Pyramide des Kukulcán
Die Pyramide des Kukulcán (Kukulcán: Maya-Wort für Quetzalcoatl), von den spanischen Eroberern auch El Castillo ('Burg', 'Festung') genannt, ist eine Tempelpyramide in der Ruinenstadt Chichén Itzá im Norden der Halbinsel Yucatán (Mexiko). Sichtbar ist die „Jüngere Pyramide“, in deren Inneren mindestens ein Vorgängerbau verborgen ist.
Jüngere Tempelpyramide
Pyramide
Die Pyramide ist 30 m hoch, hat eine Grundkantenlänge von 55 m und erhebt sich in neun Pyramidenstufen. Die Treppen an allen vier Seiten umfassen 365 Stufen. Diese Zahl setzt sich wie folgt zusammen: Drei Treppen zählen 91 Stufen und die nördliche Treppe zählt 92, ergibt 365. Diese Berechnung, die sich auf die Tage des Jahres beziehen soll, wurde schon von älteren Autoren als pure Spekulation bewertet.[1] Tatsächlich ist die Zahl der Stufen das Ergebnis der Restaurierungskampagnen – Nord- und Westseite wurden durch die mexikanische Dirección de Antropología (ab 1923 unter José Reygadas Vértiz) restauriert, die Ostseite durch das Instituto Nacional de Antropología e Historia (1979 unter Peter J. Schmidt); die Südseite verblieb unrestauriert. Die Zahl der so erreichten Stufen schwankt zwischen 91 und 93, schon weil das Gelände nach Süden leicht abfällt.
Die Seiten der Pyramide sind neunfach gestuft; die leicht angeböschten Seitenflächen der Stufen sind oben durch ein horizontales Band abgeschlossen. Darunter befinden sich – mit Ausnahme der obersten Stufe – jeweils vier herabhängende rechteckige Flächen, die gegenüber der glatten Außenfläche der Stufen etwas vorgesetzt sind. Die Ecken der Stufen sind leicht abgerundet. Vier Treppen sind dem Kernbau vorgelagert; sie sind von diesem architektonisch völlig unabhängig – der Neigungswinkel sowohl der Pyramide als auch der Treppen war demzufolge frei wählbar.
Tempel
Das Tempelgebäude hat einen ungewöhnlichen Grundriss: Hinter einem, die Breite des Tempels einnehmenden, breiten Eingang mit zwei Pfeilern in Gestalt von Schlangen mit rückwärts aufgerecktem Leib, die die Türbalken umfassen, liegt ein kleinerer, annähernd quadratischer Raum, dessen Kraggewölbe zusätzlich von zwei Pfeilern getragen wird, um die Breite des Raumes mit zwei Gewölbeteilen überspannen zu können. Um diesen Raum führt auf drei Seiten ein Umgang, der über Türen zu den drei restlichen Treppen hin verfügt. Die Seitenflächen der Türen sind mit lebensgroßen Darstellungen von Kriegern in toltekischer Tracht und Bewaffnung mit Speerbündel und Speerschleuder skulptiert. Das Gesims oberhalb der Türen des Tempels kragt deutlich vor; darauf folgen ein Rücksprung ein zweites Gesims, welches noch etwas weiter vorspringt. Eine derartige sich nach oben verbreiternde Konstruktionsweise ist typisch für den Puuc-Stil – wie viel davon allerdings den Restauratoren zu verdanken ist, bleibt ungewiss.
Vorgängerbau
Im Inneren der Pyramide befindet sich ein älteres, deutlich niedrigeres Bauwerk mit ähnlichem Grundriss (33 Meter Seitenlänge, 17 Meter Höhe bis zur obersten Plattform); es hat ebenfalls neun Pyramidenstufen, aber nur eine einzige Treppe an der Nordseite mit 61 Stufen und einen Tempel mit zwei Räumen. Im Vorraum findet sich die Opferfigur eines Chac Mool, die dem toltekischen Kulturkreis entstammt; im hinteren Raum steht ein roter Jaguarthron mit Applikationen aus weißen und grünen Steinen. Warum beide Skulpturen bei der Aufgabe des alten Tempels dort belassen wurden, ist bis heute unklar.
Die Fassade zeigt über dem Eingang zwei vertikal ineinander verschlungene Schlangen, ähnlich dem Westgebäude des Monjas-Komplex in Uxmal; zu beiden Seiten nähert sich jeweils eine Prozession von Jaguaren, die auf die Mitte zustreben, und zwischen und über ihnen überdimensionierte Rosetten; diese finden sich auch im dritten Band des viergliedrigen mittleren und des oberen Gesimses. Das zweite Band des oberen Gesimses zeigt einen abwechselnd geneigten Zackenstab, wie er in den späten Puuc-Stilen häufig ist. Der Dachkamm über der Frontmauer reicht bis knapp unter den Fußboden des Tempels der späteren Pyramide.
Die frühe Pyramide ist wegen der Ummantelung durch die spätere Pyramide ausgezeichnet erhalten und wurde in den 1930er Jahren durch J. Erosa Peniche mittels Tunnelgrabungen untersucht, die zugehörige Treppe wurde erst in den 1950er Jahren vollständig freigelegt. Im Inneren der alten Tempelpyramide befindet sich eine offenbar noch frühere Konstruktion, die jedoch nicht weiter untersucht werden konnte.
Datierung
Für die Datierung wurden die hölzernen Türbalken des oberen Tempels herangezogen, die Türen und Gewölbe im Innenraum des späten Tempels trugen. Es gibt nur zwei früh durchgeführte 14C-Datierungen, die kalibrierte Mittelwerte von 875 n. Chr. ergeben haben, bei einer statistischen Fehlerbreite (2 sigma, Wahrscheinlichkeit des Zutreffens 95 %) zwischen 660 und 1050.[2] Die Fehlerbreite dieser beiden Daten macht die Ergebnisse für eine Datierung des Bauwerkes insgesamt eher ungeeignet. Da Hieroglypheninschriften mit Daten der Langen Zählung in diesem Bauwerk nicht vorhanden sind, wird die heute sichtbare Tempelpyramide ins 11./12. Jahrhundert zu datieren sein, während der Vorgängerbau im Inneren dem 8./9. Jahrhundert anzugehören scheint.
Hohlraum unter der Pyramide (Cenote)
Die Pyramide des Kukulcán ist nur ca. vier Meter über einer Karststeinhöhle, Cenote genannt, gebaut; die Steinschicht dazwischen besteht aus Kalk.[3] Die Höhle enthält ein Gewässer, das eine Nord-Süd-Ausdehnung von circa 20 bis 25 Meter hat, an seiner größten Länge misst das Gewässer circa 30 Meter.[3]
Schauspiel der gefiederten Schlange
- Für die Pyramide der gefiederten Schlange siehe: →Xochicalco
Bemerkenswert ist das „Schauspiel der gefiederten Schlange“, welches alljährlich zur Tagundnachtgleiche (20./21. März und 22./23. September) auf der Nordseite des Bauwerks zu bestaunen ist: Der Schatten der gestuften und leicht abgeschrägten Pyramidenkanten fällt dabei auf die Seitenwange einer der Treppen; dabei entsteht der Eindruck als würde sich dort eine Schlange hinunterwinden. Nur die Seiten der nördlichen Treppe enden somit konsequenterweise in zwei steinernen Schlangenköpfen; die anderen Treppen haben diese Köpfe nicht. Man kann demzufolge davon ausgehen, dass schon den Erbauern der Pyramide dieses Phänomen bekannt war, ja dass sie mit der Wahl der unterschiedlichen Neigungswinkel von Pyramide und Treppe konsequent darauf hingearbeitet haben.
Bauakustische Besonderheiten
Stellt man sich vor eine der vier Treppen des Kukulkántempels und klatscht in die Hände, hört man ein Echo, welches dem Ruf des Quetzal sehr ähnlich ist. Der Akustikexperte David Lubman untersuchte dieses Phänomen und stieß noch auf weitere Besonderheiten: So klingen die Schritte einer Person am oberen Ende der Treppe am unteren Treppenende wie fallende Regentropfen. Das Echo eines Klatschenden in der Mitte des Ballspielplatzes hört sich an wie das Gebrüll eines Jaguars.
Da sowohl der Jaguar als auch der Vogel Quetzal heilige Tiere waren und der Regen in Gestalt des Gottes Chaac ebenfalls heilig war, folgerte Lubman daraus, dass diese akustischen Effekte absichtlich bei dem Bau berücksichtigt worden sind.
Eine weitere bauliche Besonderheit ermöglicht es, sich zwischen zwei Pyramidenspitzen zu unterhalten.[4][5]
Sonstiges
Die Pyramide darf zur Sicherung der Erhaltung des Bauwerkes nicht mehr bestiegen werden; der Zugang zum frühen Tempel ist ebenfalls nicht mehr gestattet.
Kukulcán-Pyramide gezeichnet von Frederick Catherwood (1843)
Kukulcán-Pyramide von Süden
Schlangenköpfe an der nördlichen Treppe
Die Nordseite der Pyramide bei Nacht, Nachstellung des Schauspiels der Schlange
Weblinks
- David Lubman: An archaeological study of chirped echo from the Mayan pyramid of Kukulkan at Chichen Itza. (Memento vom 9. Februar 2014 im Internet Archive)
- Die ersten Sounddesigner der Geschichte: Maya-Architekten machten einst den heiligen Vogel Quetzal hörbar. In: Deutschlandfunk. 16. November 2010. (dradio.de)
Einzelnachweise
- ↑ Ignacio Marquina: Arquitectura prehispánica. 2. Aufl. Instituto Nacional de Antropología e Historia, México, D. F. 1964, S. 849.
- ↑ E. Wyllys Andrews IV, E. Wyllys Andrews V: Excavations at Dzibilchaltun, Yucatan, Mexico. Middle American Research Institute, Tulane University, New Orleans 1980, OCLC 600931148, Table 4.
- ↑ a b René Chávez Segura, Gerardo Cifuentes Nava, Esteban Hernández Quintero, Andrés Tejero Andrade, Denisse Argote: DESCUBREN UNIVERSITARIOS UN CENOTE DEBAJO DE LA PIRÁMIDE DE KUKULKÁN, EN CHICHÉN ITZÁ. Boletín UNAM-DGCS-466 Ciudad Universitaria. 15:30 hs. 13 de agosto de 2015. In: Bulletin UNAM-DGCS-466 der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko. 13. August 2015, abgerufen am 19. Januar 2023 (spanisch): „Übersetzung: UNIVERSITÄTSSTUDIERENDE ENTDECKEN EINE CENOTE UNTER DER KUKULKÁN-PYRAMIDE IN CHICHÉN ITZÁ. In einer Medienkonferenz wies René Chávez Segura vom IGf darauf hin, dass es sich um ein Gewässer handelt, das von Nord nach Süd etwa 20 oder 25 Meter misst und an seinem längsten Teil 30 Meter. [...] Nach einer dreidimensionalen Elektrotomographie entdeckten Wissenschaftler des Instituts für Geophysik (IGf) und der Fakultät für Ingenieurwissenschaften (FI) der UNAM sowie des Nationalen Instituts für Anthropologie und Geschichte (INAH), dass die Kukulkan-Pyramide in Chichén Itzá auf einer Cenote gebaut ist. Dies wurde durch die Arbeit von René Chávez Segura, Gerardo Cifuentes Nava und Esteban Hernández Quintero von der IGf; Andrés Tejero Andrade von FI und Denisse Argote von INAH festgestellt. In einer Medienkonferenz wies Chávez Segura darauf hin, dass es sich um ein Gewässer handelt, das von Nord nach Süd etwa 20 oder 25 Meter misst und an seiner längsten Stelle 30 Meter. „Die Cenote ist nicht offen, das heißt, die Pyramide schwimmt nicht auf Wasser.“ Durch eine 2D-Analyse konnte festgestellt werden, dass es sich um eine Kalksteinschicht von etwa vier Metern handelt; Die Tiefe sei ungewiss, „wir sehen bis zu 20 Meter, aber es kann weniger sein, und wir glauben nicht, dass es voll Wasser ist, sondern dass es ein gewisses Niveau hat, etwa ein Drittel der Struktur.““
- ↑ Die ersten Sounddesigner der Geschichte: Maya-Architekten machten einst den heiligen Vogel Quetzal hörbar. In: Deutschlandfunk. 16. November 2010. (dradio.de)
- ↑ Pyramiden der Maya bergen akustisches Geheimnis (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Januar 2019. Suche in Webarchiven.)
Koordinaten: 20° 40′ 58,6″ N, 88° 34′ 6,8″ W
Auf dieser Seite verwendete Medien
Chichen Itza, Yucatan, Mexiko: Castillo.
Autor/Urheber: HJPD, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Chichen Itza, Yucatan, Mexiko: Castillo (Kukulcan Pyramide).
Autor/Urheber: Laslovarga, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Castillo in Chichén Itzá, Kukulkan Piramid
Autor/Urheber: Daniel Schwen, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Diese Grafik wurde mit Hugin erstellt.
Autor/Urheber: HJPD, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Chichén Itzá, Yucatan, Mexiko:Skuplierter Türpfosten.
Imagen del Dios Chac Mool, ubicado dentro de una camara en la piramide de Kukulcán en Chichén Itzá. Detras del Dios, la estatua del Jaguar de ojos de Jade. Fotografia tomada sin flash para evitar daños a los colores naturales de las estructuras.
Image of the God Chac Mool, located inside a chamber in the Temple of Kukulkán, at Chichén Itzá. Behind of the God, the statue of the Jade Eyed Jaguar. Picture taken without flash to avoid damage to the original colors of the structures.Autor/Urheber: User:HJPD, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Trono de Jaguar en El Castillo, Chichen Itza.
Kukulkan at its finest during the March Equinox. Chichen Itza Equinox March 2009. The famous descent of the snake at the temple.