Patellaluxation

Klassifikation nach ICD-10
M22.0Habituelle Luxation der Patella
M22.1Habituelle Subluxation der Patella
M22.2Krankheiten im Patellofemoralbereich
S83.0Luxation der Patella (als Folge äußerer Ursache)
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ICD-10 online (WHO-Version 2019)
Röntgenbild einer Patellaluxation am linken Knie nach außen (rechts im Bild). Links vor, rechts nach Reposition. Man erkennt, dass in diesem Fall die Patella auch nach der Reposition noch nach außen (rechts im Bild) verschoben ist.
MRT nach Patellaluxation am rechten Knie. An der medialen Seite der Patella (oberes Bild) und der korrespondierenden Seite des lateralen Femurkondylus (unten), an der die Patella angeschlagen ist, finden sich Zeichen der Knochenkontusion.

Patellaluxation (Luxatio patellae) ist eine Kniegelenksverletzung, bei der die Kniescheibe (Patella) aus ihrer Führung springt (Luxation). Meist bewegt sich die Kniescheibe spontan in ihre Ursprungsstellung zurück (Reposition). Selten verbleibt sie in ihrer Verrenkungsstellung außen (lateral) am Kniegelenk.

Die Patellaluxation ist mit einer Inzidenz von 5,8/100.000 bei der Normalbevölkerung[1] eine der häufigsten Kniegelenkverletzungen. Sie tritt auch bei Tieren, beispielsweise bei Haushund und Hauskatze, auf.

Prädisposition

Häufigste Ursache für eine Patellaluxation sind folgende prädisponierende Faktoren:[2]

  • angeborene Fehlausbildung der Kniescheibe und des Gleitlagers (Dysplasie der Femurkondylen)
  • Achsen- oder Rotationsfehlstellung des Kniegelenkes (Genu valgum, „X-Beine“)
  • eine hochstehende Kniescheibe (Patella alta) und lateraler Ansatz der Kniescheibensehne am Schienbein. Dadurch gleitet die Kniescheibe tendenziell nicht zentral zwischen den Femurkondylen, sondern zu weit außen (lateral). Bei zunehmender Beugung kann es zu einer Verrenkung kommen. Begünstigend wirken Drehbewegungen im Kniegelenk, beispielsweise beim Sport, wodurch der Ansatzpunkt der Kniescheibensehne nach außen verlagert und damit die Zugrichtung der Sehne verändert wird.

Ferner kommen infrage:

Einteilung

Je nach zugrundeliegender Ursache ist folgende Einteilung gebräuchlich:[2]

  • akute traumatische Luxation (selten), durch adäquates Trauma wie der Unfallhergang, der häufig zur Ruptur des vorderen Kreuzbandes führt
  • akute dispositionelle Luxation (häufiger) bei Vorliegen prädisponierender Faktoren, durch inadäquates Trauma, geht in rezidivierende Form über
  • rezidivierende Luxation, im Verlauf immer häufiger auftretend
  • habituelle Luxation, kann willkürlich erzeugt werden
  • kongenitale Luxation, schon bei Geburt vorhanden, kleine, dysplastische oder fehlende Patella, z. B. bei Nagel-Patella-Syndrom, Prieto-Syndrom, Arthrogryposis multiplex congenita[4]
  • neurogene Luxation, durch abnormen Zug des Musculus vastus lateralis, bei Tetraspastik
  • iatrogene Luxation, nach insuffizienten Operationen an Patella oder Beinachse

Wirkung

Die Kniescheibe läuft bei der Verrenkung nicht in ihrem regulären patellaren Gleitlager auf der Oberschenkelrolle zwischen den Femurkondylen, sondern immer lateral an der lateralen Kondyle entlang. Mit zunehmender Beugung kommt es zur Einklemmung der Kniescheibe, wenn die Sehnenspannung zunimmt. In dieser Verrenkungsposition ist eine Reposition der Kniescheibe nur unter Gewalteinwirkung und unter Entstehung von Knorpel-Knochen-Schäden sowohl an der Kniescheibe als auch an der seitlichen Kondylenwange möglich. Dieser Knorpelschaden ist die schädlichste Auswirkung der Patellaluxation. Bei der Patellaluxation wird in der Regel der mediale Halteapparat der Kniescheibe (Retinakulum) zerrissen, wobei es zu einem Bluterguss in das Kniegelenk (Hämarthrose) kommt. Bei zerrissenem oder gedehntem Retinakulum besteht eine erhöhte Gefahr der wiederholten Verrenkung (Rezidiv) oder sogar der gewohnheitsmäßigen Verrenkung (habituelle Luxation).

Behandlung

In jedem Fall muss – falls dies nicht von selbst geschehen ist – die Kniescheibe eingerenkt werden. Hierbei sollte unter Anleitung des Arztes oder eines erfahrenen Sporttrainers das Knie langsam und vorsichtig wieder gestreckt werden, wobei die Kniescheibe fest mit der Hand geführt wird, damit sie nicht unvermittelt überspringt. Wenn die Kniescheibe vorsichtig in die Ausgangsposition geführt wird, kann diese ohne Begleitverletzung der Gelenkflächen wieder reponiert werden. Dabei sollte es nicht zu einem heftigen Einschnappen kommen, was einen Knorpelschaden verursachen kann. Der Betroffene merkt nach der Reposition eine deutliche Schmerzlinderung. Nach der Reposition sollte das Knie geröntgt werden und eine Kernspintomographie erfolgen, um die richtige Lage der Kniescheibe zu kontrollieren und um Begleitverletzungen auszuschließen.

Konservative Behandlung

  • Generell wird jede Behandlung der unkomplizierten Kniescheibenluxation (ohne Knorpel-Knochenläsion) zunächst mit einer konservativen Therapie begonnen.
  • Gegebenenfalls Punktion des Kniegelenkes unter sterilen Bedingungen (wird heute nur noch ausnahmsweise durchgeführt)
  • Bandage, Orthese oder Gipshülse (Gipstutor)
  • Physiotherapie (Mobilisierung, Kräftigung des Musculus vastus medialis musculi quadricipitis)

Operative Behandlung

Da bei mehr als 50 % der unkomplizierten Kniescheibenluxationen eine konservative Therapie zum definitiven Erfolg (Rezidivfreiheit) führt, sollte jede Behandlung zunächst mit einem konservativen Konzept beginnen. Bei der ersten Reluxation ist dann die Indikation zur OP gegeben, sofern nicht wichtige Kontraindikationen bestehen. Bei der sogenannten rezidivierenden Patellaluxation gibt es verschiedene operative Maßnahmen, die dazu führen, dass die Patella nicht mehr luxieren und dabei den Knorpel schädigen kann.

Das Ziel der Operation ist eine Stabilisierung der Kniescheibe zentral zwischen den Femurkondylen in ihrem Gleitlager. Dazu wird das zerrissene mediale Retinakulum an seiner Rissstelle vernäht. Meist findet sich die Rissstelle genau an der Kniescheibenkante. Selten kann das Retinakulum auch am Epicondylus der medialen Oberschenkelrolle abgerissen sein. Als erste Maßnahme der Operation wird eine Kniegelenks-Arthroskopie durchgeführt, um die Retinakulumläsion in ihrer Lokalisation zu zeigen, um die Intaktheit der Gelenkoberflächen von Patella und Femurkondylen zu beweisen oder einen möglichen Knorpelschaden in Ausmaß und Lokalisation zu bestätigen. Weiter müssen auch alle anderen Gelenkstrukturen (Menisken, Kreuzbänder) kontrolliert werden. Die Rekonstruktion des Retinakulums durch Naht wird offen chirurgisch durchgeführt, weil eine genaue anatomische Adaptation unter Spannung arthroskopisch nicht möglich ist. Aufgrund der nur unzuverlässigen Stabilisierung durch Naht des medialen Retinakulums ist heute eher die plastische Verstärkung bzw. eine Plastik des medialen patellofemoralen Ligaments (MPFL) gebräuchlich (s. u.)

Eine Reihe von Eingriffen kann zusätzlich oder alternativ durchgeführt werden. Hierzu zählt vor allem ein sogenanntes „lateral release“, d. h., eine limitierte arthroskopische oder auch offene Durchtrennung des lateralen Retinakulums der Kniescheibe. Nach neueren Untersuchungen führt dieser Teil der Operation aber eher zu einer noch größeren Instabilität der Patella. Zudem wird die Durchblutung verschlechtert, weil die Kniescheibe über das laterale Retinakulum seinen wesentlichen Zustrom erhält. Bei besonderen anatomischen Voraussetzungen wie z. B. bei einer Lateralisierung der Ansatzsehne der Kniescheibe kann die Verlagerung des Ansatzpunktes (Tuberositas tibiae) mitsamt der Sehne nach medial erfolgen. Hierzu sind eine Vielzahl von Operationsverfahren beschrieben:

  • OP nach Roux oder Elmslie (Tuberositas tibiae wird nach medial versetzt und mit Schrauben fixiert)

Bei vorgeschädigtem Retinakulumgewebe und vielfachen Luxationen muss die mediale Rekonstruktion durch eine Bandverstärkung (MPFL-Plastik) ergänzt werden:

  • MPFL (mediales Patello-femorales Ligament)-Rekonstruktion: Hierzu wird eine Sehne von der Knieregion verwendet, die auch bei der Kreuzbandplastik Verwendung findet: Es handelt sich um die Sehne des Musculus semitendinosus oder Musculus gracilis. Diese wird entnommen und im Verlauf des medialen Retinakulums vom Epicondylus medialis zur Patellakante geführt, wo sie jeweils mit Implantaten (z. B. Interferenzschrauben) fixiert oder durch einen V-förmigen Kanal mit sich selbst vernäht wird. Diese Bandplastik erzeugt eine hohe Sicherheit gegenüber einem Luxationsrezidiv. Das wichtigste bei dieser Operation ist die korrekte Insertion am Femur (Oberschenkelknochen). Diese Insertion liegt am Schoettle-Punkt, einem Punkt, der von dem deutschen Orthopäden Philip Schöttle 2007 beschrieben wurde und heute als internationaler Standard gilt. Sollte dieser Punkt zu weit vorne (anterior) oder zu weit oben (proximal) liegen, schränkt dies die postoperative Beweglichkeit schmerzhaft ein.

Sehr selten muss das dysplastische Gleitlager operativ angegangen werden. Der Aufwand ist hier sehr hoch, und die Ergebnisse lassen meist zu wünschen übrig.

  • Trochleaplastik, hierbei wird die Gelenkfläche des Gleitlagers vertieft, um ein gleichschenkliges konkaves Gleitlager und eine gute Führung für die Kniescheibe zu erzeugen. Diese Operationstechnik wird aufgrund des erheblichen operativen Aufwands nur in wenigen Fällen durchgeführt.

Postoperativ sollte eine frühzeitige krankengymnastische Mobilisation des Kniegelenkes erfolgen, um Verklebungen zu vermeiden. Eine Entlastung des operierten Beines ist aber nicht notwendig. Nach ca. 6 Wochen ist mit einer Wiederaufnahme der freien Funktion zu rechnen.[5][6][7]

Bei Hunden werden die besten Ergebnisse mit einer Verlagerung der Schienbeinbeule (OP nach Roux) bei gleichzeitiger Vertiefung der Kniescheibengleitrinne (Trochleaplastik) erzielt. In eine Studie zeigte bei 56 % ein gutes, bei 36 % ein befriedigendes und bei 8 % ein unbefriedigendes Ergebnis. Mit einer fortschreitenden Arthrose des Kniegelenks muss auch bei erfolgreicher Operation gerechnet werden.[8]

Patellaluxation beim Hund

Die Patellaluxation beim Hund tritt besonders häufig bei kleinen Hunderassen, speziell dem Chihuahua auf, aber auch beim Yorkshire Terrier, Jack Russell Terrier und anderen Rassen. Beim Chihuahua ist sie inzwischen relativ typisch und führt oft zu dem unter Hundehaltern bekannten »dreibeinigen Gang«, bei dem der Hund alle paar Meter auf nur drei Beinen hüpft, bevor er wieder läuft als wäre nichts gewesen. In diesem Fall springt meist die Kniescheibe heraus, der Hund versucht das Bein nicht weiter zu belasten (weshalb er auf drei Beinen hüpft), dann gleitet die Kniescheibe von alleine zurück in die Furche und der Hund kann wieder vollkommen normal laufen.

Allgemein wird die Patellaluxation beim Hund in vier verschiedene Grade eingeteilt:

  • Grad 1: Die Kniescheibe kann aus ihrer Gleitrinne gedrückt werden, springt aber spontan zurück.
  • Grad 2: Die Kniescheibe liegt in ihrer Gleitrinne, kann aber aus ihr heraus gedrückt werden und springt dann nicht spontan zurück.
  • Grad 3: Die Kniescheibe liegt nicht in ihrer Gleitrinne, kann aber in diese gedrückt werden.
  • Grad 4: Die Kniescheibe liegt nicht in ihrer Gleitrinne und kann auch nicht in diese gedrückt werden.

Bei Hunderassen, in denen das Vorhandensein der Erbanlage zur Patellaluxation bekannt ist, sind die Züchter gehalten, im Rahmen einer tierärztlichen Zuchttauglichkeitsprüfung die Kniescheiben eines Hundes untersuchen zu lassen, bevor darüber entschieden wird, ob er zur Zucht eingesetzt werden soll.

Einzelnachweise

  1. J. Dickschas, C. Roeder, F. Hennig, W. Strecker, V. Schoeffl: Sportfähigkeit nach Patellaluxation. In: Sportverletzung · Sportschaden. 23, 2009, S. 95–99, doi:10.1055/s-0028-1109451.
  2. a b F. Hefti: Kinderorthopädie in der Praxis. Springer 1998, ISBN 3-540-61480-X
  3. Eintrag zu Intelligenzminderung-Glatzenbildung-Patellaluxation-Akromikrie-Syndrom. In: Orphanet (Datenbank für seltene Krankheiten)
  4. Orthobullets
  5. W. Petersen, P. Forkel, A. Achtnich: Chronische patellofemorale Instabilität. In: Der Unfallchirurg. 115, 2012, S. 397–409, doi:10.1007/s00113-012-2197-9.
  6. M. Nelitz, J. Dreyhaupt, H. Reichel, J. Woelfle, S. Lippacher: Anatomic Reconstruction of the Medial Patellofemoral Ligament in Children and Adolescents With Open Growth Plates: Surgical Technique and Clinical Outcome. In: The American journal of sports medicine. [elektronische Veröffentlichung vor dem Druck] Oktober 2012, ISSN 1552-3365. doi:10.1177/0363546512463683. PMID 23111806.
  7. P. B. Schöttle, A. Schmeling, N. Rosenstiel, A. Weiler: Radiographic landmarks for femoral tunnel placement in medial patellofemoral ligament reconstruction. In: The American journal of sports medicine. Band 35, Nummer 5, Mai 2007, ISSN 0363-5465, S. 801–804, doi:10.1177/0363546506296415, PMID 17267773.
  8. B. Schmitz et al.: Luxatio patellae beim Hund: Untersuchungen zum Therapieerfolg. In: Kleintierpraxis, Band 61, Nr. 10, 2016, S. 580–581.
Commons: Patellaluxation – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Patellaluxation beim Hund, gesichtet 30. Oktober 2024

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Patellaluxation nach aussen im Röntgenbild. Links vor, rechts nach Reposition. Man erkennt, dass die Patella auch nach der Einrenkung noch nach aussen (rechts im Bild) verschoben ist.
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MRT nach Patellaluxation am rechten Knie. An der medialen Seite der Patella (axiales Bild) und der korrespondierenden Seite des lateralen Femurkondylus (koronar), an der die Patella angeschlagen ist, finden sich Zeichen der Knochenkontusion. Das mediale Retinaculum der Patella ist zumindest partiell zerrissen.