Orchideenfach

Orchideenfach (seltener Orchideendisziplin[1]) ist eine umgangssprachliche Bezeichnung für ein ausgefallenes, ungewöhnliches, seltenes Studienfach,[2][3] das nur an wenigen Universitäten gelehrt oder nur von wenigen Studenten belegt wird.[4][5][6] Das Gegenteil eines Orchideenfaches ist das Massenfach. In der Hochschulpolitik werden die Orchideenfächer als Kleine Fächer geführt und von der Arbeitsstelle Kleine Fächer (jetzt Universität Mainz) kartiert.[7]

Etymologie und Verwendung

Orchideen gehören in der westlichen Kultur zu den frühesten und bekanntesten Luxuszierpflanzen. Sie benötigen viel Pflegeaufwand und haben keinen praktischen Nutzen. Dies führte zu der Analogie, ein aufwendiges Studienfach, das wenig konkreten Nutzen hat, als Orchideenfach zu bezeichnen.[8][5]

Eine frühe Erwähnung des Begriffes „Orchideenfach“ findet sich in einem 1965 erschienenen Buch zur Ethnologie Afrikas.[9] Ab den 1970er Jahren hat sich der Begriff in der Literatur etabliert[10], und ein häufiger zitierter Artikel von Herbert Hunger, dem Begründer der Wiener Schule der Byzantinistik mit diesem Begriff im Titel – Ein „Orchideenfach“ hat sich etabliert. – bezieht sich auf eben dieses Forschungsgebiet.[11]

Für ein ausgefallenes oder selten behandeltes Thema findet man medial und fachlich seit Beginn der 1990er Jahre auch den Begriff Orchideenthema.[12]

Charakteristik

Orchideenfächer besitzen meist einen hohen Spezialisierungsgrad[13] und bieten aufgrund der geringen Studentenzahlen eine gute Betreuungsrelation (zahlenmäßiges Verhältnis von Dozenten zu Studenten).[14] Im Regelfall besteht kein Numerus clausus bei diesen Fächern.

Der Begriff Orchideenfach wird nicht nur auf Studiengänge oder Fachbereiche selbst angewandt, sondern auch auf seltene oder exotische Spezialisierungen innerhalb eines Faches. So wurde im frühen 20. Jahrhundert die Quantenphysik als Orchideenfach innerhalb der Physik angesehen. Im Schulbereich wird der Begriff auch für seltene oder unübliche Schulfächer verwendet, die aber im Hochschulbereich keineswegs den Status eines Orchideenfaches besitzen müssen. Auch wird der Begriff im allgemeinen Sprachgebrauch im übertragenen Sinne für exotische Disziplinen oder Wissensgebiete gebraucht.

Kritik

Oft stehen diese Fächer in der Kritik der Geld gebenden Stellen. Dabei wird darauf hingewiesen, dass es sich wirtschaftlich nicht lohne, einen Professor und seine Mitarbeiter für so wenige Studenten zu bezahlen. In diesem Zusammenhang wird Orchideenfach auch als abwertender Begriff für einen Studiengang verwendet, dem man Weltfremdheit, mangelnden gesellschaftlichen Nutzen und fehlende Berufsperspektiven unterstellt und ihn daher auch mit hoher Arbeitslosigkeit assoziiert.[13]

Beispiele

Aktuelle Beispiele für Orchideenfächer sind Sprechwissenschaft,[15] Sprecherziehung, Sorabistik,[16] Onomastik,[17] Afrikanistik,[13] Christliche Archäologie,[18] Keltologie,[6] Tibetologie,[6] Kristallographie[6] und Diakoniewissenschaften.[19] Es ist jedoch zu beachten, dass sich die Einordnung eines Faches als Orchideenfach aufgrund sich verändernder Studienangebote und Belegzahlen ändern kann. So wurden zu Beginn der 1970er Jahre Studiengänge im Bereich der Kulturpädagogik oft als Orchideenfächer betrachtet, was seit den 1980er Jahren jedoch nicht mehr der Fall ist.[20] Weitere Beispiele für eine solche veränderte Einordnung sind die Sinologie und die Meteorologie, die zu Beginn der 1970er Jahre ebenfalls als Orchideenfächer angesehen wurden.[13][21] Im 18. Jahrhundert hatte auch die Physik den Ruf eines Orchideenfaches.[22]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Melanie Sachs und Sabine Sander: Die Permanenz des Ästhetischen. Springer-Verlag, 15 April 2009, ISBN 978-3-531-91472-5, S. 163.
  2. Orchideenfach. In: Der Duden. Deutsches Universalwörterbuch. 6. Auflage. Dudenverlag, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 2007, ISBN 3-411-05506-5.
  3. Kleines Uni-ABC. Universität Bonn, Fachschaft Psychologie, 2009, archiviert vom Original am 26. September 2009; abgerufen am 17. März 2014.
  4. Albrecht Behmel: Orchideenfach. In: Student-online, 9. Dezember 2005, abgerufen am 13. August 2012.
  5. a b Orchideenfach im Uni-Dschungel-Glossar. In: focus.de.
  6. a b c d Affengriff & Zwiebelfisch. Aus dem Tier- und Pflanzenreich entlehnte Begriffe. In: Der Code-Knacker - Lexikon der Codes. Abgerufen am 24. Juli 2009.
  7. siehe Homepage der Arbeitsstelle Kleine Fächer an der Universität Mainz
  8. Orchideen-Blüte an den Unis. In: Der Standard, 26. Mai 2008, online vom 28. Mai 2008.
  9. Barbara Frank: Die Rolle des Hundes in afrikanischen Kulturen. Köppe, 1965, ISBN 978-3-515-00851-8, S. 29.
  10. „Orchideenfach“ in der deutschen Literatur (1940–2010), NGRAM-Viewer.
  11. Historische Zeitschrift: Sonderheft. R. Oldenbourg, 1983, S. 1.
  12. Cornelia Giebeler: Zwischen Protest und Disziplin: die feministische Paradoxie. AJZ-Verlag, 1992, ISBN 978-3-86039-002-3, S. 145.
  13. a b c d Was ist ein Orchideenfach. In: Hamburger Abendblatt, 2. September 2006.
  14. Julian Nida-Rümelin: Aus Politik und Zeitgeschehen. In: Das Parlament. Nr. 48, 2006, ISSN 0479-611X, Die hochschulpolitische Lage und die Zukunft der Geisteswissenschaften in Deutschland (Online [PDF; 31 kB; abgerufen am 19. März 2014] Sonderheft Hochschulpolitik. Beilage zu „Das Parlament“).
  15. Sprechwissenschaft (Memento vom 20. Februar 2019 im Internet Archive) In: kleinefaecher.de, abgerufen am 13. August 2012.
  16. Christian Werner: Orchideenfach Sorabistik. Bloß keine Ostereier. In: Spiegel Online, 27. Mai 2005.
  17. Carsten Heckmanm: Orchideenfach Onomastik. Auf dem Friedhof der Wörter. In: Spiegel Online, 27. Juni 2001. Steffen Winter: Orchideenfach Namenforschung. Sie darf Schokominza heißen! In: Spiegel Online, 14. Januar 2010.
  18. Uni Bonn erhält Stiftungsprofessur für Christliche Archäologie. In: Informationsdienst Wissenschaft. Abgerufen am 24. Juli 2009.
  19. Kilian Kirchgeßner: Orchideenfächer. Die guten Manager. In: Die Zeit, Nr. 42/2007.
  20. Bernd Wagner: Vom Orchideenfach zum Numerus Clausus. Hochschulstudienangebote für kulturelle Praxisfelder. In: Werner Thole, Peter Cloos: Kultur – Pädagogik studieren. Georg Olms, Hildesheim 1997, ISBN 3-487-10505-5.
  21. Philipp Bleckmann: Die chinesische Sprache – Schwierig, aber nicht unmöglich. In: China Heute. Abgerufen am 24. Juli 2009. Vgl. Pressemitteilung der Uni Hamburg vom 1. April 2005 (Memento vom 3. September 2009 im Internet Archive).
  22. Michael Ruoff: Hermann von Helmholtz. UTB 2008, ISBN 978-3-8252-3034-0, S. 35 (eingeschränkte Online-Kopie in der Google-Buchsuche).