Pseudohermaphroditismus

Pseudohermaphroditismus oder unechte Zwittrigkeit bezeichnet beim Menschen eine Ausbildung äußerer (sekundärer) Geschlechtsmerkmale bei Personen, die den Karyotyp und die inneren Genitale des jeweils entgegengesetzten Geschlechts aufweisen. Er tritt also in zwei Formen auf.[1]

  • Beim weiblichen Pseudohermaphroditismus ist der Karyotyp der Geschlechtschromosomen XX, in den Keimdrüsen ausschließlich ovarielles Gewebe ausgebildet, in den inneren Genitalien sind die Organsysteme des Müller-Gangs ausgeprägt. Es werden aber äußere männliche Genitale und andere männliche sekundäre Geschlechtsmerkmale gebildet.
  • Beim männlichen Pseudohermaphroditismus ist der Karyotyp der Geschlechtschromosomen XY, in den Keimdrüsen wird testikuläres Gewebe ausgebildet, inneres und äußeres Genitale sind jedoch unvollständig entwickelt.

Die Individuen selbst werden als Pseudohermaphroditen, Scheinzwitter oder unechte Zwitter bezeichnet.

Die Bezeichnungen Pseudohermaphroditismus und Hermaphroditismus sollen nach dem Beschluss der Fachgesellschaften im Consensus Statement on Management of Intersex Disorders[2] seit 2006 nicht mehr verwendet werden, sie werden durch die neue Bezeichnung DSD abgelöst. Der Begriff gilt daher in der medizinischen Fachsprache als veraltet.[3] Beim Menschen spricht man daher im Fall der unechten Zwittrigkeit von Intersexualität, intergeschlechtlichen Menschen. In der Medizin wird dies nun als Variation der Geschlechtsentwicklung (Differences of sex development, DSD) bezeichnet. Die zwischenzeitlich verwendete Bezeichnung Störungen der Geschlechtsentwicklung (Disorders of sex development) wird nicht mehr verwendet. Damit soll die negative Zuschreibung im Sinne von Krankheit/Störung vermieden werden, auch wenn unter der Bezeichnung einzelne Formen mit Krankheitswert vorhanden sind.

Beim Menschen

Klassifikation nach ICD-10
Q56Unbestimmtes Geschlecht und Pseudohermaphroditismus
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

In der Regel ist bei Intersexualität das Geschlechtsorgan „ungewöhnlich“ geformt, u. a. eine große Klitoris, selten ist die Bestimmung des Geschlechts visuell unmöglich. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde dies bald nach der Geburt operativ „korrigiert“ und damit ein geschlechtstypisches Aussehen hergestellt; mittlerweile gilt diese Praxis als überholt.[4][5][6]

Im Tierreich

Der Ausdruck Pseudohermaphroditismus wurde, in einer anderen Bedeutung, durch die Biologin Martha Garrett Jenner in die Zoologie eingeführt.[7] Bei einer Meeresschnecke beobachtete sie, dass bei einer gewöhnlich getrenntgeschlechtlichen Art es unter bestimmten Umwelteinflüssen zur Ausbildung weiblicher Keimdrüsen auf ansonsten männlichen Individuen kommt. Da Hermaphroditismus im Tierreich enger definiert ist als im allgemeinen Sprachgebrauch und nur für Arten verwendet wird, bei denen gewöhnlich männliche und weibliche Gameten auf demselben Organismus gebildet werden (entweder gleichzeitig: simultan, oder nacheinander: sukzessiv) ist die Auslösung des Phänomens durch Umwelteinflüsse eine ungewöhnliche Sonderform.[8]

Wortherkunft

Das Wort Pseudohermaphrodit („unechtes zweigeschlechtliches Wesen“) leitet sich aus dem Griechischen von pseudo und hermaphroditos ab. Ovid beschrieb in seinen Metamorphosen, wie aus dem Sohn Aphrodites und Hermes’ durch die feste Umarmung der verliebten Nymphe Salmakis ein zweigeschlechtliches Wesen entstand, und deutet dies als Ätiologie der Zwitterbildung. Siehe Weiteres auch im entsprechenden Kapitel bei Hermaphroditismus.

Siehe auch

  • Dichogamie (Proterandrie, Proterogynie, Protogynie)

Weblinks

Commons: Pseudohermaphroditismus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Liste des Netzwerk Disorders of Sex Development

Einzelnachweise

  1. H. U. Schmelz, C. Sparwasser, W. Weidner: Facharztwissen Urologie. Differenzierte Diagnostik und Therapie. Springer Verlag, Berlin Heidelberg New York, 2. Auflage 2010. ISBN 978-3-642-01625-7. Kap. 42.2 Weiblicher Pseudohermaphroditismus S. 576–578, Kap. 42.3 Männlicher Pseudohermaphroditismus, S. 579–583.
  2. I.A. Hughes, C. Houk, S.F. Ahmed, P.A. Lee, and LWPES1/ESPE2 Consensus Group (2006): Consensus statement on management of intersex disorders. Archives of Disease in Childhood 91(7): 554–563. doi:10.1136/adc.2006.098319
  3. Pseudohermaphroditismus, in: Pschyrembel Klinisches Wörterbuch. Walter de Gruyter, Berlin und Boston, 267., neu bearbeitete Auflage 2017. ISBN 978-3-11-049497-6, S. 1478.
  4. 100 000 Euro Schmerzensgeld im `Zwitterprozess`. Focus, 12. August 2009. Abgerufen am 23. Oktober 2014.
  5. Deutscher Ethikrat: Intersexualität (Memento vom 18. März 2016 im Internet Archive). Stellungnahme vom 23. Februar 2012, abgerufen am 19. Juli 2020.
  6. Leitlinie der Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin zu "Störungen der Geschlechtsentwicklung" 027/022 vom 12. Mai 2011 (Memento vom 24. Februar 2014 im Internet Archive), zuletzt geöffnet am 19. Juli 2020
  7. Martha Garrett Jenner (1979): Pseudohermaphroditism in Ilyanassa obsoleta (Mollusca: Neogastropoda). Science 205 (4413): 1407-1409. doi:10.1126/science.472758
  8. John C. Avise: Hermaphroditism : a primer on the biology, ecology, and evolution of dual sexuality. Columbia University Press, 2011. ISBN 978-0-231-15386-7, S. 97.