ODL-Messnetz

Zum Messnetz gehörende Sonde, hier mit Schautafel auf der Insel Helgoland

Das Ortsdosisleistungs-Messnetz (kurz: ODL-Messnetz) ist ein vom deutschen Bundesamt für Strahlenschutz betriebenes Messsystem für Radioaktivität, das die Ortsdosisleistung am Messort bestimmt.

Zweck und Ziel

Das Messnetz dient dem Schutz der Bevölkerung im radiologischen Notfall und ermöglicht darüber hinaus eine Dokumentation der Strahlenbelastung der Bevölkerung in Deutschland. Das Messnetz ist Teil des Integrierten Mess- und Informationssystems (IMIS) zur Überwachung der Radioaktivität in Deutschland und dient dazu, schnell vor erhöhter Gammastrahlung in der Atmosphäre etwa durch einen Schadensfall in einem Kernreaktor zu warnen. Nach Freisetzung einer Wolke kann die Ausbreitung und die Stärke der Strahlung mit Hilfe des Messnetzes genau bestimmt werden. Mit den gemessenen Werten lassen sich mit Hilfe von Simulationen Prognosen erstellen, die direkt in den Notfallschutz eingehen. Rechtsgrundlage ist Artikel 35 des Euratom-Vertrags (EAGV) beziehungsweise § 161 Absatz 1 des Strahlenschutzgesetzes (StrlSchG).[1]

Netzknoten und Messstellen

Das ODL-Messnetz besteht aus sechs Messnetzknoten in Berlin, Bonn, Freiburg, Neuherberg bei München, Rendsburg und Salzgitter, die die rund 1800 (Stand 2010) automatisch arbeitenden Messstellen betreuen. Die Sonden sind flächendeckend über ganz Deutschland verteilt, das heißt, etwa alle 20 Kilometer steht eine Sonde, wobei die Sondendichte im Radius von 100 km um die Kernkraftwerke dichter, außerhalb geringer ist. Das Konzept der Grenzverdichtung wurde im Rahmen der Messnetzreduzierung im Jahr 2007 aufgegeben. Durch den Datenaustausch im europäischen Rahmen (ECURIE und EURDEP) sind mögliche Erhöhungen der Ortsdosisleistung bzw. der Weg einer Wolke schon durch die Messnetze der Anrainerstaaten bekannt. Auch einige Bundesländer betreiben eigene Gamma-Ortsdosisleistungs-Messnetze, diese dienen der Kernreaktorfernüberwachung (KFÜ) und sind auf den 25-km-Radius um den jeweiligen Reaktor begrenzt.

Sondenfunktionen

Sonde neuer Bauart, auf der Insel Vilm, im Hintergrund eine meteorologische Messstelle der Firma Meteomedia

Jede Sonde des BfS-Messnetzes beinhaltet zwei Geiger-Müller-Zählrohre, die die Dosisleistung einen Meter über dem Boden messen. Der Messbereich reicht von 50 nSv/h bis 5 Sv/h. Die Sonde ist per Kabel mit jeweils einem Messwertsender verbunden. Durch das Kabel laufen sowohl die Messergebnisse von der Sonde als auch die Stromversorgung für die Sonde. Um die Messwerte der Stationen miteinander vergleichen zu können, werden die Sonden möglichst auf einer ebenen Wiese aufgestellt, die im Umkreis von ca. 20 m frei von weiterem Bewuchs ist.[2] Um geeignete Standorte zu finden, ist das BfS auf die Unterstützung von öffentlichen sowie privaten Gestattern angewiesen.

Aus den Messergebnissen werden 10-Minuten- und 2-Stunden-Mittelwerte gebildet, die dann per Modem über das Telefonnetz automatisch meist einmal pro Tag von dem zuständigen Messnetzknoten abgerufen werden. Bei Überschreitung eines Grenzwertes oder bei technischen Störungen wird von dem Messwertsender sofort eine automatische Meldung abgegeben.[2] Die Rechnersysteme in den Messnetzknoten sind parallel ausgelegt. Bei Ausfall eines Messnetzknotens kann ein anderer Knoten die Aufgabe mit übernehmen, so dass die Überwachung der Ortsdosisleistung auch im Krisenfall unter allen Umständen garantiert ist. Im Intensivbetrieb, etwa im Katastrophenfall, wird jede Messstelle alle 10 Minuten abgefragt.

ODL-Messsonde

Im Messnetz sind zurzeit zwei Generationen von Messwertsendern im Einsatz. Die ersten DLM1420 (Dosisleistungsmessstelle) von der Firma Technidata wurden im Jahr 1987 angeschafft und inzwischen alle durch neuere Modelle ersetzt. Ab 1999 wurde ein Teil des Messnetzes mit Messwertsendern DLM1450, ebenfalls von Technidata, erneuert. Dieses Modell bot die Möglichkeit, dass die Kernkraftwerksfernüberwachung der Länder direkt auf die Messdaten der BfS-Messstellen zugreifen konnte. Dieses Verfahren wurde jedoch inzwischen durch einen Datenaustausch per FTP abgelöst. Die aktuelle Generation der Messwertsender (MWS3) wurde vom Bundesamt für Strahlenschutz in Eigenleistung entwickelt. Die Umrüstung der Systeme auf den MWS3 hat im Jahr 2006 begonnen; die alten Sonden können nach Modifikation der Datenschnittstelle weiterhin verwendet werden, neue Sondentypen wurden ebenfalls vom BfS in Eigenleistung entwickelt. Die neu entwickelte Kommunikation zwischen Messwertsender und Sonde ermöglicht auch die Detektion von technischen Störungen der Sonde, da jetzt mehr Informationen aus der Sonde berücksichtigt werden. Da die natürliche Radioaktivität überall unterschiedlich ist, wird der Grenzwert für jede Station individuell festgelegt. Der MWS3-Messwertsender berechnet im Gegensatz zu den älteren Systemen die Grenzwerte selbst und ist so auch in der Lage, Änderungen in der ODL etwa durch Schneebedeckung zu berücksichtigen und den Grenzwert den neuen Gegebenheiten anzupassen. Des Weiteren verfügen die MWS3-Messwertsender über verbesserte Kommunikationsprotokolle, die Datenaustausch auch über GPRS/GSM (Mobilfunkverfahren) und direkt über das Internet unterstützen.

Auf dem Berg Schauinsland bei Freiburg im Breisgau betreibt das BfS ein Messfeld, auf dem die Messergebnisse von bis zu 24 ODL-Sonden parallel unter kontrollierten Bedingungen miteinander verglichen werden können. Bei diesem internationalen Langzeit-Vergleich sind Sonden aus Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, Österreich, Finnland sowie einige eigene BfS-Prototypen beteiligt. Des Weiteren wird an dieser Station die Einhaltung des internationalen Kernwaffenteststopp-Vertrags mit Hilfe einer Spurenmessstation für Radioaktivität in der Luft überwacht.[3]

Nahaufnahme einer ODL-Messsonde in der Gemeinde Hausen/Niederbayern.

Liste deutscher ODL-Messnetze

Neben dem ODL-Messnetz des Bundesamts für Strahlenschutz existieren weitere Bundesmessnetze beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie und bei der Bundesanstalt für Gewässerkunde, mit denen die Gammastrahlung im Wasser gemessen wird, der Deutsche Wetterdienst misst mit Aerosolsammlern die luftgetragene Aktivität.[4] Um die kerntechnische Anlagen zu überwachen, betreiben die zuständigen Bundesländer eigene ODL-Messnetze. Die Daten dieser Messnetze gehen automatisch in das Integrierte Mess- und Informationssystem (IMIS) ein und werden dort zur Analyse der aktuellen Lage verwendet.

LandBetreiberSondenanzahlWebseite
Deutschland (Boden)Bundesamt für Strahlenschutz (BfS)1700odlinfo
Deutschland (Meer)Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), siehe MARNET13MARNET
Deutschland (Bundeswasserstraßen)Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG)40RWS
Deutschland (Luft)Deutscher Wetterdienst (DWD)48DWD
Baden-WürttembergLandesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz (LUBW)100KFÜ-BW
BayernBayerisches Landesamt für Umwelt (LfU)36IfR
NiedersachsenNiedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz?NLWKN
Nordrhein-WestfalenLandesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen?KFÜ-NRW
HessenHessisches Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG)16HLNUG
Schleswig-HolsteinLandesregierung Schleswig-Holstein81KFÜ-SH

Ähnliche Messnetze in anderen Ländern

Ebenso wie Deutschland betreiben viele Staaten eigene ODL-Messnetze zum Schutz der Bevölkerung. Im europäischen Raum werden diese Daten auf der EURDEP-Plattform der Europäischen Atomgemeinschaft gesammelt und publiziert. Grundlage für die europäischen Messnetze ist Artikel 35 und 37 des Euratom-Vertrags.[5] Die Anzahl der Sonden im jeweiligen Messnetz kann jeder Staat selbst bestimmen. Viele Staaten betreiben eigene Webseiten, auf denen die jeweiligen Messnetze vorgestellt werden oder aktuelle Daten heruntergeladen werden können. Die Werte des österreichischen Messnetzes können auch zusätzlich noch auf der ORF-Teletext Seite 623 abgerufen werden.[6]

Liste europäischer ODL-Messnetze

LandBetreiberSondenanzahlWebseiteDaten
Zentrale für EuropaEuropean Radiological Data Exchange Platform (Sammlung der Daten aus den europäischen Mitgliedsländern)0EURDEPJa
DänemarkDanish Emergency Management Agency (DEMA)11BRSNein
FinnlandRadiation and Nuclear Safety Authority (STUK)255STUKJa
FrankreichInstitute for Radiological Protection and Nuclear Safety (IRSN)?IRSNNein
GriechenlandGreek Atomic Energy Commission (GAEC)23EEAEJa
GroßbritannienDepartment for the Environment, Food and Rural Affairs92RIMNetJa
IrlandRadiological Protection Institute of Ireland14RPIIJa
IslandIcelandic Radiation Safety Authority4GRNein
KroatienDržavni Zavod za Radiološku i Nuklearnu Sigurnost – State Office for Radiological and Nuclear Safety (DZNS)24DZNSJa
LettlandMinistry of the Environmental Protection and Regional Development of the Republic of Latvia15VVD-GOVJa
LuxemburgDepartment of Radiation Protection18DRPnein
NiederlandeRijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu (RIVM)58RIVMNein
NorwegenNorwegian Radiation Protection Authority (NRPA)33RadNetJa
MontenegroRadiation Protection and Monitoring Department (CETI)1CETINein
ÖsterreichStrahlenschutzabteilung des Lebensministeriums, Umweltbundesamt (Abt. Strahlenwarnsysteme) Strahlenfrühwarnsystem-Messnetz336SWSJa
PolenNational Atomic Energy Agency (PAA)9PAANein
SchwedenSwedish Radiation Safety Authority (SSM)?SSMNein
SchweizNationale Alarmzentrale NADAM-Messnetz (NAZ)71NADAMJa
SchweizEidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat MADUK-Messnetz57MADUKJa
SerbienSrbatom9SRBATOMJa
SlowakeiSlovak Hydrometeorological Institute (SHMI)26SHMINein
SlowenienSlovenian Nuclear Safety Administration (URSJV)?URSJVNein
SpanienNuclear Safety Council (CSN)42CSNJa
Autonome Provinz Bozen – SüdtirolLandesagentur für Umwelt6Landesagentur für UmweltJa
TschechienState Office for Nuclear Safety (SONS)47SONSNein
UngarnOrszágos Sugárzásfigyelő Jelző és Ellenőrző Rendszer (OSJR)13OSJRNein

Liste außereuropäischer ODL-Messnetze

LandBetreiberSondenanzahlWebseiteDaten
AustralienAustralien Nuclear Science and Technology Organisation1ANSTOja
ChinaNational Radiation Environmental Data Evaluation Systrm250 ?[1]Nein
HongkongHong Kong Observatory12RNM DatenNein
SüdkoreaIntegrated Environmental Monitoring NetworkIERnetNein
JapanNuclear Regulation Authority?NSRJa
KanadaHealth Canada39Health Canada DatenJa
SingapurNational Environment Agency?NEANein
TaiwanAtomic Energie Council??AEC DatenNein
ThailandOffice for Atoms For Peace8OAP DatenJa
Vereinigte Staaten von AmerikaRadiation Protection Division U.S. Environmental Protection Agency und National Air and Radiation Environmental Laboratory (EPA)100RadNetJa
Vereinigte Staaten von AmerikaDepartment of Energy’s National Nuclear Security Administration Nevada Site Office (NNSA/NSO) und Desert Research Institute (DRI) of the Nevada System of Higher Education. Die Sonden befinden sich in Nevada und Utah um die Nevada National Security Site29CEMPJa

Siehe auch

Commons: Probes GDR-Network (BfS) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Gesetz zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierenderStrahlung (Strahlenschutzgesetz – StrlSchG). Abgerufen am 14. Juli 2021.
  2. a b R. Luff (2011): Aufbau und Betrieb des deutschen ODL Messnetzes, Vortrag bei der Fachtagung „Umweltmessnetze – Integration und Anwendung“ 22. September 2011, Umwelt-Campus Birkenfeld (Memento vom 8. Dezember 2015 im Internet Archive) (PDF; 5,6 MB)
  3. Pressemitteilung des BfS vom 21. Juni 2005
  4. § 11 Verwaltungsbehörden des Bundes im Strahlenschutzvorsorgegesetz – StrVG (Memento vom 5. März 2016 im Internet Archive)
  5. KONSOLIDIERTE FASSUNG DES VERTRAGS ZUR GRÜNDUNG DER EUROPÄISCHEN ATOMGEMEINSCHAFT (2012/C 327/01) (PDF)
  6. Lebensministerium – Messwerte aus dem Strahlenfrühwarnsystem. In: www.umweltnet.at. Archiviert vom Original am 29. August 2010; abgerufen am 11. August 2010.

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Messsonde des ODL-Messnetzes in der Gemeinde Hausen
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Gamma-Ortsdosisleistungssonde des ODL-Messnetzes des Bundesamtes für Strahlenschutz. Diese Sonde steht auf dem Oberland auf Helgoland und ist eine der wenigen Sonden, die mit einer Tafel zur Erklärung der Aufgaben des Messnetz ausgestattet sind.
BfS GS07 Vilm.JPG
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Gamma-Ortsdosisleistungssonde des neuen Types als Teil des ODL-Messnetz des Bundesamt für Strahlenschutz. Diese Sonde steht auf der Insel Vilm.