Offene Volkswirtschaft

Eine offene Volkswirtschaft ist in der Makroökonomie dadurch gekennzeichnet, dass das Ausland in den Wirtschaftskreislauf einbezogen ist. Ohne Ausland kommt der Gegensatz geschlossene Volkswirtschaft aus.

Allgemeines

Eine Volkswirtschaft, die Beziehungen zum Ausland hat, nennt man offene Volkswirtschaft.[1] In dieser stehen die inländischen Wirtschaftssubjekte (Unternehmen, Privathaushalte und der Staat) nicht nur zueinander in Beziehung, sondern betreiben Außenhandel mit den im Ausland ansässigen Wirtschaftssubjekten. Die Wirtschaftssubjekte unterhalten außenwirtschaftliche Beziehungen zu den Devisen-, Geld-, Güter-, Kapital- und Kreditmärkten sowie den Faktormärkten im Ausland.[2] Diese können durch Export und Import sowie Interbankenhandel genutzt werden.

Theorien entstehen in den Wirtschaftswissenschaften allgemein dadurch, dass Annahmen gemacht werden, unter denen ein Modell analysiert wird. Will man beispielsweise eine Geldtheorie aufstellen, so macht es zunächst Sinn, sämtliche aus dem Ausland stammenden oder in das Ausland führenden Zahlungsströme auszuklammern. Im Wege der abnehmenden Abstraktion kann dann auf diese Annahme verzichtet werden, wodurch sich das Modell der Wirklichkeit nähert. Auf diese Weise wird zunächst eine geschlossene Volkswirtschaft untersucht, um darauf aufbauend den Faktor „Ausland“ in der offenen Volkswirtschaft einzubeziehen.

Grundlagen

In einer geschlossenen Volkswirtschaft entspricht das (nationale) Sparen den Investitionen :[3]

.

Das Sparen ist derjenige Anteil an der Produktion (), der nicht durch den Konsum der Unternehmen (), privaten () und öffentlichen Haushalte () aufgebraucht wird:

.

In einer offenen Volkswirtschaft dagegen wird der Faktor „Ausland“ durch Gegenüberstellung der Exporte () mit den Importen () als Saldo () errechnet, so dass folgende Nationaleinkommensidentität besteht:[4]

.

Für alle Wirtschaftssubjekte einer geschlossenen Volkswirtschaft gilt stets, dass das Geldvermögen „Null“ ist, weil jeder Forderung eines Wirtschaftssubjekts eine Verbindlichkeit in gleicher Höhe bei einem anderen Wirtschaftssubjekt gegenüber steht.[5] Daher entspricht das Reinvermögen (Volksvermögen) dem Sachvermögen. In einer offenen Volkswirtschaft dagegen entstehen Forderungen von Inländern an Ausländern () und Verbindlichkeiten von Inländern gegenüber Ausländern (). Da die Forderungen und Verbindlichkeiten der Inländer untereinander gleich groß sind, gilt für das Geldvermögen einer offenen Volkswirtschaft ():

.

Das Geldvermögen einer offenen Volkswirtschaft wird deshalb Auslandsposition genannt. Das Reinvermögen einer offenen Volkswirtschaft errechnet sich mithin aus dem Sachvermögen und der Auslandsposition.[6]

Im Modell der offenen Volkswirtschaft gilt, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage der Summe aus privatem Konsum, Investitionen, Staatsausgaben und Nettoexporten in einem bestimmten Zeitraum (meist ein Kalenderjahr) entspricht:

(Produktionsverwendungsgleichung).

Hierin sind

und

mit

Das Maß einer offenen Volkswirtschaft wird bestimmt durch den Anteil der Nettoexporte am Volkseinkommen:

.

Kleine offene Volkswirtschaft

Ein Spezialfall ist das Modell der kleinen offenen Volkswirtschaft, bei der das Ausland als „black box“ betrachtet wird.[7] Dabei wird das Ausland als ökonomisch komplexes System nicht analysiert, sondern lediglich seine Einwirkung auf das Inland betrachtet und dabei die Kapitalmobilität berücksichtigt.

Globalwirtschaftliche Aspekte

Wird die gesamte Welt als eine gemeinsame Volkswirtschaft begriffen (Weltwirtschaft), so wie das für die Berechnung des Weltwirtschaftswachstums praktiziert wird, liegt zwingend eine echte geschlossene Volkswirtschaft – als Weltmarkt – vor. Diese weltwirtschaftliche Betrachtung ist der größtmögliche Aggregationsgrad. Da die Weltmarktintegration unvollständig ist, gibt es keinen wirklichen einheitlichen Weltmarkt und keine echten „Weltmarktpreise“.[8]

Der Welthandel wird durch Handelshemmnisse, Boykotte oder vereinzelte Autarkiebestrebungen bedroht, so dass international teilweise eine latente Neigung zu geschlossenen Volkswirtschaften besteht. Gerade Industriestaaten setzen auf einen hohen Selbstversorgungsgrad (etwa bei Agrarprodukten oder Energieträgern) und hohen Versorgungsgrad, die tendenziell Importe reduzieren und Exporte schwächen. Hierdurch soll die (monostrukturelle) Abhängigkeit vom Ausland reduziert werden wie die Lieferengpässe während der COVID-19-Pandemie gezeigt haben.

Die internationalen Verflechtungen der Güter- und Finanzmärkte sind derart intensiv, dass die anfänglich lokalen Finanzkrisen (Unternehmenskrisen, Bankenkrisen) über Contagion-Effekte auf die Volkswirtschaft anderer Staaten übergreifen und dort zu wirtschaftlichen Schocks führen können.

Die monetäre Außenwirtschaftstheorie untersucht unter anderem die Stabilitätspolitik in offenen Volkswirtschaften,[9] denn offene Volkswirtschaften müssen zusätzlich das Staatsziel des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts erfüllen. Das erschwert insbesondere die Geldpolitik, denn die Theorie des Zahlungsbilanzausgleichs besagt, dass beispielsweise eine Zinssenkung bei vollkommener Kapitalmobilität und festem Wechselkurs nicht stattfinden kann.[10]

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Cezanne, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 2005, S. 239
  2. Springer Fachmedien Wiesbaden (Hrsg.), Kompakt-Lexikon Wirtschaftstheorie, 2013, S. 297
  3. Paul R. Krugman/Maurice Obstfeld, Internationale Wirtschaft: Theorie und Politik der Außenwirtschaft, 2009, S. 400 ff.
  4. Paul R. Krugman/Maurice Obstfeld, Internationale Wirtschaft: Theorie und Politik der Außenwirtschaft, 2009, S. 401
  5. Wolfgang Cezanne, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 2005, S. 239
  6. Wolfgang Cezanne, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 2005, S. 240
  7. Martin Janssen, Ein monetäres Gesamtmodell für eine kleine offene Volkswirtschaft: Struktur und dynamische Eigenschaften, 1979, S. 18
  8. Thomas Plümper, Lexikon der Internationalen Wirtschaftsbeziehungen, 1996, S. 396
  9. Dirk Piekenbrock, Gabler Kompakt-Lexikon Volkswirtschaft, 2003, S. 384 ff.
  10. Dirk Piekenbrock, Gabler Kompakt-Lexikon Volkswirtschaft, 2003, S. 385