Racemat

Liegt z. B. das linke und das rechte Molekül in einem 1:1-Gemisch vor, spricht man von einem Racemat.

Als Racemat [rat͡seˈmaːt] (auch Razemat) oder racemisches (razemisches) Gemisch bezeichnet man in der Stereochemie ein Substanzgemisch, das aus zwei verschiedenen chemischen Stoffen besteht, deren Moleküle wie Bild und Spiegelbild (= Enantiomere) aufgebaut sind (Abbildung) und die in äquimolarer Mischung vorliegen, das heißt im Verhältnis 1:1.[1] Eine weitere Voraussetzung ist, dass sich Bild und Spiegelbild nicht zur Deckung bringen lassen. Solche zueinander spiegelbildlich aufgebauten Moleküle nennt man Enantiomere und ihre jeweilige chemische Verbindung chiral (griech. händisch). Sie gleichen bzw. unterscheiden sich wie zwei zusammengehörige Fingerhandschuhe, von denen jeder in der gleichen Weise, nur anders in Bezug auf Links und Rechts, Raum für einen Daumen und vier Finger gibt.[2]

Der Name „Racemat“ leitet sich vom lateinischen acidum racemicum = Traubensäure ab, der Substanz, mit der die erste Trennung eines Racemats in seine beiden Enantiomere gelang. Diesen Vorgang bezeichnet man auch als Racematspaltung.

Die physikalischen Eigenschaften eines racemischen Gemischs können sich erheblich von den Eigenschaften der zugehörigen Enantiomere unterscheiden. Beispielsweise dreht ein Racemat die Polarisationsebene von polarisiertem Licht nicht und ist optisch inaktiv, der Drehwert α beträgt also 0°.

Zur Kennzeichnung von racemischen Gemischen werden verschiedene Deskriptoren im Substanznamen verwendet, beispielsweise rac-, (RS)-, DL- oder (±)-.

Eigenschaften

Die Unterscheidung, ob eine Verbindung als Racemat oder als eines der reinen Enantiomere vorliegt, ist insofern wichtig, als Enantiomere zwar dem Betrag nach gleiche physikalische, aber oft völlig unterschiedliche physiologische Eigenschaften aufweisen. So riecht D-(+)-Carvon nach Kümmel, während L-(−)-Carvon nach Minze riecht. D-(−)-Leucin schmeckt süß, während L-(+)-Leucin bitter schmeckt. Wichtig sind die Eigenschaften in der Pharmakologie, wo zum Beispiel der (S)-konfigurierte β-Blocker (Betarezeptorenblocker) 100-mal stärker als das (R)-Enantiomer wirken kann.[3] Ein Enantiomer von Thalidomid, dem Wirkstoff des Schlafmittels Contergan, ist ein Teratogen (wirkt fruchtschädigend, siehe Contergan-Skandal). Hier ist eine Trennung der Enantiomere nutzlos, da sich jedes einzelne der Enantiomere bei oraler Einnahme in vivo in eine Mischung aus (S)- und (R)-Enantiomer umwandelt.[4][5] Ein Grund für die pharmakologisch unterschiedliche Wirkung von Enantiomeren eines racemischen Arzneistoffes in Organismen ist, dass Enzyme und Rezeptoren selbst chiral sind und nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip somit auf ein bestimmtes Enantiomer spezialisiert sind. Racemate von arzneilich oder ernährungsphysiologisch wirksamen Stoffen, wie sie bei einer chemischen Synthese meist entstehen, sind daher unerwünscht, da diese häufig nicht so spezifisch wirksam sind wie reine Enantiomere. Biotechnologische Verfahren, die Nutzung enantiomerenreiner Ausgangssubstanzen oder enantioselektive Synthesen führen meist direkt zu enantiomerenreinen Arzneistoffen. Alternativ werden enantiomerenreine Arzneistoffe durch Racematspaltung hergestellt. Ältere Arzneistoffe werden bis heute vielfach noch als Racemate eingesetzt, auch wenn mittlerweile die unterschiedliche pharmakologische Wirkung von Enantiomeren generell bekannt ist. In jüngerer Zeit wurden einige enantiomere Arzneistoffe entwickelt, um als Eutomer umsatzstarke Racemate zu ersetzen (siehe auch: enantiomerenreine Arzneistoffsynthese).

Den vollständigen oder anteiligen Abbau eines vorhandenen Enantiomerenüberschusses bezeichnet man als Racemisierung. Die Auftrennung eines Racemats in die einzelnen Enantiomere erfolgt durch Racematspaltung.[6]

Der Schmelzpunkt eines Racemats weicht in der Regel vom Schmelzpunkt der reinen Enantiomere ab.[7] Dabei kann der Schmelzpunkt des Racemates tiefer oder höher liegen als der der reinen Enantiomere. Dieses auf den ersten Blick unerwartete Phänomen kann erklärt werden: Wenn das Racemat als razemisches Gemisch (Konglomerat) kristallisiert, liegen die Kristalle der (+)- und (−)-Form getrennt nebeneinander vor, d. h. das (+)-Enantiomere hat eine höhere Affinität zu (+)-Molekülen und das (−)-Enantiomere hat eine höhere Affinität zu (−)-Molekülen. Es entstehen also bei der Kristallisation nebeneinander reine (+)- und (−)-Kristalle. Der Schmelzpunkt des racemischen Gemischs liegt deutlich unter dem Schmelzpunkt der reinen Enantiomeren. Beispiel: Beide reinen (+)- und (−)-Enantiomere des Arzneistoffes Glutethimid schmelzen bei 102–103 °C. Hingegen hat (±)-Glutethimid, also das racemische Gemisch, einen Schmelzpunkt von 84 °C.

Anders ist die Situation, wenn die (+)-Enantiomere beim Kristallisieren bevorzugt mit den (−)-Enantiomeren zusammen kristallisieren. Dann enthält jeder Kristall gleich viele Moleküle beider Enantiomere. Man nennt diesen Fall eine racemische Verbindung. Die racemische Verbindung unterscheidet sich in ihren physikalischen Eigenschaften von den reinen Enantiomeren. Der Schmelzpunkt kann höher, gleich oder niedriger liegen, als der der reinen Enantiomere. Beispiel: Die reinen Enantiomere des Arzneistoffes Ibuprofen haben einen Schmelzpunkt bei 50–52 °C, racemisches Ibuprofen hat einen Schmelzpunkt bei 75–77,5 °C. Racemisches Ibuprofen kristallisiert also als racemische Verbindung.

Geschichte

D- und L-Tartratkristalle, die sich wie Bild und Spiegelbild verhalten

Louis Pasteur ließ 1848, im Alter von 26 Jahren, eine wässrige Lösung des Natriumammoniumsalzes der Traubensäure auskristallisieren und trennte daraus einzelne Kristalle aufgrund ihrer asymmetrischen Form („hemihedrale Flächen“). Eine Lösung der Kristalle einer Sorte zeigte optische Aktivität in die eine, die andere in die entgegengesetzte Richtung – das Racemat war in Enantiomeren getrennt. Man zweifelte Pasteurs Arbeit an, und er musste sie unter der Aufsicht von Jean-Baptiste Biot wiederholen, was gelang.[8] Pasteur hatte Glück: Wäre es im Labor wärmer gewesen, wäre der Versuch misslungen. Bei Natriumammoniumtartrat tritt spontane Racemat-Spaltung (Kristallisation als Konglomerat) nur unterhalb von 28 °C auf, darüber wäre nur eine Sorte Kristalle entstanden – die racemische Verbindung.[9][10]

Die Forschungstätigkeit des niederländischen Physikochemikers Hendrik Willem Bakhuis Roozeboom (1854–1907) erstreckte sich maßgeblich auf das Gebiet der Thermodynamik und die Studie von Mehrphasensystemen. So hat er bereits vor Pasteur zum Verständnis der Thermodynamik von Enantiomerengemischen beigetragen.[11]

Kristallisation

Man unterscheidet drei verschiedene Arten, in denen ein Racemat kristallisieren kann. Dies hat besonders Auswirkungen auf Racematspaltungen durch Kristallisation. H. W. B. Roozeboom hat bereits 1899 klar definiert, wie man zwischen diesen Arten unterscheiden kann.

Racemische Verbindung

Ein kristallines Racemat, das eine einzige Phase bildet, in welcher die zwei Enantiomere wohlgeordnet in einem 1:1 Verhältnis in der Elementarzelle vorkommen, wird racemische Verbindung genannt. Die Mehrheit aller chiralen Verbindungen kristallisiert auf diese Weise.[12]

Konglomerat

Ein Konglomerat (racemisches Gemisch) ist ein kristallines Racemat, das aus einer 1:1-Mischung aus separaten Kristallen der reinen Enantiomere besteht. Die Elementarzellen jedes einzelnen Kristalls bestehen also entweder ausschließlich aus dem (+)-Enantiomer oder aus dem (−)-Enantiomer. Dieser kristalline Typ kommt seltener vor als die racemische Verbindung.[13][12]

Pseudoracemat

Dies ist ein kristallines Racemat, in dem die beiden Enantiomere Mischkristalle bilden,[14] die Enantiomere im Kristallgitter also statistisch verteilt sind. Ungleiche Mengen beider Enantiomere können in jedem Verhältnis cokristallisieren. Nur sehr wenige chirale Verbindungen kristallisieren auf diese Weise.[12]

Racematspaltung

Als Racematspaltung werden Verfahren zur Trennung von Racematen in ihre Enantiomere bezeichnet. Die Auftrennungsprinzipien sind:

Trennung als Enantiomere

  • manuelles Sortieren von separat gewachsenen Kristallen. Die klassische Methode nach Louis Pasteur, die allerdings praktisch unbedeutend ist, ist das manuelle Aussortieren von Kristallen unter dem Mikroskop. Eine Voraussetzung dafür ist, dass das Racemat von sich aus Kristalle bildet, die nur eines der Enantiomere enthalten (spontane Spaltung). Solche Kristalle unterscheiden sich auch makroskopisch wie Bild und Spiegelbild.
  • Trennung von Racematen durch Animpfen übersättigter Racemat-Lösungen mit einer geringen Menge eines Enantiomers des gleichen Racemates und anschließende fraktionierende Kristallisation.[15] Voraussetzung für diese Trennmethode: Kristallisation als Konglomerat. Mittlerweile ist jedoch ein Prozess zur Trennung verbindungsbildener Systeme erforscht.

Trennung nach Diastereomerenbildung

  • Bildung diastereomerer Salze durch Zugabe eines enantiomerenreinen Hilfsstoffes und anschließende Trennung durch fraktionierende Kristallisation unter Ausnutzung ihrer unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften[17]
  • Die im organisch-chemischen Labor übliche Methode ist das in Kontakt bringen mit chiralen Materialien. Chromatographisch wählt man dazu entweder die mobile (Eluenz) oder die stationäre Phase optisch aktiv. Das führt zur unterschiedlichen Retention zweier Enantiomere. Auch eine dünnschichtchromatographische Enantiomerentrennung unter Verwendung einer enantioselektiven stationären Phase ist bekannt.

Fermentative Racematspaltung

  • erstmals demonstriert wurde dieses Verfahren ebenfalls durch Pasteur 1858, der den Schimmelpilz Penicillium glaucum mit racemischer Weinsäure als Nährstoff wachsen ließ. Während das eine Enantiomer vom Pilz verstoffwechselt wurde, blieb das andere Enantiomer in der Lösung zurück.[18]

Kinetische Racematspaltung

  • Eine weitere Methode ist die kinetische Racematspaltung. Dabei wird eine racemische Substanz mit einem enantiomerenreinen Reagenz zusammengebracht, wobei ein Enantiomer schneller reagiert als das andere. Ist der Unterschied in der Reaktionsgeschwindigkeit groß genug, bleibt ein Enantiomer unverändert zurück; das andere Enantiomer wird in eine neue (evtl. ebenfalls chirale) Verbindung überführt. Dieses Trennprizip macht man sich z. B. bei der enzymatischen Racematspaltung mit Hydrolasen zunutze. Die häufiger angewendete Art der kinetischen Racematspaltung bedient sich der Katalyse, bei der anstelle eines Reagens ein enantiomerenreiner Katalysator verwendet wird, der ein Enantiomer des Edukts schneller umsetzt als das andere.

Siehe auch

Commons: Racemat – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Quellen und Anmerkungen

  1. IUPAC-Regel E-4.5 (PDF)
  2. Weitere einfach zu verstehende Beispiele für Links und Rechts in der Natur und anderswo siehe in: Henri Brunner: Rechts oder links – in der Natur und anderswo, Wiley-VCH Verlag GmbH, Weinheim 1999, ISBN 3-527-29974-2, sowie in Brunners „chiraler Galerie“.
  3. Ernst Mutschler: Arzneimittelwirkungen, 5. Auflage, Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft Stuttgart, 1986, S. 277, ISBN 3-8047-0839-0.
  4. E. J. Ariëns: Stereochemistry, a basis for sophisticated nonsense in pharmacokinetics and clinical pharmacology, In: European Journal of Clinical Pharmacology 26 (1984) 663–668.
  5. Bernard Testa, Pierre-Alain Carrupt, Joseph Gal: The so-called ldquointerconversionrdquo of stereoisomeric drugs: An attempt at clarification. In: Chirality. Band 5, Nr. 3, 1993, S. 105–110, doi:10.1002/chir.530050302.
  6. Eintrag zu Racemattrennung. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 25. Mai 2014.
  7. Hermann J. Roth, Christa E. Müller und Gerd Folkers: Stereochemie & Arzneistoffe, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 1998, ISBN 3-8047-1485-4, S. 161–162.
  8. H. D. Flack: Louis Pasteur's discovery of molecular chirality and spontaneous resolution in 1848, together with a complete review of his crystallographic and chemical work. In: Acta Crystallographica Section A Foundations of Crystallography. 65, 2009, S. 371–389, doi:10.1107/S0108767309024088.
  9. Robert T. Morrison, Robert N. Boyd: Lehrbuch der Organischen Chemie. 3. Auflage, VCH, Weinheim 1986, S. 158, ISBN 3-527-26067-6.
  10. Hans Beyer, Wolfgang Walter: Lehrbuch der Organischen Chemie. 22. Auflage, S. Hirzel Verlag, Stuttgart 1991, S. 347, ISBN 3-7776-0485-2.
  11. Louis Fieser, Mary Fieser: Organische Chemie, Verlag Chemie Weinheim, 2. Auflage, 1972, S. 82–83, ISBN 3-527-25075-1.
  12. a b c Wolfgang Bähr, Hans Theobald: Organische Stereochemie – Begriffe und Definitionen, Springer Verlag, 1973, S. 93–94, ISBN 3-540-06339-0.
  13. Bernhard Testa: Grundlagen der Organischen Stereochemie, Verlag Chemie, Weinheim, 1983, S. 162–167, ISBN 3-527-25935-X.
  14. Eintrag zu Racemate. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 25. Mai 2014.
  15. Axel Kleemann und Jürgen Martens: Optical Resolution of Racemic S-(Carboxymethyl)cysteine, Liebigs Annalen der Chemie 1982, 1995–1998.
  16. Kurt Günther, Jürgen Martens und Maren Schickedanz: Dünnschichtchromatographische Enantiomerentrennung mittels Ligandenaustausch, Angewandte Chemie 96 (1984) 514-515; Angewandte Chemie International Edition in English 23 (1984) 506.
  17. Bernd Schäfer: Naturstoffe der chemischen Industrie, Elsevier GmbH, Spektrum Verlag, 2007, Seite 155, ISBN 978-3-8274-1614-8.
  18. Pasteur, M. L. (1858): C. R. Hebd. Seances Acad. Sci. Bd. 46, S. 615–618.

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Amino Acid Chirality chirality with hands from http://www.nai.arc.nasa.gov/ A "chiral" molecule is one that is not superposable with its mirror image. Like left and right hands that have a thumb, fingers in the same order, but are mirror images and not the same, chiral molecules have the same things attached in the same order, but are mirror images and not the same. Although most amino acids can exist in both left and right handed forms, Life on Earth is made of left handed amino acids, almost exclusively. No one knows why this is the case. However, Drs. John Cronin and Sandra Pizzarello have shown that some of the amino acids that fall to earth from space are more left than right. Thus, the fact that we are made of L amino acids may be because of amino acids from space. Why do amino acids in space favor L? No one really knows, but it is known that radiation can also exist in left and right handed forms. So, there is a theory called the Bonner hypothesis, that proposes that left handed radiation in space (from a rotating neutron star for example) could lead to left handed amino acids in space, which would explain the left handed amino acids in meteorites. This is still speculative but our paper makes it much more plausible. In fact, this observations was one of the main reasons why we pursued this research. Although there were theories about how the amino acids could form in space in the ice, no one had shown that it was viable to make amino acids this way, until now.