Opferlose Straftat

Als opferlose Straftat, auch opferloses Verbrechen, werden Delikte bezeichnet, die unter Strafe gestellt sind, obwohl sie scheinbar niemanden schädigen.

Es handelt sich nicht um einen juristischen, sondern einen rechtspolitischen Begriff. In der Rechtswissenschaft besteht inzwischen Einigkeit darüber, dass Aufgabe des Strafrechts nicht der bloße Opferschutz, sondern der Schutz von sowohl individuellen als auch überindividuellen Rechtsgütern ist.[1][2] Der Begriff der opferlosen Straftaten soll ausdrücken, dass ein Straftatbestand abgeschafft werden sollte, weil das Rechtsgut nicht anerkannt wird oder dessen Schutz nicht gerade mit den Mitteln des Strafrechts zu geschehen brauche. Manchmal wird als opferlose Straftat auch eine solche Tat bezeichnet, durch die zwar ein Schaden entsteht, dieser aber nicht einzelnen Individuen zuordenbar ist.

Ein Straftatbestand, der keinerlei legitimem Schutzzweck folgt, wäre ein unverhältnismäßiger Grundrechtseingriff und damit nach deutschem Recht verfassungswidrig und nichtig. Das Strafrecht geht zudem von der Straflosigkeit der Selbstschädigung aus. Allerdings bedeutet das nicht, dass nur die Rechtsgutsverletzung unter Strafe gestellt werden darf, vielmehr existieren auch Gefährdungsdelikte.

Als opferlose Straftaten werden oder wurden bezeichnet:

  • Herstellung und Besitz von illegalen Drogen für den Eigenbedarf – geschütztes Rechtsgut ist die Bevölkerungsgesundheit
  • Aufenthalt in einem anderen Bezirk einer Ausländerbehörde als dem zugewiesenen Bezirk (Residenzpflicht) – geschütztes Rechtsgut ist hier die Effizienz der Arbeit der Ausländerbehörden
  • Betrieb von Piratensendern – geschütztes Rechtsgut ist der reibungslose Ablauf des Funkverkehrs
  • die von außen nicht wahrnehmbare Prostitution im Sperrbezirk – hier ist der Jugendschutz das geschützte Rechtsgut
  • Inzest (auch einvernehmlicher) – geschütztes Rechtsgut ist der Schutz der engsten Familie vor sexuellen Beziehungen,[3] daneben werden als Strafgrund auch Gefahren für die sexuelle Selbstbestimmung und psychische Entwicklung des Partners sowie die Gefahr eugenischer und genetischer Schäden oder aber überlieferte Moralvorstellungen genannt[4]
  • Homosexualität – geschütztes Rechtsgut war in Deutschland die „sittliche Gesunderhaltung des Volkes“, also gesellschaftliche Moralvorstellungen

Einvernehmliche Straftat

Gelegentlich werden opferlose Straftaten nicht sauber von einvernehmlichen Straftaten abgegrenzt, also Straftaten, bei denen alle potenziellen Opfer der Begehung der Tat zustimmen. Die Rechtssysteme kennen jedoch für gewöhnlich einen Zustand der Entscheidungsunfähigkeit (oder in diesem Fall: Ablehnungsunfähigkeit), so dass selbst ein der Tat zustimmender Akteur trotzdem Opfer eines anderen Akteurs sein kann. Bei opferlosen Straftaten ist eine solche Konstellation ausgeschlossen, da es kein Opfer gibt.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Winfried Hassemer: Theorie und Soziologie des Verbrechens: Ansätze zu einer praxisorientierten Rechtsgutslehre. 1973, ISBN 978-3-7610-6010-0, S. 88 (Theorie und Soziologie des Verbrechens: Ansätze zu einer praxisorientierten Rechtsgutslehre).
  2. Claus Roxin: Strafrechtliche Grundlagenprobleme. 1972, ISBN 978-3-11-004384-6, S. 13 (Strafrechtliche Grundlagenprobleme).
  3. BGHSt 39, 326, 329.
  4. Lenckner/Bosch, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch. Kommentar, 29. Aufl., Beck, München 2014, § 173 Rn. 1.