Polizei-Institut Charlottenburg

Gebäude des Instituts im Stülerbau

Das Polizei-Institut Charlottenburg (ab 1937: Führerschule der Sicherheitspolizei, ab 1939 Führerschule der Sicherheitspolizei und des SD) war eine 1926 gegründete Ausbildungs- und Forschungsstätte der preußischen Polizei in Berlin-Charlottenburg. Das Institut hatte zunächst seinen Sitz in der Charlottenburger Soorstraße 83 und wechselte dann in den westlichen Stülerbau, in dem sich heute das Museum Berggruen befindet. In Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges sollte es zur "Zentralen Schule des RSHA" ausgeprägt werden.

(c) Bundesarchiv, Bild 102-11647 / CC-BY-SA 3.0
Lehrmittelsammlung: Kiste, in der sich ein blinder Passagier versteckt hat (Simulation eines echten Falls)

Geschichte

(c) Bundesarchiv, Bild 102-11648 / CC-BY-SA 3.0
Simulation einer Dunkelhaftzelle

Aus der Höheren Polizeischule in Eiche hervorgegangen, arbeitete das Polizei-Institut von Beginn an eng mit der dort angesiedelten Ausbildungs- und Forschungsinstitution des preußischen Innenministeriums zusammen. Hier saßen die Befürworter für eine Ausrichtung der Polizeiarbeit auf rechtliche und demokratische Grundlagen, wie es die Weimarer Verfassung bestimmte. Ab 1920 waren bereits in Eiche Schritte gegangen worden, Ausbildungslehrgänge für Polizeioffiziere und Polizei-Anwärter-Lehrgänge durchzuführen. Im Jahr 1925/1926 war ein zentraler Standort für die Ausbildungskurse in Berlin Soorstraße 83 gefunden und mit der Schulungsarbeit für Kriminalisten begonnen worden. Ab 1927 betreute das Institut den ersten Einjahreslehrgang für Kriminalisten-Anwärter.[1] Die Absolventen galten als Elite der Polizei, „die Charlottenburger“. Erster Leiter in der Aufbauphase war ab 1926 Max Hagemann, später der erste Chef des Bundeskriminalamtes. Die fünf Hauptthemen der Lehrtätigkeit des Instituts umfassten: Staats- und Polizeirecht, Berufspsychologie und Pädagogik, Geschichte und Soziologie, Organisation und Verwendung der Polizei, Kriminologie und Kriminalistik. Neben der Aus- und Weiterbildung von Polizeikommissaren und -offizieren war das Institut für die Ausbildungsvorschriften der Polizei verantwortlich. Von 1929 bis 1933 fungierte Ministerialrat Ernst von Bergh (1873–1968) als Präsident des Polizei-Instituts. Er nahm wesentlichen Einfluss auf die inhaltliche und organisatorische Profilierung der Bildungseinrichtung für das höhere Polizeipersonal. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 wurde von Bergh, fast alle Führungskräfte und Dozenten aus ihren Positionen entfernt.[2]

Ab 1933

Ein Bruch der bisherigen kontinuierlichen, an der Verfassung der Weimarer Republik orientierten Entwicklung trat am 22. August 1933 ein, als der neu ernannte preußische Innenministerium Hermann Göring das Institut zur zentralen Lehrstätte der Kriminalpolizei für ganz Deutschland erklärte. An die Spitze des Instituts wurde Personal gestellt, dass von seiner Einstellung und beruflichen Herkunft her die nationalsozialistischen Ziele befürwortet. Zunehmend kamen als Dozenten Offiziere des Sicherheitsdienstes und der Gestapo zum Einsatz. Ab November 1933 wurde die nationalsozialistische Ideologie fester Bestandteil der Ausbildung von Kriminalisten. Zeitnah wurden die Lehrgänge zur Fachentwicklung von Kriminalkommissaren nun auch für Personal des Sicherheitsdienstes der NSDAP geöffnet. Dazu kam, dass sich alle Bewerber einer Überprüfung ihrer politischen Zuverlässigkeit unterziehen mussten und nur zugelassen wurden, wenn sie die Gewähr boten, sich "rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzusetzen".[3] Spätestens 1936 war die nationalsozialistische Staats- und Rechtsauffassung, die NS-Rassentheorie und Antisemitismus sowie Völkerhetze getarnt als "Gegner-Wissen" fester Bestandteil der Bildungsinhalte. Infolge der reichseinheitlichen Zentralisierung der Polizei wurde das Institut dann 1937 in „Führerschule der Sicherheitspolizei“ umbenannt, Ende 1939 nach der Zusammenführung aller Polizeiorganisationen im Reichssicherheitshauptamt in „Führerschule der Sicherheitspolizei und des SD“.

Am 17. Juni 1936 hat ein Erlass des Reichsinnenministers Wilhelm Frick alle Polizeikräfte des Reichs zusammengeführt unter dem Reichsführer SS, Heinrich Himmler, der zum „Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern“ ernannt wurde. Die sogenannte „Verreichlichung“ der Polizei war ein wichtiger Schritt bei der Ausprägung der nationalsozialistischen Diktatur. Himmler gliederte die Polizei neu in das Hauptamt Ordnungspolizei unter Kurt Daluege (Schutzpolizei, Polizeibataillone, Gendarmerie) und das Hauptamt Sicherheitspolizei unter Reinhard Heydrich (Kriminalpolizei und Gestapo). Aber der ursprüngliche Plan, das Polizei-Institut zum Leitinstitut des Sicherheitsdienstes und später des Reichssicherheitshauptamtes für die Ausbildung des benötigten Personals zu erheben und ihm alle anderen Führerschulen der SS, des SD und der Sicherheitspolizei unterzuordnen ging nicht auf, da kriegsbedingt der Zusammenschluss von Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst auf der Strecke blieb.

Das Polizeiinstitut Berlin-Charlottenburg unterstand ab 1936 Reinhard Heydrich unmittelbar. Die Führung aller Schulen übertrug er ab 1940 Bruno Streckenbach. Zu seiner fachlichen und ideologischen Führung war im Hauptamt des Sicherheitsdienstes das für alle "Höheren Führerschulen" zuständige Dezernat 23 der Zentralabteilung I verantwortlich. Geführt wurde es nach militärischen Prinzipien, ihr stand ein Kommandeur vor, dem ein Adjutant zugeordnet war, ferner ein Stabsführer und nachgeordnet die Lehrkräfte (Dozenten). Der Lehrplan zielte von an 1936 auf die Verschmelzung von SS- und Polizeiführung, vor allem deren einheitliche nationalsozialistische Ausprägung ihrer Weltanschauung hin. Heydrich sprach 1937 von der „rassisch und charakterlich menschlichen Auslese der Lehrgangsanwärter, von ihrer weltanschaulichen und fachlichen Schulung“. Am Ende des Kursprogramms wurde eine Facharbeit geschrieben und eine Prüfung abgelegt. Zum Programm der "Praxisnähe" gehörten ein Besuch des Reichssicherheitshauptamtes und die Besichtigung eines Konzentrationslagers.[4] Ab 1938 wurden ausgewählte Führungs- und Lehrkräfte zeitweilig den einzelnen Sonder- und Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD zugeordnet. Sie nahmen während des Einsatzes an Judenverfolgungen, Vernichtung von Personengruppen in den besetzen Gebieten, Plünderungen und Massenerschießungen teil. Im Sommer 1941 wurde ein kompletter Lehrgang des Instituts unter der Führung ihres Schulkommandeurs Günther Hermann der Einsatzgruppe C, Sonderkommando 4b der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes zugeteilt. Während ihres Einsatzes erschossen sie beispielsweise 565 Insassen einer örtlichen Irrenanstalt in der südlichen Ukraine.[5] Nach der Rückkehr setzten sie die Ausbildung mit dem Wintersemester fort.

Im Jahr 1944 wurde die Führerschule wegen der zunehmenden Bombenangriffe auf Berlin in das westpreußische Nakel evakuiert. Die Lehrveranstaltungen wurden vor Ort weitergeführt.

Lehrplan von 1938/1939

Lehrgang für Kriminalpolizeianwärter (13.Lehrgang):

1. Nationalpolitische Schulung (Nationalsozialistische Weltanschauung, Allgemeine Staatslehre und deutsche Staatskunde, Völkerrecht)

2. Führerschulung (Lebenskunde, Führerausbildung, Unterrichtslehre-Lerntechniken)

3.A Kriminalwissenschaft und Praxis (Berufseignung, Kriminalpolizei, Gestapo, Abwehr, Kriminalpolizeiliche Untersuchungen, Einrichtungen-Arbeitsweise, Spezialwissenschaften der Kriminalistik)

3.B Rechtskunde (Verwaltungs- und Polizeirecht, Materielles Strafrecht, Privatrecht)

4.Körperschulung (Waffenausbildung, Schießlehre´, Polizeitaktische Ausbildung, Innendienst)[6]

Führung

Bekannte Absolventen

  • Willy Litzenberg (1900–1964), Jahrgang 1927/1928, Sonderkommission zur Untersuchung des Attentats vom 20. Juli 1944
  • Kurt Moritz (1902–1973), Jahrgang 1927/1928, zum Kriminaldirektor 1945 ernannt,
  • Fritz Barnekow (1899–1959), Jahrgang 1929/1930, ab 1944 Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes Paris
  • Helmut Heisig (1906–1980), Jahrgang 1929/1930, ab 1937 Leiter der Kriminalpolizei und Politische Polizei in Bonn
  • Ernst Berger (* 1904), Jahrgang 1930/1931, ab 1944 Kriminaldirektor
  • Herbert Fischer (1904–1945), Jahrgang 1930/1931, ab 1941 Kriminaldirektor, Gestapochef Radom 1944
  • Arthur Jetzlaff (1899–1941), Jahrgang 1930/1931, ab 1937 Kriminalrat,
  • Kurt Riedel (1903–1945), Jahrgang 1930/1931, ab 1939 Kriminalrat,
  • Erich Jakob (1907–1974), Jahrgang 1933/1934, ab 1943 Leiter Reichszentrale zur Bekämpfung von Sittlichkeitsdelikten
  • Alfred Martin (1908–1977), Lehrgang für Kriminalkommissare der Politischen Polizei 1934, ab 1944 Kriminalrat,
  • Kurt Zillmann (1906–1980), Jahrgang 1934/1935, ab 1936 Dozent für Kriminologie/Kriminalistik
  • Walter Kubitzky (1891–1945), Lehrgang für die Politische Polizei 1936, ab 1941 Regierungs- und Kriminalrat
  • Herbert Kappler (1907–1978), Jahrgang 1937, 1952 als Kriegsverbrecher in Italien verurteilt
  • Karl Giering (1900–1945), Jahrgang 1937/1938, ab 1942 Ermittler im Sonderkommando "Rote Kapelle"
  • Lothar Hoffmann (1905–1992), Jahrgang 1937/1938, ab 1955 Leiter des Kriminalkommissariats Limburg
  • Johannes Hoßbach (1914–1985), Jahrgang 1937/1938, ab 1952 persönlicher Referent des 1. Präsidenten des BKA Hanns Jess
  • Lothar Fendler (1913–1983), Jahrgang zwischen 1937 und 1941, im Stab der Einsatzgruppe C / 4b ab Juni 1941
  • Heinrich Bergmann (SS-Mitglied) (1902–1980), Jahrgang 1938/1939, Bundeskriminalamt Bereich Ausbildung
  • Paul Dickopf (1910–1973), Jahrgang 1938/1939, später im Bundeskriminalamt
  • Heinrich Erlen (1907–1981), Jahrgang 1938/1939, später Beamter im Bundeskriminalamt
  • Gerhard Freitag (1913–1995), Jahrgang 1938/1939, später im Bundeskriminalamt
  • Kurt Griese (1910–1993), Jahrgang 1938/1939, später Regierungskriminalitätsdirektor im Bundeskriminalamt
  • Otto Gunia (1907–1981), Jahrgang 1938/1939, später Regierungskriminalitätssekretär im Bundeskriminalamt
  • Rolf Holle (1914–2004), Jahrgang 1938/1939, später im Bundeskriminalamt
  • Rudolf Thomsen (1910–1992), Jahrgang 1938/1939, später im Bundeskriminalamt
  • Eberhard Eschenbach (1913–1964), Jahrgang 1939/1940, Kriminalpolizei Flensburg, später Beamter im Bundeskriminalamt
  • Adolf Janssen (1907–2004), Jahrgang 1939/1940, ab 1965 Bankdirektor einer Hypothekenbank
  • Georg Heuser (1913–1989), Jahrgang 1940/1941, Leiter Landeskriminalpolizeiamt Rheinland-Pfalz
  • Johann Sanitzer (1904–1957), Jahrgang 1940/1941, Kriminalrat, in Österreich verurteilt zu lebenslänglicher Haft
  • Heinz Felfe (1918–2008), Jahrgang 1942/1943, Mitarbeiter im Reichssicherheitshauptamt, später in der Organisation Gehlen und dem BND

Literatur

  • Hans-Christian Harten Die weltanschauliche Schulung der Polizei im Nationalsozialismus, Ferdinand Schöningh Verlag Paderborn, 2018
  • Hans-Christian Harten: Himmlers Lehrer. Die Weltanschauliche Schulung in der SS 1933–1945. Paderborn 2014.
  • Stephan Linck: Der Ordnung verpflichtet. Deutsche Polizei 1933.1949. Der Fall Flensburg, Paderborn 2000
  • Patrick Wagner: Volksgemeinschaft ohne Verbrecher. Konzeptionen und Praxis der Kriminalpolizei in der Zeit der Weimarer Repulibk und des Nationalsozialismus. Wallstein, Hamburg 1996 ISBN 978-3-7672-1271-8
  • Ders.: Hitlers Kriminalisten. Die deutsche Kriminalpolizei und der Nationalsozialismus, Beck, München 2002 ISBN 3-406-49402-1
  • 100 Jahre Bildungsarbeit in der Polizei, Hrsg. Polizei-Führungsakademie Münster 2002, ISBN 3-9807535-0-6

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Abschluß des ersten Weiterbildungslehrganges für obere Verwaltungsbeamte beim Polizeiinstitut in Berlin, Zeitschrift "Die Polizei" Heft 25, Jahrgang 1928, S. 20ff.
  2. Das Polizeiinstitut zu Berlin-Charlottenburg, Zeitschrift der deutsche Polizeibeamte, Nr. 2, Jahrgang 1934, S. 658ff.
  3. Erlass vom 23. Januar 1934 zur Umsetzung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, Vgl. Jens Banach Heydrichs Elite, Das Führerkorps der Sicherheitspolizei und es SD, Paderborn 1998, S. 264f.
  4. Dieter Schenk: Die Führerschule der NS-Sicherheitspolizei und die „Charlottenburger“ im Bundeskriminalamt. Abgerufen am 12. April 2021
  5. Ereignismeldung 135 vom 19. November 1941, in: Ronald Headland: Messages of Murder, 2. Auflage. Fairleigh Dickinson University Press, Rutherford (NJ) 2000,
  6. > Hans-Christian Harten Die weltanschauliche Schulung der Polizei im Nationalsozialismus, Ferdinand Schöningh Verlag Paderborn, 2018, S. 120

Koordinaten: 52° 31′ 9″ N, 13° 17′ 43″ O

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Stülerbau Sammlung Berggruen.jpg
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Sammlung Berggruen (formerly Antikensammlung), Westlicher Stülerbau, Berlin-Charlottenburg (in the background: the Bröhan-Museum)
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Die deutsche Kriminal-Polizei im Kampf gegen das zunehmende Verbrechertum!
Der Strafvollzug vor 30 Jahren. Eine Dunkelhaftzelle im Keller des Polizei-Instituts. So wurden früher renitente Strafgefangene behandelt. Der Gefangene wurde mit Ketten an die Wand angeschlossen und musste so mehrere Tage auf dem kalten Steinboden zubringen.
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(c) Bundesarchiv, Bild 102-11647 / CC-BY-SA 3.0
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Die deutsche Kriminal-Polizei im Kampf gegen das zunehmende Verbrechertum!
Der blinde Passagier in der Kiste. Ein interessantes Stück aus der Lehrmittel-Sammlung des Polizei-Instituts. In dieser Kiste wurde ein blinder Passagier auf der Ueberfahrt von Hamburg nach England entdeckt.