Politische Justiz

Politische Justiz ist ein politisches Schlagwort. Mit ihm wird eine Rechtsprechung überwiegend pejorativ beschrieben, die nicht ausschließlich dem Recht, sondern auch politischen Zielen verpflichtet sei.

In rechtsstaatlichen Demokratien steht eine politische Justiz im Konflikt mit den Prinzipien der Gewaltenteilung und der richterlichen Unabhängigkeit und ist als Rechtsbeugung strafbar. In Diktaturen ist die Justiz vielfach auch offiziell der Durchsetzung der Regierungslinie verpflichtet.

Eine politische Justiz ist nicht ohne weiteres gleichzusetzen mit der Verfolgung politischer Straftaten.

Politische Justiz und demokratische Grundrechte

Politische Justiz setzt die Unabhängigkeit der Justiz von der jeweiligen Herrschaftsgewalt außer Kraft und verstößt damit gegen demokratische Grundrechte. Bei dieser Unabhängigkeit handelt es sich um die Deutschland durch Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz garantierte Gewaltenteilung. Dabei stellt es einen Missbrauch der exekutiven Gewalt im Sinne der politischen Justiz dar, wenn Justiz nicht die Gleichheit politischer Gruppierungen vor dem Gesetz berücksichtigt, sondern vor allem der Ausschaltung des jeweiligen politischen Gegners dient und damit den Spielraum der herrschenden politischen Exekutive erweitert und nicht etwa der Kontrolle dieser Maßnahmen dient.[1]

Konsolidierung sozioökonomischer Herrschaftsinteressen: Klassenjustiz

Nach Erich Fromm handelt es sich bei Politischer Justiz um den unangemessenen Versuch einer Konsolidierung sozioökonomischer Herrschaftsinteressen, der die Grundvoraussetzungen der Herrschaft in der prinzipiellen Minderwertigkeit des Beherrschten sieht.[2] Solche sozioökonomischen Interessen hatte bereits William Godwin in seinem 1793 erschienenen Werk Enquiry Concerning Political Justice sowohl in kritischer (negativer) Sichtweise als auch in positiver Weise ausgeführt.[3] Die positive Sicht der Herrschaftsgrundlage bestehe in einer breiten politischen Zustimmung, die negative in der Verfälschung der Urteilsfähigkeit durch Besitzanspruch auf materielle Güter.[3]

Ein verwandtes politisches Schlagwort ist die Klassenjustiz. Der Begriff Klassenjustiz wird unter anderem von Marxisten zur Charakterisierung der Justiz als Instrument der Klasse der Herrschenden (Kapitalisten) im Klassenkampf zur Aufrechterhaltung der Klassengesellschaft bezeichnet. Er stellt damit einen Sonderfall der Politischen Justiz dar. Marxisten verstehen Justiz als unkritisches Instrument, gesellschaftliche Verhältnisse zu zementieren. Die Wertung von Karl Marx, dass Rechtsverhältnisse und Staatsformen in den materiellen Lebensverhältnissen wurzeln, beschreibt diesen Sachverhalt.[4]

Positive Besetzung: Kritische Justiz

Im real existierenden Sozialismus wurde der Begriff der Klassenjustiz als Beschreibung der eigenen Justiz positiv verwendet. Kurt Tucholsky urteilte 1930: „Ich habe nichts gegen Klassenjustiz; mir gefällt nur die Klasse nicht, die sie macht.“[5] Stephen Rehmke fordert, sich diesem Diktum Tucholskys im Sinne einer kritischen Justiz verpflichtet zu fühlen, da Justiz gar „nicht unpolitisch sein“ könne.[6]

Die 68er-Bewegung setzte dem Idealbild des Richters, der nur an das Gesetz gebunden war, das Bild eines kritischen Juristen entgegen, der politisches Bewusstsein haben solle und seine richterliche Unabhängigkeit dazu nutzen sollte, politisch gewünschte Veränderungen zu bewirken. Der Richter sollte gleichsam als „Sozialingenieur“ zu einer besseren Gesellschaft beitragen.[7]

Aufarbeitung der NS-Vergangenheit

Im Zuge der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit wurde auch die Rolle der Justiz in der Zeit des Nationalsozialismus thematisiert, in der die Rechtsprechung unter Berufung auf das formale Recht Mittäter des Unrechtsstaates geworden war (siehe Furchtbare Juristen, Filbinger-Affäre).

Beispiele

Literatur

  • Kurt Kreiler (Hrsg.): Traditionen deutscher Justiz. Politische Prozesse 1914-1932. Ein Lesebuch zur Geschichte der Weimarer Republik. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1978, ISBN 3-8031-1080-7.
  • Heinrich Hannover, Elisabeth Hannover-Drück: Politische Justiz 1918–1933. Mit einer Einleitung von Karl Dietrich Bracher. Fischer Bücherei, Frankfurt am Main/ Hamburg 1966.
  • Ingo Müller: Furchtbare Juristen. Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz. Kindler Verlag, München 1987, ISBN 3-463-40038-3.
  • Otto Kirchheimer: Politische Justiz. Verwendung juristischer Verfahrensmöglichkeiten zu politischen Zwecken. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt a. M., 1981, ISBN 3-434-00470-X.
  • Manfred Messerschmidt, Fritz Wüllner: Die Wehrmachtjustiz im Dienste des Nationalsozialismus. Zerstörung einer Legende. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1987, ISBN 3-7890-1466-4.
  • Ilse Staff: Justiz im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Fischer Bücherei, Frankfurt am Main/ Hamburg 1964.
  • Otto Gritschneder: Furchtbare Juristen. Verbrecherische Todesurteile deutscher Kriegsgerichte. Verlag C. H. Beck, München 1998, ISBN 3-406-42072-9.
  • William Godwin: Property Erste Ausgabe 1793 McMaster University

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Otto Kirchheimer: Politische Justiz. Verwendung juristischer Verfahrensmöglichkeiten zu politischen Zwecken. (1961 Political Justice) dt. Luchterhand, Neuwied 1965, S. 606.
  2. Erich Fromm: Die Pathologie der Normalität. Zur Wissenschaft vom Menschen. (1974, 2005). 3. Auflage. Ullstein, 2009, ISBN 978-3-548-36778-1; S. 145 ff.
  3. a b William Godwin: Enquiry Concerning Political Justice Band I–VIII (1793). 1890 Reprint von Band VIII, Property (Originalversion 1793). Positive Sicht: Auszug aus Band III Principles of Government: „One of the most popular theories, relative to the foundation of political authority, we have seen to be that of an original contract, affirming that the criterion of political justice is to be found in the conventions and rules which have been adjusted by the community at large.“ – Negative Sicht: Auszug aus Bd. VIII Of Property: „The subject of property is the key-stone that completes the fabric of political justice. According as our ideas respecting it are crude or correct, they will enlighten us as to the consequences of a simple form of society without government, and remove the prejudices that attach us to complexity. There is nothing that more powerfully tends to distort our judgement and opinions than erroneous notions concerning the goods of fortune.“
  4. Marx/Engels Werke (MEW), Zur Kritik der politischen Ökonomie, Vorwort, Bd. XIII, S. 8 f.
  5. Kurt Tucholsky: Politische Justiz. Hamburg 1970, S. 91.
  6. Stephen Rehmke: Politische Justiz. In: Wozu Jura Studieren? Forum Recht, Sonderausgabe 2002/2003, S. 26–27.
  7. Johann Braun: Einführung in die Rechtswissenschaft. 3. Auflage. 2007, ISBN 978-3-16-149401-7, S. 108, books.google.de