Panoramascheibe

Panorama-Windschutzscheibe (obere A-Säule nach vorn geneigt)
Designstudie: General Motors Le Sabre 1951

Die Bezeichnung Panoramascheibe wird historisch für eine besonders geformte und geschnittene Windschutzscheibe oder Heckscheibe im Automobil verwendet. Die Scheibenfläche ist an den Seiten um bis zu 90° zur Längsachse des Fahrzeugs gekrümmt. Die Scheibe ist außerdem so geschnitten, dass die unteren gerundeten Ecken jeweils einen spitzen Innenwinkel aufweisen. Die A-Säule ist daher auf Scheibenhöhe im Gegensatz zur üblichen Bauweise in Gegenrichtung geneigt. Die Tür-Seitenfenster gleichen diesen Maßunterschied gegebenenfalls mit einem vorderen Ausstellfenster aus, das unten kürzer als oben ist. Es gibt auch Modelle mit 90° Winkel bei der A-Säule. Bei einer Panoramascheibe im Heckfenster verläuft die seitliche Karosserieeinrahmung im Vergleich zu konventionellen Bauformen ebenfalls in umgekehrter Schrägrichtung.

Heute werden andere großzügig gestaltete, in den Dachbereich ragende Autoscheiben als „Panoramascheibe“ oder „Panorama-Windschutzscheibe“ bezeichnet.[1][2] Gelegentlich werden auch weit nach vorne gezogene Windschutzscheiben als solche bezeichnet.[3]

Frühe Ausführungen einer Panoramasicht

Seit den 1920er Jahren gab es Bemühungen, die Rundumsicht im Auto zu verbessern. Geschlossene Karosserien erhielten oft komplizierte Vorbauten mit mehrteiligen Scheiben, allerdings dürfte dabei eher die Unterstützung der primitiven Scheibenwischer im Vordergrund gestanden haben. Edmund Rumpler war der erste, der für Autoscheiben gebogenes Glas verwendete. Sein Rumpler-Tropfenwagen hatte eine senkrecht stehende Windschutzscheibe, die im Bogen in die auch gekrümmten Seitenfenster überging. Das ergab niedrigen Luftwiderstand bei guter Sicht.

Einen anderen gestalterischen Ansatz verfolgten, unabhängig voneinander, Carrosserie Georges Gangloff in der Schweiz mit einem innovativen Türscharnier und Carrosserie Labourdette in Frankreich mit einer rahmenlosen Windschutzscheibe. Gangloffs Türsystem kam über den Designer Frank Spring (1893–1959) in die USA und hielt sich einige Jahre in einer verbesserten Version als Clear Vision, patentiert von der Walter M. Murphy Company in Pasadena (Kalifornien).[4]

Mit Labourdettes patentiertem, „Vutotal“ (abgeleitet aus Vue totale, „Totale Sicht“) sollte ganz auf A-Säulen verzichtet werden. Eine Komponente dabei war extra dickes Glas, das die Konstruktion teilweise mit trug. Dennoch waren Eingriffe in die Konstruktion des Daches beziehungsweise Verdecks notwendig, und das System war sehr teuer.[5]

In einer nächsten Phase wurde versucht, die A-Säule seitlich zurückzuversetzen, um so das Blickfeld nach schräg vorn zu verbessern. Das führte ab Mitte der 1930er Jahre bei zahlreichen Fahrzeugen zu zweigeteilten Windschutzscheiben. Die beiden Hälften wurden in einem leichten Winkel zueinander angebracht, was auch einen etwas geringeren Luftwiderstand mit sich brachte.

Der Tatra 77 von 1934 und verschiedene Modelle von Panhard & Levassor (darunder X72 Panoramique, Dynamic ab 1936) hatten dreigeteilte Scheiben. Das geneigte Mittelteil rahmten zwei kleine Scheiben an den A-Säulen ein, die beim Tatra eben und bei Panhard & Levassor abgerundet waren.

Panoramascheibe als Designmode

Das erste Fahrzeug mit Panoramascheibe war die 1951 von General Motors vorgestellte Konzeptstudie „Le Sabre“.[6] Die Designstudie stammt von Harley Earl, damaliger Leiter der Entwicklungsabteilung von General Motors. Das Fahrzeug enthält Elemente des in der Architektur zeitgemäßen Googie Stils, wie z. B. Heckflossen und einen Kühlergrill, der Stilmerkmale eines Düsenjägers übernimmt. Die Panoramascheibe war ein weiteres Gestaltungsmerkmal. Die amerikanische Bezeichnung lautet „wrap-around windshield“ (herumgewickelte Windschutzscheibe). 1952 (für das Modelljahr 1953) erschien mit dem Cadillac Eldorado das vermutlich erste Serienfahrzeug mit Panoramascheibe.[7] In den Folgejahren wurde die Panoramascheibe ein Designmerkmal fast aller US-amerikanischen Personenwagen, insbesondere der Straßenkreuzer, sowie auch bei Pick-ups. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre kam die Mode auch nach Europa. Sie fand bei dem deutschen Automobilhersteller Opel und dem britischen Hersteller Vauxhall sowie weiteren Herstellern Anklang. Auch Kleinwagen wurden mit Panoramascheiben ausgestattet. Die Idee von Labourdette wurde von Pininfarina weiterverfolgt. Der Designer stellte 1956 mit dem Ferrari Superfast eine Studie auf der Basis des Ferrari 410 Superamerica vor, die ganz ohne A-Säule konstruiert war. Das Fahrzeug musste nach Problemen mit der Steifigkeit jedoch umkonstruiert werden.

Anfang der 1960er Jahre verschwanden Panoramascheiben wieder.

Nutzen

Der praktische Nutzen der Panoramascheiben wird unterschiedlich eingeschätzt. Sie brachten insbesondere gegenüber der zuvor üblichen kleinen glattflächigen oder leicht gekrümmten Windschutzscheibe eine deutliche Verbesserung und Verbreiterung des Sichtfeldes nach vorne. Möglich wurde diese Erhöhung der Sicherheit durch weiterentwickelte Verfahren bei der Glasherstellung und -verarbeitung im Automobilbau. Die Werbung sprach von einer die Sicherheit erhöhenden, verbesserten Seitensicht. Der Verheißung einer Panoramasicht wurde sie aber nicht gerecht, da unverändert eine Fenstersäule vorhanden war. Es gab auch praktische Nachteile: Das Einsteigen vorn war durch die nach hinten ragende Scheibenecke mitunter behindert und durch die großen Glasflächen konnte sich der Innenraum stark aufheizen. Die A-Säule konnte im Crashfall wegen der geknickten Form nicht im gleichen Umfang Kräfte in den Dachbereich weiterleiten wie ein konventionelle A-Säule.

Historische Beispiele der Panoramascheibe

Unter anderem folgende Fahrzeuge waren mit Panoramascheiben ausgestattet:

Amerikanische Modelle

Deutsche Modelle

Sonstige europäische Modelle

Deutsche Modelle nur Heck-Panoramascheibe

Beispiele der heutigen Panorama-Windschutzscheibe

Unter anderem folgende Fahrzeuge wurden oder werden laut eigener Werbeaussagen mit einer Panorama-Windschutzscheibe ausgestattet. Anders als bei den oben beschriebenen Panoramascheiben der 1950er und 1960er Jahre wird der Begriff verwendet, um weit in den Dachbereich hineingezogene Frontscheiben zu beschreiben:

Weitere Anmerkungen

(c) Bundesarchiv, B 145 Bild-F008597-0033 / CC-BY-SA 3.0
Bus mit Panoramafenstern
Kässbohrer Setra S 9, Baujahr 1959
  • Die Porsche-Modelle 911 Targa von 1965 bis 1993 hatten eine Panorama-Heckscheibe, die von 1965 bis zum Modelljahr 1969 herausnehmbar war. Zu dieser Zeit war die Panoramascheibe als Gestaltungstrend längst außer Mode. Hier war es eine naheliegende konstruktive Lösung, die durch die spezielle Form des Überrollbügels bedingt war.
  • General Motors führte Mitte der 1970er Jahre nach einem Facelift seiner F-bodies der zweiten Generation (Chevrolet Camaro sowie Pontiac Firebird und Transam) hintere Panoramascheiben ein.
  • Eine ähnliche Modeerscheinung zur selben Zeit war ein hinten überhängendes Dach. Die seitliche Silhouette ähnelte einer hinteren Panoramascheibe, Beispiele sind: Ford Anglia 105E, Citroën Ami 6.
  • Auch bei Lkws wurde vereinzelt die Panoramascheibe – meist mit vertikaler A-Säule – übernommen; Beispiele sind die 1959 auf den Markt gekommenen letzten Modelle von Krupp (Frontlenker und Kurzhauber) und ab 1962 die Baureihe der russischen Lkws ZIL-130 und ZIL-133.
  • Bei Bussen aus den 1950er und 1960er Jahren waren gebogene Fenster in der Dachwölbung an beiden Längsseiten sowie manchmal über dem Fahrer beliebt, z. B. von Volkswagen, Kässbohrer/Setra, Neoplan/Auwärter, Mercedes-Benz und Magirus-Deutz. In diesem Fall spricht man ebenfalls von Panoramascheiben oder „Panoramafenstern“ oder auch „Dachrandverglasung“. Die Sicht für die Fahrgäste wurde dadurch wesentlich verbessert, allerdings heizte sich der Innenraum bei Sonneneinstrahlung sehr schnell auf. Eine geteilte Panoramascheibe und Panoramafenster haben zum Beispiel der sowjetische PAZ-672 oder frühe Versionen des ebenfalls sowjetischen LAZ-695.
  • Auch an offenen Motorbooten sind häufig Panoramascheiben zu sehen. Während es im Automobilbau eine vorübergehende Designmode war – ähnlich wie die Heckflossen – ist die vordere Panoramascheibe bei Motorbooten nach wie vor beliebt. Sie betont die Linien eines sportlichen Motorboots.

Einzelnachweise

  1. Peter Wolkenstein, Jens Katemann: Ansichtssache Panoramascheibe: Horizonterweiterung oder Sonnenstich? In: auto-motor-und-sport.de. 7. August 2012, abgerufen am 22. September 2016.
  2. Marie Weimershaus: Die Panorama-Windschutzscheibe: besseres Fahrgefühl oder einfach nur unpraktisch? In: auto.de. 6. Januar 2010, abgerufen am 22. September 2016.
  3. Hansruedi Keller: Renault: Neuer Scenic kommt Dezember. In: AutoSprint.ch. 16. September 2016, abgerufen am 23. September 2016.
  4. Mark Theobald: Walter M. Murphy Co. In: coachbuilt.com. 2004, abgerufen am 20. Oktober 2015 (englisch).
  5. Labourdette. In: coachbuild.com. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 15. Februar 2018; abgerufen am 20. Oktober 2015 (englisch).
  6. Llewellyn Hedgbeth: A Clear View: History of Automotive Safety Glass. Second Chance Garage, LLC, abgerufen am 20. Oktober 2015 (englisch).
  7. 1952, The Wraparound Winshield. GM Heritage Center, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 5. März 2016; abgerufen am 20. Oktober 2015 (englisch).

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Willys-Knight1920.jpg
Willys-Knight automobile, 1920 magazine ad.
"Probably Willys-Knight Model 20 [1]"
2007-06-10 Krupp Typ 1080, Bj. 1962, 320 PS (Ausschnitt).JPG
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Krupp Typ 1080, Baujahr 1962, mit Panoramascheibe (Ausschnitt eines anderen Bildes – Kennzeichen des Fahrzeugs verändert)
'56 GMC (Cruisin' At The Boardwalk '10).jpg
1956 GMC pickup photographed in Ste. Anne De Bellevue, Quebec, Canada at Cruisin' At The Boardwalk 2010.
1936 Panhard & Levassor X72 Panoramique at the Musée Automobile de Vendée pic-2.JPG
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Photographed at the Musée Automobile de Vendée, France.
Panoramic-windshield.JPG

A panoramic windshield on a 1959 Edsel Corsair, taken by Sofar No. 2.

Sofar 2 08:57, 1 April 2007 (UTC)
Cadillac Coupe de Ville 1954 front.jpg
(c) Redsimon in der Wikipedia auf Englisch, CC BY 2.5
Cadillac Coupe de Ville 1954. The Coupe de Ville began in 1949 as a premium pillarless coupe for the Series 62 Cadillac line. In 1954 the second version (shown here) was launched.
GeneralMotorsLeSabre.jpg
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General Motors Le Sabre
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1938 Hispano-Suiza H6B Dubonnet Xenia at the 2012 Pebble Beach Concours d'Elegance
Buick Roadmaster 75 1958.jpg
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1958 Buick Roadmaster Series 75 Model 75 4-door Hardtop
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A red and white 1958 Chevrolet Corvette roadster in Sylvensteinspeicher, Germany
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Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein.
Besuch japanischer Schüler in der Bundesrepublik
Ankunft am Flughafen Wahn
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Borgward P 100 (Bauzeit 1960/61), bezeichnet als „Der große Borgward“, erstes deutsches Auto mit Luftfederung. Das Bild ist beim Borgwardtreffen in Andernach in den Rheinanlagen aufgenommen.
Bugatti Coach Type 57 (1936) pic1.JPG
Autor/Urheber: AlfvanBeem, Lizenz: CC0

Bugatti Type 57 or 57 C Coach. This is a 1st series car, probably by Labourdette, featuring their patented "Vutotal" windscreen. Photographed at the Cité de l’Automobile, France.

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Opel Rekord P1 BW 2016-07-17 14-22-45.jpg
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Opel Rekord P1, 1959, 45 PS

, 32. Internationales Oldtimer Treffen Konz 2016, Das Nummernschild ist verfälscht!
Horch V 12 Cabriolet 670 (museum mobile 2013-09-03).JPG
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Horch 670 Cabriolet, V-12-Motor, 6021 cm³, 120 PS; 53 Wagen wurden von 1932 bis 1934 gebaut, Preis je nach Ausführung 24.000 bis 26.000 RM