Niedergericht (Hamburg)
Das Hamburger Niedergericht war das älteste Hamburger Gericht, das mit Unterbrechung in der Zeit der französischen Besetzung Hamburgs bis 1879 existierte.
Ursprünge
Der Name „Niedergericht“ taucht erstmals als neddersteten Gherichtes im Hamburger Stadtrecht von 1497 auf.[1] Der Rat bildete als Ganzes das Appellationsgericht und damit das Obergericht.[2] Das als Niedergericht bezeichnete Gericht war vermutlich viel älter und wurde in früheren Stadtrechtsniederschriften, so 1270, als Dingbank benannt.[3] Das Niedergericht war das Zivil- und Strafgericht erster Instanz und in Hamburg nicht auf die Niedere Gerichtsbarkeit festgelegt.[1] Es hatte seinen Sitz ursprünglich in einer halboffenen Halle am Nikolaifleet in der Nähe der Trostbrücke.[4]
Das Gericht bestand 1497 aus den ‚Richte‘- oder ‚Gerichts‘herrn, zwei Ratsherrn, die als Vertreter des Rates die Aufsicht führten, dem Vogt, der als Vertreter der landesherrlichen Obrigkeit den Prozess leitete, dem Schreiber, der das Verfahren protokollierte, und den Dingleuten, die als Personen aus dem Volk das Urteil fällten.[1]
Da der Platz am Nikolaifleet anderweitig gebraucht wurde, zog das Gericht 1560 in einen neu errichteten Anbau am Rathaus.[4]
1623 bis 1811
Im Jahre 1622 wurde eine neue Gerichtsordnung gefasst, in der die Rollen der Beteiligten sich weiter entwickelt hatten. Die Gerichtsherrn, auch Prätoren genannt, übernahmen nach und nach die Gerichtsleitung und konnten zu Schlichtungsverfahren angerufen werden. Daraus entwickelten sich in Hamburg die sogenannten Präturen oder Dielengerichte.[5] Fälle, die mit dem Hafen, insbesondere mit der Schifffahrt zu tun hatten, sollten ab 1623 vor dem Hamburgische Admiralitätsgericht verhandelt werden.[6]
Später nahmen die Gerichtsherrn am Niedergericht nur noch formelle Rollen wahr.[7] Der Vogt wurde nach und nach zum städtischen Beamten, der für die Vollstreckung der Urteile zuständig wurde. Aus der Gruppe der Dingleute entwickelte sich ein Gremium von deputierten Bürgern, die das Gericht leiteten und die Urteile sprachen.[8] Ab 1623 wurden acht Bürger ins Niedergericht deputiert, einer davon sollte „rechtsgelehrt“ sein und den Vorsitz übernehmen. Die Tätigkeit umfasste normalerweise die Anwesenheit an den Sitzungstagen montags und mittwochs, ab 1653 zusätzlich auch freitags[9] und war ehrenamtlich auszufüllen.[7]
Die Verfahren am Niedergericht waren ursprünglich mündliche Verfahren, mit der Gerichtsordnung von 1645 wird aber von schriftlichen Verfahren auszugehen sein.[10]
Ab 1605 gab es am Niedergericht acht akkreditierte Procuraten, also Anwälte, die andere Parteien vor Gericht vertreten durften.[11] Diese Position entwickelte sich weiter, ab 1705 durften nur noch Procuraten Schriftsätze beim Niedergericht einreichen. Sie durften dazu zwar Gebühren erheben, ihnen war aber sonstige anwaltliche Tätigkeit untersagt.[12]
1811 wurde Hamburg an Frankreich angeschlossen, zum 20. August 1811 traten die kaiserlich-französischen Gesetze in Kraft und die alten Gerichte waren abgeschafft.[13]
1815 bis 1879
Nach Ende der französischen Besetzung wurde das Niedergericht in erneuerter Form 1815 wieder eingesetzt. Es wurden nun drei besoldete Posten geschaffen, die jeweils mit Juristen auf Lebenszeit besetzt wurden. Dazu wurden weiterhin vier Laien zu Richter bestellt, diese jeweils für zwei Jahre.[14] Da 1816 auch ein Handelsgericht geschaffen wurde, gingen entsprechende Fälle dann an das neu entstandene Gericht.[15] Das Gericht hatte ab 1815 seinen Sitz im Eimbeckschen Haus. Nach dem Großen Brand 1842 wurde das Niedergericht in das Waisenhausgebäude in der Admiralstraße verlegt, in dem auch der Rat untergebracht war.[14][16] Verfahren vor den Niedergericht galten Anfang des 19. Jahrhunderts als langwierig und teuer.[17] Mit dem zunehmenden Wachstum der Stadt Hamburg ging auch das Wachstum des Niedergerichts einher, 1871 bei Einführung der Reichsstrafgesetzbuches gab es 13 Berufsrichter und 21 Laienrichter.[18] Bei der Auflösung 1879 amtierten 20 juristische und 32 kaufmännische Mitglieder.[18]
Das Niedergericht wurde zum 30. September 1879 aufgelöst, seine Befugnisse und der Großteil der juristischen Richter gingen an das Amtsgericht Hamburg über.[19]
Präses des Niedergerichts seit 1815[20]
- 1815–1821: Joachim Nicolaus Schaffshausen
- 1821–1824: Johann Carl Gries
- 1824–1835: Carl August Schlüter
- 1835–1861: Georg Heinrich Berkhan
- 1861–1879: Ernst Gossler
Literatur
- Gerrit Schmidt: Die Geschichte der Hamburgischen Anwaltschaft von 1815 bis 1879, Hamburg 1989, ISBN 3-923725-17-5.
- Daniel Heinrich Jacobj: Geschichte des Hamburger Niedergerichts, Hamburg 1866, Digitalisat auf den Seiten der Bayerischen Staatsbibliothek, OCLC=175023910.
- Martin Ewald: Das Hamburgische Niedergericht, Tradition und Ende. In: Veröffentlichung der Gesellschaft Hamburger Juristen, Band 12, S. 36–59, Köln 1980, ISBN 3-504-64907-0.
Einzelnachweise
- ↑ a b c Martin Ewald: Das Hamburgische Niedergericht, Tradition und Ende. In: Veröffentlichung der Gesellschaft Hamburger Juristen. Band 12. O. Schmidt, Köln 1980, ISBN 3-504-64907-0, S. 37.
- ↑ Jacobj S. 20
- ↑ Jacobj, S. 5
- ↑ a b Martin Ewald: Das Hamburgische Niedergericht, Tradition und Ende. In: Veröffentlichung der Gesellschaft Hamburger Juristen. Band 12. O. Schmidt, Köln 1980, ISBN 3-504-64907-0, S. 40.
- ↑ Die Dielengerichte konnten während des 17. Jahrhunderts bei Bagatellfällen bzw. bei Streitwerten bis 30 Mark Courand angerufen werden. Siehe dazu Jacobj, S. 106
- ↑ Karl Otto Scherner: Formen der Konfliktlösung im Handels- und Seerecht in Nürnberg, Hamburg und Leipzig zwischen 1500 und 1800 In: Albrecht Cordes und Serge Dauchy: Eine Grenze in Bewegung / Une frontière mouvante, De Gruyter Oldenbourg 2013, 132, doi:10.1515/9783110446722-009.
- ↑ a b Martin Ewald: Das Hamburgische Niedergericht, Tradition und Ende. In: Veröffentlichung der Gesellschaft Hamburger Juristen. Band 12. O. Schmidt, Köln 1980, ISBN 3-504-64907-0, S. 43.
- ↑ Martin Ewald: Das Hamburgische Niedergericht, Tradition und Ende. In: Veröffentlichung der Gesellschaft Hamburger Juristen. Band 12. O. Schmidt, Köln 1980, ISBN 3-504-64907-0, S. 41.
- ↑ Jacobi S. 147
- ↑ Schmidt S. 131, Fußnote 10
- ↑ Jacobj S 92
- ↑ Jacobj S. 95
- ↑ Jacobj S. 150
- ↑ a b Martin Ewald: Das Hamburgische Niedergericht, Tradition und Ende. In: Veröffentlichung der Gesellschaft Hamburger Juristen. Band 12. O. Schmidt, Köln 1980, ISBN 3-504-64907-0, S. 55.
- ↑ Schmidt S. 5
- ↑ Von Mitte Mai bis Mitte September 1842 fand das Niedergericht einen Platz in drei Zimmern in der Wohnung des früheren Richters Bartels auf dem Neuen Wandrahm, siehe [1]
- ↑ Schmidt S. 7
- ↑ a b Martin Ewald: Das Hamburgische Niedergericht, Tradition und Ende. In: Veröffentlichung der Gesellschaft Hamburger Juristen. Band 12. O. Schmidt, Köln 1980, ISBN 3-504-64907-0, S. 56.
- ↑ Martin Ewald: Das Hamburgische Niedergericht, Tradition und Ende. In: Veröffentlichung der Gesellschaft Hamburger Juristen. Band 12. O. Schmidt, Köln 1980, ISBN 3-504-64907-0, S. 36.
- ↑ nach Jacobj
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Stich von 1700 von dem alten Hamburger Rathaus, das 1842 dem Großen Brand zum Opfer fiel
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Titelbild des Stückes B des Hamburger Stadtrechts von 1497, Rechtsgebiet Niedergerichtsordnung. Hintergrundbeleuchtete Reproduktion in der Ausstellung des Museums für Hamburgische Geschichte.
Querformat; Titel unter der Grafik "Das Rathhaus in Hamburg im Jahre 1841."; Frontalansicht des altern Rathauses und des Niedergerichts bei der Trostbrücke (zerstört im Brand von 1842); am linken Bildrand des zweistöckige Niedergericht, dessen Fassade in drei gleiche vertikale Abschnitte aufgeteilt ist, wobei der mittlere Teil leicht hervorsteht und durch einem Dreiecksgiebel betont wird, die Fassade war während der Franzosenbesatzung (1811 bis 1814) umgestaltet worden; mittig und am rechten Bildrand das zweigliedrige Gebäude des alten Rathauses; in der Mitte der ältere Teil des Gebäudes (erbaut ab dem Ende des 13. Jahrhunderts); zweistöckig, Fassade durch abgerundete, hohe Fenster und Pilaster gegliedert; am linken Gebäuderand ein Säulenportal mit zwei Statuen und zwei Löwen, die das Hamburger Stadtwappen halten; auf der rechten Seite der Rathausanbau von 1599, der um 1649 erweitert wurde, die Grenze wird von dem Turm auf dem Dach markiert; 1649 ebenfalls