Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie

Die Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie (PITT) nach Luise Reddemann ist eine tiefenpsychologisch-psychodynamische Kurzzeitpsychotherapie. Sie wird insbesondere in der Arbeit mit Trauma-Patienten im stationären Rahmen eingesetzt. Die PITT setzt verstärkt bei den Ressourcen der Patienten an, wobei sie die gesteuerte Spaltung (Dissoziation) als therapeutisches Instrument nutzt.[1]

Theoretische Grundannahmen

Die Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie ist eine Antwort auf die in der psychoanalytischen Arbeit mit Traumapatienten beobachteten Schwierigkeiten: einerseits die massiven Gefühlsüberflutungen und damit zusammenhängenden Gefühls-Abspaltung, andererseits die daraus entstehenden Übertragungs- und Gegenübertragungs-Konflikte, sowie die von vielen Psychoanalytikern geforderte sehr lange Therapie-Dauer.

Grundlegend ist die Ich-Psychologie und die Objektbeziehungstheorie. Traumatische Erfahrungen werden als Gedächtnisspur behalten. Dabei ist die Art des Erinnerten und dessen Grad an Bewusstsein stark vom Entwicklungsstand zur Zeit der Erfahrung abhängig. Überwältigende Gefühle werden abgespalten (Dissoziation). Frühe Beziehungsmuster werden verinnerlicht (Introjektion) und in aktuellen Beziehungen wiedererlebt. Abwehrmechanismen kontrollieren die Gefühle und verändern die Wahrnehmung Anderer wie auch die Eigenwahrnehmung; sie unterdrücken innere Bedürfnisse und verhindern die befriedigende Teilnahme am Leben.

PITT stärkt die Ressourcen. Reddemann regt den Patienten an, Spaltungsmechanismen bewusst anzuwenden, um sich über Selbstregulation vor negativen Affekten und Affektüberflutung zu schützen. Sie meidet Deutung und Konfrontation. Sie würdigt die Abwehrmechanismen als notwendig und nutzt diese gezielt zur Stabilisierung. Das Ich betrachtet sie als „inneres Team“ verschiedener Persönlichkeitsanteile, die miteinander in Kontakt zu bringen sind.

Die PITT hat spezielle Techniken für dissoziative Patienten entwickelt bzw. von anderen Therapieformen integriert, die eine kürzere Behandlungsdauer ermöglichen. Auf einer „inneren Bühne“ als imaginärem Raum für die bildhafte Vorstellung werden hilfreiche Bilder erzeugt. Der Patient bringt den verletzten inneren Anteil – meistens ein „inneres Kind“ – an einen guten, sicheren inneren Ort, um ihn dort von immerwährend verfügbaren idealen Eltern und „hilfreichen Wesen“ versorgen und trösten zu lassen. Die in der Therapie gelernten Übungen kann der Patient später selbständig anwenden und damit Stress regulieren.

Angewendet werden die Methoden in der Psychotraumatologie bei Posttraumatischer Belastungsstörung, Komplexer Posttraumatischer Belastungsstörung und bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung.

Therapeutisches Vorgehen

Die „Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie“ wurde speziell für die Anwendung im Krankenhaus, also für eine meist kurze Behandlungsdauer entwickelt. Sie wurde als Handbuch (Manual) veröffentlicht. Dadurch wird die Anwendung und die Überprüfung erleichtert. Die Therapie ist in drei Phasen gegliedert:

Stabilisierung

Zunächst wird eine innere Stabilisierung der Psyche, durch gezielte Spaltung (Dissoziation) von belastenden Vorstellungen einerseits und der Affektenergie andererseits, angeregt. Die Technik dafür sind innere Bilder (Imaginationen). Die belastenden Gefühle werden z. B. in der Vorstellung vorerst in einen „inneren Tresor“ gesperrt. Für plötzlich auftauchende überwältigende Gefühle werden Techniken zur Distanzierung gelernt: „innerer sicherer Ort“ (ein Ort, der sich in der Phantasie vorgestellt wird, an den man vor jeder Gefahr sicher ist), „innerer Helfer“ (eine Gestalt, die alle Kraft und Weisheit in sich birgt und einen beschützt) und der „innere Heiler“ (nicht personifiziert). Gleichzeitig werden die inneren „Kraftquellen“ durch innere Bilder aufgebaut. Dazu gibt es vielfältige Übungen wie beispielsweise das Achtsamkeitstraining (z. B. gelenkte Wahrnehmung von Körperempfindungen im „Hier und Jetzt“), Liste mit den eigenen Fähigkeiten (Ressourcen), „Notfallkoffer“ (Selbsthilfe-Strategien), „Baumübung“ (so stark sein wie ein Baum), „das innere Team“ (Aspekte der eigenen Persönlichkeit), Arbeit auf der „inneren Bühne“, und anderes.

Traumabearbeitung

Durch die distanzierende Beobachter-Technik[2] oder Bildschirmtechnik ist eine sorgfältige schrittweise Annäherung an die traumatischen Gefühle möglich, je nach aktuellem Stand der inneren Sicherheit. Bekannte Übungen sind: „Leinwand“ (wie im Kino das Geschehen als Zuschauer betrachten) und „Hubschrauber“ (das Ganze aus sicherer Distanz von oben anschauen) etc.

Integration

In der letzten Phase geht es darum, der Trauer eine Gestalt zu geben, Gefühle wie Scham, Schuld und Sühne loszulassen, Sinnfragen zu klären, Vergebung, Dankbarkeit und Versöhnung zu erreichen und letztlich ein neues Leben zu beginnen. Dabei helfen wieder Imagination, Rituale (Briefe schreiben und verbrennen, Gegenstände begraben), Geschichten erfinden (erzählen und spielen), Musiktherapie, Kunsttherapie und Gestaltungstherapie.

PITT-KID

Die Prinzipien der Psychodynamisch Imaginativen Traumatherapie wurden vom Kinder- und Jugendlichentherapeut Andreas Krüger für die Behandlung traumatisierter Kinder und Jugendlicher Schritt für Schritt „übersetzt“. Wichtige Grundsätze des so genannten PITT-KID sind die Berücksichtigung aller Entwicklungsphasen des jungen Menschen, die Betonung altersspezifischer Ressourcen sowie die Einbeziehung des sozialen Umfelds des Kindes.

Kombination mit anderen Therapieformen

Häufig werden verschiedene psychotherapeutische Techniken miteinander kombiniert:

  • PITT eignet sich durch die eher sanfte Form der Traumakonfrontation auch für ambulante Behandlungs-Phasen, die dann mit stationären kombiniert werden.
  • Mit EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) können mit PITT vorbereitete Traumainhalte noch tiefgreifender behandelt werden. Wegen der heftigeren Reaktionen und Belastung ist dabei das stationäre Setting zu bevorzugen.
  • Bei der Bildschirmtechnik von Ulrich Sachsse projiziert der Patient die Traumathematik auf einen Bildschirm. Dabei steuert er mittels einer „Fernbedienung“ die Dauer des Betrachtens sowie Nähe, Größe, Deutlichkeit etc. des Sichtbaren.
  • Die Mehrdimensionale Psychodynamische Traumatherapie (MPTT) von Gottfried Fischer verbindet imaginative, kognitive und verhaltenstherapeutische Elemente integrativ mit einem psychodynamischen Konzept der Beziehungsgestaltung und Therapieplanung.
  • „Pendeln“ zwischen Wohlgefühl und Missempfindung setzt durch das Trauma im Nervensystem gebundene Energie in kleinen Schritten frei, ohne dabei auf eine spezielle Traumathematik selbst einzugehen. Siehe Somatic Experiencing nach Peter Levine.

Siehe auch

Literatur

  • Luise Reddemann (Hrsg.): Psychotraumata. Primärärztliche Versorgung des seelisch erschütterten Patienten. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag, 2006.
  • Luise Reddemann: Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie. PITT das Manual. Pfeiffer bei Klett-Cotta, 2004, ISBN 3-608-89729-1.
  • Luise Reddemann: Die psychodynamisch imaginative Traumatherapie (PITT) (Memento vom 3. Dezember 2008 im Internet Archive) (PDF; 74 kB). Zeitschrift für Psychotraumatologie & Psychologische Medizin 1. Jg. (2003), Heft 2
  • Luise Reddemann: Imagination als heilsame Kraft. Zur Behandlung von Traumafolgen mit ressourcenorientierten Verfahren, 2001, ISBN 3-608-89708-9.

Einzelnachweise

  1. L. Reddemann: Die psychodynamisch imaginative Traumatherapie (PITT). Zeitschrift für Psychotraumatologie & Psychologische Medizin 1. Jg. (2003), Heft 2
  2. Luise Reddemann: Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie. PITT – das Manual (Reihe: Leben lernen 167). 3. Auflage. Pfeiffer bei Klett-Cotta, 2005, ISBN 3-608-89729-1, S. 154–171.