Rechtsextremismus in der Schweiz

Rechtsextremismus in der Schweiz wird meist mit gewaltbereiten rechtsextremen Skinheads assoziiert; für andere Gruppierungen wird in der Schweiz häufig die Bezeichnung national- oder rechtskonservativ verwendet.[1] Die Schweiz versteht sich im Gegensatz zu Deutschland nicht als streitbare Demokratie. An die Beobachtung von rechtsextremen Gruppierungen durch die Schweizer Staatsschutzorgane sind daher hohe Hürden angelegt. Die Verfolgung verfassungsfeindlicher Ziele reicht für eine Beobachtung nicht aus – zusätzlich muss Gewalt verübt, befürwortet oder in Kauf genommen werden. Der rechtliche Rahmen der Informationsgewinnung wird dabei durch das «Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit» (BWIS) geregelt. In der Schweiz wird, analog zu den Verfassungsschutzberichten in Deutschland und Österreich, dem Bundesrat jährlich ein Bericht Innere Sicherheit der Schweiz vorgelegt. Dieser wird durch den Nachrichtendienst des Bundes (NDB) erstellt und enthält Informationen über rechtsextreme Bestrebungen.

Laut dem Tages-Anzeiger gibt es nach Schätzungen des NDB in der Schweiz «insgesamt 300 bis 400 gewaltbereite Rechtsextremisten, von denen ungefähr jeder vierte tatsächlich gewalttätig ist». Besonders die in der Deutschschweiz aktiven Gruppen Blood & Honour und Combat 18 gelten als gewaltbereit.[2]

Bedeutung

Besonderer Aufmerksamkeit kommt dem Zusammenhang zwischen dem politischen System der Schweiz und den spezifischen Erscheinungsformen von politischen Extremismus zu. Sophie Guggenberger argumentiert, dass im Dreiklang von direkter Demokratie, Föderalismus und Konkordanzdemokratie in der Schweiz die Entstehung extremistischer Bestrebungen erschwert werde. Die Parteien unterliegen einem permanenten Befassungszwang mit extremen Themen. Die etablierten Parteien seien somit zur permanenten programmatischen Wachsamkeit, Beweglichkeit und Adaptivität gezwungen. Zudem entfaltet die direkte Demokratie einen pädagogischen Befassungszwang. Die potentiell hohe Chance, politisch Gehör zu finden, gehe mit der Mässigung politischer Forderungen einher. Artikulation führt zu Diskussion und stimuliere so Lernprozesse, was zur Integration und Mässigung beiträgt. Sich selbst verstärkende Wechselwirkungen zwischen Dogmatismus und politischen Extremismus, infolge sozialer Isolation und politischer Abstinenz, werde die Grundlage entzogen. Politische Ohnmachtserfahrungen werde somit vorgebeugt. Kontinuierlich an den Rändern arbeitende extremistische Bestrebungen sind daher eher selten.[3]

Historische rechtsextreme Parteien in der Schweiz sind die Nationale Front (1933–1940), die Eidgenössische Sammlung (1940–1943), die Republikanische Bewegung (1971–1990). 2000 wurde die nationalistische und rechtsextreme Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) gegründet. Sie bewegte sich am Rande der Legalität und hatte zwei Sitze in den Ortsparlamenten von Langenthal und Günsberg. 2022 löste sie sich auf. Die 1961 gegründete Nationale Aktion und die Republikaner vereinten sich 1990 zu den Schweizer Demokraten. Sie verloren seit 2000 grosse Teile ihrer Wählerschaft an die Schweizerische Volkspartei (SVP). 2007 verloren sie bei einem Stimmenanteil von 0,5 Prozent ihren letzten Nationalratssitz. Zudem werden die Autopartei, die Nationale Initiative Schweiz (NIS), die Nationale Partei Schweiz (NPS), Cercle Thulé, die Nationale Koordination sowie die Lega dei Ticinesi mit Rechtsextremismus in Verbindung gebracht.[4]

Zu den bekanntesten Holocaustleugnern der Schweiz zählen Gaston-Armand Amaudruz, Jürgen Graf und Bernhard Schaub.[5]

Geschichte

James Schwarzenbach war der erste rechtspopulistische Schweizer Politiker.[6] Seit Ende der 1960er Jahre wirkte er zuerst in der Nationalen Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat (NA). Der Höhepunkt seines Wirkens stelle die erste Schwarzenbach-Initiative der 1970er Jahre dar. In dieser wurde die Begrenzung der Einwanderung in die Schweiz gefordert, wodurch Angst vor «Überfremdung» geschürt und ausländerfeindliche Stimmung erzeugt wurde. Die Volksinitiative scheiterte nur knapp. Anschliessend gründete Schwarzenbach 1971 die Republikanische Bewegung, die, als Schwarzenbach 1978 die Partei verliess, bedeutungslos wurde.[7] Der einzige Politiker rechts der NA, der nach 1945 in ein Schweizer Parlament gewählt wurde, war 1984 der Basler Eric Weber. «Abgesehen von dieser Ausnahme gilt die Regel, dass es politischem Selbstmord gleichkommt, wenn man offensichtlich mit Hitler und Nazismus sympathisiert.»[8] Die SVP diente als Auffangbecken der zerstreuten Anhänger aus der NA.[7]

Landesweite Bekanntheit erlangte Marcel Strebel, nachdem er am 22. August 1989 eine dunkelhäutige Frau in der Fernsehsendung Zischtigsclub bespuckt hatte.

1995 ereignete sich in Hochdorf ein Überfall rechtsextremer Hammerskins auf das Festival für Völkerfreundschaft. Es wurden mehrere Personen verletzt, ein Sachschaden von 17.000 Franken verursacht. In der französischsprachigen Westschweiz gibt es traditionell eine starke rechtsextreme Szene. Diese veranstaltet immer wieder Konzerte, zu denen Neonazis aus den Nachbarländern, vorwiegend Deutschland, anreisen. Im März 1998 konnte ein von Hammerskins organisiertes Konzert mit über 800 Zuschauern unter Berufung auf die traditionell hochgeschätzte Versammlungsfreiheit stattfinden. Ein für Ende 1998 am Genfersee geplantes Konzert der Blood-and-Honour-Bewegung, zu dem über 1500 Zuschauer erwartet wurden, verbot die Kantonsregierung dagegen wegen Verstössen gegen das Schweizer Antirassismusgesetz.

2001 erregte die Ermordung des 19-Jährigen Marcel von Allmen mediale Aufmerksamkeit. Er war mit einer Eisenstange von vormaligen Schulkollegen erschlagen worden. Hintergrund war der Wortbruch eines Schweigegelübdes des rechtsextremen «Orden der arischen Ritter». Die vier Täter wurden wegen Mordes und versuchten Mordes schuldig gesprochen.[9][10]

Der Rütlischwur gehört zu den Gründungsmythen der Schweiz, weswegen an jedem 1. August, dem Schweizer Nationalfeiertag, auf der Rütli-Wiese eine offizielle Veranstaltung durchgeführt wird. Diese Veranstaltung wird seit 1996 regelmässig von Rechtsextremisten gestört, die das Symbol nationaler Identität medial zu besetzen versuchen. Die Auseinandersetzungen von 2000 und 2005 stellen Höhepunkte dar, bei denen die Hauptredner von Rechtsextremisten aus dem Publikum ausgebuht wurden.[11]

Aktuelle Entwicklungen

Die Schweizer Demokratie ist zurzeit von keiner rechtsextremistischen Gruppierung schwerwiegend bedroht. Im Jahr 2005 schätzte die Schweizerische Bundespolizei, dass etwa 1200 Personen und weitere 800 «interessierte Sympathisanten» der Schweizer rechtsextremen Szene angehörten. Sie registrierte 111 rechtsextreme «Vorfälle» aus diesem Kreis.[12]

Aktivitäten von Neonazis richten sich gegen Ausländer, politisch Andersdenkende, Homosexuelle sowie Obdachlose und Drogenkonsumenten, die sie als «Asoziale» diskriminieren. Neuerdings gerät die Skaterszene trotz ihrer unpolitischen Ausrichtung immer mehr in das Blickfeld der Neonazis.[13]

Wie in anderen europäischen Ländern ist in der Schweiz eine «Normalisierung» des rechtsextremen Diskurses zu erkennen.[14] Allerdings wird der Diskurs nicht nur von marginalisierten Gruppierungen aufgegriffen, sondern ebenfalls von etablierten Parteien.[15] Dabei spielt die SVP eine ambivalente Rolle. Mit einem Wähleranteil von 29,4 Prozent (Oktober 2015) ist die SVP zurzeit die wählerstärkste Partei der Schweiz. Trotz deutlicher Distanzierung zum Rechtsextremismus werden einzelnen Parteimitgliedern immer wieder die Förderung rechtsextremen Gedankenguts und Verbindungen zu rechtsextremen Organisationen vorgeworfen. Dazu gehören Ulrich Schlüer[16][17] und Hans Fehr in Zürich, Emil Rahm in Schaffhausen, Pascal Junod in Genf sowie Dominique Baettig und Jean-Jacques Kottelat im Jura.[18][19][20] Der SVP wird zudem, trotz breiter Unterstützung in der Bevölkerung, ein im europäischen Vergleich besonders ausgeprägter Populismus vorgeworfen.[21] Seit den 1990er Jahren verzeichnete die SVP einen Zuzug von Mitgliedern aus der Autopartei und den Schweizer Demokraten, die die politische Ausrichtung der Partei zu Gunsten des Zürcher Flügels um Christoph Blocher verschoben. Dieser trat für eine Veränderung des politischen Stils der Partei ein. Der rechtspopulistische Kurs zeichnet sich durch aggressive Werbekampagnen aus. So wurden wiederholt Kampagnen zu Ausländerthemen gestartet, die in und ausserhalb der Schweiz als fremden- und minderheitenfeindlich[22] sowie als nationalistisch kritisiert wurden.[23] Vor allem die «Ausschaffungsinitiative» und die damit einhergehende Schäfchenplakat-Aktion von 2007, mit der die SVP in Übereinstimmung mit rechtsextremen Parteien die Ausweisung ausländischer Straftäter mitsamt ihren Familien forderte, wurde als rassistisch kritisiert und rief internationale Empörung hervor.[24]

Im Jahr 2016 zählte der Nachrichtendienst des Bundes 23 Gewaltdelikte.[25]

Siehe auch

Literatur

  • Damir Skenderovic: The Radical Right in Switzerland. Continuity and Change. 1945–2000. Berghahn Books, New York NY 2009, ISBN 978-1-84545-580-4.
  • Linards Udris: Rechtsextremismus in der öffentlichen Kommunikation. Gestiegene Resonanzchancen und schwieriger Umgang. In: Medienheft, 25. Juni 2007 (Volltext, PDF, 197 kB).
  • Linards Udris, Patrik Ettinger, Kurt Imhof: Rechtsextremismus und Öffentlichkeit in der Schweiz. Ein Forschungsbericht. Bundeszentrale für politische Bildung 2007 (Volltext).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Sophie Guggenberger: Länderporträt: Schweiz. In: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 17, 2005, S. 195–217.
  2. Kurt Pelda: Die verbotene Neonazi-Gruppe ist auch in der Schweiz aktiv. In: tagesanzeiger.ch. 23. Januar 2020, abgerufen am 26. Januar 2020.
  3. Sophie Guggenberger: Länderporträt: Schweiz. In: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 17, 2005, S. 195–217, hier S. 210–214.
  4. Sophie Guggenberger: Länderporträt: Schweiz. In: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 17, 2005, S. 195–217, hier S. 199.
  5. Hans Stutz: Gaston-Armand Amaudruz verurteilt. Jüdische Rundschau, 13. April 2000, archiviert vom Original am 25. Oktober 2007;.
  6. Jens Renner: Schweizerangst. Rechtspopulismus. Wochenzeitung, 8. Juli 2004, archiviert vom Original am 2. August 2008;.
  7. a b Jürg Frischknecht: Von schwarzen Schafen. Generation Schwarzenbach ade. In: Die Wochenzeitung. 6. Dezember 2007.
  8. Jürg Frischknecht: Rechtsradikale in der Schweiz – Spinner oder Speerspitze? In: Neue Wege. Bd. 83 (1989), H. 9, S. 257–265, hier S. 264 (doi:10.5169/seals-143493#308).
  9. Martin Beglinger: Das Unfassbare, in: Weltwoche 05/2002.
  10. Hans Stutz: Loyale Arier. Von-Allmen-Mord. Zwischen SVP und Hakenkreuz: die politische Orientierung der Mitglieder des «Ordens der arischen Ritter». Wochenzeitung, 18. März 2004, archiviert vom Original am 23. Oktober 2007;.
  11. Hans Stutz: Mythos mit Aufmarsch. Wochenzeitung, 13. Juli 2006, archiviert vom Original am 2. August 2008;.
  12. Bericht Innere Sicherheit der Schweiz 2001. (PDF, 175 kB) Bundesamt für Polizei, Juli 2002;.
  13. Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (Hrsg.): Rechtsextremismus in der Öffentlichkeit: Wie Medien und Rechtsextreme voneinander profitieren. Pressemitteilung, Bern, 14. Mai 2007. Vgl. Sandro Cattacin u. a.: Monitoring misanthropy and rightwing extremist attitudes in Switzerland. An explorative study. Genf 2006, ISBN 978-2-940386-00-0 (PDF, 1,74 MB).
  14. Hanspeter Kriesi u. a.: The Politics of New Social Movements in Western Europe. A Comparateive Analysis. Minneapolis 1995; vgl. Sophie Guggenberger: Länderporträt: Schweiz. In: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 17, 2005, S. 195–217, hier S. 198.
  15. Sophie Guggenberger: Länderporträt: Schweiz. In: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 17, 2005, S. 195–217, hier S. 198.
  16. Paul Vallely: Switzerland: Europe’s heart of darkness? (Memento vom 4. Juli 2008 im Internet Archive) In: Independent Europe, 7. September 2007.
  17. Der Schweizer und sein "Neger" (Memento vom 9. März 2010 im Internet Archive), Streitgespräch mit Andrew Katumba und Ulrich Schlüer, abgedruckt in der SonntagsBlick-Beilage Sie + Er am 21. Januar 2007
  18. SVP und Rechtsextremismus (Memento vom 10. Oktober 2011 im Internet Archive), Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, Einschätzung der Situation 2000
  19. Hans Stutz: Blochers eifrige Bewunderer. In: Wochenzeitung, 7. Oktober 1999.
  20. Hans Stutz: Es ist mir eine Ehre. Der jurassische SVP-Nationalrat trat vor kurzem an einem rechtsextremen Kongress in Frankreich auf. Baettig hat eine rechtsextreme Vergangenheit, an die er sich nicht erinnern will. Eine Spurensuche. WOZ, 10. Dezember 2009, abgerufen am 8. Dezember 2010.
  21. Vgl. Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 8. Dezember 2002, S. 26.
  22. Oliver Geden: «Wir gegen die anderen»: Das Erfolgsrezept der SVP. In: NZZ am Sonntag, 9. September 2007, S. 21 (PDF, 135 kB).
  23. Antisemitism Worldwide 2000-1 Switzerland. Stephen Roth Institute, 2001, archiviert vom Original am 21. April 2002; (Bericht zu Antisemitismus in der Schweiz).
  24. Holger Gertz: Das Schweigen der Schäfli – Wahlkampf in der Schweiz (Memento vom 22. Oktober 2007 im Internet Archive). In: Süddeutsche Zeitung, 19. Oktober 2007.
  25. Eine Serie linksextremer Gewalt erschüttert Basel, NZZ, 8. September 2017