Kernenergieantrieb

Unter Kernenergieantrieb versteht man den Antrieb von Fahrzeugen, Flugzeugen, Schiffen oder Raumfahrzeugen mittels Kernenergie. Da Kernreaktoren wegen ihrer starken Neutronenstrahlung eine umfangreiche Abschirmung erfordern, sind Kernenergieantriebe nicht so kompakt herzustellen, dass sie in herkömmlichen Pkw oder Lkw Verwendung finden können. Sie bleiben daher größeren Fahrzeugen vorbehalten.

Wegen ihrer potenziellen massiven radioaktiven Umweltbelastung bei Unfällen verschiedenen Ausmaßes und anderer Störfälle gelten Kernenergieantriebe, nicht nur wegen des anfallenden stark radioaktiven Abfalls, als umstritten. In den letzten Jahren wurden deshalb diesbezügliche Forschungen größtenteils eingestellt oder stark eingeschränkt.

Dieser Artikel beschreibt deshalb den – zum Teil inzwischen stark veralteten – Stand der Forschung, bzw. andere theoretische Überlegungen.

Radioisotopengeneratoren, die die Zerfallswärme von bestimmten Atomkernen (Halbwertszeit) nutzen, und über Thermoelemente daraus meist elektrischen Strom erzeugen, haben eine gewisse Verbreitung vor allem in der Raumfahrt gefunden.

Kernenergieantrieb von Schiffen und U-Booten

Die atomgetriebenen Schiffe USS Bainbridge (DLGN-25), USS Long Beach (CGN-9) und USS Enterprise (CVN-65) am 18. Juni 1964 im Mittelmeer

Für atomgetriebene U-Boote werden meist Druckwasserreaktoren mit Leistungen von etwa 100 Megawatt verwendet. Sie erzeugen Dampf, der zu Dampfturbinen geleitet wird, die entweder die Propeller oder Generatoren sowie Hilfseinrichtungen antreiben. Aufgrund der hohen Drehzahl von Dampfturbinen kann der Propeller jedoch nicht direkt angetrieben werden, meist ist ein Getriebe erforderlich.

Der Kernenergieantrieb wird hauptsächlich für militärische Schiffe und U-Boote verwendet. Das erste kernenergiegetriebene Schiff der Welt war 1954 das Atom-U-Boot USS Nautilus (SSN-571). Auch einige zivile Schiffe haben Kernenergieantrieb, das erste zivile Schiff mit Kernenergieantrieb war 1959 der sowjetische Atomeisbrecher Lenin. Die Sowjetunion und ihr Nachfolgestaat Russland unterhielt bzw. unterhält eine ganze Atomeisbrecherflotte, die bei der Freihaltung des nördlichen Seeweges unverzichtbar sind. Im Jahre 2021 sind die russischen Atomeisbrecher Jamal, 50 Let Pobedy und Arktika in Betrieb. Weitere zivile Schiffe mit Nuklearantrieb sind bzw. waren das deutsche Forschungsschiff Otto Hahn, die amerikanische Savannah, die japanische Mutsu und der sowjetische Frachter Sevmorput.

Kernenergieantrieb von Lokomotiven

In den Vereinigten Staaten wurden Studien für nuklearbetriebene Lokomotiven durchgeführt, unter anderem die X-12. Sie sollten Kernreaktoren mit kompletten Kühlkreisläufen an Bord haben, die Strom für die Fahrmotoren erzeugen. Wegen zu komplizierter Ausführung wurden diese Pläne verworfen. Auch in Deutschland wurde von Krauss-Maffei Mitte der 1950er der Bau einer etwa 35 m langen Atomlok in Erwägung gezogen, das Design war eng mit der bekannten Diesellok V 200 verwandt.

Prinzipiell werden Lokomotiven an den Achsen größtenteils elektrisch angetrieben. Der Atomreaktor hätte einen Generator zur Erzeugung elektrischer Energie angetrieben, der wiederum die Fahrmotoren an den Achsen angetrieben hätte. Die Energieerzeugung an Bord – ähnlich wie bei einer dieselelektrischen Lokomotive – verursacht jedoch hohes Gewicht. Zudem kann eine solche Motor-Generator-Kombination nicht so gleichmäßig beansprucht werden wie eine externe Energieerzeugung. Die Abkehr vom Prinzip der Erzeugung elektrischer Energie an Bord hatte jedoch vor allem Kostengründe.

Kernenergieantrieb von Automobilen

In den 1950er Jahren entstand das Konzept des Ford Nucleon, eines PKW mit nuklearem Antrieb. Ford baute von dem Fahrzeug nur ein Modell im Maßstab 1:2,66 ohne Reaktor. Dieses Projekt ist, wie viele andere nuklear betriebene Entwürfe dieser Zeit, vor dem Hintergrund der damals neuen Atomtechnologie und ihres noch unbekannten, jedoch hoch eingeschätzten Entwicklungspotentials einzuordnen.

Neben der Anwendung in zivilen Landfahrzeugen wurde in den 1950er Jahren auch die Verwendbarkeit von Kernenergieantrieben in Panzern und anderen militärischen Großgeräten evaluiert. Zu vorgeschlagenen Panzerkonzepten aus den Vereinigten Staaten zählte unter anderem der R-32 und der Chrysler TV-8. Alle Konstruktionsvorschläge wurden bis zum Ende der 1950er Jahre verworfen. Vom Chrysler TV-8 wurde lediglich ein Vorführmodell mit konventionellem Antrieb gefertigt.

Seit Beginn der 1960er-Jahre werden in der Raumfahrt Radionuklidbatterien als Energiequellen eingesetzt. Bei der 2011 gestarteten Marsmission Mars Science Laboratory dient diese Art der Energiequelle für den Fahrzeugantrieb beim unbemannten Marsrover Curiosity.

Kernenergieantrieb von Fluggeräten

Flugzeuge

Vereinigte Staaten

Convair NB-36H – Versuchsflugzeug für Tests mit Nuklearreaktor
Zwei Prototypen des Aircraft Reactors im Idaho National Laboratory

Bei einem kernenergiegetriebenen Flugzeug sollte mit Hilfe eines kleinen leichten Reaktors ein Verdichter angetrieben werden, dessen komprimierte Luft dann aus einer Düse ausgestoßen werden sollte, wobei wie bei einem normalen Düsenflugzeug ein Vortrieb entstehen würde.[1] In den USA erfolgten ab Mitte der 1950er-Jahre diverse Studien und Versuche. Im Rahmen des Aircraft Nuclear Propulsion-Programms (ANP) wurden luftgekühlte Reaktoren des General Electric X39 entwickelt, die auf konventionellen Triebwerken des Typs General Electric J47 basierten, welche für den Antrieb mittels der Wärmeeinspeisung über einen Kernreaktor modifiziert wurden. Es entstanden die drei Prototypen HTRE-1, HTRE-2 und HTRE-3 (HTRE = Heat Transfer Reactor Experiment) Die beiden letztgenannten Anlagen sind stationär auf dem Gelände des Kernforschungszentrums Idaho Falls installiert und stehen für die Öffentlichkeit zur Besichtigung zur Verfügung (Lage). Ein weiterer Kernreaktor des Unternehmens Pratt & Whitney mit der Bezeichnung PWAR-1 (Pratt & Whitney Aircraft Reactor-1) wurde ab 1957 auf dem Gelände des Kernforschungszentrums Oak Ridge getestet.

Ab 1951 testete die United States Air Force einen weiteren Kernreaktor (Aircraft Shield Test Reactor – ASTR) in einer umgebauten Convair B-36. Das Flugzeug selbst wurde jedoch noch konventionell angetrieben, es absolvierte im Rahmen des Programms insgesamt 47 Flüge über dem Luftraum der Bundesstaaten Texas und New Mexico.

Im März 1961 wurde das Versuchsprogramm aus Sicherheitsgründen auf Anordnung von Präsident John F. Kennedy eingestellt.

Sowjetunion

In der damaligen Sowjetunion wurden 1961 einige Flüge einer Tu-95LaL mit einem Reaktor an Bord durchgeführt. Mit der An-22PLO folgte 1972 ein weiteres Projekt. Mit beiden Flugzeugen erfolgten nur Probeflüge zur Überprüfung der Strahlenschutzeinrichtungen und dem Verhalten der Reaktoren an Bord. Einen Energieübertrag für den Antrieb gab es nicht. Beide Projekte wurden eingestellt.

Ähnliche Ideen gab es vor allem in den 1960er Jahren auch für Luftschiffe, ein Atomluftschiff wurde jedoch nie gebaut.

Andere Flugkörper

In dem US-Projekt Pluto wurde zwischen 1956 und 1964 mit hohem Aufwand ein nukleargetriebener Marschflugkörper mit praktisch unbegrenzter Reichweite entwickelt. Ein reaktorbeheizter Ramjet sollte den Flugkörper mit Mach 3 im Tiefflug in Feindesland tragen, wo er bis zu 24 Ziele mit H-Bomben angreifen würde. Das Projekt wurde nach erfolgreichen Triebwerktests und der Lösung etlicher technischer Probleme nach der Kubakrise 1964 beendet – mit der Begründung, dass das Projekt zu provokativ („too provocative“) sei.

Kernenergieantrieb von Raumfahrzeugen

Antrieb mit Reaktor

NERVA-Kernspaltungs-Raketentriebwerk (NASA)

Bei einem mit Kernreaktoren angetriebenen Raumfahrzeug wird Wasserstoff mit Hilfe eines Kernreaktors auf 3000 Grad Celsius erhitzt und dann ausgestoßen. Dabei wird wie bei einem normalen Raketentriebwerk ein Rückstoß erzeugt. Da hierbei Wasserstoff und kein Verbrennungsprodukt ausgestoßen wird, ist der spezifische Impuls sehr hoch.

In den USA wurden solche Geräte im Rahmen der Projekte NERVA und Timberwind untersucht. Der US-amerikanische Satellit Snapshot nutzte 1965 erstmals einen Kernreaktor, um damit ein Ionentriebwerk zu betreiben. 2021 gab die DARPA die Entwicklung eines Kernreaktorantriebs in Auftrag, der ab 2025 in Raumfahrzeugen zum Einsatz kommen soll.[2]

Antrieb mit Atombomben

Wenn im Vakuum in ausreichendem Sicherheitsabstand zu einem Parabolspiegel eine kleine Atombombe gezündet wird, kann man mit Hilfe des entstehenden Strahlungsdrucks ein Raumfahrzeug vorantreiben. Da im Weltraum keine Druckwellen entstehen, braucht der Reflektor nicht allzu massiv zu sein. Mit einem derartigen Raumfahrzeug könnte man prinzipiell das Sonnensystem durchqueren. In den USA gab es Ende der 1950er Jahre entsprechende Studien im Rahmen des Orion-Projekts.

Commons: Kernenergieantrieb – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Atomantrieb – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Atomic Power – Notes on Some of the Problems Involved and NACA Research
  2. DARPA selects Blue Origin, Lockheed Martin to develop spacecraft for nuclear propulsion demo. Spacenews, 12. April 2021.

Auf dieser Seite verwendete Medien

USS Enterprise (CVAN-65), USS Long Beach (CGN-9) and USS Bainbridge (DLGN-25) underway in the Mediterranean Sea during Operation Sea Orbit, in 1964.jpg
Operation Sea Orbit: on 31 July 1964, USS Enterprise (CVAN-65) (bottom), USS Long Beach (CGN-9) (center) and USS Bainbridge (DLGN-25) (top) formed "Task Force One," the first nuclear-powered task force, and sailed 26,540 nmi (49,190 km) around the world in 65 days. Accomplished without a single refueling or replenishment, "Operation Sea Orbit" demonstrated the capability of nuclear-powered surface ships.
Nerva - nuclear rocket engine.jpg
An explanatory drawing of the NERVA (Nuclear Engine for Rocket Vehicle Application)thermodynamic nuclear rocket engine. The main objective of project Rover/NERVA was to develop a flight rated engine with 75,000 pounds of thrust. The Rover portion of the program began in 1955 when the U.S. Atomic Energy Commission's Los Alamos Scientific Laboratory and the Air Force initially wanted the engine for missile applications. However, in 1958, the newly created NASA inherited the Air Force responsibilities, with an engine slated for use in advanced, long-term space missions. The NERVA portion did not originate until 1960 and the industrial team of Aerojet General Corporation and Westinghouse Electric had the responsibility to develop it. In 1960, NASA and the AEC created the Space Nuclear Propulsion Office to manage project Rover/NERVA. In the following decade, it oversaw a series of reactor tests: KIWI-A, KIWI-B, Phoebus, Pewee, and the Nuclear Furnace, all conducted by Los Alamos to prove concepts and test advanced ideas. Aerojet and Westinghouse tested their own series: NRX-A2 (NERVA Reactor Experiment), A3, EST (Engine System Test), A5, A6, and XE-Prime (Experimental Engine). All were tested at the Nuclear Rocket Development Station at the AEC's Nevada Test Site, in Jackass Flats, Nevada, about 100 miles west of Las Vegas. In the late 1960's and early 1970's, the Nixon Administration cut NASA and NERVA funding dramatically. The cutbacks were made in response to a lack of public interest in human spaceflight, the end of the space race after the Apollo Moon landing, and the growing use of low-cost unmanned, robotic space probes. Eventually NERVA lost its funding, and the project ended in 1973.
NB-36H producing contrails in flight.jpg
NB-36H producing contrails in flight.
Nuclear jet engines,.jpg
Autor/Urheber: Danapit, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Experimental HTRE reactors for nuclear aircraft, EBR-1 site, Idaho