das Recht, sich ein zweites Mal zu irren und für harmlos zu halten, was in einer Katastrophe münden kann.“

Simon Wiesenthal: Aus: Recht, nicht Rache, mehrfach zitiert von Rudolf Gelbard

Dokumentationen

Literatur

  • Walter Kohl: Die dunklen Seiten des Planeten: Rudi Gelbard, der Kämpfer. Buchverlag Franz Steinmaßl, Grünbach 2008, ISBN 978-3-902427-56-4.
  • Hans Raimund: "Philosemitismus?! – Es gibt Schlimmeres!" in: NEIGUNGEN. Zuneigungen Abneigungen Verneigungen, Löcker Verlag, Wien 2019.

Auszeichnungen

Commons: Rudolf Gelbard – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Holocaust-Überlebender Rudolf Gelbard gestorben. In: derstandard.at. 24. Oktober 2018, abgerufen am 24. Oktober 2018.
  2. a b Holocaust-Überlebender Rudolf Gelbard tot. In: orf.at. 24. Oktober 2018, abgerufen am 24. Oktober 2018.
  3. a b c d Porträt von Prof. Rudolf Gelbard. Verein Zur Erinnerung, 2018, abgerufen am 24. Oktober 2018.
  4. a b c Peter Temel: Holocaust-Überlebender Rudi Gelbard ist 87-jährig gestorben. In: kurier.at. 24. Oktober 2018, abgerufen am 24. Oktober 2018.
  5. Julie Gray: Numbers & Getting History Right. In: www.thetrueadventures.com. 19. Oktober 2022, abgerufen am 25. Oktober 2022 (englisch).
  6. Christa Zöchling: Rudolf Gelbard: Der letzte Kämpfer. In: Profil. Nr. 19/2018, 7. Mai 2018 (online auf profil.at).
  7. Alexia Weiss: „Marcel Prawy des Antifaschismus“. In: Wina. Februar 2018, abgerufen am 27. Oktober 2018.
  8. a b Werner Faymann ehrt Rudolf Gelbard, Presseaussendung des Bundeskanzleramts vom 25. Februar 2011.
  9. Rudolf Gelbard (1930–2018). In: doew.at. Oktober 2018, abgerufen am 27. Oktober 2018.
  10. Rudi Gelbard. Österreichisch-Israelische Gesellschaft, 24. Oktober 2018, abgerufen am 24. Februar 2019.
  11. Auch in Kirchen Trauer um Shoah-Überlebenden Gelbard. In: kathpress.at. 24. Oktober 2018, archiviert vom Original am 28. Oktober 2018; abgerufen am 27. Oktober 2018.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.kathpress.at
  12. Rechercheplattform: Transkriptionen und Übersetzungen > Rudolf Gelbard. Freie Universität Berlin, 2017, abgerufen am 27. Oktober 2018.
  13. Rudolf-Gelbard-Gasse im Wien Geschichte Wiki der Stadt Wien
  14. „Der Mann auf dem Balkon“. In: IKG (Hrsg.): Die Gemeinde. März 2008, S. 21 (Online [PDF; 8,2 MB; abgerufen am 19. September 2021]).
  15. Ehrenzeichen für ehemalige Widerstandskämpfer. In: Rathauskorrespondenz der Stadt Wien. 21. September 2005, abgerufen am 24. Oktober 2018.
  16. Rede von Nationalratspräsidentin Doris Bures anlässlich der Verleihung der Victor-Adler-Plakette an Rudolf Gelbard im Parlament. 15. Februar 2016, abgerufen am 24. Oktober 2018.
  17. Faymann/Bures: Rudolf Gelbard ist antifaschistisches Vorbild in Österreich. 15. Februar 2016, abgerufen am 18. Oktober 2018.
  18. SOS Mitmensch: Holocaust-Überlebende erhalten Ute-Bock-Preis für Zivilcourage. In: OTS.at. (ots.at [abgerufen am 27. Februar 2018]).

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Autor/Urheber: Christian Michelides, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Rudolf Gelbard at the Burgtheater, Vienna 2014