Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien

Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien
Gründung1402
OrtWien, Österreich
DekanBrigitta Zöchling-Jud
Studierendeüber 10.000
Mitarbeiterrund 600, davon über 40 Professoren und rund 300 Angehörige des akademischen Mittelbaus
Websitewww.juridicum.at

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien (nach einem ihrer Gebäude informell auch Juridicum) ist die größte Institution für rechtswissenschaftliche Forschung und Lehre im deutschsprachigen Raum und eine der ältesten juridischen Fakultäten der Welt. Sie gilt als beste rechtswissenschaftliche Fakultät Österreichs und genießt international höchstes Ansehen.[1][2]

Geschichte

Hans Kelsen, Begründer der Reinen Rechtslehre und Architekt der österreichischen Bundesverfassung

Das Studium der Rechtswissenschaften war schon in den Gründungsurkunden der Universität Wien von 1365 und 1385 vorgesehen, doch wurde die Lehrtätigkeit erst 1402 aufgenommen und beschränkte sich zunächst auf Kanonisches Recht. Nach mehreren gescheiterten Anläufen kam 1494 das Römische Recht hinzu. Erst mit der Theresianischen Studienreform 1753 wurde der Fächerkanon ausgeweitet; der von Franz von Zeiller ausgearbeitete Studienplan von 1810 führte erstmals das Österreichische Privatrecht als eigenes Fach ein. Der dominierende Einfluss des Naturrechts wurde mit der von Unterrichtsminister Leo von Thun-Hohenstein erlassenen Studienreform 1850 gebrochen, das Schwergewicht vielmehr auf die rechtshistorischen Fächer gelegt. Dieser ging in den nachfolgenden Studienreformen immer weiter zurück.

Die Vermehrung des Fächerkanons ab dem 18. Jahrhundert brachte es mit sich, dass in zunehmendem Maße auch nichtjuristische Fächer, wie insbesondere Staatswissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, aber auch Statistik, an der Fakultät angesiedelt waren, die daher ab 1850 als „Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät“ bezeichnet wurde.

1975 erfolgte die Teilung in eine Rechtswissenschaftliche und eine Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät; letztere wurde in weiterer Folge noch mehrmals geteilt, heute gehen auf sie insbesondere die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und die Fakultät für Informatik sowie Teile der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Wien zurück.

Seit Oktober 2021 wird zusätzlich zum Diplomstudium der Rechtswissenschaften auch das Bachelorstudium Internationale Rechtswissenschaften angeboten. Dem Curriculum des Diplomstudiums ähnlich legt dieses Studium mehr Fokus auf englischsprachige Lehre, internationales Privatrecht und weitere neue Fachgebiete wie Digitalisierung und Globalisierung des Rechts. Ein entsprechendes Masterstudium wird seit Oktober 2022 angeboten.[3]

Fachlich nachhaltig geprägt wurde die Fakultät vor allem von Größen wie Karl Anton von Martini, Franz von Zeiller, Joseph Unger, Julius Glaser, Anton Menger, Georg Jellinek, Franz Klein, Armin Ehrenzweig, Heinrich Klang, Hans Kelsen, Adolf Julius Merkl, Alfred Verdross, Winfried Kralik, Hans W. Fasching, Franz Bydlinski, Robert Walter, Winfried Platzgummer, Manfred Burgstaller, Helmut Koziol, Rudolf Welser und Walter Rechberger.

Organisation

Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien ist seit 2020 Brigitta Zöchling-Jud.

Derzeit bestehen an der Fakultät zwölf Institute:

Darüber hinaus bestehen an der Fakultät eine Reihe von weiteren Forschungseinrichtungen und Forschungsplattformen und arbeiten auch außeruniversitäre Einrichtungen eng mit der Fakultät zusammen. Zu nennen sind hier vor allem das Ludwig Boltzmann-Institut für Menschenrechte und das interfakultäre Institut für Ethik und Recht in der Medizin (IERM). Das 2011 gegründete Austrian Center for Law Enforcmement Studies (ALES) soll einer besseren Vernetzung von Polizei- und Justizarbeit in Österreich dienen.[4] Die 2016 eingerichtete Forschungsstelle für Rechtsquellenerschließung arbeitet mit der Kommission für Rechtsgeschichte Österreichs der ÖAW zusammen.

Curriculum

Das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien gliedert sich in drei Abschnitte: Einen Einführungsabschnitt (der neben einführenden Vorlesungen in die wichtigsten rechtsdogmatischen Fächer auch die rechtshistorischen Fächer sowie Grundzüge der Rechtsphilosophie enthält), einen judiziellen Abschnitt (in dessen Zentrum eine fächerübergreifende Prüfung aus Zivil- und Unternehmensrecht steht) sowie einen staatswissenschaftlichen Abschnitt (mit einer fächerübergreifenden Prüfung aus Verfassungs- und Verwaltungsrecht). Das Studium dauert zumindest vier Jahre und wird (seit 1975) mit dem Grad eines Magisters bzw. (seit 1993[5]) einer Magistra der Rechtswissenschaften abgeschlossen, welcher Voraussetzung für alle klassischen Juristenberufe ist. Daran können ein Doktoratsstudium der Rechtswissenschaften (mit Dissertation) und ein postgraduales Studium (LL.M.-Studium) angeschlossen werden.

Rankings

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien gilt als beste in Österreich und zählt zu den angesehensten juridischen Fakultäten Europas. Im Times Higher Education World University Ranking 2024 belegte die Universität Wien im Fach Rechtswissenschaften den 9. Platz in der EU und den 41. Platz weltweit.[2] Im QS World University Ranking kam sie 2021 im Fach Rechtswissenschaften auf den 26. Platz in Europa und auf den 69. Platz weltweit.[6]

Im Jessup International Law Moot Court – dem international ältesten und größten Moot Court, bei welchem sich die prominentesten Universitäten weltweit durch simulierte Gerichtsverhandlungen messen – wurde die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien dreifach mit dem Evans Award sowie zweifach mit dem Baxter Award für das herausragendste Memorial ausgezeichnet, was sie international an der absoluten Spitze neben den namhaftesten Universitäten der Welt platziert.

Beim Willem C. Vis International Commercial Arbitration Moot erreichte die Fakultät 2023 den ersten Platz aus 387 Teams weltweit. Auch 2024 gelang es dem Team des Juridicums ins Finale einzuziehen. Eine solche Platzierung in Folge war in der Geschichte des Vis Moot zuvor noch nie einer europäischen Fakultät gelungen.[7]

Gebäude

Juridicum
Baustelle im Jahr 1978

Untergebracht war die juristische Fakultät zunächst in verschiedenen Gebäuden der Alten Universität im Stubenviertel, ab 1884 im Hauptgebäude am Franzensring (heute Universitätsring). Der starke Anstieg der Studentenzahlen und die damit verbundene Vermehrung von Lehrstühlen in den 1960er Jahren ließen den Ruf nach einem eigenen Gebäude für die Fakultät laut werden; zum Baubeauftragten wurde der Staatsrechtler Günther Winkler bestellt, dem es gelang, einen Baugrund in der Innenstadt (Schottenbastei 10–16) für die Fakultät zu sichern.

1970 wurde der Architekt Ernst Hiesmayr mit der Planung des Juridicums beauftragt. Nach etwa einem Jahr vergeblicher Versuche, auf dem begrenzten Grundstück eine Lösung zu finden, die das Raumbedürfnis der Fakultät befriedigen konnte, entschied er sich schließlich für eine „Brückenkonstruktion“: Es wurden vier, jeweils paarige, Türme errichtet (in denen u. a. auch Lift, Toiletten und Versorgungsanlagen untergebracht sind), über welche eine Fachwerkskonstruktion aus Stahl gebaut wurde. Von dieser Konstruktion wurden alle Geschoße abgehängt. Die einzelnen Stockwerksböden sind also nicht von unten hochgebaut, sondern hängen von oben herab. Damit erreichte man, auf gleichem Raum mehr Stockwerke unterzubringen und gleichzeitig ein sehr freies Erdgeschoß (ohne Säulen und Träger) bauen zu können. Die hängenden Säulen werden von warmem Wasser durchlaufen und erwärmen somit das Gebäude.

Als „postmodern“ kann das Gebäude insofern gesehen werden, als die Hängekonstruktion nicht betont, sondern durch die filigrane Gestaltung der Fassade eher verdeckt wurde. „Man ahnt nur, daß die an den Gebäudestirnen weit ausladenden vier oberen Geschoße nicht nur kragen dürften, dafür ist die Ausladung viel zu groß.“[8]

Der Bau wurde 1974 begonnen und 1984 fertiggestellt, sodass die Fakultät nach exakt hundert Jahren im Haus am Ring übersiedeln konnte. Allerdings konnte das Juridicum schon zu Beginn nicht die gesamte Fakultät aufnehmen. Derzeit beherbergt es die Institute für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung, für Rechts- und Verfassungsgeschichte, für Staats- und Verwaltungsrecht, für Unternehmens- und Wirtschaftsrechts sowie für Zivilrecht, weiters den größten Teil der Fachbereichsbibliothek Rechtswissenschaften.

Die Institute für Arbeits- und Sozialrecht, für Finanzrecht, für Rechtsphilosophie einschließlich Religions- und Kulturrecht, für Römisches Recht und Antike Rechtsgeschichte und für Zivilverfahrensrecht befinden sich seit 2006 in einem aus der Gründerzeit stammenden Gebäude in der Schenkenstraße 8–10 unweit des Juridicums, ebenfalls ist dort das Institut für Innovation und Digitalisierung im Recht angesiedelt. Das Institut für Strafrecht und Kriminologie übersiedelte 2014 von der Schenkenstraße 8–10 in die Schenkenstraße 4. Das Dekanat und das StudienServiceCenter übersiedelten 2018 in die Renngasse 6–8.

Dekane

AmtszeitNameFachrichtung
1956–1957Fritz Schwind (I)Internationales Privatrecht
1964–1965Fritz Schwind (II)Internationales Privatrecht
1965–1966Günther WinklerVerfassungs- und Verwaltungsrecht
1966–1967Winfried KralikZivilverfahrensrecht
1967–1968Wilhelm WeberVolkswirtschaftslehre
1969–1970Erwin MelicharVerfassungs- und Verwaltungsrecht
1971–1972Hans Walter FaschingZivilverfahrensrecht
1972–1973Werner OgrisRechtsgeschichte
1973–1974Erich StreisslerVolkswirtschaftslehre
1974–1975Herbert HausmaningerRömisches Recht
1975–1977Winfried PlatzgummerStrafrecht
1977–1979Theodor TomandlArbeits- und Sozialrecht
1979–1981Rudolf HokeRechtsgeschichte
1981–1983Rudolf WelserZivilrecht
1983–1985Karl WengerWirtschaftsverwaltungsrecht
1985–1987Theo ÖhlingerVerfassungs- und Verwaltungsrecht
1987–1989Wilhelm BraunederRechtsgeschichte
1989–1991Inge GamplKirchenrecht
1991–1993Walter SchrammelArbeits- und Sozialrecht
1993–2000Peter E. PielerRömisches Recht
2000–2006Walter RechbergerZivilverfahrensrecht
2006–2014Heinz MayerVerfassungs- und Verwaltungsrecht
2014–2020Paul OberhammerZivilverfahrensrecht
Seit 2020Brigitta Zöchling-JudZivilrecht

Bekannte Absolventen

Unter den Absolventen der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien befinden sich zahlreiche prominente Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Politik. So sind etwa die fünf Juristen unter den bisherigen Bundespräsidenten der Republik Österreich allesamt Absolventen der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Außerdem brachte die Fakultät seit 1918 neun Bundeskanzler und 23 Justizminister hervor.[9]

Franz von Zeiller, Vater des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs
Joseph Unger, Begründer der Historischen Rechtsschule in Österreich
© Hubertl / Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0
Franz Klein, Schöpfer der österreichischen Zivilprozessordnung
Karl Renner, Gründungsvater der Ersten und der Zweiten Republik
Bruno Kreisky, Bundeskanzler der Republik Österreich von 1970 bis 1983
Brigitte Bierlein, als österreichische Bundeskanzlerin und zuvor als Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs jeweils die erste Frau in diesem Amt
Alma Zadić gilt als erste Ministerin der Republik Österreich mit Migrationshintergrund
(c) VfGH/Katharina Fröschl-Roßboth, CC BY-SA 3.0 at
Christoph Grabenwarter, zurzeit Präsident des Verfassungsgerichtshofs, zählt ebenso zu den Absolventen wie die amtierenden Präsidenten der beiden anderen Höchstgerichte, Georg Kodek (Oberster Gerichtshof) und Rudolf Thienel (Verwaltungsgerichtshof)
Commons: Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Nachweise

  1. World University Rankings 2019 by subject: law. 8. Oktober 2018, abgerufen am 9. Februar 2019 (englisch).
  2. a b Juridicum im globalen THE-Ranking 2024. Abgerufen am 1. Dezember 2023.
  3. BA/MA IREWI. Abgerufen am 21. Juli 2022.
  4. Start des ersten Polizei- und Justizforschungszentrums in Österreich (Memento vom 16. Januar 2012 im Internet Archive). Pressemeldung der Universität Wien vom 24. Oktober 2011.
  5. Der akademische Grad „Magistra“ wurde erstmals mit BGBl. Nr. 523/1993 eingeführt. Absolventinnen, denen zuvor akademische Grade in der männlichen Form verliehen wurden, dürfen diese seither ebenfalls in der weiblichen Form führen.
  6. QS World University Rankings by Subject 2021: Law & Legal Studies. Abgerufen am 27. Mai 2021 (englisch).
  7. 02 04 2024 um 05:07 von Benedikt Kommenda: Wiener Jus-Studierende mischen erneut an Weltspitze mit. 1. April 2024, abgerufen am 30. Mai 2024.
  8. Ernst Hiesmayr, Juridicum Universität Wien. Ernst Löcker Verlag Wien 1996, S. 10.
  9. Vgl. die Liste der Bundespräsidenten der Republik Österreich, die Liste der Bundeskanzler der Republik Österreich und die Liste der österreichischen Justizminister in Verbindung mit den Artikeln zu den jeweiligen Personen. Stand: 30. April 2021 (somit einschließlich der Absolventen Bundespräsident Heinz Fischer, Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein und Justizministerin Alma Zadić).

Koordinaten: 48° 12′ 50,1″ N, 16° 21′ 54,3″ O

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Dr. Brigitte Bierlein, Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofes.
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Karl Renner (1870–1950)
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Franz Klein (1854-1926), Büste (Marmor) im Arkadenhof der Universität Wien, (Maisel-Nummer 68), Künstler: Hermann Haller (1880-1950), enthüllt 1937
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Hans Kelsen (1881-1973), Büste (dunkle Bronze) im Arkadenhof der Universität Wien, (Maisel-Nummer 17), Künstler: Ferdinand Welz (1915-2008), enthüllt 1984
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Bruno Kreisky 1983 auf einer Wahlkampfveranstaltung für die österreichische Nationalratswahl
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Franz Anton Felix Edler von Zeiller, (1751-1828), Büste (weißer Marmor) im Arkadenhof der Universität Wien, (Maisel-Nummer 6), Künstler: Emanuel Pendl (1845-1927), unveiled 1891
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DDr. Christoph Grabenwarter, Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Juni 2020, Freyung 8, 1010 Wien
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Joseph Unger (Adalbert Seligmann, 1913)
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Ältestes Siegel der Juridischen Fakultät (zwischen 1450 und 1500)
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Gebäude der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien („Juridicum“) in Wien 1