Psalm 139
Psalm 139 (Psalm 138 nach der Zählung der Septuaginta und Vulgata) ist ein Psalm aus dem biblischen Buch der Psalmen. Er ist wegen seiner ausdrucksstarken und poetischen Bilder bekannt geworden und wurde vielfach vertont. Der erste Vers schreibt den Psalm dem israelitischen König David zu.
Stellung im Psalter und historische Einordnung
Psalm 139 gehört zu einer Gruppe von acht so genannten „Davidpsalmen“ (Ps 138–145) innerhalb des 5. Buches der Psalmensammlung. Die Davidpsalmen (vgl. auch die weitere Sammlung Ps 3–41) zeichnen sich durch die gleiche Zuschreibung לְדָוִד (leDavid) in Vers 1 aus. Der Ausdruck wird traditionell als Angabe einer Urheberschaft („le auctoris“) verstanden und als „von David“ übersetzt. Die Präposition le kann aber auch „für“ oder „über“ bedeuten und bezeichnet dann die messianische Bedeutung des Psalms für das jüdische Volk.[1] In der historisch-kritischen Exegese wird eine Autorschaft Davids für Ps 139 weitgehend ausgeschlossen und eine späte Entstehungszeit im weisheitlichen Umfeld des Judentums angenommen.[2] Damit wird der Text nicht vor dem 5. Jahrhundert v. Chr. entstanden sein.
Inhalt
Der Psalm beschreibt, wie nahe Gott den Menschen von Anfang an war. Er entwickelt eine Schöpfungstheologie, die ihn nicht nur als Schöpfer der Welt als Ganzes oder als Prozess, sondern jeder Person erscheinen lässt. Demnach ist Gott es, der einen Menschen im Mutterleib gebildet hat. Gott erscheint als der Allwissende und Allgegenwärtige, der aber jeden einzelnen kennt und als wunderbar bejaht.
Dieser Psalm ist Gott-zentriert und nicht Mensch-zentriert. Gott erscheint als der allwissende (Verse 1–4), der unfassbar, allgegenwärtig-überräumliche (Verse 5–12) allmächtige Schöpfer (Verse 13–18). Er endet mit der völligen Abkehr Davids von allem Gottlosen und der völligen Hingabe an Gott im Vertrauen auf dessen Fähigkeit, ihn bis in die Ewigkeit hinein zu leiten (Vers 19–24).
Vor allem Vers 5 (Von allen Seiten umgibst du mich, und hältst deine Hand über mir.) und Vers 9 bis 11 (Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.) sind beliebte Taufsprüche, weil sie dem Täufling Schutz und Halt zusprechen.
Der Psalm wird oft auf das Big-Father-Motiv (siehe Gottesbild) reduziert, das in einem nächsten Schritt entweder positiv als Big Father Takes Care oder negativ als Big Father is watching us interpretiert wird.
Rezeption
Bearbeitungen
Heinrich Vogtherr der Ältere schuf 1527 die Nachdichtung „Domine probasti me, Herr gott der du erforschest mich“.[3]
Vertonungen
Gregorianischer Choral
Kompositionen
- Samuel Voelckel (1564–1621), Motette „Domine, probasti me“, (1617).
- Johann Rosenmüller (1619–1684) Domine probasti me.
- Heinrich Ignaz Franz Biber (1644–1704), Domine Probasti me in F-Dur [C. 37]
- Johann David Heinichen (1683–1729) Domine probasti me e-Moll (1726)
- Georg Philipp Telemann (1681–1767): Rezitativ: Nein wenn ich gleich der Morgenröte Flügel nähme und bis ans Äußerste des wilden Meeres käme…, in: Gott will Mensch und sterblich werden, Kantate, TWV 1:694
- Johann Sebastian Bach (1685–1750): Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz, Kantate am achten Sonntag nach Trinitatis (BWV 136)
- Paul Blumenthal (1843–1930): Psalm 139 (Vers 23 und 24)
- Johann Nepomuk David (1895–1977): Psalm 139 („Herr, du erforschest mich“) für gemischten Chor
- Ernst Pepping (1901–1981): Der 139. Psalm („Herr, du erforschest mich“) für Alt-Solo, 4-stimmigen gemischten Chor und Orchester
- Franz Koglmann (* 1947): 139. Psalm für Mezzosopran, Trompete, Posaune und Tuba
- David Evan Thomas (* 1958): The Wings of the Morning (“O Lord, thou hast searched me”; 2003) for medium voice and piano. Text: englisch in der King James Version
- Rudi Spring (* 1962): Psalm 139 (op. 68c; 1997) für Alt, gemischten Unisono-Chor und Orgel. Text: deutsch von Martin Buber
- Tore Wilhelm Aas (* 1957): Your love (Album „Get together“, Oslo Gospel Choir) 4-stimmig für Gospelchor. Text: deutsch von Mary B. Wenger / Stephanie B. Klein Deine Liebe
Kirchenlieder
- Eugen Eckert (* 1954): Ob ich sitze oder stehe; Musik: Torsten Hampel, im Gesangbuch Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder – plus, Nr. 186
Das Vulgata-Incipit „Domine, probasti me“ war ferner die Devise des Ordens vom Gelben Band.
Literatur
- Martin Buber, gemeinsam mit Franz Rosenzweig: Die Schrift/Das Buch der Preisungen [Verlag Lambert Schneider GmbH], Heidelberg 1986/Sylvia Majocchi (Lyrikerin) – lyr. Interpr.
- Gustav Adolf Danell: Psalm 139, Uppsala/Leipzig 1951
- Frank-Lothar Hossfeld, Erich Zenger: Die Psalmen I. Psalm 1–50 (= NEB.AT 29). Würzburg 1993. ISBN 3-429-01503-0
- Frank-Lothar Hossfeld, Erich Zenger: Psalmen. Psalm 101–150 (= HThKAT). Herder, Freiburg/Basel/Wien 2008, ISBN 978-3-451-26827-4
- Hildebrecht Hommel: Der allgegenwärtige Himmelsgott. Eine religions- und formengeschichtliche Studie. [Atharva Veda 4, 16. – Plutarch, De superstitione 4. – Psalm 139 Biblia.], Leipzig 1926
- Matthias Köckert: Ausgespäht und überwacht, erschreckend wunderbar geschaffen: Gott und Mensch in Psalm 139. Hermann Spieckermann zum 60. Geburtstag. In: Zeitschrift für Theologie und Kirche 107, 4/2010, S. 415–447.
- Jörg Zink: Du kennst mich. Der 139. Psalm, Wuppertal 1973; 1975; Neunkirchen-Vluyn 1983
Weblinks
- Psalm 139 in der Einheitsübersetzung, der Lutherbibel und weiteren Übersetzungen aus bibleserver.com
- Psalm 139 in der Biblia Hebraica Stuttgartensia (BHS) auf bibelwissenschaft.de
- Gemeinfreie Noten von Vertonungen zu Psalm 139 in der Choral Public Domain Library – ChoralWiki (englisch)
- Lieder, auf die Ps 139 zumindest teilweise eingewirkt hat
- Zur Sicht des Todes in Psalm 139
Einzelnachweise
Auf dieser Seite verwendete Medien
Autor/Urheber: Frank Vincentz, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Schöpfungsweltkugel, Weidenkirche Börger, Zum Mühlenhof in Börger
Johann Andreas Cramer: Herr, du erforschest mich, Nachdichtung von Psalm 139
(c) Rijksdienst voor het Cultureel Erfgoed, CC BY-SA 4.0
Altenheim 't Höfke: Innenkapelle, Glasmalerei: "Psalm 139", mittleres der Serie von 3 Fenstern, vom bildenden Künstler Ted Felen, 1983 (Anmerkung: Das Dia wurde vom Künstler Ted Felen dem National Trust for the Preservation of Historic Buildings geschenkt)