Die Reichstagswahl 1912 war die Wahl zum 13. Deutschen Reichstag. Sie fand am 12. Januar 1912 statt. Es war die letzte Wahl des Reichstags vor dem Ersten Weltkrieg und die letzte im Deutschen Kaiserreich überhaupt. Das Parlament konstituierte sich am 7. Februar 1912.
Eindeutiger Wahlsieger war die SPD. Sie erhielt etwa 4,25 Millionen Stimmen (34,8 %) und damit so viele wie noch nie zuvor eine Partei bei Reichstagswahlen. Trotz der Verzerrungen durch das Mehrheitswahlrecht und die Benachteiligung durch die seit 1871 unveränderte Wahlkreiseinteilung stellte sie auch zum ersten Mal mit 110 Abgeordneten die stärkste Fraktion. Nur die Nationalliberale Partei hatte bei der ersten Reichstagswahl 1871 mehr Wahlkreise (119 von 382) gewonnen.
Zweitstärkste Fraktion wurde das Zentrum mit 91 Abgeordneten, obwohl es weniger als halb so viele Stimmen wie die SPD bekommen hatte.
Konservative und Nationalliberale, die die Regierung von Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg unterstützt hatten, verloren deutlich an Stimmen und Mandaten. Die 1910 als Zusammenschluss mehrerer linksliberaler Parteien gegründete Fortschrittliche Volkspartei verlor im Vergleich zu ihren Vorgängern ebenfalls einige Mandate. Sie hatte Wahlabsprachen mit der SPD getroffen und teilweise einen gemeinsamen Wahlkampf mit der SPD geführt.
In jedem der insgesamt 397 Wahlkreise wurde nach absolutem Mehrheitswahlrecht ein Abgeordneter gewählt. Wenn kein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreichte, wurde eine Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten Kandidaten durchgeführt.
Im 13. Reichstag schlossen sich nicht alle Abgeordneten der Fraktion ihrer eigentlichen Partei an. Der DRP-Abgeordnete Schröder (Elbing), der Zentrumsabgeordnete Oppersdorf (Fraustadt) sowie die nationalliberalen Abgeordneten Becker (Bingen) und von Heyl (Worms) traten nicht den Fraktionen ihrer Parteien bei, sondern blieben fraktionslos. Die deutsch-sozialen und christlich-sozialen Abgeordneten bildeten mit dem BdL-Abgeordneten Gebhardt (Homburg) sowie den Abgeordneten Werner (Gießen) und Vietmayer (Waldeck) die Fraktion der Wirtschaftlichen Vereinigung. Die beiden BdL-Abgeordneten Vogt (Hall) und Vogt (Crailsheim) schlossen sich der Fraktion der Konservativen an. Der DBB-Abgeordnete Kerschbaum (Rothenburg/Tauber) trat der Nationalliberalen Fraktion bei. Zu Beginn der 13. Legislaturperiode besaßen die Reichstagsfraktionen die folgende Stärke:[2]
Im Verlauf der Legislaturperiode änderte sich aufgrund von Nachwahlen, Abspaltungen und Fraktionswechseln mehrfach sowohl die Anzahl als auch die Stärke der einzelnen Fraktionen.[3]
Begleitumstände
Bei den Wahlen von 1912 engagierten sich besonders viele Frauen im Wahlkampf, obwohl sie noch nicht wählen durften – auch wenn viele dieses Ziel in nicht mehr weiter Ferne wähnten. Neben den Sozialistinnen setzten sich viele liberale Frauen für die Parteien ein. So organisierten sie beispielsweise in Städten „Vertrauenfrauen“, die mit der Basis der Frauen Fühlung haben sollten, sie verteilten Flugblätter und hielten Versammlungen ab. Durch dieses Engagement gelang es den Frauen, auch konservative Zeitgenossen für ihre Sache einzunehmen.[4]
Die Reichstagswahl im Januar 1912 brachte der SPD hohe Stimmengewinne. Der politische Antisemitismus und die Parteien der Antisemiten spielten hingegen keine Rolle mehr und konnten nur noch 2,5 Prozent der Stimmen erringen. Radikale Antisemiten sprachen daher frustriert von der „Judenwahl“ und erklärten, die Reichstagsmehrheit sei vom „jüdischen Golde“ beherrscht.[5]
Geschichte des 13. Reichstags 1912 bis 1918
Den linken Kräften gelang es in den Friedensjahren nicht, den von jeher schwachen Reichstag zu stärken. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs waren alle Parteien im „Burgfrieden“ vereint, auch die vorher anti-militaristische SPD stimmte daher für die Kriegskredite. Im Verlauf des Krieges kam es in dieser Frage zu innerparteilichen Auseinandersetzungen, in deren Folge eine Gruppe von Abgeordneten sich abspaltete und die USPD gründete.
Unterdessen waren 1916 neben dem Zentrum auch die Nationalliberalen unter Führung Gustav Stresemanns mit der Forderung nach mehr parlamentarischer Kontrolle an die Seite von SPD und FVP getreten. Diese neue Konstellation währte allerdings nicht lange, und die von Zentrum, FVP und SPD vertretene Friedensresolution vom 19. Juli 1917 lehnten Nationalliberale wie Konservative ab. Das Parlament, dessen Neuwahl wegen des Krieges verschoben wurde, blieb ohnehin gegen die Oberste Heeresleitung machtlos. Erst am 28. Oktober 1918, wenige Tage vor der Niederlage und der Novemberrevolution, nahm der Reichstag Reformvorschläge des Kanzlers Max von Baden an (so genannte Oktoberverfassung), die einen deutlichen Schritt zum Parlamentarismus bedeutet hätten. Durch die folgenden Ereignisse wurden diese aber überholt.
Der Reichstag war für fünf Jahre gewählt worden, so dass 1917 eine Neuwahl angestanden hätte. Gesetze verlängerten die Legislaturperiode jedoch um jeweils ein Jahr. Man befürchtete, dass bei einer Neuwahl im Krieg die Linken oder die Linksradikalen stärker werden würden. Allerdings wurde dreißigmal ein frei gewordenes Abgeordnetenmandat durch eine Nachwahl besetzt.[6]
Kaiserliches Statistisches Amt (Hrsg.): Die Reichstagswahlen von 1912. Hefte 1–3. Verlag von Puttkammer & Mühlbrecht, Berlin 1913 (Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 250)
Jürgen Bertram: Die Wahlen zum Deutschen Reichstag vom Jahre 1912. Parteien und Verbände in der Innenpolitik des Wilhelminischen Reiches. Droste Verlag, Düsseldorf 1964 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 28)
Bureau des Reichstags (Hrsg.): Reichstags-Handbuch 13. Legislaturperiode. Berlin 1912
Carl-Wilhelm Reibel: Handbuch der Reichstagswahlen 1890–1918. Bündnisse, Ergebnisse, Kandidaten (= Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Band 15). Droste, Düsseldorf 2007, ISBN 978-3-7700-5284-4
Gerhard A. Ritter: Materialien zur Statistik des Kaiserreich 1871–1918. C. H. Beck, München 1980, ISBN 3-406-07610-6
Wilhelm Heinz Schröder: Sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete und Reichstagskandidaten 1898–1918. Biographisch-statistisches Handbuch (= Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Band 2). Droste, Düsseldorf 1986, ISBN 3-7700-5135-1, 355 S.
Bernd Haunfelder: Reichstagsabgeordnete der Deutschen Zentrumspartei 1871–1933. Biographisches Handbuch und historische Photographien. Photodokumente zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Band 4. Droste, Düsseldorf 1999, ISBN 3-7700-5223-4, 425 S.
Bernd Haunfelder: Die liberalen Abgeordneten des deutschen Reichstags 1871–1918. Ein biographisches Handbuch. Aschendorff, Münster 2004, ISBN 3-402-06614-9, 512 S.
Bernd Haunfelder: Die konservativen Abgeordneten des deutschen Reichstags von 1871 bis 1918. Ein biographisches Handbuch. Aschendorff, Münster 2009, ISBN 978-3-402-12829-9, 336 S.
↑Hermann Hiery: Reichstagswahlen im Reichsland. Droste Verlag, Düsseldorf 1986, ISBN 3-7700-5132-7, Anhang: Biographisches Verzeichnis der im Reichsland Elsaß-Lothringen gewählten Abgeordneten des Deutschen Reichstages 1874–1918, S.449–471.
↑Reichstagshandbuch 1912. (PDF) Münchener Digitalisierungszentrum, S. 416, abgerufen am 20. November 2009.
↑Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band V: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart u. a. 1960, S. 121.
Johannes Kaempf, bekannter Reichstagsabgeordneter, feiert am 18. Febr. in Berlin seinen 70. Geburtstag. Der erste Berliner Wahlkreis, zu dem das Schloß und das Ministerviertel zählen, hat ihn in der Stichwahl nach hartem Kampf mit 9 Stimmen Mehrheit gegen den Sozialdemokraten Düwell wieder in den Reichstag entsandt, dem er seit 1903 angehört. Kaempf ist Berliner Stadtältester, Präsident des Deutschen Handelstags, Ältester der Berliner Kaufmannschaft und Mitglied der Direktion des Hansabundes. Unser Bild zeigt den Parlamentarier nach einem Gemälde des bekannten Malers Professor Hugo Vogel.
Von den Reichstagswahlen am 12. Januar: Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg beim Betreten des Wahllokals. Der Wahlbezirk, in dem der Reichskanzler wählte, zählt zu den interessantesten Berlins. In Deckers Festsälen, Jägerstraße 69, wählten sämtliche Minister und ein großer Teil der Finanzwelt.
Die Eröffnung des neuen deutschen Reichstags am 7. Februar unter dem Vorsitz des 82jährigen Alterspräsidenten Geh. Justizrats Traeger. Als Schriftführer fungierten Rogalla von Bieberstein, Engelken, Bärwinkel und als erster Sozialdemokrat Dr.Südekum. Das Haus ist infolge der Parteiverschiebungen in sechs Keile geteilt, links zwei Keile Sozialdemokraten, dann ein Keil Fortschrittliche Volkspartei und Nationalliberale, hieran schließt sich das Zentrum und rechts die Gruppen der Rechten. Ein breiter Mittelgang trennt die Linke und die Rechte.