Rhön-Segelflugwettbewerb
Der Rhön-Segelflugwettbewerb war von 1920 bis 1939 eine jährliche Luftsportveranstaltung auf der Wasserkuppe in der Rhön. Im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe wurde von den teilnehmenden Flugzeugkonstrukteuren, -bauern und -piloten der Gleitflug zum modernen Segelflug weiterentwickelt.[1]
Ausschreibung und Durchführung
Der initiative Aufruf zum ersten Wettbewerb vom 15. Juli bis 31. Aug 1920 erfolgte am 24. März 1920 in der Ausgabe No. 6/7 der Zeitschrift Flugsport durch den Flugtechnischen Verein Dresden, der 1920 den Verband Deutscher Modell- und Gleitflugvereine leitete. Als Veranstaltungsziele wurden die „einwandfreie, fachmännische und vergleichsfähige Wertung von Gleitflugleistungen“, die „rationelle Ausübung des Gleitflugsportes und Gleitflugstudiums“ und „die Lösung des Segelflugproblems“ benannt. Die organisatorische „Oberleitung des Rhön-Segelfluges“ hatte bei den ersten Veranstaltungen Oskar Ursinus inne.[2]
Unterstützt wurde die Initiative vom Reichsamt für Luft- und Kraftfahrwesen, das auch eine Basisfinanzierung von 10.000 Mark zur Verfügung stellte. Weitere Spenden von Firmen, Vereinen und Privatpersonen (z. B. Karl Kotzenberg) deckten die Kosten für die Organisation und die ausgeschriebenen Preise.
Ausgeschrieben waren 1920 Preise für die größte erreichte Flugstrecke und die längste Flugdauer. Die Heranziehung des Gleitwinkels bzw. der kleinsten Sinkgeschwindigkeit sollte „als Wertmesser angestrebt werden“. Ein geeignetes Bewertungsmaß beim Segelflug, die erreichte Flughöhe über dem Abflugsort, war 1920 nicht einwandfrei messbar. Daher diente als Maß die Zeitdauer des Seglers sich ohne Höhenverlust in der Luft zu halten.[3]
In den Folgeveranstaltungen wurden die ausgeschriebenen Preise weiter differenziert. Sie umfassten z. B. „die größte Flugdauer“ auf einem Flug, die größte Gesamtflugdauer bei verschiedenen Flügen, die „kleinste mittlere Fallgeschwindigkeit“, die größte Flugstrecke und Preise zur Verfügung des Preisgerichts.[4] Einen besonderen Anreiz bot 1922 die Luftfahrtindustrie mit einem hohen Preisgeld von 100.000 Mark für einen 40-minütigen Segelflug mit Rückkehr zum Startplatz und anschließendem 5 km Streckenflug in gerader Richtung.[1][5]
Im August 1924 wurde auf Initiative von Oskar Ursinus und Karl Kotzenberg der Flugverein Rhön-Rossitten-Gesellschaft gegründet, der sich als Bindeglied zwischen Flugsport und flugwissenschaftlicher Forschung und Entwicklung verstand und unter anderem von 1925 bis 1933 die Rhönwettbewerbe veranstaltete. Ab 1934 übernahm der Deutsche Luftsport-Verband den Wettbewerb[6] und ab 1938 das Nationalsozialistische Fliegerkorps.[7]
Nach dem 20. Rhön-Wettbewerb 1939 kam es wegen des Zweiten Weltkriegs zum Ende der Rhön-Wettbewerbe. Nach dem Krieg war der Segelflug zwar wieder ab 1951 erlaubt, aber das Gelände in der Rhön war wegen der Nähe zur innerdeutschen Grenze für den Segelflug nicht mehr optimal geeignet. Hinzu kam der technische Fortschritt beim Start, der mit Winde oder Schleppflugzeug überall möglich war. Die Deutschen Segelflugmeisterschaften als Nachfolgetreffen der Rhön-Wettbewerbe waren nicht mehr ortsgebunden.[8]
Erzielte Flugleistungen bei den Rhön-Wettbewerben
Jahr | Beschreibung | Leistung | Flugzeug | Entwurf | Pilot | Eigentümer | Anmerkungen |
---|---|---|---|---|---|---|---|
1920 | größte erreichte Flugstrecke | 1,83 km | FVA-1 | Kármán, Klemperer | Klemperer | FVA | Einführung des Gummiseilstarts[9] |
1920 | längste Flugdauer | 0:02:22 h | FVA-1 | Kármán, Klemperer | Klemperer | FVA | |
1920 | größte erreichte Flugstrecke (Gleiter gewichtskraftgesteuert) | 500 m | Pelzner Zweidecker | Pelzner | Pelzner | Fliegervorschule Nürnberg | |
1921 | größte Gesamtflugdauer | Pelzner Zweidecker | Pelzner | Pelzner | Pelzner | ||
1921 | längste Flugdauer (am 30. August 1921, nach Ende des Wettbewerbs) | 0:13:03 h | FVA-2 | Klemperer | Klemperer | FVA | |
1921 | größte erreichte Flugstrecke (am 30. August 1921, nach Ende des Wettbewerbs) | 5,0 km | FVA-2 | Klemperer | Klemperer | FVA | |
1921 | längste Flugdauer (am 5. September 1921, nach Ende des Wettbewerbs) | 0:15:40 h | Vampyr | Madelung | Martens | Akaflieg Hannover | Segelflug Dauer-Weltrekord |
1921 | größte erreichte Flugstrecke (am 5. September 1921, nach Ende des Wettbewerbs) | 7,5 km | Vampyr | Madelung | Martens | Akaflieg Hannover | Segelflug Strecken-Weltrekord |
1922 | Industriepreis (Segelflug am Startplatz mit anschließendem Streckenflug) | 9,0 km, 1:06:00 h | Vampyr | Madelung | Martens | Akaflieg Hannover | |
1922 | Dauerflug | 3:06:00 h | Vampyr | Madelung | Hentzen | Akaflieg Hannover | |
1922 | Höhenflug | 350 m | Vampyr | Madelung | Hentzen | Akaflieg Hannover | |
1923 | Höhenflug | 310 m | S 14 | Messerschmitt | Hackmack | ||
1924 | Streckenflug | 12 km | D-9 Konsul | Botsch, Spies | Fuchs | Akaflieg Darmstadt | |
1925 | Fernsegelflugpreis | 21,0 km | D-9 Konsul | Botsch, Spies | Nehring | Akaflieg Darmstadt | |
1926 | Fernsegelflugpreis | 55,2 km | Kegel Eigenbau | Kegel | Kegel | Kegel | Gewitterflug |
1927 | Fernsegelflugpreis[10] | 51,8 km | D-17 Darmstadt | Völker | Nehring | Akaflieg Darmstadt | |
1928 | Dauerflug[11] | 7:54:00 h | Rhöngeist | Lippisch | Kronfeld | ||
1928 | Fernsegelflugpreis[12] | 71,2 km | D-17 Darmstadt | Völker | Nehring | Akaflieg Darmstadt | |
1928 | Höhenrekordprämie[13] | 775 m | Albert | E. Dittmar | |||
1929 | Fernsegelflugpreis[14] | 150 km | Wien | Lippisch | Kronfeld | ||
1929 | Fernzielflugpreis[14] | 10,1 km | Lore | Laubenthal | Hirth | Hirth | |
1930 | Fernsegelflugpreis[15] | 161 km | Wien | Lippisch | Kronfeld | ||
1930 | Fernzielflugpreis[15] | 14,5 km | Wien | Lippisch | Kronfeld | ||
1931 | 1. Fernsegelflugpreis[16] | 220 km | Fafnir | Lippisch | Groenhoff | ||
1931 | 2. Fernsegelflugpreis[16] | 192 km | Musterle | Laubenthal | Hirth | ||
1932 | Fernsegelflugpreis[17] | 155 km | Musterle | Laubenthal | Hirth | ||
1932 | Höhenforschungspreis[17] | 2185 m | Pommernland | Testaflieg e.V. | Mayer | Testaflieg e.V. | |
1933 | 1. Fernsegelflugpreis[18] | 176 km | Moazagotl | Hirth | Hirth | Segelflugschule Hornberg | |
1933 | 2. Fernsegelflugpreis[18] | 164 km | Fafnir | Lippisch | Riedel | ||
1933 | Fernzielflug[18] | Condor | H. Dittmar | Dittmar | Dittmar | ||
1934 | Fernsegelflugpreis[19] | über 300 km | Sao Paulo | Dittmar | Dittmar | ||
1934 | Fernsegelflugpreis[19] | über 300 km | Moazagotl | Hirth | Hirth | Segelflugschule Hornberg | |
1935 | Größte Punktzahl, weitester Flug[20] | 502 km | Rhönadler | Jacobs | Oeltzschner | Luftsport-Landesgruppe Dresden | |
1936 | Größte Punktzahl, weitester Flug[21] | 252 km | Atalante | Scheibe | Schmidt | Schmidt | |
1937 | Größte Punktzahl[22] | 5954,5 Pkt. | Mü 10 | Scheibe | Karch/Zimmermann | DVL | |
1938 | Größte Punktzahl[23] | 3855,9 Pkt. | Reiher I | Jacobs | Späte | DFS | |
1939 | Größte Punktzahl[24] | 2550 Pkt. | Reiher III | Jacobs | Kraft | DFS |
Unfälle
- 9. August 1920: An Eugen v. Loessls Maschine bricht im Flug die linke Höhensteuerfläche. Eugen v. Loessl verliert die Gewalt über sein Flugzeug und kommt beim Absturz ums Leben.[25]
- 14. August 1921: An Willy Leuschs Nurflügler „Weltensegler“ geraten im Kurvenflug die Außenflügel ins Flattern. Die Maschine stürzt in einer Spirale zu Boden und Willy Leusch kommt ums Leben.
- 30. August 1923: An Max Standfuß Erfurter Eindecker bricht durch eine „scharfe Böe“ der Flügel, die Maschine stürzt „aus ungefähr 30 m Höhe“ ab. Max Standfuß wird verletzt geborgen und erliegt seinen Verletzungen im Krankenhaus.[26]
- 23. Juli 1932: Günther Groenhoff stürzt während des 13. Rhönwettbewerbes unterhalb des Pferdskopfs mit dem Fafnir ab und kommt ums Leben.
- 1. August 1935: Rudolf Oeltzschner verunglückt mit seinem Condor im Schlepp einer Motormaschine tödlich. Er ist auf dem Rückflug von seinem Langstrecken-Weltrekord über 504 km, den er am 31. Juli 1935 während des 16. Rhönwettbewerbs aufstellte.
Literatur
- Georg Brütting: Geschichte der Segelflugbewegung. In: Wolf Hirth (Hrsg.): Handbuch des Segelfliegens. 7. Auflage. Franckh’sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1957.
- Frank-Dieter Lemke, Rolf Jacob: Forschen – Bauen – Fliegen. Die Akademischen Fliegergruppen (Akaflieg) in Deutschland bis 1945. Teil 1. In: Flieger Revue extra. Nr. 29. möller Buch und Zeitschriften Verlag GmbH, 2010, ISSN 2195-1233, S. 18–31.
- Peter Riedel: Über sonnige Weiten. Erlebte Rhöngeschichte 1933–1939. Motorbuch, Stuttgart 1985, ISBN 3-613-01047-X.
- Peter Riedel: Vom Hangwind zur Thermik. Erlebte Rhöngeschichte 1927–1932. Motorbuch, Stuttgart 1984, ISBN 3-87943-981-8.
- Peter Riedel: Start in den Wind. Erlebte Rhöngeschichte 1911–1926. Motorbuch, Stuttgart 1977, ISBN 3-87943-539-1.
- Flugsport – illustrierte flugtechnische Zeitschrift für das gesamte Flug-Wesen die Jahrgänge 1909–1944 in digitaler Form. In: Carl Oskar Ursinus (Hrsg.): Flugsport. Verlag für Flugsport, Frankfurt am Main 1909 (Flugsport in der luftfahrt-bibliothek.de [abgerufen am 28. Dezember 2023]).
- Gerhard Wissmann: Abenteuer in Wind und Wolken. Die Geschichte des Segelfluges. Transpress, Berlin 1988, ISBN 3-344-00275-9.
Weblinks
- Deutsches Segelflugmuseum mit Modellflug. Stiftung Deutsches Segelflugmuseum mit Modellflug, 2020, abgerufen am 5. März 2020.
Einzelnachweise
- ↑ a b Geschichte der Segelflugbewegung, S. 12.
- ↑ Flugsport 1920 No. 6/7, 24. März 1920, S. 153, 154.
- ↑ Flugsport 1920 No. 9, 28. April 1920, S. 200.
- ↑ Flugsport 1921 No. 3, 2. Februar 1921, S. 55–57.
- ↑ Flugsport 1922 No. 4, 22. Februar 1922, S. 70.
- ↑ Flugsport 1934 No. 7, 4. April 1934, S. 141.
- ↑ Flugsport 1938 No. 7, 30. März 1938, S. 155.
- ↑ Ludwig Bölkow (Hrsg.): Ein Jahrhundert Flugzeuge: Geschichte und Technik des Fliegens. Springer-Verlag, Berlin 2013, ISBN 978-3-642-95775-8, S. 474–483.
- ↑ Hans Christoph Graf von Seherr-Thoß: Klemperer, Wolfgang. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 12, Duncker & Humblot, Berlin 1980, ISBN 3-428-00193-1, S. 36 f. (Digitalisat).
- ↑ Flugsport 1927 No. 17, 17. August 1927, S. 337.
- ↑ Flugsport 1928 No. 18, 29. August 1928, S. 346.
- ↑ Flugsport 1928 No. 18, 29. August 1928, S. 347.
- ↑ Flugsport 1928 No. 17, 15. August 1928, S. 306.
- ↑ a b Flugsport 1929 No. 16, 7. August 1929, S. 313.
- ↑ a b Flugsport 1930 No. 18, 3. September 1930, S. 304.
- ↑ a b Flugsport 1931 No. 17, 19. August 1931, S. 288.
- ↑ a b Flugsport 1932 No. 17, 17. August 1932, S. 320.
- ↑ a b c Flugsport 1933 No. 18, 30. August 1933, S. 390.
- ↑ a b Flugsport 1934 No. 17, 22. August 1934, S. 380.
- ↑ Flugsport 1935 No. 16, 7. August 1935, S. 351.
- ↑ Flugsport 1936 No. 18, 2. September 1936, S. 427.
- ↑ Flugsport 1937 No. 17, 18. August 1937, S. 459.
- ↑ Flugsport 1938 No. 17, 17. August 1938, S. 445.
- ↑ Flugsport 1939 No. 17, 16. August 1939, S. 427.
- ↑ Flugsport 1920 No. 16/17, 11. August 1920, S. 366.
- ↑ Flugsport 1923 No. 14, 12. September 1923, S. 132.
Auf dieser Seite verwendete Medien
Das Segelflugzeug FVA-2 Blaue Maus 1921 in der Rhön
Willi Pelzner, ready for launch with his hang glider (c.1920). Wasserkuppe/Rhoen, Germany, probably during the first Rhön meeting mid-July to end of August 1920. Cf Simons Sailplanes 1920-45 pp.7-10.