Robert Döpel

Robert Döpel, Stuttgart 1935

Robert Döpel (* 3. Dezember 1895 in Neustadt an der Orla; † 2. Dezember 1982 in Ilmenau) war ein deutscher Physiker und hatte Professuren in Leipzig (Strahlungsphysik, 1938–1945), Woronesch (Experimentalphysik, 1952–1957) und Ilmenau (Angewandte Physik, 1957–1962). Besonders bekannt wurde er durch die gemeinsam mit dem Theoretiker und Nobelpreisträger Werner Heisenberg im Zweiten Weltkrieg betriebene Kernenergieforschung. Perspektivische Bedeutung hat sein Modell der globalen Erwärmung infolge industrieller Energieerzeugung sowie der dabei auftretenden Wachstumsgrenzen.

Leben und Wirken

Die Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg

Als Sohn des Gerbermeisters und Fabrikanten Gustav Robert Döpel und dessen Frau Karoline Therese, geb. Peterlein, kam (Georg) Robert Döpel 1895 in der Kleinstadt Neustadt an der Orla zur Welt[1]. Nach dem Abitur in Weißenfels nahm er am Ersten Weltkrieg teil und wurde 1918 schwer verwundet. Ab 1919 studierte er Physik und auch Mathematik, Chemie sowie Philosophie in Leipzig, Jena (1920/21) und München, wo er 1924 bei Wilhelm Wien (Physik-Nobelpreis 1911) mit einer Arbeit über Kanalstrahlen promovierte.

1924/25 war Döpel Assistent bei Robert Wichert Pohl in Göttingen. Danach arbeitete er in einem Privatlabor in Planegg und setzte auch seine Philosophiestudien in München fort. 1929 wechselte er nach Würzburg, wo er sich 1932 mit einer atomphysikalischen Arbeit habilitierte. 1934 heiratete er die Juristin Klara Mannß[2], die ihre Münchner Anwaltspraxis nach der Machtergreifung 1933 aufgeben musste und sich nunmehr in Würzburg physikalischen Studien widmete. Sie nahm dann an der Arbeit ihres Mannes teil, und 1937 erschien die erste von 11 gemeinsamen Publikationen[3]. Döpel war in der NSV.[4][5]

In Leipzig

1938 folgte Döpel einem Ruf als Außerordentlicher Professor für Strahlungsphysik nach Leipzig. Seine Frau zog mit dorthin und arbeitete unentgeltlich als seine technische Assistentin im Physik-Institut, wo sie im Dachgeschoss wohnten. Zusammen mit und auf der Grundlage theoretischer Ansätze von Werner Heisenberg,[6] der das Institut für Theoretische Physik leitete, erzielten sie in ihrer Uran-Schwerwasser-Anordnung („Uranmaschine“) im Frühjahr 1942 erstmals eine Netto-Neutronenvermehrung.[7] In den USA gelang das Gleiche Ende Juli Enrico Fermi, der eine „einmalige Doppelbegabung für theoretische und experimentelle Arbeiten“ besaß[8] und mit seinem Kernreaktor-Team das Leipziger Gespann aus theoretischem und Experimental-Physiker bald überholte.

Im Leipziger Physikalischen Institut war der Versuchsreaktor Ende Juni im Zusammenhang mit einer heftigen Verpuffung, der ein längerer Brand folgte, unbrauchbar geworden.[9][10] Dies war der erste[11] in einer langen Reihe von Unfällen in kerntechnischen Anlagen, die mit der Entwicklung von Wasserstoff bei unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen verbunden waren.[12] – Werner Heisenberg übernahm bald darauf die Leitung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik in Berlin. Entgegen seinen Wünschen und ursprünglichen Planungen[13] mochten ihm die Döpels nicht dorthin folgen,[14] und sie zogen sich aus dem Uranprojekt zurück.

Im April 1945 wurde Döpels Frau Klara wenige Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner bei einem Bombenangriff auf Leipzig im Physik-Institut verschüttet. Mit Unterstützung russischer Hilfskräfte konnte sie ihr Mann nach der Rückkehr von einem Besuch bei seinen Eltern nur noch tot bergen. Einer Mitnahme im Spezialistentransport durch die im Juni abziehenden amerikanische Armee wusste sich Robert Döpel zu entziehen.[15][16] Im Juli 1945 wurde er von den Sowjets mit einem ebensolchen Transport in die Nähe von Moskau gebracht.

Ab 1945: In der Sowjetunion und in Ilmenau

Er sollte zunächst in einem Forschungsinstitut am sowjetischen Atomwaffenprojekt mitwirken, war jedoch durch den Tod seiner Frau offenbar seelisch so destabilisiert, dass er kaum zum Arbeiten kam[17]. Wahrscheinlich[15] ist er schon 1948 aus den Waffenprojekten ausgeschieden. Er arbeitete dann in einer mechanischen Fabrik und bekam 1952 eine reguläre Experimentalphysik-Professur an der Universität Woronesch. 1954 heiratete er die Ukrainerin Sinaida Fedorowna Trunowna, deren Mann im Zweiten Weltkrieg gefallen war. Zusammen gingen sie 1957 nach Ilmenau, wo Döpel an der damaligen Hochschule für Elektrotechnik (heute TU Ilmenau) eine Professur antrat und 1958 ein eigenes Institut für Angewandte Physik erhielt.

Versprechungen zu kernenergietechnischen Lehr- und Forschungsmöglichkeiten wurden hier, wie bereits in Woronesch, nicht eingehalten[14]. So wandte er sich wieder der Gasentladungsphysik zu, die er schon früher – vor und neben der Kernphysik[18] – erfolgreich bearbeitet hatte[19]. Auch nach seiner 1962 vollzogenen Emeritierung setzte er diese Arbeiten mit einer selbst bezahlten Laborantin und der Betreuung mehrerer Doktoranden fort[14].

Zudem wandte er sich mit Modellrechnungen zur globalen Erwärmung durch die anthropogene Abwärme und den dadurch bedingten Wachstumsgrenzen der Energieerzeugung[20] bereits 1973 drängenden Menschheitsfragen zu. Dies geschah nahezu zeitgleich mit dem Club of Rome, wobei der 1. und der 2. Bericht zu den Grenzen des Wachstums von 1972 und 1974 eine perspektivische Beeinflussung des Klimas sowohl durch die industrielle Energieerzeugung als auch durch den anthropogenen Treibhauseffekt konstatieren. Letzterer dominiert die aktuelle Diskussion, die sich überwiegend auf Zeiten bis zum Jahr 2100 erstreckt,[21] während sich die anthropogene Abwärme erst in den kommenden Jahrhunderten auswirken kann.

Döpels Arbeit über die globale Erwärmung in kommenden Jahrhunderten stellt nicht nur ein weiteres frühes Beispiel für eine naturwissenschaftlich fundierte Wachstumskritik und für das Verdrängen solcher Aufforderungen dar. Sie verdient auch die Berücksichtigung bei Diskussionen über Nachhaltigkeit für viele Generationen sowie über die Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes erneuerbarer Energien.[22] Seine „nulldimensionalen“ Modellrechnungen wurden inzwischen im Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung mit mehrdimensionalen Modellen bestätigt[23][24].

Robert Döpel verstarb 1982 am Vortage seines 87. Geburtstags in Ilmenau[25]. Bis zuletzt hatte er mit befreundeten Kollegen über wissenschaftliche Fragen korrespondiert und sich noch im August dieses Jahres für eine richtigstellende Publikation zu seinen Kernenergie-Forschungen bedankt[26]. Während er Einladungen zu Vorträgen nach Westdeutschland bis zur Emeritierung 1962 nicht folgen durfte und später wegen seiner Sehprobleme nicht mehr reisen konnte, besuchten ihn von dort die früheren Kollegen Werner Heisenberg und Wilhelm Hanle in Ilmenau. Dem Entdecker des „Hanle-Effektes“ verlieh die mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät der TH Ilmenau 1990 unter Würdigung seiner Forschungen und im Hinblick auf die jahrzehntelange kollegialen Freundschaft mit Robert Döpel einen Ehrendoktor-Titel. Dessen 100. Geburtstag wurde mit Gedenkveranstaltungen in Leipzig sowie – ebenfalls unter Mitwirkung von Autoren des ihm gewidmeten Sammelbandes[27] – in Ilmenau gewürdigt.

Veröffentlichungen

Etwa 60 Originalarbeiten und Vorträge (überwiegend von Robert Döpel allein oder gemeinsam mit seiner Frau Klara) sowie zahlreiche Berichte und Würdigungen sind in einer umfangreichen Bibliografie[3] erfasst.

Bücher

  • Elektromagnetische Analyse von Kanalstrahlen. J.A. Barth, Leipzig 1925
  • Kanalstrahlröhren als Ionenquellen. Akademie-Verlag Berlin 1958

Literatur

  • Lothar Hiersemann (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte von Technik und technischer Bildung. Folge 13, Verl. d. Hochsch. f. Technik, Wirtsch. u. Kultur (FH), Leipzig 1995, ISSN 0943-0911. Erschien zum 100. Geburtstag von Robert Döpel, dem der gesamte Band mit 8 Artikeln von 6 Autoren gewidmet ist. Ein Teil dieser Beiträge wird bei den Einzelnachweisen aufgeführt. Vor allem der einführende Beitrag[1] ist für den Abschnitt 1 grundlegend.
  • Heinrich Arnold: Robert Döpel und sein Modell der globalen Erwärmung. Eine frühe Warnung – und die Aktualisierung. Universitätsverlag Ilmenau 2009, ISBN 978-3-939473-50-3. 2. Aufl.: (2010). 4th Edition: Robert Döpel and his Model of Global Warming. Universitätsverlag Ilmenau 2013, ISBN 978-3-86360-063-1 (Print). Online.
  • Reinhard Steffler: Der erste Feuerwehreinsatz an einer Uranmaschine. Ein Recherchebericht mit ersten Ergebnissen. Elbe-Dnjepr-Verlag, Leipzig-Mockrehna 2010, ISBN 978-3-940541-23-9.
  • Heinrich Arnold: Global Warming by Anthropogenic Heat, a Main Problem of Fusion Techniques. [1] 13. Juli 2016 (Digitale Bibliothek Thueringen).
  • Wilhelm Hanle: Memoiren. I. Physikalisches Institut, Justus-Liebig-Universität, 1989.
  • Reinhard Steffler: Reaktorunfälle und die Handlungen der Feuerwehr: Leipzig, Tschernobyl und Fukushima – eine erste Analyse. Elbe-Dnjepr-Verlag, Leipzig-Mockrehna 2011. ISBN 3-940541-33-8.
  • Heinrich Arnold: Zu einem autobiographischen Brief von Robert Döpel an Fritz Straßmann. Online.
  • Kurzbiografie zu: Döpel, Robert. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 1. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
  • Wilhelm Hanle: Langjährige Freundschaft mit Robert Döpel. In: Christian Kleint, Gerald Wiemers (Hrsg.): Werner Heisenberg in Leipzig 1927-1942. In: Abhandlungen d. Sächs. Akad. d. Wissenschaften zu Leipzig. 58 (1993 H. 2) S. 74–81.
  • Wilhelm Hanle: Robert Döpel 75 Jahre. In: Physikalische Blätter. Bd. 26 (1970), S. 573.
  • Wilhelm Hanle: Nachruf auf Robert Döpel. In: Physikalische Blätter. Bd. 39 (1983), S. 104.

Weblinks

Commons: Robert Döpel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen und Einzelnachweise

  1. a b Christian Kleint: Leben und Wirken von Robert Döpel. In: Hiersemann 1995, S. 3–12.
  2. Käthe Mitzenheim, Erinnerungen an Klara-Renate Döpel. In: Chr. Kleint und G. Wiemers (Hrsg.), Werner Heisenberg in Leipzig 1927-1942. Wiley-VCH Weinheim 1993, ISBN 3-05-501585-1 sowie: Abhandlungen d. Sächs. Akad. d. Wissenschaften zu Leipzig 58 (1993 H. 2) S. 82–84.
  3. a b Christian Kleint: Bibliographie der Wissenschaftlichen Arbeiten von Robert Döpel. In: Hiersemann 1995, S. 154–165.
  4. Harry Waibel: Diener vieler Herren. Ehemalige NS-Funktionäre in der SBZ/DDR. Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 2011, ISBN 978-3-631-63542-1, S. 70–71.
  5. Eine Tätigkeit als NS-Funktionär oder Parteimitglied, wie in Waibels irreführendem Titel behauptet, gab es nicht, wohl aber finanzielle Förderbeiträge für die SS. Siehe auch die biographischen Literaturangaben.
  6. Christian Kleint und Gerald Wiemers (Hrsg.): Werner Heisenberg im Spiegel seiner Leipziger Schüler und Kollegen. Leipziger Universitätsverlag 2006, ISBN 3-86583-079-X
  7. Robert u. Klara Döpel, Werner Heisenberg: Der experimentelle Nachweis der effektiven Neutronenvermehrung in einem Kugel-Schichten-System aus D2O und Uran-Metall. Forschungsbericht 1942. Mit dem Jahr 1946 der Freigabe durch die Alliierten versehen in: Werner Heisenberg: Gesammelte Werke Bd. A II (Hrsg. W. Blum u. a.). Springer-Verl., Berlin 1989, S. 536–544.
  8. Wilhelm Hanle und Helmut Rechenberg: 1982: Jubiläumsjahr der Kernspaltungsforschung. In: Physikalische Blätter. Bd. 38 (1982), S. 365–367.
  9. Robert Döpel: Bericht über zwei Unfälle beim Umgang mit Uranmetall. (II. Entzündung von Uran beim Öffnen eines Uranbehälters.) In: Christian Kleint und Gerald Wiemers (Hrsg.), Werner Heisenberg in Leipzig 1927-1942, Abhandlungen d. Sächs. Akad. d. Wissenschaften zu Leipzig 58 (1993 H. 2); auch als Taschenbuch, Weinheim 1993, S. 62–67, sowie online: Unfallbericht 1942 (Faksimile, ab Dok. 2 von 10).
  10. Steffler 2010.
  11. Reimar Paul: Erster Atomstörfall der Geschichte. In: taz online, 8. Juni 2012. Abgerufen am 8. Juni 2012.
  12. Steffler 2011.
  13. Werner Heisenberg, Plan der Übersiedlung an das KWI für Physik. (1942), In: Hiersemann 1995 S. 152f. (2. Beilage).
  14. a b c Arnold 2009–2013
  15. a b Manfred Hötzel: Robert Döpel und die Politik. In: Hiersemann 1995, S. 74–101.
  16. Laut Tagebuchnotiz seines theoretisch-physikalischen Kollegen Friedrich Hund, der sich selbst ebenfalls versteckte, wurde er vergeblich von der Polizei gesucht (siehe S. 2 im Faksimile aus Abschn. 8 des Artikels "F. Hund"). Vgl. Tagebuch-Kommentar Nr. 111.
  17. Andreas Heinemann-Grüder: Die sowjetische Atombombe. Verlag Das Westfälische Dampfboot, Münster 1992.
  18. Dieter Lehmann: Döpels Arbeiten zur Atom- und Kernphysik. In: Hiersemann 1995, S. 33–64.
  19. Ehrhard Hantzsche: Robert Döpels Arbeiten zur Gasentladungsphysik. In: Hiersemann 1995, S. 64–73.
  20. Robert Döpel: Über die geophysikalische Schranke der industriellen Energieerzeugung. Wissenschaftl. Zeitschrift der TH Ilmenau, ISSN 0043-6917, Bd. 19 (1973, H. 2), S. 37–52, (dbt)
  21. Donella Meadows u. a.: Die Grenzen des Wachstums. Das 30-Jahre-Update: Signal zum Kurswechsel. Hirzel-Verlag, Stuttgart 2006, ISBN 3-7776-1384-3.
  22. Siehe unter Literatur: Arnold 2009–2011; dazu als Kurzfassung: Global Warming by Anthropogenic Heat Release
  23. Peter Steiglechner, Maria Martin, Georg Feulner (PIK): A_Direct_Climate_Forcing Estimating global warming from anthropogenic heat emissions.” Poster zum Vortrag bei der Generalversammlung der European Geosciences Union (EGU) 2019, Geophysical Research Abstracts, Vol. 21, EGU2019-502, 2019.
  24. Estimating global warming from anthropogenic heat emissions. Universität Potsdam, 2018, doi:10.25932/publishup-49886.
  25. Hanle 1983
  26. Christian Kleint: Briefe Robert Döpels zwischen 1945 und 1982. In: Hiersemann 1995, S. 102–153.
  27. Hiersemann 1995

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Robert Döpel, 1935 in Stuttgart anläßlich einer Physiker Tagung.