Referendum zum 37. Verfassungszusatz in Irland 2018

Am 26. Oktober 2018 fand in der Republik Irland ein Referendum über die Abschaffung der Verfassungsbestimmung zur Blasphemie statt. Eine Mehrheit von 64,85 Prozent der Wähler stimmte für die Abschaffung der entsprechenden Verfassungsbestimmung.

Hintergrund

Verfassungsbestimmungen seit 1922

Nach Gründung des irischen Freistaates im Jahr 1922 übernahm Irland zunächst die Bestimmungen des bislang geltenden Common Law hinsichtlich des Strafbarkeit des Tatbestands der Blasphemie. Die erste irische Verfassung von 1921 enthielt keine Bestimmungen in dieser Hinsicht.[1] Schon vor 1922 war Blasphemie kein häufiger Straftatbestand in Irland gewesen. Seit 1700 waren nur drei Fälle bekannt geworden: 1702 hatte ein unitarischer Theologe die Gleichrangigkeit von Jesus Christus und Gott bestritten; 1852 hatte ein Franziskaner öffentlich eine protestantische Bibel verbrannt; und 1854 hatte ein Geistlicher neben anstößigen Schriften – wahrscheinlich unabsichtlich – auch eine Bibel verbrannt.[2] Als Irland im Jahr 1937 zur Republik wurde, wurde die Strafbarkeit von Blasphemie auch als Bestimmung in die neue Verfassung aufgenommen. Dort hieß es:

„Aon ní diamhaslach nó ceannairceach nó graosta a fhoilsiú nó a aithris is cion inphionóis é de réir dlí.
The publication or utterance of blasphemous, seditious, or indecent matter is an offence which shall be punishable in accordance with law.“

„Die Veröffentlichung oder Äußerung blasphemischer, aufrührerischer oder anstößiger Inhalte ist ein Vergehen, das entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen strafbar ist.“

Verfassung Irlands, Artikel 40, Absatz 6, 1°[3]

Es folgten jedoch keine genaueren gesetzlichen Bestimmungen, die den Begriff der Blasphemie schärfer definiert hätten. In den folgenden mehr als 50 Jahren gab es keinen einzigen Fall einer strafrechtlichen Verfolgung wegen des Straftatbestands der Blasphemie.[2] Nach dem Defamation Act aus dem Jahr 1961 konnten als Höchststrafe bis zu zwei Jahre Gefängnis verhängt werden.[4]

Im Jahr 1999 hatte sich der Oberste Gerichtshof Irlands mit der Klage eines Mannes zu befassen, der gegen die Wochenzeitung Sunday Independent aufgrund einer Karikatur aus dem Jahr 1995 anlässlich der Diskussionen über Irlands Ehescheidungs-Referendum geklagt hatte. Das Oberste Gericht kam zu dem Schluss, dass in Ermanglung von statutorischem Recht das Common Law zur Anwendung kommen müsse. Im Common Law gab es jedoch nur Bestimmungen über Blasphemie gegen die Church of England. Damit wurde offenbar, dass die Bestimmung aus Artikel 40 gar nicht praktisch anwendbar war und das Oberste Gericht erklärte, dass es „beim Fehlen jeder gesetzgeberischen Definition des Verstoßes gegen die Verfassung in Form der Blasphemie unmöglich ist, zu sagen, worin das Vergehen der Blasphemie besteht“.[5]

Nach diesem Ergebnis riet das Oberste Gericht der Regierung, das Gesetz über Blasphemie so „zu modernisieren, dass alle Glaubensrichtungen geschützt“ seien. Allerdings gab ein Senator warnend zu Protokoll, dass die Schwierigkeit in diesem Fall darin liege, dass das Vergehen darin zu bestehen scheine, dass es die Gefühle des Gläubigen verletze, was „eine gefährliche Basis für ein Vergehen“ sei. Schon zuvor hatten zwei Verfassungsreform-Kommissionen 1991 und 1996 die gänzliche Entfernung des Blasphemie-Passus aus der Verfassung empfohlen.[2]

2009 Defamation Act

Um die unbefriedigende Situation zu ändern, dass in der Verfassung ein Vergehen unter Strafe gestellt war, das in der Realität mangels gesetzlicher Bestimmungen nicht verfolgt werden konnte, beschloss das irische Parlament, der Oireachtas, den 2009 Defamation Act, der Blasphemie als kriminelles Vergehen in das irische Recht einführte. Dies stieß auf deutliche Kritik von vielen Seiten und wurde von vielen Kommentatoren als unzeitgemäß und „mittelalterlich“ charakterisiert. Kritiker betonten beispielsweise, dass Irland damit das einzige westliche Land sei, das im 21. Jahrhundert den Tatbestand der Blasphemie in sein Strafgesetzbuch eingeführt habe. Irland stelle sich damit auf dieselbe Stufe, wie Scharia-Staaten, wie Saudi-Arabien oder Pakistan.[6] Ein von der Regierung ursprünglich zugesagtes Referendum über das Gesetz fand nicht statt.[7] Kritiker sahen in dem Gesetz auch eine gravierende Einschränkung der Meinungsfreiheit und befürchteten Probleme für den Dialog zwischen der Republik Irland und Nordirland. Beispielhaft meinte Lord Lester of Herne Hill bei einer Debatte im englischen Oberhaus am 5. November 2009: „das Problem ist, dass das, was für den Einen die Religion darstellt, für den anderen eine Blasphemie ist“. („the problem is that one person's religion is another person's blasphemy“) In der Folgezeit gab es kein einziges Strafverfahren auf Basis des 2009 Defamation Acts (Stand: 9. Mai 2017).[8] Nach Verabschiedung des Acts 2009 startete die Interessenvereinigung Atheist Ireland eine Kampagne, mit der für die Abschaffung der Verfassungsbestimmung zur Blasphemie und der nachgeordneten Gesetze geworben wurde. Am 12. Juni 2018 gab der irische Justizminister bekannt, dass die Regierung ein Referendum über die Abschaffung des entsprechenden Verfassungsartikels durchführen wolle.[9]

37. Verfassungszusatz

Die Regierung bereitete ein Gesetz zur Änderung der Verfassung vor (37. Verfassungszusatz), das den Wählern im Referendum zur Entscheidung vorgelegt wurde. Das Gesetz beinhaltete die Entfernung der Bestimmungen zur Strafbarkeit von Blasphemie aus der Verfassung. Das Gesetz sah die Streichung eines einzigen Wortes (diamhaslach bzw. blasphemous) aus der Verfassung vor. Der entsprechende Passus aus Artikel 40 sollte künftig lauten:

„Aon ní ceannairceach nó graosta a fhoilsiú nó a aithris is cion inphionóis é de réir dlí.
The publication or utterance of seditious, or indecent matter is an offence which shall be punishable in accordance with law.“

„Die Veröffentlichung oder Äußerung aufrührerischer oder anstößiger Inhalte ist ein Vergehen, das entsprechend der gesetzlichen Bestimmungen strafbar ist.“

Gesetz zum 37. Verfassungszusatz[10]

Frage des Referendums

Die Frage des Referendums auf Irisch und Englisch lautete:

„An bhfuil tú ag toiliú leis an togra chun an Bunreacht a leasú atá sa Bhille thíosluaite?
Do you approve of the proposal to amend the Constitution contained in the undermentioned Bill?“

„Stimmen Sie dem Vorschlag zur Änderung der Verfassung, wie er in dem unten genannten Gesetzesentwurf enthalten ist, zu?“

Frage beim irischen Referendum vom 28. Oktober 2018[11]

Die Frage war mit Tá / Yes bzw. Níl / No zu beantworten.

Haltungen der Parteien und gesellschaftliche Organisationen

Unter anderem sprachen sich folgende Partei und Organisationen für die Abschaffung der Verfassungsbestimmung aus:

Neutral

  • Die Konferenz der irischen katholischen Bischöfe nannte die Verfassungsbestimmung „überholt“ und wies darauf hin, dass ähnliche Gesetze in anderen Teilen der Welt dazu genutzt würden um Minderheiten zu unterdrücken.[22][23]

Dagegen

Institutionen, die sich gegen die Verfassungsänderung aussprachen, waren:

Ergebnisse

Ergebnisse nach Wahlkreisen (Prozent Ja-Stimmen)
Gesamtergebnis[27]
WahlStimmen%
Ja951.65064,85
Nein515.80835,15
Gültige Stimmen1.467.45898,51
Ungültige Stimmen22.2361,49
Abgegebene Stimmen1.489.69443,79
Stimmberechtigte3.401.652100
Ergebnisse nach Wahlkreisen[27]
WahlkreisWahl-
berechtigte
Beteiligung
(%)
StimmenProzent
JaNeinJaNein
Carlow–Kilkenny108.86345,90 %30.43818.69961,95 %38,05 %
Cavan–Monaghan91.69241,77 %21.04516.46256,11 %43,89 %
Clare83.04450,31 %25.38615.63561,89 %38,11 %
Cork East86.18044,53 %23.75114.04662,84 %37,16 %
Cork North-Central84.91941,55 %22.37912.45264,25 %35,75 %
Cork North-West68.82050,14 %20.08613.70859,44 %40,56 %
Cork South-Central88.07445,87 %27.38112.58868,51 %31,49 %
Cork South-West63.89748,33 %18.80011.40462,24 %37,76 %
Donegal119.31833,68 %20.31219.10851,53 %48,47 %
Dublin Bay North114.59744,56 %36.64913.93072,46 %27,54 %
Dublin Bay South80.14636,69 %22.3296.86676,48 %23,52 %
Dublin Central48.58831,75 %11.3593.90874,40 %25,60 %
Dublin Fingal96.61244,72 %31.64511.26773,74 %26,26 %
Dublin Mid-West72.00640,75 %20.4498.63270,32 %29,68 %
Dublin North-West62.72637,99 %16.7226.90770,77 %29,23 %
Dublin Rathdown65.91848,44 %23.5108.18274,18 %25,82 %
Dublin South-Central73.56738,12 %20.2147.56272,78 %27,22 %
Dublin South-West107.13442,71 %32.65112.85371,75 %28,25 %
Dublin West67.62542,31 %20.2618.09271,46 %28,54 %
Dún Laoghaire96.82546,88 %33.98811.09575,39 %24,61 %
Galway East70.30248,42 %20.24812.98160,93 %39,07 %
Galway West109.52343,74 %30.91716.06365,81 %34,19 %
Kerry111.77745,12 %28.37320.87357,61 %42,39 %
Kildare North86.30544,13 %27.39910.28472,71 %27,29 %
Kildare South63.92941,06 %17.3748.51067,12 %32,88 %
Laois64.13943,43 %16.31411.06059,60 %40,40 %
Limerick City79.64741,60 %21.70210.94866,47 %33,53 %
Limerick County68.74046,53 %18.45012.88058,89 %41,11 %
Longford–Westmeath92.35441,45 %22.63715.00860,13 %39,87 %
Louth110.25641,28 %29.53215.45165,65 %34,35 %
Mayo91.41245,91 %23.30517.63056,93 %43,07 %
Meath East68.59143,47 %19.6719.79866,75 %33,25 %
Meath West66.84840,61 %16.7689.98862,67 %37,33 %
Offaly66.20845,35 %16.91912.54457,42 %42,58 %
Roscommon–Galway64.85749,20 %17.46613.70956,03 %43,97 %
Sligo–Leitrim96.65343,99 %23.38018.29756,10 %43,90 %
Tipperary114.43348,30 %32.20921.98559,43 %40,57 %
Waterford83.35943,28 %23.51712.01666,18 %33,82 %
Wexford111.89743,92 %31.08517.31564,23 %35,77 %
Wicklow99.87150,68 %35.02915.07269,92 %30,08 %
Gesamt3.401.65243,79 %951.650515.80864,85 %35,15 %

Einzelnachweise

  1. Constitution of the Irish Free State (Saorstát Eireann) Act, 1922. irishstatutebook.ie, abgerufen am 28. Oktober 2018 (englisch).
  2. a b c Katherine A. E. Jacob: Defending Blasphemy: Exploring Religious Expression under Ireland' s Blasphemy law. In: Case Western Reserve Journal of International Law. Band 44, Nr. 3, S. 803–845 (englisch, pdf).
  3. Bunreacht na hÉireann. irishstatutebook.ie, abgerufen am 29. Oktober 2018 (irisch).Constitution of Ireland. irishstatutebook.ie, abgerufen am 28. Oktober 2018 (englisch).
  4. Defamation Act, 1961. irishstatutebook.ie, abgerufen am 28. Oktober 2018 (englisch).
  5. im Original: „… in the absence of any legislative definition of the constitutional offense of blasphemy, it is impossible to say of what the offense of blasphemy consists.
  6. Roy Greenslade: Why Ireland must get rid of its disgraceful blasphemy law. The Guardian, 11. April 2016, abgerufen am 28. Oktober 2018 (englisch).
  7. Henry McDonald: Ireland's lack of action on blasphemy law disappoints atheists and secularists. The Guardian, 14. Dezember 2014, abgerufen am 28. Oktober 2018 (englisch).
  8. Dáil debates Tuesday, 9 May 2017. Abgerufen am 28. Oktober 2018 (englisch).
  9. Minister Flanagan announces Government approval for the holding of a Referendum on the removal of the offence of blasphemy from the Constitution. Justizministerium Irlands, 12. Juni 2018, abgerufen am 28. Oktober 2018 (englisch).
  10. Thirty-seventh Amendment of the Constitution (Repeal of offence of publication or utterance of blasphemous matter) Bill 2018. Webseite des Oireachtas, abgerufen am 20. September 2018 (englisch).
  11. Muster-Stimmzettel. (pdf) Abgerufen am 28. Oktober 2018 (englisch, Interlingue).
  12. We must vote yes to remove the crime of blasphemy from our Constitution – Flanagan. Fine Gael, 18. Oktober 2018, abgerufen am 20. Oktober 2018 (englisch).
  13. Religious faiths are strong enough to withstand the removal of Blasphemy law – O’Callaghan. Fianna Fáil, 19. Oktober 2018, abgerufen am 20. Oktober 2018 (englisch).
  14. Sinn Féin calls for Yes vote in Blasphemy referendum. Sinn Féin, 20. Oktober 2018, abgerufen am 24. Oktober 2018 (englisch).
  15. Liam van der Spek Welcomes Referendum on Removal of Blasphemy Offence. Labour Party, 13. Oktober 2018, abgerufen am 20. Oktober 2018 (englisch).
  16. Green call for Yes Vote in Blasphemy Referendum. Green Party, 19. Oktober 2018, abgerufen am 20. Oktober 2018 (englisch).
  17. Blasphemy – There Is More To It Than Just A Word. People Before Profit, 10. Oktober 2018, abgerufen am 20. Oktober 2018 (englisch).
  18. Social Democrats introduce Bills to safeguard freedom of speech by abolishing archaic blasphemy offence. Social Democrats, 12. Juli 2017, abgerufen am 20. Oktober 2018 (englisch).
  19. ICCL calls for YES vote in Blasphemy Referendum. Irish Council for Civil Liberties, 27. September 2018, abgerufen am 20. Oktober 2018 (englisch).
  20. Church of Ireland backs removal of blasphemy offence. The Irish Times, 20. Oktober 2018, abgerufen am 20. Oktober 2018 (englisch).
  21. Atheist Ireland: Referendum on blasphemy about freedom of speech. Irish Examiner, 30. Oktober 2018, abgerufen am 4. Oktober 2018 (englisch).
  22. Stephen McNeice: Irish bishops say constitutional article on blasphemy is 'largely obsolete'. Newstalk, 3. Oktober 2018, abgerufen am 4. Oktober 2018 (englisch).
  23. Conor Gallagher: Constitutional blasphemy clause ‘largely obsolete’, Bishops decide. The Irish Times, 3. Oktober 2018, abgerufen am 25. Oktober 2018 (englisch).
  24. Religious groups back removal of blasphemy from the Constitution. Irish Independent, 23. Oktober 2018, abgerufen am 28. Oktober 2018 (englisch).
  25. Blasphemy, Stephen Fry and referendum in Ireland. BBC News, 20. Oktober 2018, abgerufen am 28. Oktober 2018 (englisch).
  26. Watch: Reasons to vote in the blasphemy referendum. RTÉ, 24. Oktober 2018, abgerufen am 25. Oktober 2018 (englisch).
  27. a b Thirty-seventh Amendment of the Constitution (Repeal of offence of publication or utterance of blasphemous matter) Bill 2018. referendum.ie, abgerufen am 28. Oktober 2018 (englisch).

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Man sagt, dass der grüne Teil die Mehrheit der katholischen Einwohner des Landes repräsentiert, der orange Teil die Minderheit der protestantischen, und die weiße Mitte den Frieden und die Harmonie zwischen beiden.
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Sie wurde 1955 vom Europarat als dessen Flagge eingeführt und erst 1986 von der Europäischen Gemeinschaft übernommen.

Die Zahl der Sterne, zwölf, ist traditionell das Symbol der Vollkommenheit, Vollständigkeit und Einheit. Nur rein zufällig stimmte sie zwischen der Adoption der Flagge durch die EG 1986 bis zur Erweiterung 1995 mit der Zahl der Mitgliedstaaten der EG überein und blieb daher auch danach unverändert.
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Ergebnisse des Referendums über die Abschaffung der Verfassungsbestimmung zur Blasphemie in Irland 2018 (Prozent „Ja“-Stimmen).