REFLEX-Studie

Die REFLEX-Studie ist ein von der Europäischen Union im Rahmen des Quality of Life and Management of Living Resources-Programms gefördertes und von der Stiftung für Verhalten und Umwelt, einer vom Verband der Cigarettenindustrie gegründeten Stiftung, durchgeführtes Projekt[1] zur Erforschung möglicher Schädigungen des Erbguts durch hochfrequente elektromagnetischer Felder (HF-EMF), wie sie beispielsweise bei der Mobilfunk-Technologie verwendet werden. Diese Studie wurde durchgeführt, da nach Ansicht der Autoren der Studie bei allen vorherigen epidemiologischen und tierexperimentellen Forschungen zu diesem Thema keine Klarheit erzielt werden konnte.[2]

Ergebnisse der Studie

Laut der REFLEX-Studie sollen sowohl DCS 1800 als auch GSM 900 bereits unterhalb des gesetzlichen Grenzwertes von 2 W/kg Schädigungen an der Struktur und Funktion der menschlichen Gene verursachen können. Es sollen sowohl bei intermittierender als auch bei kontinuierlicher Exposition verstärkt Einzel- und Doppelstrangbrüche der DNA menschlicher Fibroblasten sowie HL60-Zellen und Granulosazellen von Ratten auf, aber nicht in menschlichen Lymphozyten aufgetreten sein. Ferner soll eine Zunahme von Mikrokernen und Chromosomenaberrationen in menschlichen Fibroblasten sowie Veränderungen der Genexpression in mehreren Zellarten, insbesondere in menschlichen Endothelzellen und embryonalen Stammzellen von Mäusen festgestellt worden sein. Ein bedeutsamer Anstieg der DNA-Strangbrüche war laut Studie in menschlichen Fibroblasten bereits bei dem SAR-Wert von 0,3 W/kg nachweisbar.[3]

Finanzierung

Die Förderung lief bei der EU unter der Bezeichnung QLK4-CT-1999-01574, der Name REFLEX steht für „risk evaluation of potential environmental hazards from low energy electromagnetic field exposure using sensitive in vitro methods“. Die Forschungen wurden in den Jahren 2000–2004 von zwölf Forschergruppen (elf plus das Untersuchungs-führende Institut) aus sieben europäischen Ländern durchgeführt und waren mit Mitteln in Höhe von mehr als 2 Millionen Euro sowie weiteren zusammen rund 1 Million Euro von der Schweizer und der Finnischen Regierung sowie Eigenmitteln der Stiftung für Verhalten und Umwelt ausgestattet[1]. Diese Forschungen liefen im Rahmen des 5. Forschungsrahmenprogramms der EU-Kommission.

Fälschungsvorwürfe

Laut Medienberichten gilt eine Publikation der REFLEX-Studie,[4] sowie eine Nachfolgepublikation,[5] hinsichtlich angeblich festgestellter Strangbrüche im Erbgut als ungültig.[6] Es wurden Auffälligkeiten in der Auswertung kritisiert,[7] die Publikation allerdings nicht zurückgezogen.[8] Eine bewusste Fälschung konnte von zwei unabhängigen Gremien weder belegt noch widerlegt werden: Die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität stellte fest, dass „die Fälschungsvorwürfe nicht verifiziert werden“ konnten, die „Dokumentation der Originaldaten und deren Darstellung“ allerdings nicht der „wissenschaftlichen Praxis“ entsprächen.[9] Der Rat für Wissenschaftsethik der Medizinischen Universität Wien kritisierte in seinem Endbericht die Vorgehensweise und die Mitautorenschaft einer Labormitarbeiterin.[10] Diese erwirkte 2015 ein Unterlassungsurteil gegen den Fälschungsvorwurf.[11] Im Dezember 2020 wurde dieses Urteil vom Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen bestätigt, im Urteil heißt es "Hieraus lässt sich aus mathematisch-statistischer Sicht jedoch lediglich ableiten, dass die Arbeiten fehlerhaft sind." Eine bewusste Fälschung konnte jedoch nicht bewiesen werden.[12]

Verifizierung

Bei einer vom Humangenetiker Günter Speit geleiteten Wiederholung der Experimente konnten die Ergebnisse nicht reproduziert werden.[9][13] Eine Wiederholung von Teilen gelang einem Autor, der an der REFLEX-Studie beteiligt war.[5] Die Wiederholung wurde, mit der Originalarbeit, durch die untersuchenden Gremien als nicht wissenschaftlich zuverlässig bezeichnet.[9][10] Auch ein zweiter Replikationsversuch von anderen Teilergebnissen der REFLEX-Studie durch Speit, diesmal unter Mitarbeit von Autoren der Originalarbeit, scheiterte.[14]

In den ATHEM-Reports der AUVA wird die Existenz empfindlicher und strahlungs-unempfindlicher Zellen aufgezeigt, was das erste negative Ergebnis von Speit erklären könnte. Auch die Existenz einer Latenzzeit (Beginn der Exposition bis zum Auftreten von Wirkungen) wurde dabei bestätigt. Als zellulärer Mechanismus – also wie es bei sensiblen Zellen zu DNA-Veränderungen kommen kann – wurde festgestellt, dass HF-EMF Exposition die DNA oxidieren und somit brüchig machen kann. Bei Zellen unter zusätzlichem Stress erhöhte die HF-EMF Exposition die DNA-Bruchrate.[15][16]

Sonstiges

Eine Forschergruppe wollte das Resümee des Projektkoordinators Franz Adlkofer nicht mittragen.[17]

Die Reflex-Studie hatte zunächst scheinbar gezeigt, dass bei extrem starken Feldern ein reproduzierbarer Zusammenhang zwischen alltäglicher elektromagnetischer Strahlung und Zellschädigungen bestehen kann.[1] Diese Laborergebnisse ließen, auch unter der Annahme, dass sie richtig sind, keinen Schluss auf Krankheiten zu, die durch derartige Strahlung hervorgerufen werden.[18]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c EU-Projekte; REFLEX (englisch, 33 kB) Archiviert vom Original am 29. September 2007. Abgerufen am 11. Februar 2010: „A project funded by the EU under the programme „Quality of Life and Management of Living Resources“, Key Action 4 „Environment and Health“: QLK4-CT-1999-01574“
  2. Franz Adlkofer: Ergebnisse aus dem REFLEX-Projekt. Vortrag beim 7. Workshop „Elektromagnetische Felder in der Umwelt“ (aekwien.at PDF; 621 kB); Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz NRW, Düsseldorf; 2. Dezember 2004, S. 2.
  3. Wirkungen des Mobil- und Kommunikationsfunks, Broschürenreihe der Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie e. V. Heft 3, 2008, ISBN 978-3-9812598-1-0.
  4. Elisabeth Diem, Claudia Schwarz, Franz Adlkofer, Oswald Jahn, Hugo Rüdiger: Non-thermal DNA breakage by mobile-phone radiation (1800MHz) in human fibroblasts and in transformed GFSH-R17 rat granulosa cells in vitro. In: Mutation Research/Genetic Toxicology and Environmental Mutagenesis. Band 583, Nr. 2, 6. Juni 2005, ISSN 1383-5718, S. 178–183, doi:10.1016/j.mrgentox.2005.03.006 (sciencedirect.com [abgerufen am 9. Januar 2020]).
  5. a b Claudia Schwarz, Elisabeth Kratochvil, Alexander Pilger, Niels Kuster, Franz Adlkofer: Radiofrequency electromagnetic fields (UMTS, 1,950 MHz) induce genotoxic effects in vitro in human fibroblasts but not in lymphocytes. In: International Archives of Occupational and Environmental Health. Band 81, Nr. 6, 1. Mai 2008, ISSN 1432-1246, S. 755–767, doi:10.1007/s00420-008-0305-5.
  6. Manfred Dworschak: Mobilfunk: Beim Tricksen ertappt. In: Der Spiegel. 26. Mai 2008, abgerufen am 8. Januar 2020 (Der Spiegel, Heft 22/2008).
  7. Alexander Lerchl, Adalbert F. X. Wilhelm: Critical comments on DNA breakage by mobile-phone electromagnetic fields [Diem et al., Mutat. Res. 583 (2005) 178–183]. In: Mutation Research/Genetic Toxicology and Environmental Mutagenesis. Band 697, Nr. 1, 29. März 2010, ISSN 1383-5718, S. 60–65, doi:10.1016/j.mrgentox.2010.01.010 (sciencedirect.com [abgerufen am 9. Januar 2020]).
  8. Robert A. Baan: Letter of Concern. In: Mutation Research/Genetic Toxicology and Environmental Mutagenesis. Band 695, Nr. 1, 1. Januar 2010, ISSN 1383-5718, S. 1, doi:10.1016/j.mrgentox.2009.11.004 (sciencedirect.com [abgerufen am 9. Januar 2020]).
  9. a b c Stellungnahme der österreichischen Kommission für Wissenschaftliche Integrität vom 23. November 2010 (Memento vom 21. April 2013 im Internet Archive)
  10. a b Endbericht des Rat für Wissenschaftsethik der MUW vom 13. November 2008. (PDF; 219 kB).
  11. Urteil des LG Hamburg vom 13. März 2015, Az. 324 O 511/14 (pandora-stiftung.eu PDF, Volltext).
  12. Hanseatisches Oberlandesgerichts Bremen: Urteil 2U 104/17 = 7O 1707/16. Abgerufen am 31. Januar 2021.
  13. Günter Speit, Petra Schütz, Heike Hoffmann: Genotoxic effects of exposure to radiofrequency electromagnetic fields (RF-EMF) in cultured mammalian cells are not independently reproducible. In: Mutation Research/Genetic Toxicology and Environmental Mutagenesis. Band 626, Nr. 1, 10. Januar 2007, ISSN 1383-5718, S. 42–47, doi:10.1016/j.mrgentox.2006.08.003 (sciencedirect.com [abgerufen am 9. Januar 2020]).
  14. Günter Speit, Richard Gminski, Rudolf Tauber: Genotoxic effects of exposure to radiofrequency electromagnetic fields (RF-EMF) in HL-60 cells are not reproducible. In: Mutation Research/Genetic Toxicology and Environmental Mutagenesis. Band 755, Nr. 2, 15. August 2013, ISSN 1383-5718, S. 163–166, doi:10.1016/j.mrgentox.2013.06.014 (sciencedirect.com [abgerufen am 9. Januar 2020]).
  15. ATHEM - Untersuchung athermischer Wirkungenelektromagnetischer Felder im Mobilfunkbereiche. In: Band 47. AUVA, 2011, abgerufen am 9. Januar 2020.
  16. ATHEM-2 – Untersuchung athermischer Wirkungen elektromagnetischer Felder im Mobilfunkbereich. In: Band 70. AUVA, 2016, abgerufen am 29. Dezember 2016.
  17. Neuer Zündstoff für Diskussion über Handy-Gefahr. Elektromagnetische Wellen mit Handy-Intensität verursachten DNA-Veränderungen / Daten einer in-vitro-Studie. In: Ärzte Zeitung. 29. Juni 2004 (aerztezeitung.de).
  18. Stellungnahme des BfS zur REFLEX-Studie (PDF; 118 kB).