Oberlandesgericht Naumburg
Das Oberlandesgericht Naumburg ist das für das gesamte Bundesland Sachsen-Anhalt zuständige Oberlandesgericht.
Sitz
Der Sitz des Oberlandesgerichts ist Naumburg (Saale). Im Bezirk des Oberlandesgerichts sind 1.477 Rechtsanwälte zugelassen.[1]
Nachgeordnete Gerichte
Nachgeordnete Gerichte sind die vier Landgerichte in Dessau, Halle, Magdeburg und Stendal mit den diesen jeweils nachgeordneten Amtsgerichten sowie die beiden Präsidialamtsgerichte Halle und Magdeburg.
Geschichte
1816 unmittelbar nach Gründung der preußischen Provinz Sachsen wurde das gleichnamige Oberlandesgericht Naumburg gebildet und war zunächst für die beiden Regierungsbezirke Merseburg und Erfurt zuständig. Dieses wurde 1849 aufgehoben und das Appellationsgericht Naumburg trat an seine Stelle.
Mit dem Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze am 1. Oktober 1879 erfolgte eine erneute Umstrukturierung der Gerichtsbarkeit in Amts-, Land- und Oberlandesgerichte. Der Sprengel des Oberlandesgericht Naumburg umfasste nun
- die preußische Provinz Sachsen ohne die Kreise Schleusingen und Ziegenrück
- aus der preußischen Provinz Hannover ein Teil des Kreises Zellerfeld (in der Landdrostei Hildesheim)
- das Herzogtum Anhalt
- das Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen
Der Gerichtssprengel hatte bei der Gründung eine Größe von 27.990 km² und 2.409.071 Gerichts-Einsassen (davon 2.128.026 aus Preußen, 213.565 aus Anhalt und 67.480 aus Schwarzburg-Sondershausen). Dem Oberlandesgericht waren 9 Landgerichte und 128 Amtsgerichte nachgeordnet. Die Landgerichte waren das Dessau, Erfurt, Halberstadt, Halle, Magdeburg, Naumburg, Nordhausen, Stendal und Torgau. Das Landgericht Dessau umfasste dabei das Herzogtum Anhalt, das Landgericht Erfurt das Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen und preußische Gebiete.
Das Gericht bestand aus dem Präsidenten, zwei Senatspräsidenten und 16 Räten. Von den Richtern wurden zwei auf Vorschlag der Regierung des Herzogtums Anhalt und einer auf Vorschlag der Regierung des Fürstentums Schwarzburg-Sondershausen ernannt. Die restlichen Richter wurden von Preußen benannt.[2]
Nach der Auflösung von Schwarzburg-Sondershausen und der Bildung des Landes Thüringen 1920 wurde zwischen diesem und Preußen mit Staatsvertrag vom 15/20. Juni 1921 und vom 12/29. Dezember 1924 eine Fortführung der Gerichtsgemeinschaft vereinbart. Das Oberlandesgericht Naumburg war nur für die Amtsgerichtsbezirke Allstedt, Ebeleben und Sondershausen zuständig. Ein Oberlandesgerichtsrat wurde nur durch Thüringen benannt.[3]
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten erfolgte auch die Gleichschaltung des Oberlandesgerichtes Naumburg. Gerichtspräsident Georg Werner wurde am 4. April 1933 beurlaubt und durch Paul Sattelmacher ersetzt. Werner hatte sich hinter den Magdeburger Landgerichtsdirektor Friedrich Weißler gestellt und Kritik an politisch motivierten Entscheidungen nachgeordneter Gerichte geübt. Die weitere Personalpolitik der Nationalsozialisten war durch starke Kontinuität geprägt. Lediglich drei der Oberlandesgerichtsrichter waren (teil-)jüdischer Abstammung und fielen unter die Rassengesetze der Nationalsozialisten.[4]
Am 12. April 1945 beendete das Oberlandesgericht seine Tätigkeit aufgrund des Einrückens amerikanischer Truppen. Die SMAD beschlagnahmte das Gebäude des Oberlandesgerichts und richtete dort ihre Kommandantur ein. Im Frühjahr 1946 wurde das Oberlandesgerichts nach Halle verlegt. Dort tagte es zunächst im Gebäude des dortigen Landgerichts und danach in den Räumen des Oberbergamtes. Zum 31. August 1952 wurde das Oberlandesgericht Halle aufgehoben, da in der DDR im Zusammenhang mit der Abschaffung der Länder Bezirksgerichte je Bezirk eingerichtet wurden. In dem Oberlandesgerichtsbezirk wurden drei Bezirksgerichte (Erfurt, Halle und Magdeburg) errichtet.
Nach der Wende entstand das Land Sachsen-Anhalt. Der Einigungsvertrag regelte, dass das Bezirksgericht Magdeburg als Gericht am Sitz der Landesregierung vorläufig die Aufgaben eines Oberlandesgerichtes übernehmen sollte. Ab Oktober 1990 nahm das Bezirksgericht Magdeburg diese Aufgaben daher wahr. gemäß Beschluss der Landesregierung vom 29. Januar 1991 wurde der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Jürgen Goydke zum Präsidenten des Bezirksgerichts Magdeburg ernannt und dieser erhielt die Aufgabe, das Oberlandesgericht neu aufzubauen. Der Landtag von Sachsen-Anhalt beschloss im Juli 1992, das Oberlandesgericht für das Land Sachsen-Anhalt in Naumburg sowie die Landgerichte in Halle, Magdeburg, Dessau und Stendal zum 1. September 1992 anzusiedeln.[5]
Gebäude und historisches Archiv
Das heutige Dienstgebäude Domplatz 10 entstand hoch über der Stadt Naumburg an Stelle einer mittelalterlichen Burg. Ab 1750 hatte sich hier die Dompropstei befunden. In den Jahren von 1914 bis 1917 wurde durch den Architekten Fritz Hoßfeld das heutige Gebäude im Stil des Neubarock, unter Einbeziehung von Elementen des Jugendstils errichtet. Das Gebäude verfügt über vier Flügel, wobei der Mittelteil besonders betont ist. Die Ausstattung war aufwendig und monumental gestaltet. In den Jahren 1990 bis 1996 erfolgte eine Restaurierung.[6]
Das historische Archiv (darunter das Lehns- und das Hypothekenarchiv) des Oberlandesgerichts Naumburg reicht bis in das Spätmittelalter zurück und wird im Landesarchiv Sachsen-Anhalt verwaltet, das auch für die historische Überlieferung der Amtsgerichte Sachsen-Anhalts und deren Vorgängerterritorien zuständig ist.
Persönlichkeiten
Leitung
An der Spitze des Oberlandesgerichts steht ein Präsident oder eine Präsidentin. Diese Position wurde im Dezember 2016 nach zehn Monaten Vakanz mit Uwe Wegehaupt wieder besetzt[7][8], nachdem sein Amtsvorgänger Winfried Schubert im Februar 2016 in den Ruhestand getreten war.[9][10]
Präsidenten:
- 1879–1891: Justus Wilhelm Breithaupt
- 1892–1894: Wilhelm von Brandenstein
- 1895–1896: Werner
- 1897–1907: August Hagen[11]
- 1909–1917: Max Hartmann[12]
- 1917–1923: Georg Reuter
- 1923–1933: Georg Werner
- 1933–1945: Paul Sattelmacher[13]
- 1992–1996: Jürgen Goydke[14]
- 1996–2003: Gertrud Neuwirth
- 2004–2016: Winfried Schubert
- 2016–2024: Uwe Wegehaupt
- seit 2024: Winfried Holthaus
- 1892–1894: Wilhelm von Brandenstein
Richter
Für die Richter am Oberlandesgericht Naumburg siehe Kategorie:Richter (Oberlandesgericht Naumburg).
Der später am Reichsgericht als Richter tätige Georg Müller war ab 1908 Oberlandesgerichtsrat in Naumburg. Der später im Widerstand gegen den Nationalsozialismus engagierte Friedrich Weißler war in der Zeit der Weimarer Republik zeitweise Richter am OLG. Der Schriftsteller Herbert Rosendorfer wirkte von 1993 bis zu seiner Pensionierung als Richter an diesem Gericht. Gleichfalls ab 1993 bis zum Jahr 2001 wirkte der Rechtswissenschaftler Stefan Smid als Richter am Oberlandesgericht.
Weitere Persönlichkeiten
Johann Friedrich Kratzsch, Archivar und Sachbuchautor begann seine Karriere als Archiv-Assistent am OLG Naumburg. Von 1927 bis 1936 war Ludwig Becker Generalstaatsanwalt am Oberlandesgericht Naumburg.
Bekannte Gerichtsverfahren
Fall Görgülü
Ein sehr großes Medieninteresse und deutliche Kritik wurde dem 14. Zivilsenat seit 2004 im Zusammenhang mit dem Sorgerechtsfall Görgülü zuteil.[15] Wegen dieses Falles hatte die Staatsanwaltschaft Halle Anklage gegen die Richter des Senats wegen Rechtsbeugung erhoben, welche jedoch vom Landgericht Halle nicht zugelassen wurde, was der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts im Ergebnis bestätigte.
Fall Püschel
Mit Beschluss vom 22. Oktober 2015 wurde der NPD-Politiker Hans Püschel freigesprochen. Die FAZ schrieb nach dem Bekanntwerden des Urteils: „Das Urteil des Oberlandesgerichts, das sich als Standgericht beschimpfen ließ, ist ein Skandal, moralisch und handwerklich. Mit dem besonderen Rang der Meinungsfreiheit ist diese Verharmlosung der Verharmlosung des Völkermords nicht zu entschuldigen.“[16][17]
Fall „Hoffriedensbruch“
Im Fall eines Einbruchs in einen Tierstall wurde der Freispruch unter dem Gesichtspunkt des rechtfertigenden Notstands (§ 34StGB) bestätigt.[18]
Fall Oury Jalloh
Im Fall Oury Jalloh wurde vor dem OLG Naumburg ein Klageerzwingungsverfahren durchgeführt. Das OLG hatte hierbei mit Beschluss vom 22. Oktober 2019 die Einstellungsbegründung der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg für rechtmäßig erachtet.[19] Gegen diese rechtskräftige Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg wurde am 25. November 2019 Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht eingelegt.[20]
Verhandlung des Anschlags in Halle (Saale)
Am 21. Dezember 2020 wurde 14 Monate nach dem antisemitischen Anschlag auf eine Synagoge in Halle an der Saale der Angeklagte zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Bei diesem Anschlag kamen zwei Menschen ums Leben, die Tat wurde mittels Helmkamera live ins Internet übertragen.
Siehe auch
- Liste der Gerichte des Landes Sachsen-Anhalt
- Liste deutscher Gerichte
- Gerichte im Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen
Literatur
- Andreas Möhring: Richter im Nationalsozialismus. Personalentwicklung und Personalpolitik am Oberlandesgericht Naumburg 1933-1945. Universitätsverlag Halle-Wittenberg, Halle 2011, ISBN 978-3-86977-045-1.
Weblinks
- Internetpräsenz des Oberlandesgerichts Naumburg
- Übersicht der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Naumburg
- Literatur von und über Oberlandesgericht Naumburg im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Einzelnachweise
- ↑ Nach dem Stand vom 1. Januar 2023, Bundesrechtsanwaltskammer, www.brak.de: Mitgliederstatistik zum 1. Januar 2023. (PDF; 262 kB) Abgerufen am 21. April 2023.
- ↑ Carl Pfaffenroth: Jahrbuch der deutschen Gerichtsverfassung. 1880, S. 449 ff. online.
- ↑ Staatshandbuch für Thüringen, 1931, S. 476, Digitalisat
- ↑ Möhring, Andreas, Richter im Nationalsozialismus. Personalentwicklung und Personalpolitik am OLG Naumburg 1933-1945
- ↑ Geschichte des OLG
- ↑ Ute Bednarz: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Sachsen-Anhalt II. Regierungsbezirke Dessau und Halle. Deutscher Kunstverlag, München 1999, ISBN 978-3-422-03065-7, S. 604.
- ↑ Dr. Uwe Wegehaupt als neuer Präsident des Oberlandesgerichts Naumburg ernannt. In: hallelife.de. 22. Februar 2019, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 24. Februar 2019; abgerufen am 23. Februar 2019. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Oberlandesgericht Naumburg : Wechsel in die erste Reihe. In: Mitteldeutsche Zeitung. (mz-web.de [abgerufen am 31. Mai 2018]).
- ↑ OLG-Präsident Schubert verabschiedet sich in Ruhestand. In: FOCUS Online. (focus.de [abgerufen am 27. Oktober 2016]).
- ↑ Präsident des Oberlandesgerichts Naumburg tritt in den Ruhestand. In: Pressemitteilung Nr. 007/2016. Pressestelle des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt, 24. Februar 2016, abgerufen am 9. Dezember 2022.
- ↑ Michael Rademacher: OLG Naumburg. Online-Material zur Dissertation, Osnabrück 2006. In: eirenicon.com. Abgerufen am 10. Mai 2023.
- ↑ Chronik des Oberlandesgerichts Düsseldorf ( des vom 14. April 2021 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (PDF; 577 kB).
- ↑ Lothar Gruchmann: Justiz im Dritten Reich 1933–1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte. Band 28). 3. Auflage, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2002, ISBN 3-486-53833-0, S. 1211 (online).
- ↑ Kulturehrungen + Stipendien. (PDF) Abgerufen am 1. Januar 2021.
- ↑ Bundesverfassungsgericht im Fall Görgülü ( vom 8. Dezember 2014 im Internet Archive), abgerufen am 4. Dezember 2014
- ↑ Patrick Bahners in FAZ vom 5. August 2016, Der Holocaust als „böse Mär“
- ↑ Anmerkung: Das Urteil ist nicht in der Rechtsprechungsübersicht des OLG Naumburg verzeichnet
- ↑ Legal Tribune Online vom 23. Februar 2018, OLG bestätigt Freisprüche für Aktivisten, Tierschutz ist notstandsfähig
- ↑ OLG Naumburg, Beschluss vom 22. Oktober 2019, Az. 1 Ws (gE) 1/19
- ↑ Familie von Oury Jalloh legt Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein
Koordinaten: 51° 9′ 19,4″ N, 11° 48′ 2,7″ O
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