Propensität

Propensität, Inklination, Neigung oder Verwirklichungstendenz ist eine von Karl Popper vorgeschlagene objektivistische Interpretation von Wahrscheinlichkeit, zu der sich bereits bei Peirce Skizzen finden lassen. Popper entwickelte sie, um das Problem der Interpretation der Quantenmechanik zu lösen. In der Propensitätsinterpretation ist Wahrscheinlichkeit ein Maß für die Tendenz einer Versuchsanordnung, ein bestimmtes Ergebnis zu produzieren.

Der Propensitätsinterpretation gegenüber stehen insbesondere die subjektivistische Theorie des Bayesianismus, die Wahrscheinlichkeiten als Grade des Überzeugtseins interpretiert, und die objektive Häufigkeitstheorie, bei der sich Wahrscheinlichkeiten auf die relative Häufigkeit des Auftretens eines Ereignisses in einer Folge von Wiederholungen bzw. in einem Ensemble gleichartiger Prozesse bezieht. Wissenschaftstheoretische Realisten bevorzugen objektivistische Theorien wie die Propensitätsinterpretation, da diese Aussagen über die reale Welt selbst trifft bzw. impliziert und nicht nur über die Meinungen einer Person. Im Gegensatz zur Häufigkeitsinterpretation kann sie auch akzeptieren, dass Wahrscheinlichkeiten auch für Einzelfälle existieren, und erklären, warum sie das tun.

Propensitäten sind für Popper verallgemeinerte Kräfte und somit reale Eigenschaften von physikalischen Systemen. Sie sind relational und liegen nicht, wie etwa bei den Potentialitäten von Aristoteles, in den Dingen selbst: Wenn zwei Würfel betrachtet werden, von denen einer eine Unwucht zugunsten der Seite hat, die der 6 gegenüberliegt, dann wird die Propensität dieses gewichteten Würfels, in einem starken Schwerkraftfeld nach einem Wurf mit 6 oben zu landen, deutlich höher als die beim anderen Würfel beobachteten 1/6 sein. Bei einem Versuch in einem schwachen Schwerkraftfeld wird sie hingegen näher an 1/6 liegen.[1]

Literatur

  • Charles Sanders Peirce: Collected Papers. 2, 1932, S. 404–414.
  • David Miller: Critical rationalism. A restatement and defence. Open Court, Chicago/La Salle 1994, ISBN 0-8126-9198-9, darin insbesondere Kapitel 9: Objective Probabilities.
  • Karl R. Popper: Die Quantentheorie und das Schisma der Physik. Aus dem Postskript zur Logik der Forschung III. Mohr Siebeck, Tübingen 2001, ISBN 3-16-147568-2 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  • J. H. Fetzer: Peirce and propensities. In: E. C. Moore (Hrsg.): Charles S. Peirce and the philosophy of science. Papers from the Harvard sesquicentennial congress, The University of Alabama Press, Tuscaloosa, AL 1993, S. 60–71.
  • Karl R. Popper: Eine Welt der Propensitäten. Mohr Siebeck, Tübingen 1995, ISBN 3-16-146208-4 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  • Karl R. Popper: The propensity interpretation of probability. In: British Journal for the Philosophy of Science. X, 37, 1959, doi:10.1093/bjps/X.37.25, S. 25–42.
  • Christina Schneider: Two interpretations of objective probability. On the ambiguity of Popper’s conception of propensities. In: Philosophia naturalis. 31/1, 1994, S. 107–131.
  • Antony Eagle: 21 Arguments Against Propensity Analyses of Probability. In: Erkenntnis. 60/3, 2004, S. 371–416.

Quellen

  1. The Propensity Interpretation of the Calculus of Probability and of the Quantum Theory. Popper, Karl. In Observation and Interpretation. Buttersworth Scientific Publications, Korner & Price (eds.) 1957. S. 65–70.

Weblinks