Retrogaming

Retrogaming auf einer Messe (Haus der ComputerspieleGamescom 2010)
Retrogaming auf der Langen Nacht der Computerspiele der HTWK in Leipzig (2012)
„Space-Invaders“-Alien, aus dem Straßenprojekt Space Invaders (2007, Paris)
Akihabara – Super Potato Retro Game Shop, in Tokyo, Japan

Als Retrogaming wird das Spielen und Sammeln älterer Computer- und Videospiele bezeichnet. Oft wird die Zeit des Umbruchs zur überwiegenden Veröffentlichung von 3D-Spielen zur Mitte der 1990er Jahre als Grenze gesehen, die durch leistungsfähigere Grafikchips in PCs und Spielkonsolen, insbesondere der PlayStation, eingeläutet wurde. Dem Prinzip Retro folgend, verschiebt sich jedoch diese Grenze, häufig werden bereits Spiele bis zum Ende der 1990er Jahre als „retro“ angesehen. Sie sind Teil des Retrocomputings.

Ferner hat sich der Begriff auch als Genrebezeichnung etabliert und bezeichnet als solche Computerspiele bis zum Ende der 8-Bit-Ära (ca. 1970 bis ca. 1985), wie etwa Pong oder Frogger, die sich nicht eindeutig in eines der heute üblichen Genres einordnen lassen und daher eben nur als „Retro“ eingestuft werden.

Die Beschäftigung von Individuen oder Gruppen mit klassischen Video- und Computerspielen ist ein von der normalen Mainstream-Spielekultur differenzierbares Phänomen.

Geschichte

Der Trend des Retrogaming, der sich auf alte Spiele und deren Plattformen wie Spielkonsolen und PCs konzentriert, entstand zum Ende der 1990er-Jahre und erfreut sich seitdem immer größerer Beliebtheit. Es handelt sich hierbei durchaus um eine aktuelle Entwicklung in der Computerspielszene, z. B. existieren inzwischen spezialisierte Publikationen wie das monatlich erscheinende RetroGamer Magazine[1] oder die deutschsprachige Retro[2] und das Return-Magazin.[3]

Reaktionen der Spieleindustrie

Seit den 2000er Jahren hat auch die Spieleindustrie die Zielgruppe der „Retrogamer“ und den vorhandenen Bestand der „Retrogames“ für sich entdeckt. So kommen bemerkenswerterweise immer mehr klassische Spiele auf aktuellen Konsolen in Form von Samplern heraus. Ein Beispiel hierfür ist die Konami Arcade Classics-Sammlung für das Nintendo DS oder die SEGA Mega Drive Ultimate Collection für die Xbox 360 bzw. die Playstation 3. Bei diesen Kompilationen werden meistens mehr als 10 oder 20 alte Spiele in einem Paket an den Kunden gebracht. Ein weiterer Absatzmarkt für klassische Videospiele ist außerdem der Marktplatz der Xbox-Live, auf dem HD-Versionen von Klassikern wie Street Fighter zu erwerben sind, sowie der Wii-Shop-Kanal von Nintendo. Zudem brachte Nintendo die Konsole Nintendo Classic Mini am 11. November 2016 heraus. Bei der Konsole handelt es sich um eine technisch verbesserte Neuauflage des Nintendo Entertainment Systems mit 30 vorinstallierten NES-Klassikern.

Die polnische Firma GOG.com, das Kürzel leitet sich ursprünglich von “Good Old Games” („gute alte Spiele“) her, bietet seit 2008 PC-Klassiker der DOS- und frühen Windows-Ära technisch aufbereitet für moderne Plattformen über die Digitale Distribution an.[4]

Motivation

Im Allgemeinen kann man zwei Hauptgründe für diesen Trend ausmachen.

Zum einen sind viele der heute erwachsenen Computerspieler mit den Anfängen der Computerspielentwicklung vom Ende der 1970er bis Anfang der 1990er aufgewachsen, für die die damaligen Spiele sehr prägend waren. Viele Spielegenres sind heutzutage fast ausgestorben, darunter unter anderem Adventures, Jump ’n’ Runs, Puzzlespiele und Side-Scroller, weil die Spieleindustrie kein Marktpotential für diese Gattungen sieht. Aus Mangel an aktuellen Alternativen und aus Nostalgie[5] konzentriert man sich wieder auf die alten Klassiker.

Der zweite Grund ist, dass viele Spieler der heutigen Spieleindustrie vorwerfen, zu konservativ-kommerziell zu agieren und kreativen Spielkonzepten keine Chance mehr zu geben oder geben zu können – eine Sichtweise, die teilweise auch von Entwicklerfirmen und Publishern selbst geteilt wird.[6][7] Seit den 1990ern wuchsen die Kosten für professionelle Spielentwicklung deutlich an und vergrößerten die Furcht, einen kostspieligen Fehlschlag zu produzieren, was eine Fokussierung auf bekannte Spielrezepte, Fortsetzungen von Erfolgstiteln ohne neue kreative Konzepte und die einfacheren, aber breitere Zielgruppen ansprechenden Casual Games zur Folge hatte.

Ziele

Screenshot vom Spiel Paku Paku, einer Remake-Erstellung des Retro-Klassikers Pac-Man für die „Retrochallenge 2011“[8]

Motive für Retrogaming sind vor allem Spieleklassiker zu erhalten und sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es soll auch das endgültige Verlorengehen von Klassikern, wie z. B. bei der Schließung von Atari Sunnyvale 1996 passiert, verhindert werden. Damals wurden u. a. der Original-Quellcode von Meilensteinen der Computerspielgeschichte wie Asteroids oder Centipede entsorgt. Glücklicherweise konnte ein Teil durch Enthusiasten aus dem Müll gerettet, rekonstruiert und über das Atari-Museum später veröffentlicht werden.[9][10]

Daher ist das Ziel und Interesse der Retrogaming-Bewegung, dass alte Spiele als Freeware oder als Open-Source-Software[11][12] rechtzeitig veröffentlicht werden. Damit sind diese auch aus der rechtlichen Grauzone Abandonware geholt und mit dem Quelltext können die notwendigen technischen Anpassungen effektiv vorgenommen werden.

Ein weiteres Ziel ist es, alte Spiele wieder auf modernen Betriebssystemen und Hardwareplattformen lauffähig zu machen, z. B. durch sogenannte Community-Patches, welche diese Mängel zu beheben versuchen. Eine Lauffähigkeit auf aktuellen Plattformen kann auch durch die Entwicklung von alternativen Interpretern (z. B. ScummVM) und Emulatoren (z. B. DOSBox oder M.A.M.E.) erzielt werden. Außerdem werden zahlreiche Spiele, die nie für den deutschen Markt lokalisiert wurden, aus dem Japanischen oder Englischen ins Deutsche übersetzt (sogenannte Fan-Übersetzungen) und damit verfügbar gemacht.[13]

Eine weitere Form des Retrogamings ist die Verfügbarmachung als Remakes oder Portierungen (mit dem Quellcode) von alten Spielen für neue Hardware- und Softwareplattformen[14], z. B. portable Geräte oder Mobiltelefone[15], oder macOS. Hintergrund hier ist, dass Spiele der 8- oder 16-Bit Ära auf Hardware mit vergleichbarer Rechenleistung und technischen Eckdaten (RAM, Bildschirmauflösung) wie heute Mobiltelefone entwickelt wurden. Hierdurch ist eine Portierung leicht möglich, und das Profil der Spiele entspricht dem für die Zielplattform (z. B. Lesbarkeit trotz geringer Bildschirmauflösung).

Ein neuer Trend ist die Wiederbelebung alter Computerspieltitel im Rahmen des Crowdfunding. Beispielsweise wurde Wasteland 2 2012 als ein von Wasteland inspiriertes rundenbasiertes, postapokalyptisches Computer-Rollenspiel von Brian Fargos InXile Entertainment erfolgreich auf der Plattform Kickstarter mit drei Millionen US-Dollar finanziert.[16]

Museen und Ausstellungen

The Art of Video Games im Smithsonian American Art Museum, 2012.

Klassische Videospiele werden inzwischen weltweit von Museen als Kunstform wahrgenommen und in Ausstellungen präsentiert, z. B. in Karlsruhe im RetroGames Arcade-Museum, welches 2002 gegründet wurde,[17][18] oder dem bereits 1997 eröffneten Computerspielemuseum Berlin.

Das Haus der Computerspiele zeigt als Wanderschau auf Messen, Kongressen und Festivals wechselnde Exponate zur Geschichte und Kultur des Computerspiels. Es richtet die beiden größten Veranstaltungen rund um Retro Gaming in Deutschland aus, die Retro-Sonderschau auf der Gamescom in Köln und die Lange Nacht der Computerspiele in Leipzig.

Ausstellungen von klassischen Videospielen existieren auch in traditionellen Kunst-Museen, wie die Ausstellung The Art of Video Games 2012 im Smithsonian American Art Museum[19] oder als Teil der „Applied Design“-Dauerausstellung des Museum of Modern Art seit 2013[20]. Klassische Videospiele sind auch Thema der Vintage Computer Festivals.

Projekte

Interpreter

Emulatoren

Siehe auch

Literatur

  • Sebastian Felzmann: Playing Yesterday – Mediennostalgie im Computerspiel, ISBN 978-3-86488-015-5
  • Sebastian Felzmann: Playing Yesterday – Mediennostalgie und Videospiele. In: Karlsruher Studien zu Technik und Kultur, Band 2: Techniknostalgie und Retrotechnologie, hg. von Andreas Böhn und Kurt Möser, ISBN 978-3-86644-474-4
  • Sebastian Felzmann: Playing Yesterday – Retrogaming and Media Nostalgia (FROG Talk) Vortrag, im Rahmen der 4. Future und Reality of Gaming (FROG) in Wien 2010 gehalten. [2]
  • Ann-Marie Letourneur, Michael Mosel, Tim Raupach (Hrsg.): Retro-Games und Retro-Gaming. Nostalgie als Phänomen einer performativen Ästhetik von Computer- und Videospielkulturen, ISBN 978-3-86488-078-0
  • Konrad Lischka: Spielplatz Computer. Kultur, Geschichte und Ästhetik des Computerspiels, ISBN 3-88229-193-1
  • Mathias Mertens, Tobias O. Meissner: Wir waren Space Invaders, ISBN 3-8218-3920-1
  • Rene Krooß, Retro-Spiele programmieren mit dem Raspberry Pi, ISBN 978-3-86557-474-9

Weblinks

Commons: Retro gaming – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Periodika zum Thema
  • Lotek64 kostenlose Zeitschrift für ältere Spielkonsolen und Heimcomputer
  • LOAD-Magazin kostenloses Magazin zum Thema Homecomputer und klassische Spielkonsolen
  • RETRO-Magazin deutschsprachiges Magazin zum Thema Retro und Videospielkultur
  • RETURN Magazin deutschsprachiges Magazin rund um 8-Bit-Computer und Spielkonsolen
  • Retro Gamer englischsprachiges monatliches Magazin zum Thema
  • Retro Gamer auf dem englischsprachigen Magazin basierende deutsche Ausgabe (mit deutschlandspezifischen Inhalten)
Webseiten
  • 8-Bit-Nirvana Homepage für 8-Bit-Computer und Videospiele
  • retrobase.net Datenbank klassischer Videospiele (engl.)
  • Online Retrogames Informationen, Onlinespiele und „Retrogames“ zum Herunterladen
  • Vogons Very old games on new systems aktive Community für Spiele der DOS- und frühen Windows-Ära (engl.)
  • Retropoly.de Community rund um klassische Computer- und Videospiele. Viele Magazine stehen im Jokerarchiv zur Verfügung.
  • C64-Wiki.de Wiki mit Schwerpunkt Commodore und ausführlichen C64-Spiele-Artikeln
Internet Archive
Berichte und Reportagen

Einzelnachweise

  1. MAGAZINE PROFILE (englisch) Imagine Publishing Ltd.. 2011. Archiviert vom Original am 15. August 2011. Abgerufen am 29. Juli 2011: „Retro Gamer is the only gaming magazine in the UK that’s totally dedicated to all aspects of retro gaming. If you’re a fan of Jet Set Willy, or still feel that the Spectrum is the best games machine of all time then this is the magazine for you.
  2. Retro
  3. Return: Magazin für die Generation C64 (Memento vom 9. Juli 2012 im Internet Archive): Liebhabern gepflegter 8-Bit-Kultur steht ab Oktober ein neues Magazin zur Seite: Return. Das Magazin erscheint vierteljährlich und beschäftigt sich mit allen 8-Bit-Computern und Spielkonsolen, ihrer Vergangenheit und Gegenwart.
  4. Frank Caron: First look: GOG revives classic PC games for download age (englisch) Ars Technica. 9. September 2008. Abgerufen am 27. Dezember 2012: „[…] [Good Old Games] focuses on bringing old, time-tested games into the downloadable era with low prices and no DRM.
  5. http://www.retromagazine.eu/retro/2015-06/die-zukunft-der-retro-videospiele/
  6. MARCELO PRINCE, PETER ROTH: Videogame Publishers Place Big Bets on Big-Budget Games (englisch) Wallstreet Journal Online. 21. Dezember 2004. Abgerufen am 1. Juli 2013: „The jump in development and marketing costs has made the videogame industry "enormously risk averse,[…]Publishers have largely focused on making sequels to successful titles or games based on movie or comic book characters, which are seen as less risky. „We don't green light any more things that will be small or average size games.[…]“
  7. John Walker: RPS Exclusive: Gabe Newell Interview (englisch) Rock, Paper, Shotgun. 22. November 2007. Abgerufen am 2. Mai 2012: „kein Risiko eingehen, blieb deshalb streng konservativ bei Dingen, die funktionierten“, deutsche Übersetzung Interview mit Gabe Newell
  8. Jason Knight: Paku Paku – A game for early PC/MS-DOS Computers (englisch) deathshadow.com. Abgerufen am 18. Oktober 2013: „Contents of DEATHSHADOW'S MADNESS © Jason M. Knight unless otherwise noted All code presented on this site is released to the Public Domain. There'll be none of that open source licensing malarkey in here – If you going to give something away, LANDS SAKE JUST GIVE IT AWAY!!!
  9. Kevin Parrish: Atari 7800 Source Code Rescued – Atari released the source code for the 7800 console and games (englisch) tomsguide.com. 7. Juli 2009. Abgerufen am 9. Januar 2012.
  10. 7800 Games & Development (englisch) atari-museum.com. 2009. Abgerufen am 9. Januar 2012: „These games were rescued from Atari ST format diskettes that were thrown out behind 1196 Borregas when Atari closed up in 1996. The Atari Museum rescued these important treasures and recovered them from the diskettes.
  11. Andy Largent: Homeworld Source Code Released. www.insidemacgames.com. 8. Oktober 2003. Abgerufen am 10. Januar 2011.
  12. Going Open Source! (englisch) soaos.sourceforge.net. 23. Juni 2003. Abgerufen am 2. August 2011: „In order to give the Siege game an extended practical life, allow ongoing player support, give the game a chance to be made available on other platforms, and to share our technical learning experience with the game development community, the Board of Directors at Digital Tome LP have agreed to release the Delphi source to the Siege game to the Open Source community under an LGPL license!
  13. John Szczepaniak: Japanese ROM Translation. In: Retro Gamer. 25, 1. Juni 2006, S. 102-105. [1]
  14. tron: JA2-Stracciatella Q&A (englisch) ja-galaxy-forum.com. 28. Mai 2008. Archiviert vom Original am 13. Oktober 2010. Abgerufen am 28. Januar 2012: „What is the goal of JA2-Stracciatella? The goal is to make Jagged Alliance 2 available to a wide range of platforms, improve its stability, fix bugs […]
  15. JA2 Stracciatella Feedback → Jagged Alliance 2 Android Stracciatella Port RC2 Release - please test (Memento vom 23. Oktober 2012 im Internet Archive) auf the Bear’s Pit Forum, 3. Oktober 2011 (englisch)
  16. Spieler finanzieren „Wasteland 2“, derStandard.at, 19. März 2012.
  17. RetroGames e. V.
  18. Peter Schmitz: Erster eingetragener Verein für Computer- und Konsolenspiele-Oldies eröffnet. Heise.de. 19. Juli 2002. Abgerufen am 1. Juni 2012.
  19. Mike Snider: Are video games art? Draw your own conclusions. In: USA Today. Gannett. 13. März 2012. Abgerufen am 2. Juni 2012.
  20. Paola Antonelli: Video Games: 14 in the Collection, for Starters. In: Inside / Out. A MoMA/MoMA PS1 Blog. Museum of Modern Art. 29. November 2012. Abgerufen am 29. November 2012.

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