Polenmarkt

Grenzmarkt in Łęknica bei Bad Muskau (1992): angeboten werden unter anderem Hunde, Haushaltsartikel und Zigaretten

Ein Polenmarkt oder polnischer Grenzmarkt ist ein Markt oder Basar auf der polnischen Seite der deutsch-polnischen Grenze.

Geschichte

„Polenmärkte“ ab den 1980er Jahren

Markt auf dem Gelände des ehemaligen Potsdamer Bahnhofs an der M-Bahn-Versuchsstrecke in West-Berlin (1989)
Ahlbecker Grenzmarkt“ in Świnoujście (2020)
(c) Jan M, CC BY-SA 3.0
„Oder Center Berlin“ in Osinów Dolny bei Hohenwutzen (2015)

Seit den frühen 1980er Jahren verkauften polnische Händler ihre Waren auf dem „Krempelmarkt“ am Berliner Reichspietschufer.[1] Mit dem Ende des Sozialismus in Polen und der Aufhebung der Visumspflicht für polnische Bürger entstand 1989 in der Nähe ein großer „Polenmarkt“ auf der Brache am ehemaligen Potsdamer Bahnhof.[2][3] Außerdem gab es Märkte in Bremen.[4][5] In Wien bestand ein „Polenmarkt“ als Schwarzmarkt seit den frühen 1980er Jahren, zunächst am Mexikoplatz, später auf dem Messeparkplatz beim Prater.[6][7]

Die Märkte in Städten hörten Anfang der 1990er Jahre auf zu existieren, als in Polen die Preise für Handelswaren nach den Reformen von Leszek Balcerowicz stiegen, während der Kurs der Mark sank, und sich die Reise für die Händler nicht mehr lohnte.[8] Der in Frankfurt (Oder) lehrende Osteuropahistoriker Karl Schlögel bezeichnete die Entstehungszeit der Polenmärkte als „Basarphase“, die jedes osteuropäische Land im Zuge der postsozialistischen Transformation durchlaufen habe.[9]

Seit den 1990er Jahren

Im Zuge des Grenz- und Tanktourismus entstanden in den 1990er Jahren Märkte in verschiedenen Orten an der deutsch-polnischen Grenze, die dort bis heute angesiedelt sind, insbesondere in geteilten Orten zwischen Polen und Ostdeutschland (Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen). In Gubin gab es bereits vor der Wende Grenzmärkte für Touristen aus Guben, die seit 1972 visumfrei aus der DDR einreisen konnten.[10]

Der Markt in Osinów Dolny (offiziell „Oder Center Berlin“[11]), der nach der Wiedereröffnung der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Oderbrücke 1993 auf dem Gelände der ehemaligen Zellstoff- und Papierfabrik Niederwutzen entstand,[12] gilt als der größte Polenmarkt.[13][14] Dreimal am Tag fährt dorthin ein Shuttle-Bus ab Berlin-Marzahn.[15] Der 1991 eröffnete Basar in Słubice wurde 2007 von einem Feuer vollständig zerstört, wovon 1500 Händler betroffen waren.[16]

Außerdem gibt es Märkte tschechischer und vietnamesischer Händler („Tschechenmärkte“, „Vietnamesenmärkte“) an der deutsch-tschechischen Grenze.[17]

Polnische Grenzmärkte heute

Es gibt Grenzmärkte (von Nord nach Süd) in:

Angebot

(c) G.Elser, CC BY 3.0
Preisschild für Zigaretten und Gartenzwerg in Łęknica (2008)

Angeboten werden aufgrund des Preisgefälles insbesondere Zigaretten und alkoholische Getränke,[19] aber auch Kleidung, Kosmetik, Lebensmittel, Gartenzwerge,[20][21] CDs, DVDs, Garten- und Heimwerkerbedarf;[22] außerdem Dienstleistungen etwa von Friseuren.[23] Das Angebot richtet sich überwiegend an deutsche Kunden, darunter auch Teilnehmer von Kaffeefahrten.[24] Kritisiert wurde der Handel mit in Deutschland verbotenen Waren, etwa mit verfassungsfeindlichen Symbolen,[25][26] illegalen Feuerwerkskörpern[27] sowie mit illegal gezüchteten Haustieren, insbesondere Welpen.[28]

Bezeichnungen

Die umgangssprachliche Bezeichnung „Polenmarkt“ wird häufig in Anführungszeichen verwendet,[29] aber auch offiziell von Händlern benutzt. Der erste Teil des Kompositums „Polenmarkt“ kann dabei sowohl das Land Polen als auch seine Bewohner, die Polen, meinen.[30] Der Fachterminus ist „(polnischer) Grenzmarkt“. Im Polnischen wird das Wort „(przygraniczny) bazar“ /„(Grenz-)Basar[31] oder der Germanismus „Polenmarkt“[32] verwendet. Durch den Sprachkontakt zwischen Deutsch und Polnisch hat sich unter den Händlern eine Mischsprache etabliert.[33]

In der Kultur

1997 drehten die Soziologen Jerzy Kaczmarek und Dominik Peitsch den Film Der Słubicer Polenmarkt: Auswirkungen auf Stadt und Mensch.[34] Seit 1997 findet in Greifswald das Kulturfestival polenmARkT statt. 2000 wurde der heutige Club der polnischen Versager als Bund der polnischen Versager – Polenmarkt e.V. gegründet.[35]

Literatur

Berliner „Polenmarkt“

  • Karl Schlögel: „Ein Stück Stadtwüste lebt. Einzigartig in Europas Mitte: ein polnischer Markt weckt Berliner Hoffnungen“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. Februar 1989, S. 27; wieder abgedruckt als: „Polenmarkt“. In: Ders.: Das Wunder von Nishnij oder die Rückkehr der Städte: Berichte und Essays, Frankfurt a. M.: Eichborn, 1991, S. 259–266.
  • Karl Schlögel: „Das Neue Berlin: Polenmarkt plus Debis Tower“, in: Journal Das Neue Berlin 99/01. Heft 1/1998, S. 14–17.
  • Roswitha Loew, Anke Pfeifer: Vom Berliner „Flohmarkt-Idyll“ zum „Labyrinth aus Bretterbuden“: Polenbilder im deutschen Pressediskurs (1989-1997). Ein interdisziplinärer Versuch. Scripvaz-Verlag, 1999, ISBN 978-3-931278-37-3
  • Ursula Weber: Der Polenmarkt in Berlin: zur Rekonstruktion eines kulturellen Kontakts im Prozeß der politischen Transformation Mittel- und Osteuropas. Neuried: Ars Una, 2002.

Wiener „Polenmarkt“

  • Roland Girtler: Abenteuer Grenze: von Schmugglern und Schmugglerinnen, Ritualen und „heiligen“ Räumen. LIT Verlag Münster, 2006, ISBN 978-3-8258-9575-4, S. 128 ff.
  • Valentin Ladstätter: Ramsch und Kaviar – der Schwarzmarkt am Mexikoplatz zur Zeit der Wende, Masterarbeit, Universität Wien, 2016, PDF

Polnische Grenzmärkte

  • Joachim Pawlyta: Der grenznahe Handel zwischen Deutschland und Polen. GHS, 1995, ISBN 978-3-925327-29-2, S. 26–43.
  • Dominik Peitsch: Globale Formen – lokale Märkte: eine empirische Zusammenhangsstudie von Martin Albrows „The Global Age“ und Florian Znanieckis „Modern Nationalities“ unter besonderer Berücksichtigung des Marktes am Beispiel der „Polenmärkte“. Univ. Diss., 1998
  • Jerzy Kaczmarek: „Der Słubicer Polenmarkt: Eine visuell–soziologische Studie“. In: Helga Schultz: Grenzen im Ostblock und ihre Überwindung. Berlin Verlag Spitz, 2001, ISBN 978-3-8305-0081-0, S. 327–335.
  • Uwe Rada: Zwischenland: europäische Geschichten aus dem deutsch-polnischen Grenzgebiet. Be.bra, 2004, ISBN 978-3-89809-045-2
  • Peter Dannenberg, Lech Suwala: Entwicklung von konsumorientierten Handel und Dienstleistungen im deutsch-polnischen Grenzraum am Beispiel von Frankfurt (Oder) / Słubice, Arbeitsberichte Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin, No. 153, Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin, 2009, PDF
  • Barbara A. Jańczak: „German-Polish Border: Language Contact and Language Use on the Example of Forms of Address of Polish Vendors from Słubice Bazaar“. In: Rellstab, D./ Siponkoski N. (Hrsgg.): Rajojen dynamiikkaa, Gränsernas dynamik, Borders under Negotiation, Grenzen und ihre Dynamik. VAKKI-symposiumi XXXV 12.–13.2.2015. Vaasa: VAKKI Publications 4, 2015, S. 117–126, PDF
  • Barbara A. Jańczak: „Deutsch-polnische Grenzschaft: Sprachgebrauch im transnationalen Raum der Grenzmärkte im deutsch-polnischen Grenzland“. In: Tölle, A./ Wehrhahn, R. (Hg.): Translokalität und lokale Raumproduktionen in transnationaler Perspektive. Berlin: Logos, 2016, S. 119–131.
  • Florian Peters: „Vom ,Polenmarkt‘ zum Millionär? Der Markt als Erfahrungsraum und Ordnungsmodell der Transformationszeit in Polen“. In: Ulf Brunnbauer / Dierk Hoffmann (Hg.): Transformation als soziale Praxis. Mitteleuropa seit den 1970er Jahren. (Zeitgeschichte im Gespräch. 32). Berlin 2020, S. 108–124.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ursula von Kardorff, Helga Sittl: Berlin. DuMont, 1982, ISBN 978-3-7701-1150-3, S. 367 (google.de [abgerufen am 20. Juli 2022]).
  2. Der „Polenmarkt“ am Potsdamer Platz in Berlin. Abgerufen am 17. Juli 2022.
  3. ulrike helwerth: Das Aus für den Berliner Polenmarkt. In: Die Tageszeitung: taz. 22. Juni 1989, ISSN 0931-9085, S. 3 (taz.de [abgerufen am 17. Juli 2022]).
  4. Polenmarkt. In: Die Tageszeitung: taz. 29. Mai 1992, ISSN 0931-9085, S. 39 (taz.de [abgerufen am 20. Juli 2022]).
  5. j.g: Aus für den Polenmarkt? In: Die Tageszeitung: taz. 11. Mai 1992, ISSN 0931-9085, S. 22 (taz.de [abgerufen am 20. Juli 2022]).
  6. »Die san nur arme Würschtl«. In: Der Spiegel. 3. Dezember 1989, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 17. Juli 2022]).
  7. Ladstätter 2016
  8. Der „Polenmarkt“ am Potsdamer Platz in Berlin. Abgerufen am 20. Juli 2022.
  9. Stefanie Peter: Alphabet der polnischen Wunder: ein Wörterbuch. Suhrkamp, 2007, ISBN 978-3-518-41933-5, S. 207 (google.de [abgerufen am 17. Juli 2022]).
  10. Helga Schultz: Grenzen im Ostblock und ihre Überwindung. Berlin Verlag Spitz, 2001, ISBN 978-3-8305-0081-0, S. 286 (google.de [abgerufen am 18. Juli 2022]).
  11. Märkisches Medienhaus: Einkaufstourismus: Der Sprung auf den Polenmarkt von Hohenwutzen nach Osinów Dolny. 9. Juli 2020, abgerufen am 18. Juli 2022.
  12. Carsten Otte: Schaschlik in Osinów. In: Die Zeit. 18. Oktober 1996, abgerufen am 20. Juli 2022.
  13. Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure Deutschlands: Polnische Grenzmärkte und Polenmarkt Osinow-Dolny (Memento des Originals vom 25. Dezember 2008 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.lebensmittelkontrolle.de, abgerufen am 10. Februar 2009.
  14. Deutsche Welle (www.dw.com): Biggest Polish bazaar for Germans reinvents itself | DW | 19.12.2019. Abgerufen am 17. Juli 2022 (britisches Englisch).
  15. hoerspielundfeature.de: Konsum und Kultur - Ein Besuch auf dem Polenmarkt Hohenwutzen. Abgerufen am 19. Juli 2022.
  16. Zur Schnäppchensuche auf dem Polenmarkt. Abgerufen am 20. Juli 2022.
  17. Bernhard Köppen: „Auswirkungen des Einkaufstourismus im nordböhmischen Grenzraum: Beispiele zu Sonderformen des tertiären Sektors“. In: Europa Regional 8.2000(2), S. 19–31. PDF
  18. Märkisches Medienhaus: Polenmarkt: Wie Pani Wanda auf dem Basar die Marktwirtschaft erlebte. 20. Dezember 2019, abgerufen am 20. Juli 2022.
  19. Helmut Schümann: Von polnischen Märkten und deutschem Kaffee. In: Der Tagesspiegel Online. 6. Mai 2013, ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 17. Juli 2022]).
  20. Dietmar Pieper: Der verfluchte Basar. In: Der Spiegel. 4. April 1993, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 18. Juli 2022]).
  21. Büchse der Pandora. In: Der Spiegel. 10. Juli 1994, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 18. Juli 2022]).
  22. Alles und billig. Abgerufen am 18. Juli 2022.
  23. Yannick Pasquet: Billigtourismus: Deutsche fahren nach Polen zum Haareschneiden. In: DIE WELT. 25. März 2009 (welt.de [abgerufen am 20. Juli 2022]).
  24. michaela schießl: Psycho-Hartmuts Latex-Show. In: Die Tageszeitung: taz. 24. Februar 1993, ISSN 0931-9085, S. 11 (taz.de [abgerufen am 18. Juli 2022]).
  25. Hanna Kolb: Skinheads auf Schnäppchenjagd. In: DIE WELT. 8. August 1999 (welt.de [abgerufen am 18. Juli 2022]).
  26. Propaganda: Nazi-Rock vom "Polenmarkt". In: Der Spiegel. 17. August 2000, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 18. Juli 2022]).
  27. Pyro-Fans kaufen in Polen Feuerwerkskörper. Abgerufen am 17. Juli 2022.
  28. Sophie Krause: Wie Berlins Bezirke gegen illegalen Welpenhandel ankämpfen. In: Der Tagesspiegel Online. 2. April 2018, ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 17. Juli 2022]).
  29. DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. Abgerufen am 19. Juli 2022.
  30. Ursula Grawert: „Herbstromantik-Panoramafahrt oder: Bereichern Kaffeefahrten den deutschen Wortschatz?“. In: Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge, Vol. 5, No. 3 (1995), S. 587–593; S. 590.
  31. Deutsche Welle (www.dw.com): Pogranicze. Trzy pogrzeby i wesele | DW | 27.09.2020. Abgerufen am 18. Juli 2022 (pl-PL).
  32. WDR: Jestem polonofilem jak wielu Niemców. 25. September 2021, abgerufen am 19. Juli 2022.
  33. Jańczak 2015; Jańczak 2016
  34. Kaczmarek 2001
  35. Magdalena Marszałek, Alicja Nagórko: Berührungslinien: polnische Literatur und Sprache aus der Perspektive des deutsch-polnischen kulturellen Austauschs. Olms, 2006, ISBN 978-3-487-13024-8, S. 315 (google.de [abgerufen am 20. Juli 2022]).

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