Die Reovirales sind eine Ordnung von unbehüllten Viren mit doppelsträngiger RNA (dsRNA).[3][4] Zusammen mit den Birnaviridae und Partitiviridae sind sie die einzigen Viren, deren dsRNA-Genom segmentiert vorliegt. Zur Ordnung gehören so wichtige Erreger wie das Blauzungenvirus, die humanen Rotaviren oder das Colorado-Zeckenfieber-Virus. Der Name der Ordnung ist ein Akronym aus „respiratory, enteric, orphan“, da man der Ansicht war, dass Mitglieder dieser taxonomischen Gruppe nur Darmerkrankungen (enteric), Atemwegserkrankungen (respiratory) oder keine Erkrankung (orphan) hervorrufen würden. Tatsächlich wurden die Reovirales bei vielen Säugetieren gefunden, ebenso bei Reptilien, Fischen, Krustentieren und Insekten. Drei Gattungen der Ordnung (Fijivirus, Phytoreovirus und Oryzavirus) umfassen Erreger bei Pflanzen (Pflanzenviren) und Pilzen (Mykoviren).
Die Ordnung ging aus der früheren FamilieReoviridae durch Hochstufung des taxonomischen Rangs hervor; gleichzeitig wurden die früheren Unterfamilien Sedoreovirinae und Spinareovirinae zu Familien hochgestuft.[3][4]
Die reifen Virusteilchen (Virionen) der Reovirales sind unbehüllte, ikosaedrische Kapside mit einem Durchmesser von etwa 60–80 nm. Charakteristisch für die meisten Gattungen der Familie (mit Ausnahme der Gattung Cypovirus) ist der Aufbau des Virions aus zwei ineinander geschachtelten und eng wechselwirkenden Kapsiden (T=13), die wiederum eine innere, regelmäßige Corestruktur umgeben. Die so aus drei Lagen von Proteinen aufgebauten Virionen zeigen daher im Elektronenmikroskop eine sehr typische, dickwandige Struktur mit regelmäßigen, speichenförmigen Verdickungen. Von dieser Speichenstruktur abgeleitet erhielt die Gattung Rotavirus (lat. rota ‚Rad‘) ihren Namen. Diese Speichenstruktur entsteht durch 132 Öffnungen des äußeren Kapsids, die in ebenso viele Kanäle des inneren Kapsids münden. Diese Kanäle, die bis an das innere Core reichen, lassen eine Diffusion von Ionen in das Virion zu. Dadurch, dass das innere Core und das innere Kapsid für die korrekte Verpackung der RNA-Segmente verantwortlich sind, kann das äußere Kapsid eine relativ große Variabilität der Oberflächenstrukturen aufweisen, ohne die Stabilität des Virions und die Vollständigkeit des Genoms zu beeinträchtigen. Daher zeigen sich bei vielen Reoviren zahlreiche Spezies und Serotypen. In der inneren Coreschale befindet sich ein Molekül der viralen RNA-Polymerase und Guanyltransferase. Bei einigen Gattungen sind Myristyl-Reste (Tetradecyl-Reste) kovalent an das Kapsid gebunden. Bei den Gattungen Rotavirus, Orbivirus und Coltivirus kommen unreife Virionen vor, die Reste einer Lipidhülle besitzen. Bei diesen Gattungen geschieht das Verlassen der Zelle durch Knospung an der Zellmembran (Orbivirus, Coltivirus) oder der Membran des Endoplasmatischen Retikulums (ER) (Rotavirus). Durch einen enzymatischen Reifungsschritt verlieren die Virionen die Lipidhülle wieder. Bei einigen Gattungen wird das äußere Kapsid durch wirtseigene Proteasen (z. B. Trypsin, Chymotrypsin) verändert, wodurch sogenannte „infectious subviral particles“ (ISVPs) entstehen. Nur die ISVPs sind infektiös und der Übergang von unreifen Virionen zu ISVPs spielt bei diesen Viren eine entscheidende Rolle in der Krankheitsentstehung und der unterschiedlichen Erscheinungsform der Virionen im Darm, Speichel oder Blutserum.
Genom
Genomkarte der Gattung Mycoreovirus
Das Genom besteht aus einer doppelsträngigen RNA, die je nach Gattung in zehn bis zwölf Segmente unterteilt ist. Die Molmasse der Segmente reicht von 0,2 bis 3 × 106Da. Die virale mRNA der Reovirales besitzt keinen Poly-A-Schwanz. Bei einigen Virusspezies findet man kurze, einzelsträngige RNA-Oligonukleotide in der inneren Coreschale.
Systematik
Innere Systematik
Mit Stand 4. April 2024 gliedern sich nach Maßgabe des ICTV die Reovirales wie folgt (von den Spezies ist u. U. nur eine Auswahl angegeben):
Ordnung Reovirales
Schemazeichnungen: Virionen der Gattungen orbivirus und Rotavirus (beide Sedoreoviridae).Genom der Gattung Rotavirus
Familie Sedoreoviridae
Gattung Cardoreovirus
Spezies Eriocheir-sinensis-Reovirus (en. Eirocheir sinensis reovirus, ESRV, ehem. Typusspezies) bei der Chinesischen Wollhandkrabbe[5]
Spezies „Macropipus-depurator-Virus“ (en. „Macropipus depurator virus“, MdRV, unbestätigt) bei Decapoda[5]
SsReV-SZ (SZ-2007) bei Schwimmkrabben der Gattung Scylla (Spezies Scylla serrataenglischmud crab)[11]
Spezies „Operophtera-brumata-Reovirus“ (en. „Operophtera brumata reovirus“, „ObRV“) beim Kleinen Frostspanner
Das folgende Kladogramm gibt vereinfacht die Verwandtschaftsbeziehungen wieder, wie sie im 9. Report des International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV, 2011) und von MacLachlan/Dubovi (2016)[5][12] sowie fast übereinstimmend von Belhouchet et al. (2010)[13] vorgeschlagen wurde:
Für einige der Gattungen sind die abgekürzten Speziesnamen angegeben, diese umfassen jeweils einen oder mehrere der untersuchten zugehörigen Stämme (englischstrains).
In älteren Arbeiten gibt es noch gewisse Abweichungen (z. B. bei Attoui et al. (2006),[14] bei Quito-Avila (2011)[15] und bei Ke et al. (2010)[16]).
Äußere Systematik
Das ICTV hat mit der Master Species List #35 vom März 2020 die Reovirales (damals als Reoviridae) dem neu geschaffenen PhylumDuplornaviricota zugeordnet.[17] Eine Kladogramm findet sich bei Picornavirales §ICTV Master Species List #35.
Quellen
P. P. C. Mertens, C. Wei, B. Hillmann: Family Reoviridae. In: C. M. Fauquet, M. A. Mayo et al.: Eighth Report of the International Committee on Taxonomy of Viruses. London, San Diego 2004, S. 447–555.
S. Mordrow, D. Falke, U. Truyen: Molekulare Virologie. 2. Auflage, Heidelberg / Berlin 2003, ISBN 3-8274-1086-X.
Graphing tool: Mol* (D. Sehnal, A.S. Rose, J. Kovca, S.K. Burley, S. Velankar (2018) Mol*: Towards a common library and tools for web molecular graphics MolVA/EuroVis Proceedings. doi:10.2312/molva.20181103), and RCSB PDB https://www.rcsb.org/3d-view/5ZVT
Data source: DOI: 10.2210/pdb5ZVT/pdb EMDataResource: EMD-6969
Data creators: Structure of RNA polymerase complex and genome within a dsRNA virus provides insights into the mechanisms of transcription and assembly
Xurong Wang, Fuxian Zhang, Rui Su, Xiaowu Li, Wenyuan Chen, Qingxiu Chen, Tao Yang, Jiawei Wang, Hongrong Liu, Qin Fang, Lingpeng Cheng
Proceedings of the National Academy of Sciences Jul 2018, 115 (28) 7344-7349;
https://www.pnas.org/content/115/28/7344,
Lizenz:CC BY-SA 4.0 Cryo-EM of Grass carp reovirus (Aquareovirus C) outer capsid. Color coding for the viral capsid proteins: purple (VP5), dark green (VP7), light green (VP1), red (VP6), and orange (VP3).
Rotavirus.jpg Note the wheel-like appearance of some of the rotavirus particles. The observance of such particles gave the virus its name ('rota' being the Latin word meaning wheel). Bar = 100 nanometers.
Source: Cell culture.
Method: Negative-stain Transmission Electron Microscopy
Fako virus PDB 6DJY.png Autor/Urheber:Guest2625,
Lizenz:CC BY 4.0 Cryo-EM reconstruction of Fako virus capsid of family Reoviridae showing viral proteins: turret protein (red), homodimer of major capsid protein (blue/purple), and clamp protein (yellow).