Protokollarische Rangordnung

Eine protokollarische Rangordnung (auch Vortritt oder Präzedenz) ist eine Liste, die verschiedene Personen – hauptsächlich die Träger hoher Staatsämter – ihrer nominellen Bedeutung nach ordnet.

In jedem Staat und auch im diplomatischen Protokoll gibt es eine offizielle oder inoffizielle protokollarische Rangordnung. Heutzutage dient sie vor allem zeremoniellen Zwecken – z. B., wer bei Reden zuerst anzusprechen ist oder wer bei Staatsbanketten an welcher Stelle sitzt.

Die protokollarische Rangordnung entspricht nicht notwendigerweise der tatsächlichen politischen Bedeutung der auf ihr aufgeführten Ämter oder Personen. Sie hat in der Regel keine eigenständige politische Bedeutung.

In Monarchien ist die Präzedenz meist sehr genau durch den Hof geregelt und jedes Amt in einer Hofrangliste im Hofkalender veröffentlicht (siehe auch Hofrangordnung); Republiken behandeln den protokollarischen Vorrang dagegen wesentlich flexibler.

Diplomatisches Protokoll

Die Diplomatie kennt z. B. folgende Präzedenzregeln:

  • Ein Staatsoberhaupt rangiert vor einem Regierungschef, der seinerseits vor einem Minister rangiert. Des Weiteren gilt: Ein ausländischer Gast rangiert vor seinem inländischen Pendant, ausgenommen davon ist das Staatsoberhaupt des Gastgeberlandes.
  • Unter Gleichrangigen kann das Anciennitätsprinzip zur Anwendung kommen – das heißt, der Amtsälteste hat Vorrang. Wenn mehrere Personen das gleiche Amtsalter haben, ist ihre Reihenfolge nach dem natürlichen Alter (Senioritätsprinzip).
  • In vielen Staaten gilt der Apostolische Nuntius, der päpstliche Botschafter, als Doyen, also als ranghöchster Diplomat.

Die Rangordnung unter Diplomaten ist im Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 festgelegt.

Einzelne Staaten

Deutschland

In Deutschland besteht keine verbindlich festgelegte protokollarische Rangordnung. Anerkannt ist nur, dass der Bundespräsident als Staatsoberhaupt der protokollarisch ranghöchste Repräsentant des Staates ist.[1] Allerdings ergibt sich aus der Staatspraxis eine inoffizielle Rangfolge:

  1. Bundespräsident (Staatsoberhaupt)
  2. Präsident des Deutschen Bundestages (Vertreter der Legislative)
  3. Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland (Vertreter der Exekutive)
  4. Präsident des Bundesrates (offizieller Stellvertreter des Bundespräsidenten, Vertreter der Bundesländer)
  5. Präsident des Bundesverfassungsgerichts (Vertreter der Judikative)

Weitere Rangfragen werden im Einzelfall im Rahmen der Platzierung berücksichtigt.[2]

Österreich

Der Bundespräsident als Staatsoberhaupt führt die österreichische protokollarische Rangordnung an. Nach ihm rangieren der katholische Kardinal in Österreich, der Bundeskanzler und der Präsident des Nationalrates.

Schweiz

Obwohl in der Schweiz der Nationalratspräsident oft als „höchster Schweizer“ bezeichnet wird, geht er in der offiziellen Rangordnung dem Bundespräsidenten und den anderen Mitgliedern des schweizerischen Regierungskollegiums im Range nach.

Europäische Union

  1. Präsident des Europäischen Parlaments (Vertreter der Legislative)
  2. Präsident des Europäischen Rates (Quasi-Staatsoberhaupt)
  3. Präsident des Rates der Europäischen Union (Vertreter der Mitgliedsstaaten)
  4. Staats- und Regierungschefs der EU
  5. Präsident der Europäischen Kommission (Vertreter der Exekutive; Quasi-Regierungschef)
  6. Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik (Quasi-Außenminister)
  7. Präsident des Europäischen Gerichtshofs (Vertreter der Judikative)
  8. Präsident der Europäischen Zentralbank
  9. Präsident des Europäischen Rechnungshofes[3][4][5]

Frankreich

An der protokollarischen Spitze Frankreichs steht der Präsident der Republik, gefolgt vom Premierminister und vom Präsidenten des Senats.

Italien

In Italien führt der Staatspräsident (Presidente della Republica) die protokollarische Rangordnung an. Ihm folgen der Senatspräsident (Presidente del Senato), der Präsident des Abgeordnetenhauses (Presidente della Camera), der Premierminister (Presidente del Consiglio) und schließlich der Präsident des Verfassungsgerichtshofes (Presidente della Corte Costituzionale).

Kanada

Wie in allen Commonwealth Realms steht an der Spitze der kanadischen Rangordnung Charles III., hier in seiner Rolle als König von Kanada. Nach ihm rangieren der Generalgouverneur und der Premierminister Kanadas.

Polen

In Polen wird die Rangordnung aus der Verfassung abgeleitet. Demnach nimmt der Präsident der Republik Polen, der in der Verfassung als Staatsoberhaupt definiert ist, die erste Stelle ein, gefolgt von den ihn bei Verhinderung vertretenden Parlamentskammerpräsidenten Sejmmarschall und Senatsmarschall. Die vierte Stelle nimmt der Präses des Ministerrates ein.

Vereinigtes Königreich

Die einzelnen Teile des Vereinigten KönigreichesEngland und Wales, Schottland, Nordirland – verfügen je über eine eigene protokollarische Rangordnung. Die oberen Ränge sind überall König Charles III. und der königlichen Familie vorbehalten.

Vereinigte Staaten

Der Präsident der Vereinigten Staaten als Staatsoberhaupt und Regierungschef führt in den USA zusammen mit der First Lady die protokollarische Rangordnung an, gefolgt von der Vizepräsidentin mit Partner und von der Sprecherin des Repräsentantenhauses.

Volksrepublik China

An der Spitze der protokollarischen Rangordnung der Volksrepublik China stehen die Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas, ihrerseits angeführt von Xi Jinping.

Literatur

  • Emmanuel Coppieters: Protocol / Protocole. Editions UGA, Kortrijk, 1989.
  • David Dreimann: Das diplomatische Protokoll. Aufgaben, Mittel, Arbeitsweise und Methoden. 3. Auflage, Verlag Koehler & Amelang, Leipzig 1985.
  • Jürgen Hartmann: Staatszeremoniell. 3. Auflage, Carl Heymanns Verlag, Köln 2000, ISBN 3-452-24485-7 (4. Auflage 2007; Standardwerk für Deutschland).
  • Olaf Jelinski: Das internationale diplomatische Protokoll im Vergleich zum Protokoll in Unternehmen. Eine Analyse des Protokolls als politische Institution. Dissertation, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, November 2014, S. 15 (pdf, via d-nb.info, insb. Deutschland, Übersicht Forschungsstand S. 14 f.).
  • Mary Jane McCaffree, Pauline Innes: Protocol: The Complete Handbook of Diplomatic, Official and Social Usage. Verlag Prentice-Hall, Englewood Cliffs, New Jersey, 1977 (25th Anniversary Edition, Durban House Press, Dallas, Texas, 2002; insb. für die USA).
  • Karl Urschitz: Protokoll mit Zeremoniell und Etikette. (= Veröffentlichungen der Steiermärkischen Landesbibliothek 28). Manumedia-Verlag Schnider, Graz 2002, ISBN 978-3-902020-19-2 (Österreich, insb. Steiermark).
  • John R. Wood, Jean Serres: Diplomatic Ceremonial and Protocol. Principles, Procedures & Practices. Macmillan, London 1970.

Einzelnachweise

  1. Lit. Jelinski 2014, Kapitel 4 Protokoll in den Organisationsstrukturen von öffentlichen Organisationen bzw. Institutionen. S. 62–85.
  2. Protokollarische Rangfragen. bmi.bund.de, archiviert vom Original am 16. Juli 2017; abgerufen am 15. Juli 2016.
  3. Hans-Jürgen Schlamp: Protokollzoff in Brüssel: EU-Bosse streiten um ersten Handschlag mit Obama. In: Spiegel Online. 30. Januar 2010, abgerufen am 17. April 2020.
  4. Archivierte Kopie (Memento des Originals vom 15. Oktober 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.eesistumine.ee
  5. Publications Office – Interinstitutional Style Guide – 9.5. Administrative structure of the European Union: official titles and listing order. Abgerufen am 15. April 2021.