Paul Röhrbein

Paul Oskar Röhrbein (* 27. November 1890 in Charlottenburg; † 1. Juli 1934 im KZ Dachau) war ein deutscher rechtsextremer Aktivist im Gefolge des langjährigen Führers der Sturmabteilung (SA) Ernst Röhm.

Leben und Wirken

Jugend und Erster Weltkrieg

Röhrbein wurde als Sohn des Eisenbahnbetriebsleiter a. D. Carl Oscar Adalbert August Röhrbein und der Marie Luise Heyde geboren. Nach dem Schulbesuch schlug er eine Karriere in der preußischen Armee ein, in der er es bis zum Hauptmann brachte. Nach dem Ersten Weltkrieg schied er aus dem Militärdienst aus. Über seinen Werdegang in den folgenden Jahren ist so gut wie nichts bekannt.

Weimarer Republik

Mitte der 1920er Jahre übernahm Röhrbein Führungsaufgaben in der von Ernst Röhm gegründeten rechtsradikalen Kampforganisation Frontbann. Namentlich wurde ihm von Röhm – zu dem er auch homosexuelle Beziehungen unterhalten haben soll – die Leitung des sogenannten „Frontbann-Nord“, der Berliner Sektion der Organisation, übertragen.[1] Gleichzeitig stand Röhrbein in dem Ruf, der „offizielle Vertreter Ludendorffs in Berlin“ zu sein.[2] Die Mitglieder des Frontbann Nord gewann Röhrbein aus der deutschen Turnerschaft, dem Bund Wiking, der Schwarzen Reichswehr und dem Grenzschutz. Als seinen Adjutanten wählte er den jungen Karl Ernst, den späteren Chef der SA in Berlin-Brandenburg aus.[3] Ernst, dem ebenfalls homosexuelle Beziehungen zu Röhrbein nachgesagt wurden, brachte dies den Spitznamen „Frau Röhrbein“ bzw. „Frau von Röhrbein“ ein.[4]

In der ersten Auflage seiner Lebenserinnerungen Geschichte eines Hochverräters von 1928 rühmte Röhm Röhrbein als „das Muster eines deutschen Offiziers und treuen Kameraden“. Des Weiteren erklärte Röhm, Röhrbein sei „einer der besten und unerschrockensten Kämpfer für Hitler genannt worden“ und dass es „ohne die Energie Röhrbeins“ der SA „niemals gelungen [wäre,] Berlin zu erobern.“[5] In der zweiten Auflage des Buches von 1933 fehlen die Ausführungen bei Röhm.

Über Röhrbeins Beziehungen zu Hitler ist wenig bekannt: Eine linke Publikation berichtete zwar, dass in Berliner Homosexuellenlokalen wie dem Kleist-Kasino, der Internationalen Diele und der Silhouette, in denen Röhrbein damals Stammgast war, „jeder Strichjunge“ von den (angeblichen) „lebhaften Beziehungen des Freundes Röhrbein über Röhm zu Hitler“ spreche.[4] Hierbei handelt es sich allerdings nur um Hörensagen, das auf übertriebenen Angaben Röhrbeins beruht haben kann.

In die SA wurde Röhrbein Waldemar Geyer zufolge nicht mehr (oder allenfalls in einen niederen Rang) aufgenommen, da Hitler ihn zwar als „Mensch und Soldat“ anerkannt, ihn zugleich aber für die NS-Bewegung als nicht tragbar erachtet habe.[6] Nachdem Ernst Röhm Anfang 1931 das Amt des Stabschefs der SA übernommen hatte, gehörte Röhrbein dennoch zeitweise zum engeren Kreis um seinen alten Freund: Zusammen mit Karl Ernst und Edmund Heines galt er als Keimzelle der sogenannten „Homosexuellenriege“ in der SA-Führung.[7] Röhrbeins Ende 1930 gehegte Hoffnung, nach Ernennung seines Freundes Röhm zum Stabschef zum Obersten SA-Führer im Bereich um Berlin (Osaf Ost) ernannt zu werden, erfüllte sich dagegen ebenso wenig wie Ambitionen auf den Posten des Leiters der Münchener SA-Führerschule oder des Verbindungsmanns Röhms nach Österreich.[8]

Aufsehen erregte ein Vorfall vom 27. Juni 1931, als Anhänger der Stennes-Gruppe in der SA – die sich gegen Röhm, Röhrbein und den Rest der „Homosexuellen-Clique“ richteten – Karl Ernst und Röhrbein in dem Lokal Halenseer Hütte am Kronprinzendamm überraschten: Sie umstellten das Lokal, sodass Ernst den Sturm 12 telefonisch alarmieren musste, um ihn und Röhrbein, die von den Belagerern als „schwule Säue“ bezeichnet wurden, zu retten.[9] Die Beziehungen zu Ernst scheinen weiter angedauert zu haben: Ende 1932 wurde Karl Ernst von einem ehemaligen SA-Führer namens Fischer bei Hitler wegen seiner homosexuellen Beziehungen zu Röhrbein denunziert.[10]

Zeit des Nationalsozialismus und Tod (1933–1934)

Am 5. Juli 1933 wurde Röhrbein während eines Aufenthaltes in München in Schutzhaft genommen.[11] Die Gründe für seine Inhaftierung sind nicht mit Gewissheit geklärt.[12]

In der Literatur taucht in diesem Zusammenhang häufig die unbelegte Behauptung auf, Röhrbein habe mit dem Reichstagsbrand vom Februar 1933 zu tun gehabt, sei womöglich sogar Mitglied eines Trupps gewesen, der durch einen unterirdischen Tunnel in das Reichstagsgebäude eingedrungen sei und diesen angesteckt habe.[13] Daneben wurde auch der Verdacht geäußert, Röhrbein habe am 7. Mai 1933 als Anführer eines SA-Rollkommandos den DNVP-Politiker Ernst Oberfohren ermordet, der über die Nationalsozialisten belastendes Material zum Reichstagsbrand gesammelt haben soll, und die Tat anschließend als Selbstmord getarnt.[14] Diese Behauptung geht auf den ehemaligen Chefredakteur der Münchener Sonntagszeitung, Walter Tschuppik, zurück, der 1934 im Exil in der österreichischen (oder tschechischen) Zeitung Der Morgen erklärte, Röhrbein 1933 im Polizeigefängnis Löwengrube als Mitgefangenen getroffen zu haben. Dabei habe Röhrbein ihm gestanden, Oberfohren im Auftrag Görings umgebracht zu haben.[15]

Soweit rekonstruierbar wurde Röhrbein nach seiner Festnahme zunächst als „Schutzhäftling“ im Berliner Gefängnis Moabit untergebracht und dann in den Arrestbereich der Münchener Polizeidirektion überführt. Von dort wurde er Tschuppik zufolge eine Zeit lang ins KZ Dachau gebracht, nachdem er versucht hatte, Briefe aus der Haft zu schmuggeln, mit denen er Hitler und Karl Ernst über sein Schicksal benachrichtigen wollte. Diese Briefe sollen abgefangen und an Röhm übermittelt worden sein, der sofort die strafweise Überführung Röhrbeins nach Dachau verfügt habe.

Röhrbeins Einlieferung im KZ Dachau ist offiziell im Registraturbuch „Überstellung von Schutzhäftlingen nach KL Dachau, 03.06.–19.08.1933“ (S. 91 und 92) als am 10. August 1933 erfolgt verzeichnet. Sowohl Tschuppik als auch Erwein von Aretin, der 1933 Röhrbeins Zellennachbar im vierten Stock der Münchener Polizeidirektion gewesen sein will, gaben später an, dass Röhrbein in Dachau Tag und Nacht im Dunkelarrest gehalten und am Boden festgekettet wurde. Tschuppik knüpft hieran die Vermutung an, dass Röhm diese Art der Haft in der Hoffnung veranlasst habe, Röhrbein werde die Folter im Dunkelarrest nicht überstehen und Selbstmord verüben, wie es die meisten Häftlinge getan hatten, die ähnlich behandelt worden waren.

Am 13. September 1933 wurde Röhrbein schließlich – angeblich auf Betreiben von Karl Ernst und anderen Berliner Freunden – von Dachau in das Gefängnis Löwengrube und von dort zum Jahresende hin ins Gefängnis Stadelheim gebracht. Aretin erlebte ihn dort als eine „dem Alkohol schwer verfallene Desperado-Natur widerwärtigster Prägung“. Anschließend sei Röhrbein nach Stadelheim gekommen, wo er, Aretin, ihn Anfang 1934 wiedergesehen habe. Als Röhrbein Anfang 1934 erneut nach Dachau gebracht werden sollte, schnitt er sich, im Wissen, was Dachau war, und um seine Überführung zu verhindern, die Pulsadern auf. Nachdem er geheilt werden konnte, wurde er dennoch nach Dachau gebracht.[16] Seine zweite Einlieferung in Dachau ist unter dem 27. Februar 1934 registriert (Nr. 5278). In Dachau wurde Röhrbein im sogenannten „Bunker“ des Lagers, getrennt von den übrigen Häftlingen des Lagers, in Isolationshaft gehalten.

Ermordung

In der Nacht vom 30. Juni zum 1. Juli 1934 wurde Röhrbein bei der Röhm-Affäre von Angehörigen der Dachauer SS-Lagerwache erschossen. Außer ihm wurden noch vier weitere Männer getötet, die sich seit längerem als „Schutzhäftlinge“ in Dachau festgehalten wurden (Julius Adler, Erich Gans, Walter Häbich und Adam Hereth). Röhrbein soll jedoch nicht mit diesen vier, sondern zusammen mit dem eigens zu seiner Erschießung nach Dachau gebrachten Journalisten Fritz Gerlich auf dem Schießstand von Dachau, bestrahlt vom Scheinwerferlicht der Kraftwagen, erschossen worden sein.[17] Die offizielle Sterbeurkunde des Standesamtes Prittlbach gab als Todeszeitpunkt 3.00 Uhr morgens an. Es bleibt unklar, ob seine Erschießung aufgrund eines aus Berlin kommenden Befehls erfolgte oder ob es sich dabei um eine eigenmächtige Handlung der Lagerleitung um Theodor Eicke handelte.

In seinem Testament vom 20. Januar 1934 setzte Röhrbein den Studenten Herbert Schade und das Berliner Schillergymnasium als seine Erben ein. Nachdem das Gymnasium den Antritt des Erbes ausgeschlagen hatte, ging Röhrbeins Nachlass 1937 alleine auf Schade über. Zuvor kam es zu einem langwierigen Rechtsstreit, in dem Röhrbeins Testament von dritter Seite als sittenwidrig angefochten wurde. Röhrbein habe Schade auf Grund homosexueller Beziehungen, die damals gemäß Paragraph 175 des StGB illegal waren, als Erbe eingesetzt. Das Landgericht Berlin wies dieses Argument schließlich zurück.

Hans Rudolf Wahl charakterisiert Röhrbein als Exponenten einer Gruppe „rechtsradikaler Führer“, die „heute im Dunkel der Geschichte fast schon verschwunden“ seien, die aber durch ihr Wirken in den 1920er Jahren maßgeblicher Weise die Voraussetzung für den Aufstieg der Nationalsozialisten zur Herrschaft geschaffen hätten.[18]

Nachlass

Einige Nachlassakten zu Röhrbein werden im Landesarchiv Berlin verwahrt (Landesarchiv Berlin: A Rep. 342, Nr. 17757, 18910 und 20243), zur Haft in der Strafanstalt Moabit siehe LAB A Rep. 366.

Literatur

  • „Ein geheimnisvoller Gefangener in der Löwengrube“, in: Der Morgen v. 15. Januar 1934.

Einzelnachweise

  1. Bernhard Sauer: Schwarze Reichswehr und Fememorde: eine Milieustudie zum Rechtsradikalismus in der Weimarer Republik, 2004, S. 43.
  2. Werner Boldt (Hrsg.): Carl von Ossietzky. Sämtliche Schriften. Oldenburger Ausgabe, 1994, S. 496.
  3. Wolfgang Ribbe: Berlin-Forschungen, 1988, Bd. 3, S. 200.
  4. a b Wissenschaftlich-Humanitäres Komitee: Mitteilungen des Wissenschaftlich-Humanitären Komitees, S. 359.
  5. Ernst Röhm: Geschichte eines Hochverräters, 1928.
  6. Bernhard Sauer: Schwarze Reichswehr und Fememorde: eine Milieustudie zum Rechtsradikalismus in der Weimarer Republik, 2004, S. 44.
  7. Andreas Dornheim: Röhms Mann fürs Ausland, S. 77.
  8. Alexander Zinn: Die soziale Konstruktion des homosexuellen Nationalsozialisten, 1997, S. 45.
  9. Bernhard Sauer: Schwarze Reichswehr und Fememorde. Eine Milieustudie zum Rechtsradikalismus, 2004, S. 295.
  10. Bundesarchiv Lichterfelde, Personalakte Graf Helldorf, Schreiben vom 1. November 1932.
  11. Reiner Orth: Martin Lennings und das Rätsel des Reichstagsbrandes. 2021, S. 55f.
  12. Lothar Gruchmann: Justiz im Dritten Reich 1933–1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner, S. 440.
  13. So bei Julius Heydecker/Johannes Leeb: Der Nürnberger Prozess. Bilanz der tausend Jahre, 1958, S. 132. Röhrbeins Mithäftling Erwein von Aretin: Fritz Gerlich. Ein Märtyrer unserer Zeit, 1949, S. 127, gibt an, dieser habe im Gefängnis seinen Mithäftlingen gegenüber damit geprahlt, den Reichstag angezündet und Fememorde begangen zu haben.
  14. Julius Zerfass: Dachau, 1936, S. 97.; Alexander Bahar: Der Reichstagsbrand: wie Geschichte gemacht wird, 2001, S. 634.
  15. „Der Mord an Oberfohren. Ein geheimnisvoller Gefangener in der Löwengrube“, in: Der Morgen vom 15. Januar 1934.
  16. Erwein von Aretin: Fritz Michael Gerlich : Ein Märtyrer unserer Tage. Schnell & Steiner, München 1949, S. 127.
  17. Augustin Niedermeier: Ein Kämpfer für Wahrheit und Recht. Fritz Gerlich, 1995.
  18. Hans Rudolf Wahl: Nationale Päderasten? Zur Geschichte der Berliner SA-Führung 1925–1934, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 56 (2008) Heft 5, 2008, S. 442–459.