Die -Räume, auch Lebesgue-Räume, sind in der Mathematik spezielle Räume, die aus allen p-fach integrierbaren Funktionen bestehen. Das in der Bezeichnung geht auf den französischen Mathematiker Henri Léon Lebesgue zurück, da diese Räume über das Lebesgue-Integral definiert werden. Im Fall Banachraum-wertiger Funktionen (wie im Folgenden allgemein für Vektorräume dargestellt) bezeichnet man sie auch als Bochner-Lebesgue-Räume.[1] Das in der Bezeichnung ist ein reeller Parameter: Für jede Zahl ist ein -Raum definiert. In der Wahrscheinlichkeitstheorie wird Konvergenz in zu einem Wahrscheinlichkeitsmaß definierten -Räumen als Konvergenz im p-ten Mittel bezeichnet.
Genau dann ist eine Norm auf , wenn die leere Menge die einzige Nullmenge in ist. Gibt es nämlich eine Nullmenge , so ist die charakteristische Funktion ungleich der Nullfunktion, aber es gilt .
Lp mit Norm
Um auch im Fall einer Halbnorm zu einem normierten Raum zu kommen, identifiziert man Funktionen miteinander, wenn sie fast überall gleich sind. Formal bedeutet das: Man betrachtet den (von unabhängigen) Untervektorraum
und definiert den Raum als den Faktorraum. Zwei Elemente von sind also genau dann gleich, wenn gilt, also wenn und fast überall gleich sind.
Der Vektorraum ist durch normiert. Die Normdefinition hängt nicht von dem Repräsentanten aus ab, das heißt, für Funktionen in der gleichen Äquivalenzklasse gilt . Das begründet sich damit, dass das Lebesgue-Integral invariant gegenüber Änderungen des Integranden auf Nullmengen ist.
Auch wenn man von sogenannten -Funktionen spricht, handelt es sich dabei um die gesamte Äquivalenzklasse einer klassischen Funktion. Allerdings liegen im Falle des Lebesgue-Maßes auf dem zwei verschiedene stetige Funktionen nie in der gleichen Äquivalenzklasse, so dass der -Begriff eine natürliche Erweiterung des Begriffs stetiger Funktionen darstellt.
Sonderfall p=∞
Auch für kann man mithilfe des wesentlichen Supremums (in Zeichen: ) einen -Raum definieren, den Raum der wesentlich beschränkten Funktionen. Hierfür gibt es verschiedene Möglichkeiten, die aber für σ-endlicheMaßräume alle zusammenfallen. Am verbreitetsten ist:
dabei ist
Betrachtet man analog zu oben , erhält man wieder einen Banachraum.
Beispiele
Lebesgue-Räume bezüglich des Lebesgue-Maßes
Ein sehr wichtiges Beispiel von -Räumen ist durch einen Maßraum gegeben, ist dann die borelsche σ-Algebra, und das Lebesgue-Maß. In diesem Zusammenhang wird die kürzere Notation benutzt.
Dieser Raum wird mit bezeichnet. Die Grenzfälle und sind der Raum der absolut summierbaren Zahlenfolgen und der Raum der beschränkten Zahlenfolgen. Für alle gilt .
Allgemeiner ℓp-Raum
Völlig analog kann man zu einer beliebigen Indexmenge den Maßraum mit dem Zählmaß betrachten. In diesem Fall nennt man den -Raum , es gilt
,
wobei die Konvergenz der Summe implizieren möge, dass nur abzählbar viele Summanden ungleich null sind (siehe auch unbedingte Konvergenz). Ist die Menge abzählbar unendlich, so ist ein solcher Raum isomorph zum oben definierten Folgenraum . Im Falle einer überabzählbaren Indexmenge kann man den Raum als lokalkonvexendirekten Limes von -Folgenräumen auffassen.[2]
Sobolev-Räume quadratintegrierbarer Funktionen
Wählt man , als die borelsche σ-Algebra und , wobei und das -dimensionale Borel-Lebesgue-Maß ist, dann erhält man den Maßraum . Der Lebesgue-Raum der bezüglich dieses Maßes quadratintegrierbaren Funktionen ist ein echter Unterraum des Raums der temperierten Distributionen. Er wird unter der Fourier-Transformation bijektiv auf den Raum der quadratintegrierbaren Sobolev-Funktionen zur Differentiationsordnung , ebenfalls ein echter Unterraum von , abgebildet. Dabei überführt die Fourier-Transformation die entsprechenden Normen ineinander:
Für sind obige Räume dichte Teilräume von , sodass man in diesem Fall auch die Fourier-Transformation auf statt auf betrachten kann.
Für ist zu isomorph (der Isomorphismus analog zu oben), falls σ-endlich oder allgemeiner lokalisierbar ist. Ist nicht -endlich, so lässt sich (wieder unter demselben Isomorphismus) als der Banachraum der lokal messbaren lokal im Wesentlichen beschränkten Funktionen darstellen.
Die Räume und sind nicht reflexiv.
Der Hilbertraum L2
Definition
Der Raum hat eine besondere Rolle unter den -Räumen. Dieser ist nämlich selbst-dual und lässt sich als einziger mit einem Skalarprodukt versehen und wird somit zu einem Hilbertraum. Sei dazu wie oben ein Maßraum, ein Hilbertraum (häufig mit dem Skalarprodukt ) und
.
Dann definiert
ein Skalarprodukt auf . Die von diesem Skalarprodukt induzierte Norm ist die oben definierte -Norm mit
Da diese Funktionen der Norm nach zum Quadrat integrierbar sind, werden die -Funktionen auch quadratintegrierbare bzw. quadratisch integrierbare Funktionen genannt. Handelt es sich hierbei speziell um die Elemente des Folgenraums, so spricht man in der Regel von den quadratisch summierbaren Folgen. Dieser Hilbertraum spielt eine besondere Rolle in der Quantenmechanik.
Beispiel
Die Funktion , welche durch definiert ist, ist eine -Funktion mit -Norm:
Die Bochner-Lebesgue-Räume sind eine Verallgemeinerung der bisher betrachteten Lebesgue-Räume. Sie umfassen im Gegensatz zu den Lebesgue-Räumen banachraumwertige Funktionen.
ist ebenfalls eine Halbnorm auf , wenn gilt. Die Bochner-Lebesgue-Räume sind nun genauso wie die Lebesgue-Räume als Faktorraum definiert.
Eigenschaften
Für die Bochner-Lebesgue-Räume gelten ebenfalls die Aussagen, die unter Eigenschaften aufgeführt sind. Nur bei den Dualräumen gibt es einen Unterschied. Für alle gilt nämlich
wobei durch definiert ist und den Dualraum von bezeichnet. Entsprechend sind Bochner-Lebesgue-Räume nur dann reflexiv, wenn der Banachraum reflexiv ist.[5] Ebenso sind die Bochner-Lebesgue-Räume nur separabel, wenn der Zielraum separabel ist.
definiert. Zufallsvariablen, die -Funktionen sind, besitzen also einen endlichen Erwartungswert. Des Weiteren sind Zufallsvariablen genau dann in , wenn man ihnen eine Varianz zuweisen kann. Da das für praktische Anwendungen häufig gefordert ist, sind -Räume gerade in der Stochastik wichtig.
Den Lebesgue-Räumen verwandte Räume
Oftmals betrachtet man auch -Funktionen für Außerdem werden in der Funktionalanalysis die Sobolev-Räume und die Hardy-Räume untersucht, welche man als Spezialfälle der -Räume verstehen kann und in der Differentialgeometrie gibt es auf Mannigfaltigkeiten eine Verallgemeinerung der -Räume.
Lp für p < 1
Es gibt auch die Verallgemeinerung der -Räume bzw. für . Diese sind allerdings keine Banachräume mehr, weil die entsprechende Definition keine Norm liefert. Immerhin sind diese Räume vollständigetopologische Vektorräume[6][7] mit der Quasinorm
Für die Quasinorm wird die Dreiecksungleichung abgeschwächt, die positive Homogenität bleibt erhalten:
Für die Fréchet-Metrik wird hingegen die positive Homogenität abgeschwächt, die Dreiecksungleichung bleibt erhalten:
Diese Räume sind im Allgemeinen nicht lokalkonvex, der Satz von Hahn-Banach also im Allgemeinen nicht anwendbar, sodass es möglicherweise „sehr wenige“ lineare stetige Funktionale gibt. Insbesondere ist nicht gesichert, dass die schwache Topologie auf Punkte trennen kann. Ein derartiges Beispiel liefert mit [6][8][9].
Eine lokal integrierbare Funktion ist eine messbare Funktion, die nicht notwendigerweise auf ihrem kompletten Definitionsbereich integrierbar sein muss, jedoch muss sie für jedes Kompaktum, das im Definitionsbereich enthalten ist, integrierbar sein. Sei also offen. Dann heißt eine Funktion lokal integrierbar, falls für jedes Kompaktum das Lebesgue-Integral
endlich ist. Die Menge dieser Funktionen wird mit bezeichnet. Analog zu den -Räumen bildet man auch hier Äquivalenzklassen von Funktionen, die sich nur auf einer Nullmenge unterscheiden, und erhält dann den Raum als Faktorraum. Mit der Familie aller Halbnormen (für kompakte Mengen ) wird dieser zu einem hausdorffschen, lokalkonvexen und vollständigentopologischen Vektorraum; durch Auswahl abzählbar vieler Kompakta, die geeignet approximieren, sogar ein Fréchet-Raum. Dieser Raum kann als Raum der regulären Distributionen verstanden werden und lässt sich daher stetig in den Raum der Distributionen einbetten. Analog zu lassen sich auch die Räume der lokal p-integrierbaren Funktionen definieren.
Neben den schon angeführten Sobolev-Räumen mit quadratintegrierbaren Funktionen, gibt es noch weitere Sobolev-Räume. Diese werden mithilfe der schwachen Ableitungen definiert und umfassen -integrierbare Funktionen. Verwendet werden diese Räume insbesondere zur Untersuchung von partiellen Differentialgleichungen.
Untersucht man statt der messbaren Funktionen nur die holomorphen beziehungsweise die harmonischen Funktionen auf Integrierbarkeit, so werden die entsprechenden -Räume Hardy-Räume genannt.
Lebesgue-Räume auf Mannigfaltigkeiten
Auf einer abstrakten differenzierbaren Mannigfaltigkeit, die nicht in einen euklidischen Raum eingebettet ist, existiert zwar kein kanonisches Maß und somit kann man keine -Funktionen definieren. Es ist aber trotzdem möglich, ein Analogon zum -Raum zu definieren, indem man statt Funktionen auf der Mannigfaltigkeit sogenannte 1-Dichten untersucht. Weitere Informationen sind im Artikel Dichtebündel zu finden.
Quellen
Herbert Amann, Joachim Escher: Analysis. Band 3. Birkhäuser, Basel u. a. 2001, ISBN 3-7643-6613-3.
Einzelnachweise
↑Bochner-Integral. In: Guido Walz (Red.): Lexikon der Mathematik. Band 3: Inp bis Mon. Spektrum Akademischer Verlag, Mannheim u. a. 2001, ISBN 3-8274-0435-5.
↑Rafael Dahmen, Gábor Lukács: Long colimits of topological groups I: Continuous maps and homeomorphisms. in: Topology and its Applications Nr. 270, 2020. Example 2.14
↑Haïm Brezis: Functional Analysis, Sobolev Spaces and Partial Differential Equations. Springer New York, New York NY 2010, ISBN 978-0-387-70913-0, Theorem 4.13.
↑Dirk Werner: Funktionalanalysis. 6., korrigierte Auflage. Springer, Berlin u. a. 2007, ISBN 978-3-540-72533-6, Lemma V.1.10.
↑Joseph Diestel, John J. Uhl: Vector measures (= Mathematical Surveys and Monographs. Bd. 15). American Mathematical Society, Providence RI 1977, ISBN 0-8218-1515-6, Seiten 98, 82.
↑Herbert Amann, Joachim Escher: Analysis. Band 3. 2. Auflage. Birkhäuser Verlag, Basel u. a. 2008, ISBN 978-3-7643-8883-6, Kapitel X: Integrationstheorie, Aufgabe 13, S.131.
↑Walter Rudin: Functional Analysis. 2. Auflage. McGraw-Hill, New York 1991, ISBN 0-07-054236-8, S.36–37.
↑Hans Wilhelm Alt: Lineare Funktionalanalysis. Eine anwendungsorientierte Einführung. 6. Auflage. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg 2012, ISBN 978-3-642-22260-3, Kapitel 2. Teilmengen von Funktionenräumen, U2.11, S.140.