Reichsprälat
Als Reichsprälaten (lat. Plur. Sacri Imperii Praelati) bezeichnete man die Äbte, Äbtissinnen sowie Pröpste und Prioren der reichsunmittelbaren Klöster, Kartausen, Abteien, Domkapitel, Kollegiat- und Frauenstifte im Heiligen Römischen Reich, die direkt dem Kaiser unterstanden. Sie waren ab der Frühen Neuzeit im Reichstag vertreten und in zwei Kollegien, der rheinischen und schwäbischen Prälatenbank, eingeteilt, die ihnen je eine Kuriatstimme und damit Mitbestimmung in Sachen der Reichspolitik gewährten.
Status
Aus dem Status der Reichsunmittelbarkeit ergaben sich eine Reihe von Freiheiten und Privilegien. Sie genossen Immunität, waren keinem Fürsten lehnsabhängig und konnten selbst große Territorien erwerben, in denen sie die Landeshoheit besaßen und meist auch die niedere und hohe Gerichtsbarkeit ausüben konnten. Insbesondere die Hochgerichtsbarkeit stellte sie den Fürsten gleich. Sie besaßen die Reichsstandschaft und waren neben den Fürsterzbischöfen und Fürstbischöfen, mit denen sie die Geistlichen Gebiete des Reiches beherrschten, Mitglieder der Reichskirche und zählten damit zu den Kirchenfürsten. Den wenigsten Reichsprälaten wurden jedoch eigene Virilstimmen verliehen, was Bedingung dafür gewesen wäre, sie nunmehr als Fürstabt oder Fürstpropst den übrigen geistlichen und weltlichen Reichsfürsten gänzlich gleichzustellen. Die Reichsprälaten mit lediglich einer Kuriatsstimme auf einer Prälatenbank des Reichstages werden auch Reichsabt bzw. Reichsäbtissin oder Reichspropst genannt, manche von ihnen wurden aber traditionell ebenfalls als Fürstäbte oder Fürstäbtissinnen bezeichnet.
Geschichte und Zusammensetzung in der Neuzeit
Einige der wohlhabendsten Reichsklöster entstanden im Hochmittelalter im Bodenseegebiet und Oberschwaben, wo nach der Auflösung des Herzogtums Schwaben sehr vielen Städten und Klöstern die Reichsunmittelbarkeit gewährt wurde.
Die Reichsmatrikel von 1521 zählt insgesamt 83 Reichsprälaten auf, deren Anzahl sich bis 1792 durch Mediatisierungen, Säkularisation, Abtretungen an andere europäische Staaten und Erhebungen in den Reichsfürstenstand auf 40 verringerte.
Zu Beginn der Frühen Neuzeit gehörten die 14 Äbtissinnen von Quedlinburg, Essen, Herford, Nieder- und Obermünster in Regensburg, Thorn, Kaufungen, Lindau, Gernrode, Buchau, Rottenmünster, Heggbach, Gutenzell und Baindt sowie die Baillis des Deutschen Ordens von Koblenz, Elsass und Burgund, Österreich und an der Etsch dem Reichsprälatenstand an. Weiterhin gehörten der Hochmeister des Deutschen Ordens für das Meistertum Mergentheim und der Großprior von Deutschland des Johanniterordens für die Herrschaft Heitersheim dazu. Zum Ende der Frühen Neuzeit waren von den Balleien nur diejenige in Koblenz und von Elsass und Burgund übrig geblieben, wohingegen von den Äbtissinnen nur die von Kaufungen und Gernrode durch Säkularisation nicht mehr zum engeren Kreis der Reichsprälaten zählten.
Die Äbte und Pröpste von Fulda, Kempten, Weißenburg, Muri, Ellwangen, Murbach, Corvey, Stablo, Berchtesgaden und Prüm wurden gefürstet und erhielten Sitz und Stimme im Reichsfürstenrat des Reichstages. Die Reichsabteien in Hersfeld, Saalfeld, Walkenried, Maulbronn, Herrenalb und Königsbronn wurden säkularisiert und einige andere, wie z. B. Reichenau, St. Blasien, Riddagshausen, Selz und St. Peter auf dem Schwarzwald verloren ihre Reichsstandschaft. Aber auch der Austritt der Schweizer Eidgenossenschaft trug zur Verringerung der Zahl der Reichsprälaten bei, da unter anderem St. Gallen, Schaffhausen und Einsiedeln und damit die dortigen Klöster nicht mehr zum Reich gehörten.
Die Gebiete, die zu den Reichsprälaten gehörten, waren meist sehr klein und umfassten manchmal nur ein paar Gebäude. Dennoch waren sie häufig kulturelle Zentren.
Im Zuge der Säkularisation und Mediatisierung wurde zwischen 1802 und 1806 den Reichsklöstern die Reichsunmittelbarkeit entzogen. Die meisten von ihnen wurden anschließend gänzlich aufgehoben – ihr territorialer und materieller Besitzstand kam zu den nutznießenden größeren weltlichen Fürstentümern wie Baden, Bayern oder Württemberg.
Rolle der Reichsprälaten im Reichstag
Die Reichsprälaten gehörten im Reichstag entweder dem Schwäbischen oder dem Rheinischen Prälatenkollegium an und hatten mit den anderen Prälaten je eine gemeinsame Stimme (= Kuriatstimme), die dann so viel wie die Einzelstimme (Virilstimme) eines Reichsfürsten zählte.
Im rheinischen Kollegium waren 19 Prälaten aus der südlichen und westlichen Reichshälfte versammelt, darunter die von Werden, Corneli-Münster, der Abtei St. Emmeram in Regensburg und die zwei dortigen Damenstifte von Obermünster und Niedermünster. Weiterhin waren Mitglied die Äbtissin der wichtigen Frauenabtei Essen, die Zisterzienserabtei Kaisheim und St. Ulrich und Afra in Augsburg.
Das schwäbische Kollegium umfasste ausschließlich die vielen kleinen Prälaturen aus dem oberschwäbischen Raum. Darunter waren die Abteien und Stifte von Elchingen, Irsee, Roggenburg, Schussenried, Ursberg, Rot an der Rot, Wettenhausen, Marchtal, Ochsenhausen, Zwiefalten und Weingarten. Dem Kollegium gehörte auch die Benediktinerabtei von Ottobeuren an, die aber nicht im Reichstag vertreten war. Faktisch waren es im Schwäbischen Reichsprälatenkollegium meist die Benediktiner und Prämonstratenser, die sich gegenseitig die wichtigsten Positionen zuspielten und abwechselnd die Direktoren des Kollegiums stellten. Am häufigsten stellte die Abtei Weingarten den Direktor. Der Reichsabtei Salem, die in der Rangfolge an der Spitze stand, gelang es nur einmal, mit Anselm II. Schwab, den Direktor zu stellen.
Das Schwäbische Reichsprälatenkollegium bildete sich 1575 aufgrund des durch die geografische Nähe der Prälaturen entwickelten Zusammenhalts und stärkte diesen. Durch den Zusammenhalt der Kollegiumsmitglieder erreichte es wesentlich größeres politisches Gewicht als das rheinische Kollegium. So durften die schwäbischen Reichsprälaten stets einen Vertreter in interständische Ausschüsse entsenden und hatten im Abt des oberschwäbischen Klosters Weingarten einen bereits seit 1555 rechtlich festgeschriebenen Vertreter im Ordentlichen Reichsdeputationstag.
Zum Reichsfürstenrat gehörige Reichsprälaten
Die Namen sind dem Rang nach geordnet.
- Abt von Fulda, später Bischof von Fulda
- Abt von Kempten
- Propst von Ellwangen
- Fürstabt von Murbach
- Propst von Berchtesgaden, ab 1380, ab 1559 zu Fürstpröpsten erhoben; Inkorporationen in das Fürsterzbistum Salzburg (1393–1404) und Kurköln (1594–1723)
- Propst von Weißenburg, Personalunion mit dem Bischof von Speyer
- Abt von Prüm, Personalunion mit dem Erzbischof von Trier
- Abt von Stablo und Malmedy
- Abt, später Bischof von Corvey
Als Fürstabteien werden auch erwähnt:
- Abt von Hersfeld, ab 1606 säkularisiert unter Administratoren des Hauses Hessen, 1648 als Reichsfürstentum im Besitz der hessischen Landgrafen
- Abt von St. Emmeram, seit 1731
- Abt von St. Gallen
Schwäbisches Reichsprälatenkollegium
- siehe Schwäbische Prälatenbank
- Äbtissin von Schänis, 1529–1531 temporär säkularisiert
- Abt von Maursmünster, nach 1790 säkularisiert
- Abt von Kaisheim
- Abt von Salem/Salmansweil(er)
- Äbtissin von Baindt
- Äbtissin von Heggbach
- Äbtissin von Gutenzell
- Äbtissin von Rottenmünster
- Abt von Herrenalb, 1536 säkularisiert
- Abt von Waldsassen, 1543 Verlust der Reichsunmittelbarkeit, später wiederholt säkularisiert und rekonstituiert
- Abt von Maulbronn, 1504 Verlust der Reichsunmittelbarkeit zu Gunsten Württembergs, 1555 endgültig säkularisiert
- Abt von Weingarten
- Abt von Ochsenhausen
- Abt von Elchingen
- Abt von Irsee
- Abt von Petershausen
- Abt von Zwiefalten
- Abt von Gengenbach
- Abt von Neresheim
- Abt von St. Georg
- Abt von Comburg, 1467–1488 als OSB-Abtei, dann bis 1541 als weltl. Kanonikerstift reichsunmittelbar
- Abt von Disentis
- Äbtissin von Frauenchiemsee, Reichskloster von 788 bis 1062 und von 1077 bis 1201
- Äbtissin von Fraumünster, 1524 säkularisiert
- Äbtissin von Göß, 1782 säkularisiert
- Abt von Schuttern
- Abt von Ottobeuren
- Abt von Prüfening
- Abt von St. Emmeram
- Abt von Reichenau, 1540 Verzicht auf Reichsunmittelbarkeit zu Gunsten des Bistums Konstanz
- Abt von Mondsee, 1791 säkularisiert
- Abt von St. Gallen, 1527–1532 temporär und ab 1798 säkularisiert
- Abt von Ursberg
- Abt von Roggenburg
- Abt von Weißenau
- Abt von Schussenried
- Abt von Marchtal
- Abt von Rot
- Propst von Lorsch, 1556 säkularisiert
- Propst von Comburg, 1488–1541 reichsunmittelbar
- Äbtissin von Lindau, 1802 säkularisiert
Rheinisches Reichsprälatenkollegium
Angaben für 1792[1]
- Kloster Kaisheim
- Deutschordensballei Koblenz
- Deutschordensballei Elsass und Burgund
- Ritterstift Odenheim und Bruchsal
- Kloster Werden
- Kloster Sankt Ulrich und Afra Augsburg
- Kloster Isny
- Reichsabtei Kornelimünster
- Kloster Sankt Emmeram
- Stift Essen
- Damenstift Buchau
- Stift Quedlinburg
- Stift Herford
- Stift Gernrode, 1728 säkularisiert
- Kloster Niedermünster zu Regensburg
- Kloster Obermünsters zu Regensburg
- Reichsabtei Burtscheid
- Stift Gandersheim
- Stift Thorn
Literatur
- Hans Feierabend: Die politische Stellung der deutschen Reichsabteien während des Investiturstreites. Marcus, Breslau 1913 (Historische Untersuchungen 3, ZDB-ID 500550-4), (Neudruck: Scientia, Aalen 1971).
- Axel Gotthard: Das Alte Reich 1495–1806. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2003, ISBN 3-534-15118-6 (Geschichte kompakt. Neuzeit).
- Sarah Hadry: Reichsprälatenkollegium. In: Historisches Lexikon Bayerns. Bayerische Staatsbibliothek, 5. Oktober 2010, abgerufen am 21. Oktober 2010.
- Sarah Hadry: Reichsstifte in Schwaben. In: Historisches Lexikon Bayerns. Bayerische Staatsbibliothek, 5. Oktober 2010, abgerufen am 20. März 2011.
- Helmut Neuhaus: Das Reich in der frühen Neuzeit. 2. Auflage. Oldenbourg, München 2003, ISBN 3-486-56729-2 (Enzyklopädie Deutscher Geschichte. 42).
- Thomas Vogtherr: Die Reichsabteien der Benediktiner und das Königtum im hohen Mittelalter. (900–1125). Thorbecke, Stuttgart 2000, ISBN 3-7995-4255-8 (Mittelalter-Forschungen 5), (Zugleich: Kiel, Univ., Habil.-Schr., 1990/91).
- Hans-Peter Wehlt: Reichsabtei und König. Dargestellt am Beispiel der Abtei Lorsch mit Ausblicken auf Hersfeld, Stablo und Fulda. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1970 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 28, ZDB-ID 121375-1), (Zugleich: Marburg, Univ., Diss., 1968).
Einzelnachweise
- ↑ Gerhard Köbler: Einleitung. In: Historisches Lexikon der deutschen Länder. Die deutschen Territorien vom Mittelalter bis zur Gegenwart. 4., vollständig überarbeitete Auflage. C.H. Beck, München 1992, ISBN 3-406-35865-9, S.XIII.