Pseudo-Dionysius von Tell Mahre

Als Pseudo-Dionysius von Tell Mahre wird ein im 8. Jahrhundert lebender christlicher syrischer Geschichtsschreiber bezeichnet.

Überlieferung

Der anonyme Autor verfasste eine Chronik, die irrtümlich vom 18. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts von Orientalisten wie Giuseppe Simone Assemani und Jean-Baptiste Chabot dem Patriarchen Dionysius von Tell Mahre (9. Jahrhundert) zugeschrieben wurde. Der Fehler wurde 1896, unabhängig voneinander, von Theodor Nöldeke und von François Nau erkannt. Der syrische Mönch (nunmehr Pseudo-Dionysius von Tell Mahre genannt) verfasste seine bis 775 reichende miaphysitische Weltchronik wohl im Kloster Zuqnin bei Amida. Aus diesem Grund wird das Werk heute auch oft als Chronik von Zuqnin bezeichnet. Das Werk ist grob in vier Teile aufgeteilt. Der anonyme Autor griff auf verschiedene Quellen zurück, so auf die Kirchengeschichte des Eusebius von Caesarea, auf die des Sokrates Scholastikos, auf die Josua Stylites zugeschriebene Chronik sowie auf den zweiten, heute verlorenen Teil der Kirchengeschichte des Johannes von Ephesos.[1] Für Ereignisse im 8. Jahrhundert konnte sich der Autor auch auf eigene Erfahrungen stützen. Der in syrischer Sprache schreibende Autor konnte wohl kein Griechisch und griff deshalb auf syrische Fassungen der Kirchengeschichten des Eusebius und des Sokrates zurück. Bei der Chronologie der Ereignisse datiert der Autor von der Schöpfung, von Abraham sowie nach der Zeitrechnung der Seleukiden.

Der Autor stellt in seiner Weltchronik für die Zeit nach der arabischen Eroberung (ab den 730er Jahren) das Leben der christlichen „Dhimmis“, den „Schutzbefohlenen“ des Kalifen, in den Mittelpunkt. In diesem Zusammenhang zeichnet er ein eher düsteres Bild. Er schildert Verfolgungen von Christen durch die Araber (etwa in Armenien) sowie die drückende steuerliche Abgabenlast, die die Christen zu entrichten hatten; auch Folter sowie die Zerstörung christlicher Klöster und Siedlungen wird beschrieben. Die Chronik stellt, obwohl literarisch nicht besonders anspruchsvoll, eine wichtige und weitgehend zuverlässige Quelle für das Leben der christlichen Untertanen im Kalifat des 7. und 8. Jahrhunderts dar und vermittelt ein teils wenig tolerantes Bild von einigen islamischen Herrschern jener Zeit, das aber als authentisch anzusehen ist.[2] Für den Autor ist die drückende Fremdherrschaft eine Strafe Gottes für die Sünden, welche die Christen auf sich geladen hätten.

Das Manuskript der Chronik (das aus dem 9. Jahrhundert stammt) wurde 1715 von G. S. Assemani in Dair as-Suryan (Ägypten) erworben und befindet sich heute in der Biblioteca Vaticana (Vat. syr. 162). Einige fehlende Seiten wurden 1842 aus demselben Kloster von Henry Tattam gekauft und werden heute in der British Library aufbewahrt.

Übersetzungen

  • Amir Harrak (Hrsg.): The Chronicle of Zuqnin, Parts III and IV A.D. 488–775. Toronto 1999.
  • Andrew Palmer, Sebastian P. Brock, Robert G. Hoyland (Hrsg.): The Seventh Century in the West Syrian Chronicles. Translated Texts for Historians. Liverpool University Press, Liverpool 1993, S. 53ff. (knappe Einführung und einige übersetzte Quellenausschnitte).
  • Witold Witakowski (Hrsg.): Pseudo-Dionysius of Tel-Mahre: Chronicle, Part III. Liverpool 1996 (engl. Teilübersetzung).

Anmerkungen

  1. Vgl. auch Amir Harrak (Hrsg.): The Chronicle of Zuqnin, Parts III and IV A.D. 488–775. Toronto 1999, S. 28ff. (für die Quellen der Teile 3 und 4).
  2. Vgl. Bat Ye'or: Der Niedergang des orientalischen Christentums unter dem Islam (7.–20. Jh.). Resch, Gräfelfing 2002 (orig. Paris 1991; enthält ebenfalls einige übersetzte Quellenausschnitte).